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Effektbasierter Spurenstoffnachweis in Gewässern

Problemdarstellung

Durch die immense Weiterentwicklung der instrumentellen Analytik, werden organische Verbindungen, die beispielsweise als pharmazeutische Wirkstoffe, Industriechemikalien oder in Körperpflegemitteln Verwendung finden, in Gewässern nachweisbar. Wegen ihrer niedrigen Konzentrationen in den Gewässern von Nano- bis zu einigen Mikrogramm pro Liter spricht man auch von Spuren- oder Mikroschadstoffen. Obwohl bezüglich der Wirkung dieser Spurenstoffe auf die aquatische Umwelt noch vieles unbekannt ist, gibt es einige Indizien, die für bestimmte Endpunkte negative Auswirkungen belegen. So wurde in einem langfristigen Freilandexperiment gezeigt, dass die gesamte Fischpopulation eines Sees bei einer regelmäßigen Dosierung von 5 ng/l des hormonell wirksamen Östrogens E2 zusammenbrechen kann. Als eine der Hauptquellen für Mikroschadstoffe wurden die Abläufe von Kläranlagen identifiziert. Moderne Kläranlagen reinigen Abwasser effizient von leicht abbaubaren organischen Stoffen. Sie sind aber nicht für die Eliminierung von Mikroschadstoffen konzipiert, so dass viele dieser Stoffe über Kläranlagenabläufe in Oberflächengewässer eingetragen werden (➥ Tabelle 1). Vor allem im dichtbesiedelten Mitteleuropa gibt es daher seit einigen Jahren Bestrebungen, Kläranlagen mit einer zusätzlichen Behandlungsstufe auszustatten, die zu einer Reduzierung des Eintrags über das Abwasser führt. Als technische Lösungen haben sich dabei die Ozonung oder die Sorption an Aktivkohle durchgesetzt. Beim Einsatz von Ozon zur weitergehenden Abwasserbehandlung ist neben der Elimina­tionsleistung für die genannten Stoffe auch die Bildung von Transformationsprodukten von Bedeutung, denn eine vollständige Mineralisierung zu Kohlendioxid und Wasser ist mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. Ob diese Transformationsprodukte nun ihrerseits eine mögliche schädliche Wirkung auf aquatische Ökosysteme oder den Menschen haben, ist bisher kaum untersucht. In Einzelfällen werden höhere oder zumindest vergleichbare Toxizitäten wie für ihre Ausgangsstoffe berichtet.

Aber wie können Effekte auf Organismen in Gemischen unzähliger Verbindungen im niedrigen Konzentrationsbereich gemessen werden? Kann aus Einzelsubstanzuntersuchungen auf den Effekt von Mischungen geschlossen werden? Und wenn Effekte vorliegen: Kann daraus geschlossen werden, auf welche Substanzen diese Effekte zurückzuführen sind?

Im Rahmen des Forschungskollegs FUTURE WATER und in weiteren Projekten des Zentrums für Wasser- und Umweltforschung (s. „Weitere Infos“) wird dieser Fragestellung nachgegangen. Dabei bedarf es der kombinierten Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der analytischen Chemie, Verfahrenstechnik, Toxikologie/Medizin und Ökologie. Die allgemeine Situation in Deutschland hinsichtlich der Wasserhygiene ist mit Fallbeispielen in der Arbeit von Dopp (2017) ausführlich dargestellt.

Tabelle 1:  Hauptspurenstoffe, die in Oberflächengewässern in Nordrhein-Westfalen detektierbar sind, sowie deren Konzentrationen im Ablauf drei verschiedener Kläranlagen (Quelle: Grünebaum et al. 2011)

Tabelle 1: Hauptspurenstoffe, die in Oberflächengewässern in Nordrhein-Westfalen detektierbar sind, sowie deren Konzentrationen im Ablauf drei verschiedener Kläranlagen (Quelle: Grünebaum et al. 2011)

Nachweis mittels effektbasierter Methoden (EBM)

Neben dem chemischen Nachweis von Spurenstoffen ist deren Wirkung auf biologische Systeme höchst relevant. Die Vielzahl an Expositionswegen und biologischen Antworten ist in ➥ Abb. 1 aufgezeigt.

Durch den Einsatz von biologischen Testverfahren in Kombination mit der chemischen Analytik ergibt sich die Möglichkeit einer ganzheitlichen Betrachtung der Wasserqualität. Es können akute und chronische Effekte durch verschiedene Testsysteme erfasst werden. ➥ Abb. 2 zeigt eine Kombination von biologischen Testverfahren, die verschiedene Endpunkte erfasst. In In-vitro-Systemen werden östrogene Wirkung, Genotoxizität (Änderungen im genetischen Material) und Zytotoxizität (Zellschädigung) überprüft. In vivo werden auf verschiedenen ökologischen Trophiestufen das Wachstums von Primärproduzenten wie Algen und Pflanzen, akute und chronische Toxizität gegenüber Destruenten wie Bakterien sowie die akute, chronische und Reproduktionstoxizität gegenüber Primärkonsumenten wie Daphnien überprüft. In eigenen Untersuchungen wurde diese Testbatterie zur Überprüfung des öko- und humantoxikologischen Potenzials von Kläranlagenläufen erfolgreich angewendet. Die Kombination von In-vitro- und In-vivo-Verfahren ist zu empfehlen, da die zellbasierten Tests allein nicht alle relevanten Wirkmechanismen abdecken können.

Da der Schwerpunkt am IWW Zentrum Wasser (s. „Weitere Infos“) auf den zellbasierten Methoden zum Nachweis humanrelevanter Endpunkte liegt, sollen diese hier näher vorgestellt werden.

Abb. 2:  Kombination von biologischen Testverfahren zum Nachweis von Effekten auf verschiedenen Ebenen (Trophiestufen). Quelle: Simon u. Dopp 2018

Abb. 2: Kombination von biologischen Testverfahren zum Nachweis von Effekten auf verschiedenen Ebenen (Trophiestufen). Quelle: Simon u. Dopp 2018

In-vitro-Methoden zum effektbasierten Nachweis von Spurenstoffen im Wasser

Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Abwasseraufbereitungsschritten sowie zum Monitoring von effektverursachenden Sub­stanzen in Oberflächen-, Roh- und Trinkwasser können effektbasierte Methoden (EBM) eingesetzt werden. In-vitro-Studien erlauben die Erforschung mechanistischer und physiologischer Zusammenhänge zwischen Mikro­schadstoffen und ihrer biologischen Wirksamkeit. Bei ihrer Anwendung muss beachtet werden, dass bestimmte Testverfahren auf einen spezifischen Endpunkt ausgerichtet sind.

Derzeit am meisten beachtet wird die hormonelle (endokrine) Wirkung, die unter anderem das Zusammenspiel im Androgen-, Östrogen- und Glukokortikoidhaus­halt betrifft. Da diese Effekte bereits in extrem niedrigen Konzentrationen relevant sein können, sind sie von toxikologischem Interesse (Kidd et al. 2007). Eine Verringerung der endokrinen Aktivität von gereinigten Abwässern durch Ozonung in Kombination mit Aktivkohlebehandlung konnten unter anderem Stalter et al. (2011) nachweisen. Zur Überprüfung der endokrinen Wirkung werden humane Zelllinien genetisch modifizierte Brustkrebszellen (ER/AR
[anti]-CALUX) verwendet. An diesen Zellen können sowohl Effekte von Einzelsubstanzen als auch von Mischungen mehrerer aktiver Substanzen getestet werden. Dabei können Substanzkonzentrationen bis in den pg/l-Bereich getestet werden, die durch instrumentelle Analytik nicht abgedeckt werden können.

Weitere wichtige Endpunkte sind die Gentoxizität und die Mutagenität. Hier werden im Säugerzellsystem die Bildung von Mikrokernen (Mikrokerntest) oder DNA-Strangbrüchen (Comet-Assay) nach Exposition gegen schadstoffhaltige Wasserproben gemessen. Der umuC-Test findet häufig im Abwasserbereich Anwendung und zeigt die Aktivierung des DNA-Reparatursystems von Bakterien nach Exposition mit gentoxischen Substanzen an. Der AMES-Test auf Basis von Bakterienzellen kommt zum Einsatz, wenn mutagene Substanzen nachgewiesen werden sollen. Bei Verwendung der bakteriellen Testsysteme kann durch Zugabe eines aus Ratten gewonnen Leberhomogenisats die im Organismus stattfindende Metabolisierung der in der Probe enthaltenen Stoffe mit abgebildet werden.

Wozu werden die erhobenen In-vitro- und In-vivo-Daten verwendet?

Um eine gute Wasserqualität deutschlandweit gewährleisten zu können, werden verschiedene Parameter von behördlicher Seite überwacht und in der Wasserrahmenricht­linie (WRRL 2000, s. „Weitere Infos“) festgeschrieben. Speziell für Trinkwasser gibt es die Trinkwasserverordnung (TrinkwV 2001). Zu den überwachten Parametern gehören organische und anorganische Schadstoffe sowie hygienische Parameter. Zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung wurden Grenz- und Richtwerte erlassen, die einzuhalten sind und dem aktuellen Kenntnisstand entsprechen.

Neue erhobene Daten aus In-vitro- und In-vivo-Studien werden bislang in der Gesetzgebung noch nicht berücksichtigt. Eine Vielzahl von Forscherinnen und Forschern aus dem NORMAN-Netzwerk1 unterbreitete allerdings kürzlich die Forderung, EBM mit in die Wasserrahmenrichtlinie zu integrieren und erhöhte somit den Druck auf die Politik, diese in die gesetzliche Überwachung der Oberflächengewässer Europas zu integrieren. Für Oberflächengewässer werden Grenzwertüberschreitung im Routine Monitoring derzeit nur über eine Liste von 45 prioritären Stoffen und weiteren unter Beobachtung stehenden Stoffen (Watch List) regelmäßig überwacht. Im Trinkwasserbereich finden die effektbasierten Methoden für Einzelstoffbewertungen bereits Anwendung. So werden nur teilweise oder nicht bewertete Stoffe, die in einer Konzentration über dem allgemeinen Vorsorgewert von 0,1 µg/l im Trinkwasser nachgewiesen werden, mit Hilfe von EBM bewertet und gegebenenfalls neue gesundheitliche Orientierungswerte (GOW) abgeleitet. Einen solchen Stoff zu identifizieren, ist im Moment aber eher Zufallsprodukt der Non-Target-Analytik, da niemand gezielt danach sucht und viele Stoffe einfach unter dem Radar der instrumentellen Analytik verschwinden. Die große Stärke effektbasierter Methoden, auch Mischungstoxizitäten und damit die Wirkung der Gesamtprobe abzubilden, findet derzeit noch keine Anwendung. Geht es ferner darum, die effektverursachenden Substanzen in einer Probe zu identifizieren, ist die so genannte effekt­dirigierte Analytik (EDA) ein vielversprechender Ansatz, der in den letzten zehn Jahren stetig weiterentwickelt wurde (Brack et al. 2016). Hier werden effektbasierte Methoden genutzt, um – nach Anreicherung und anschließender Fraktio­nierung über Hochleistungsflüssig- oder Hochleistungsdünnschichtchromatographie einer Probe – die einzelnen Fraktionen zu priorisieren. Im Anschluss kann der Versuch unternommen werden, die effektverursachenden Substan­zen in den positiven Fraktionen mittels instrumenteller Analytik zu identifizieren. Über den Ansatz der EDA wird es somit in Zukunft möglich, diese Substanzen beispielsweise aus Medikamenten, Industriechemikalien oder Körperpflegemitteln, die in Kläranlagen nicht zurückgehalten werden, durch leicht abbaubare Substanzen zu ersetzen oder ihre Verwendung einzuschränken, um etwaige adverse Effekte auf Mensch und Umwelt zu reduzieren.

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass er Kollegiat im Forschungskolleg FUTURE WATER, Mitglied im Zentrum für Wasser- und Umweltforschung und am IWW Rheinisch-Westfälisches Institut angestellt ist.

Schwer abbaubare Substanzen können in Kläranlagen nicht eliminiert werden und gelangen so in Oberflächengewässer

Foto: clu / Getty Images

Schwer abbaubare Substanzen können in Kläranlagen nicht eliminiert werden und gelangen so in Oberflächengewässer

Literatur

Brack W et al.: Effect-directed analysis supporting monitoring of aquatic environments – an in-depth overview. Sci Total Environ 2016; 544: 1073–1118.

Dopp E: Wasser – aktuelle Themen aus dem Bereich der Wasserhygiene. In: Schmitz-Spanke S et al. (Hrsg.): Umweltmedizin – Neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis. Landsberg am Lech: ecomed-Storck GmbH, 2017, S. 254–264.

Escher B et al.: From the exposome to mechanistic understanding of chemical-induced adverse effects. Environ Int 2017; 99: 97–106.

Schmidt T et al.: Mikroschadstoffe aus dem Abwasser entfernen. UNIKATE Universität Duisburg-Essen 2018; 51: 88–92.

Simon A, Dopp E: Biotestbatterie – volle Breitseite beim toxikologischen Effektnachweis. Mitt Umweltchem Ökotox 2018; 24: 3–5.

Stalter D et al.: Ozonation and activated carbon treatment of sewage effluents: Removal of endocrine activity and cytotoxicity. Water Res 2011; 45: 1015–1024

Weitere Infos

Grünebaum T et al.: Schluss­bericht Phase 1 „Elimination von Arzneimittelrückständen in kommunalen Kläranlagen, 2011“ zum Forschungsvorhaben „Elimination von Arznei­mitteln und organischen Spurenstoffen: Entwicklung von Konzeptionen und innovativen, kostengünstigen Reinigungs­verfahren
https://www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuv/wasser/abwasser/forschung/pdf/…

IWW Zentrum Wasser
www.iww-online.de

NRW Forschungskolleg FUTURE WATER
www.nrw-futurewater.de

ZWU – Zentrum für Wasser und Umweltforschung
www.uni-due.de/zwu

Kontakt:

Gerhard Schertzinger, M.Sc.
IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung gemeinnützige GmbH; Geschäftsfeld Toxikologie; Moritzstraße 26; 45476 Mülheim an der Ruhr

Foto: Michael Reifenrath

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