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Ein wirksamer Ansatz zur Prävention psychischer Erkrankungen? Ergebnisse einer Begleitstudie bei John Deere

Mitarbeiterberatung/Employee Assistance Program (EAP)

Präventionsbedarf in Unternehmen

An den Statistiken zur Entwicklung des Krankenstands und der Frühberentungen lässt sich unschwer erkennen, dass die Bedeutung psychischer Erkrankungen stark zugenommen hat. Die Ursachen dieser Entwicklung werden unter anderem in den zunehmenden psychischen Belastungen in der Arbeitswelt gesehen (z. B. Lohmann-Haislah 2012). Diese stehen im Zusammenhang mit verdichteten Arbeitsprozessen, der Notwendigkeit, flexibel und mobil zu arbeiten, sowie einer steigenden Komplexität der Arbeitsaufgaben (Zimber u. Rigotti 2015). Führungskräfte sind von diesen Entwicklungen noch stärker betroffen als Personen ohne Personalverantwortung (Zimber et al. 2015).

Aufgrund ihrer volks- und betriebswirtschaftlichen Bedeutung haben Behörden, Unternehmen und Gesundheitsdienstleister auf diese Entwicklung reagiert. Die Erhaltung und Förderung der psychischen Gesundheit ist inzwischen eine zentrale Aufgabe im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz und hat zu einem breiten Spektrum an Angeboten zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) beigetragen. Wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, zahlen sich die damit verbundenen Investitionen durch die Verringerung krankheitsbedingter Produktionsausfälle auch wirtschaftlich aus (z. B. Sockoll et al. 2008).

Was ist Mitarbeiterberatung/EAP?

Unter den BGF-Angeboten hat sich in den letzten Jahren die Mitarbeiterberatung etabliert. Je nach Angebotsform, institutioneller Anbindung und fachlichem Hintergrund existieren hierfür unterschiedliche Begriffe, unter anderem betriebliche Sozialarbeit und Employee Assistance Programs (EAP). Inhaltlich hat sich die Mitarbeiterberatung von themen- und problembezogenen Beratungsleistungen, wie Sucht-, Sozial- und Familienberatung, hin zu ganzheitlichen Ansätzen gewandelt. Mitarbeiterberatung soll in der Regel auf eine Vielzahl verschiedener Anliegen professionell reagieren. Mit den Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt hat das Interesse an betrieblichen Beratungsangeboten auch in deutschen Unternehmen zugenommen. Inzwischen existiert eine Vielzahl von Anbietern, die Mitarbeiterberatung als externe Dienstleistung anbieten.

Unternehmen, die Mitarbeiterberatungsangebote einrichten, wollen ihre Beschäftigten bei ihren beruflichen, gesundheitlichen, familiären oder persönlichen Anliegen professionell, schnell und unbürokratisch helfen (INQA 2017; Schulte-Meßtorff u. Wehr 2017). Sie sollen dabei unterstützt werden, eine Lösung für ihre Probleme oder Konflikte zu finden und wieder handlungsfähig zu werden. Sind die Ratsuchenden bereits so belastet, dass sie Symptome zeigen, soll die Beratung dabei helfen, berufliche und außerberufliche Belastungen abzubauen und gegebenenfalls eine geeignete Behandlung zu finden. In diesem Fall vermittelt sie den Weg in das Versorgungssystem. Auch Kriseninterventionen und Unterstützung bei Notfällen werden angeboten.

Mitarbeiterberatung kann in unterschied­lichen Settings stattfinden und nach verschiedenen Methoden durchgeführt werden. Neben der persönlichen Beratung unter vier Augen hat sich auch die Telefonberatung stark verbreitet. Auch digitale Beratungssettings, wie Onlineberatung oder Video-Chats, setzen sich inzwischen durch. Das Spektrum reicht von festen Sprechstunden zu festgelegten Zeitpunkten bis zur Erreichbarkeit rund um die Uhr.

Bei internen Beratungsangeboten sind die Beratenden in der Regel bei den Unternehmen, deren Belegschaft sie betreuen, fest angestellt oder freiberuflich tätig. Ihre Beratungsräume befinden sich meist auf dem Gelände des Unternehmens. Durch ihre Nähe zum Unternehmen haben die Beratenden oft Kenntnisse von den Besonderheiten der Organisation und ihrer Unternehmenskultur. Externe Beratung erfolgt dagegen überwiegend telefonisch und zum geringeren Teil persönlich.

Die Beratungsleistungen beziehen sich auf ein mehr oder weniger breites Themenspektrum, das von der Weitervermittlung an Gesundheitsdienstleister oder spezialisierte Beratungsstellen über die Unterstützung bei arbeitsbezogenen Problemen bis hin zur Bearbeitung akuter seelischer Belastungen reichen kann. Nach Einschätzung hierzu befragter Personalverantwortlicher liegt der Schwerpunkt in der betrieblichen Praxis vor allem beim Umgang mit Stress/Burnout und anderen psychischen Problemen, gefolgt von Konflikten am Arbeitsplatz und Führungsproblemen sowie Sucht und Abhängigkeit (EuPD u. INSITE-Interventions 2013).

Wie wirksam ist Mitarbeiter­beratung/EAP?

Mitarbeiterberatung/EAP soll dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten, Krankheitstage und Produktivitätsausfälle zu reduzieren, Führungskräfte zu entlasten, die Vertrauensbasis zwischen Unternehmen und Beschäftigten zu verbessern und deren Bindung an ihr Unternehmen zu erhöhen (INQA 2017; Schulte-Meßtorff u. Wehr 2017). Zugleich soll das Beratungsangebot einen niedrigschwelligen Ansatz zur Früherkennung und -behandlung psychischer Erkrankungen darstellen. Aufgrund ihrer Verbreitung und auch wegen der Kosten, die sie erzeugt, muss sich Mitarbeiterberatung dem Anspruch auf Wirksamkeit stellen. In jüngerer Zeit wurden daher verstärkt Qualitätsanforderungen an Mitarbeiterberatung/EAP diskutiert (z. B. Employee Assistance Research Foundation 2013).

Der wachsenden Verbreitung von Beratungsangeboten steht bisher nur eine geringe Anzahl von Evaluationsstudien gegenüber. Eine ältere Literaturübersicht (Colantiano 1989) fasste die Ergebnisse von Wirksamkeitsuntersuchungen seit 1975 zusammen und konnte aufgrund fehlender Angaben zur Maßnahme und den Testpersonen, nicht einschlägiger Messinstrumente, fehlender Kontrollgruppen und kurzer Messabstände noch keine belastbaren Befunde präsentieren. Eine aktuelle Literaturübersicht (Joseph et al. 2018) stellt bereits 17 Untersuchungen vor, die sich überwiegend auf externe Beratungsangebote im nordamerikanischen Raum beziehen. Die Mehrzahl dieser Studien untersuchte Auswirkungen auf den Krankenstand beziehungsweise Präsentismus, wobei die Ergebnisse gemischt ausfielen. Kontrollierte Studien zu möglichen Gesundheitseffekten wurden erst vor kurzem aus den USA (Milot 2019) und Kanada (Richmond et al. 2017) vorgelegt. Diese Studien berichteten positive Veränderungen auf das Arbeitsengagement und die Anwesenheit am Arbeitsplatz. Stress-, Depressions- und Angstsymptome gingen jeweils signifikant zurück.

Inwieweit Mitarbeiterberatung in deutschen Unternehmen zu den genannten Zielsetzungen beitragen kann, ist nach gegenwärtiger Erkenntnislage noch weitgehend offen. Die häufig von EAP-Anbietern selbst durchgeführten oder in Auftrag gegebenen Studien sind aufgrund mangelnder Interessenunabhängigkeit nicht als objektiv einzuschätzen. Um den lückenhaften Kenntnisstand zu verringern, wurde in einem Unternehmen, das Mitarbeiterberatung eingeführt hat, eine wissenschaftliche Begleitstudie durchgeführt.

Beratungsmaßnahme

Der international tätige Landmaschinenhersteller bietet am Standort Mannheim seit Anfang 2018 psychologische Mitarbeiterberatung für ca. 3500 Beschäftigte im gewerblichen und im Verwaltungsbereich an. Die Initiative zur Implementierung erfolgte von Seiten der Werksärztin, die in ihrem früheren Unternehmen Mitarbeiterberatung als erfolgreichen Präventionsansatz erlebt hatte. Ein weiterer Auslöser waren die Ergebnisse einer Gefährdungsbeurteilung, die gestiegene psychische Belastungen angezeigt hatten. Die Werksärztin konnte die Geschäftsleitung davon überzeugen, zur Vermeidung von psychischen Erkrankungen und Produktionsausfällen ein spezifisches Unterstützungsangebot zu implementieren (s. Infokasten).

Neben der Unterstützung bei psychischen Problemen sollte die Mitarbeiterberatung auch der Bewältigung von Arbeitskonflikten und familiären Problemen dienen (Suchtberatung wurde bereits am Standort angeboten). Da am Standort keine psychologisch qualifizierten Personen vorhanden waren, musste der Auftrag extern an einen klinisch geschulten Psychologen vergeben werden, der persönlich und telefonisch Mitarbeiterberatung anbietet. Pro Beratungstermin fanden sich etwa drei bis sechs Beschäftigte ein. In einer viermonatigen Pilotphase sollte überprüft werden, wie das Angebot von der Belegschaft angenommen wird. Sie wurde von den Ratsuchenden insgesamt sehr positiv beurteilt. Daher entschied die Geschäftsleitung im Mai 2018, die Mitarbeiterberatung als reguläres Angebot fortzuführen.

Evaluationsmethoden

Zur Kontrolle der Maßnahmeneffekte wurde nach Ablauf der Pilotphase eine wissenschaftliche Begleitstudie angesetzt. Hierzu wurde ein möglichst ökonomischer Fragebogen vorrangig mit standardisierten Verfahren zusammengestellt. Zur Erfassung der psychischen Symptomatik diente das Brief Symptom Inventory (BSI-18; Franke 2000), mit dem insgesamt 18 Symptome erfasst werden (Beispiel-Item: „Wie sehr litten Sie in den letzten sieben Tagen unter Ohnmachts- und Schwindelgefühlen?“; Skalierung 1 = überhaupt nicht bis 5 = sehr stark). Es lassen sich depressive Symptome, Ängstlichkeit und Somatisierung differenzieren. Zur Erhebung arbeitsbezogener Beanspruchungsfolgen wurde die Irritationsskala (IS) (Mohr et al. 2007) herangezogen, die acht Fragen zu Stresssymptomen enthält (Beispiel-Item: „Es fällt mir schwer, nach der Arbeit abzuschalten.“; Skalierung 1 = trifft überhaupt nicht zu bis 7 = trifft fast völlig zu). Zur Einschätzung der Lebenszufriedenheit wurden fünf Items aus dem Modellprojekt „Berufliche Integration nach stationärer Suchtbehandlung (BISS)“ (vgl. Rekovski 2014) verwendet (Beispiel-Item: „Wie zufrieden sind Sie momentan mit Ihrer beruflichen Situation?“; Skalierung 1 = gar nicht zufrieden bis 5 = sehr zufrieden). Beratungsanlass und Erwartungen an die Beratung wurden mit jeweils vier selbst formulierten Fragen dichotom erfasst. Eine weitere Frage bezog sich auf den Krankenstand („Wie viele ganze Tage sind Sie in den letzten drei Monaten der Arbeit ferngeblieben? Skalierung: überhaupt keinen, bis 3 Tage, 4–9 Tage, 10–20 Tage, mehr als 20 Tage). Zur Einordnung und Interpretation der Ergebnisse dienten die von den Testautoren bereitgestellten Norm- beziehunsgsweise Referenzwerte (Mohr et al. 2005; Spitzer et al. 2011).

Der Fragebogen wurde unmittelbar vor Beginn des Erstgesprächs ausgehändigt. Das Ausfüllen des Aufnahmebogens dauerte etwa 5–10 Minuten. Alle Ratsuchenden erhielten 3–4 Monate nach dem Erstgespräch einen einseitigen Fragebogen per Post mit frankiertem Rückumschlag an ihre Heimadresse. Dieser Nachsorgebogen enthielt zwecks Vergleichbarkeit die gleichen Fragen wie im Aufnahmebogen. Darüber hinaus wurde mit vier Fragen die Zufriedenheit mit der Beratung erfasst (Skalierung 1 = gar nicht zufrieden bis 5 = sehr zufrieden). Mit einer offenen Frage wurde um weitere Rückmeldungen gebeten. Anonymität der Daten wurde durch die Vergabe eines individuellen Codesystems gewährleistet, das keinen Rückschluss auf die beteiligten Personen zuließ. Zur Einhaltung des Datenschutzes wurden außer dem Geschlecht und dem Unternehmensbereich keine weiteren Angaben zur Person eingeholt. Eine Stellungnahme zur Weiterverarbeitung der Daten wurde vom Betriebsrat eingeholt. Sämtliche Daten wurden anonymisiert und die Auswertung von einem unabhängigen externen Institut übernommen.

Untersuchungsstichprobe

Von den 47 Personen, die sich im Zeitraum von Mai 2018 bis August 2019 in der Beratungsstelle eingefunden hatten, waren 41 bereit, den Aufnahmebogen auszufüllen. Eine Person bearbeitete die Befragung unvollständig und wurde daher von der Datenauswertung ausgeschlossen. Unter den verbleibenden 40 Personen waren 36 Männer (90 %) und vier Frauen (10 %). Die Personen verteilten sich zu etwa gleichen Teilen auf den gewerblichen und den Verwaltungsbereich. 35 Personen (87,5 %) suchten die Beratung einmal, fünf Personen (12,5 %) zwei- oder dreimal auf. 20 Personen beantworteten den Nachsorgebogen vollständig. Nach Ergebnissen statistischer Analysen unterschieden sich diese nicht signifikant von jenen Personen, die nicht an der Wiederholungsbefragung teilnahmen.

Ergebnisse der Evaluationsstudie

Etwa zwei Drittel der vor dem Erstgespräch Befragten (67,5 %) suchten die Beratung nach eigenen Angaben wegen psychischer Probleme auf. Weitere 55 Prozent wollten in der Beratung ein persönliches, 42,5 Prozent ein arbeitsbezogenes Anliegen klären (Mehrfachnennungen möglich). Die Erwartungen der Ratsuchenden bezogen sich darauf, dass ihre aktuelle Situation mit fachlicher Expertise eingeschätzt wurde (82,5 %), ein Weg zur Lösung des Problems entwickelt wird (77,5 %), sich jemand das Problem in einem vertraulichen Gespräch anhört oder Informationen zu weiterführenden Behandlungsangeboten vermittelt (jeweils 60 %). Die Befragten waren ihrem Freundes- und Bekanntenkreis (M = 3,97) sowie ihrer Partnerbeziehung (M = 3,62) eher zufrieden, jedoch teilweise zufrieden bis eher unzufrieden mit der beruflichen Situation (M = 2,90) und dem aktuellen Gesundheitszustand (M = 2,82).

Die psychische Symptomatik war mit einem Summenwert von M = 21,025 ähnlich stark ausgeprägt wie in einer Vergleichsgruppe psychisch Erkrankter (M = 22,9; vgl. Spitzer et al. 2011) und lag deutlich über der Gruppe nichtklinischer Testpersonen (M = 3,87; vgl. ebd.). Depressive Symptome (M = 9,22) waren bei den Ratsuchenden häufiger als Ängstlichkeit (M = 7,45) und Somatisierung (M = 6,22). Die Ratsuchenden litten stark unter dem Gefühl, gespannt oder aufgeregt zu sein (M = 3,2), ziemlich stark unter Nervosität oder innerem Zittern (M = 2,9), Schwermut (M = 2,73), Interessenlosigkeit (M = 2,63) sowie Hoffnungslosigkeit (M = 2,78). Gedanken, sich das Leben zu nehmen, äußerte dagegen nur ein sehr geringer Teil (M = 1,33).

Arbeitsbezogene Beanspruchungsfolgen waren mit einem Durchschnittwert von M = 3,68 deutlich stärker ausgeprägt als in den Referenzgruppen „metallverarbeitende Industrie“ (M = 2,85) bzw. „Büro“ (M = 3,08) (vgl. Mohr et al. 2005). Die Ratsuchenden gaben am häufigsten an, zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit zu denken (M = 3,95), hatten Probleme, nach der Arbeit abzuschalten (M = 3,82) und waren häufig gereizt (M = 3,8).

28,2 Prozent gaben keine krankheitsbedingten Fehlzeiten in den letzten drei Monaten an, 20,5 Prozent bis 3 Tage, 17,9 Prozent 4–9 Tage, 15,4 Prozent 10–20 Tage und 17,9 Prozent mehr als 20 Tage.

In der Follow-up-Stichprobe suchte ein tendenziell höherer Anteil (75 %) die Beratung wegen psychischer Probleme auf als in der Gruppe der Non-Responder (60 %). Auch wiesen diese Personen zum ersten Messzeitpunkt eine insgesamt geringere Lebenszufriedenheit, etwas mehr psychische Symptome und einen höheren Krankenstand auf. Alle Unterschiede waren jedoch nicht statistisch signifikant. Bei den Respondern verringerte sich die psychische Symptomatik innerhalb von 3–4 Monaten hochsignifikant (➥ Tabelle 1). Arbeitsbezogene Beanspruchungsfolgen und Krankenstand gingen ebenfalls, jedoch nicht statistisch signifikant zurück. Die Verbesserung der Lebenszufriedenheit scheiterte nur knapp an der Signifikanzgrenze. Bei den Einzelfragen zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Zufriedenheit mit dem eigenen Gesundheitszustand (t1: M = 2,35; t2: M = 3,00; p < 0,05).

Die Ratsuchenden waren rückblickend mit der Beratung insgesamt zufrieden bis sehr zufrieden (M = 4,35 auf einer Skala von 1–5). Am höchsten zufrieden waren sie damit, dass sich eine fachkundige Person ihr Problem anhörte (M = 4,54), am wenigsten mit der Erarbeitung einer Problemlösung (M = 3,6). Sieben Personen beantworteten die offene Frage im Nachsorgebogen. Drei Antworten bezogen sich auf positive Veränderungen seit der Beratung (z. B. „Die Situation hat sich durch einen dreiwöchigen Urlaub signifikant verbessert.“), drei auf den Beratenden beziehungsweise das Unternehmen (z. B. „Eine wertvolle und wichtige Einrichtung!“), eine weitere auf die eigene Person („Ich brauche mehr Zeit und Geduld.“).

Tabelle 1:  Deskriptive Statistiken der Messwiederholungen (Follow-up-Stichprobe; n=20)

Tabelle 1: Deskriptive Statistiken der Messwiederholungen (Follow-up-Stichprobe; n=20)

Diskussion der Ergebnisse

Trotz ihrer zunehmenden Verbreitung wurden bisher nur wenige unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen zu Mitarbeiterberatung/EAP durchgeführt. Die Literatur beschränkt sich weitgehend auf Erfahrungsberichte und auf die Akzeptanz der Beratungsangebote (z. B. EuPD Research & INSITE-Interventions GmbH 2013). Aussagekräftiger zur Erfolgsbewertung sind jedoch Wirkungen auf Lernprozesse, beobachtbares Verhalten oder Unternehmensergebnisse (Kirkpatrick 1998). Im vorliegenden Kontext geeignete Erfolgsindikatoren, wie der Krankenstand beziehungsweise Präsentismus (siehe Joseph et al. 2018), die Produktivität und psychische Gesundheit der Ratsuchenden (siehe Richmond et al. 2017), wurden im deutschsprachigen Bereich bisher nicht untersucht. Die vorgestellte Begleitstudie hat, wenn auch nur exemplarisch für ein Unternehmen, erstmals belastbare Ergebnisse zu den Effekten von Mitarbeiterberatung/EAP vorgelegt.

Vergleichbar zur Studie in einem kanadischen Unternehmen (Milot 2019) erlebten die Teilnehmenden mehrere Monate nach der Beratung signifikant weniger Depressions- und Angstsymptome. Stresssymptome und krankheitsbedingte Fehlzeiten nahmen bei den Beschäftigten von John Deere ebenfalls ab, allerdings nicht statistisch bedeutsam. Abweichend von den Untersuchungsergebnissen von Richmond und Kollegen (2017) profitierten Personen mit ausgeprägter klinischer Symptomatik stärker von der Maßnahme als Personen mit geringeren Beeinträchtigungen. Depression, Angst und psychosomatische Beschwerden waren bei den Ratsuchenden ähnlich stark ausgeprägt wie in einer psychosomatischen Universitätsambulanz (vgl. Spitzer et al. 2011). Dies könnte einer Besonderheit des Beratungsangebots geschuldet sein, das vor allem an Beschäftigte mit psychischen Problemen adressiert und auch im internen Marketing diese Zielgruppe stark hervorhebt. Folglich spielen andere Themen, wie Konflikte am Arbeitsplatz, Suchtprobleme oder familiäre Belastungen, im Vergleich zu anderen EAP-Angeboten (vgl. EuPD Research & INSITE-Interventions GmbH 2013) eine geringere Rolle. Die gefundenen Effekte unterstreichen somit das Potenzial für die Früherkennung behandlungsbedürftiger psychischer Erkrankungen, jedoch nicht für andere Beratungsziele (siehe INQA 2017; Schulte-Meßtorff u. Wehr 2017). Es ist davon auszugehen, dass viele der Ratsuchenden ohne dieses niedrigschwellige Angebot von sich aus keine professionelle Hilfe gesucht hätten. Da etwa zwei Drittel der Ratsuchenden eine Weiterempfehlung erhielten (35 % für eine ambulante Psychotherapie, 12,5 % für eine psychiatrische Behandlung, 17,5 % für Ehe-/Familienberatung oder Selbsthilfegruppen), lassen sich die gefundenen Gesundheitseffekte allerdings nicht eindeutig auf die Mitarbeiterberatung selbst zurückführen. Neben Wirkungen weiterer, durch die Erstberatung angestoßener Maßnahmen kann auch eine Spontanremission der Beschwerden nicht ausgeschlossen werden.

Die berichteten Ergebnisse sind von einer Reihe methodischer Einschränkungen betroffen: Das gewählte Prä-Post-Design ist weniger aussagekräftig als die anspruchsvollen Studien von Milot (2019) und Richmond und Kollegen (2017). Weder eine Randomisierung der Testpersonen noch der Einschluss einer Kontrollgruppe unbehandelter Personen war hier möglich. Ausgangsstichprobe und Follow-up-Stichprobe sind zudem relativ klein und beschränken sich auf Beschäftigte eines einzigen Unternehmens, so dass die Befunde nur begrenzt verallgemeinerbar sind. Weitere, deutlich größer angelegte Studien mit randomisiertem Kontrollgruppendesign sind erforderlich, um diese vorläufigen Ergebnisse zu überprüfen.

Auch der gewählte Beratungsansatz ist kritisch zu diskutieren: So liegt der Mehrwert von externen Beratenden in ihrer Unabhängigkeit und Neutralität. Andererseits wird damit auf die Nutzung und Förderung vorhandener betriebliche Expertise verzichtet. Die Abwägung solcher Vor- und Nachteile wie auch der Frage, ob Mitarbeiterberatung intern oder extern angeboten wird, bedarf besonderer Sorgfalt und kann nur im Unternehmen selbst getroffen werden.

Interessenkonflikt: Der Erstautor und seine Koautorin geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Colantonio A: Assessing the effects of employee assistance programs: a review of employee assistance program evaluations. Yale J Biol Med 1989; 62: 13–22.

Franke H: Brief Symptom Inventory (BSI) – Deutsche Version. Manual. Weinheim: Beltz, 2000.

Joseph B, Walker A, Fuller-Tyszkiewicz M: Evaluating the effectiveness of employee assistance programs: a systematic review. Eur J Work Organ Psychol 2018; 27: 1–15.

Kirkpatrick DL: Evaluating training programs. San Francisco: Berrett-Koehler, 1998.

Milot M: The impact of a Canadian external Employee Assistance Program on mental health and workplace functioning: Findings from a prospective quasi-experimental study. J Workplace Behav Health 2019; 34: 167–191.

Mohr G, Rigotti T, Müller A: Irritation: ein Instrument zur Erfassung psychischer Beanspruchung im Arbeitskontext. Skalen- und Itemparameter aus 15 Studien. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 2005; 49: 44–48.

Mohr G, Rigotti T, Müller A: Irritation-Skala zur Erfassung arbeitsbezogener Beanspruchungsfolgen. Göttingen: Hogrefe, 2007.

Rekowski S von: Evaluation des Modellprojekts „Berufliche Integration nach Stationärer Suchtbehandlung“ (BISS). Inaugural-Dissertation. Freiburg: Albert-Ludwigs-Universität, 2014.

Richmond MK, Pampel FC, Wood RC, Nunes AP: The impact of employee assistance services on workplace outcomes: results of a prospective, quasi-experimental study. J Occup Health Psychol 2017; 22: 170–179.

Schulte-Meßtorff C, Wehr P: Employee Assistance Programs: Externe Mitarbeiterberatung im betrieblichen Gesundheitsmanagement, 2. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer, 2017.

Spitzer C, Hammer S, Löwe B, Grabe HJ, Barnow S, Rose S, Wingenfeld K, Freyberger HJ, Franke GH: Die Kurzform des Brief Symptom Inventory (BSI-18): erste Befunde zu den psychometrischen Kennwerten der deutschen Version. Fortschr NeurolPsychiatr 2011; 79: 517–523.

Zimber A, Rigotti T: Multitasking. Komplexe Anforderungen im Arbeitsalltag verstehen, erkennen und bewältigen. Göttingen: Hogrefe, 2015.

Zimber A, Hentrich S, Bockhoff K, Wissing K, Petermann F: Wie stark sind Führungskräfte psychisch gefährdet? Eine Literaturübersicht zu Gesundheitsrisiken und arbeitsbezogenen Risiko- und Schutzfaktoren. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 2015; 23: 1–19.

Weitere Infos

EuPD Research & INSITE-Interventions GmbH. Qualitätsanforderungen an ein Employee Assistance Program (EAP) aus Praxissicht – Studienergebnisse, 2013
http://www.eapforum.de/fileadmin/user_upload/EAP_Studie.pdf (Zugriff: 20.9.2019).

Employee Assistance Research Foundation. EAP in Continental Europe: State of the Art an ­Future Challenges, 2013
http://166.63.126.169/~eap­found/wp-content/uploads/2014/01/EARF-Webinar_10-07-2013_EAPs-in-Continental-Europe-State-of-the-Art-Future-Challenges.pdf

Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA). Kein Stress mit dem Stress. Ein Leitfaden zur Auswahl von Angeboten der Mitarbeiterberatung. Berlin: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2017
https://www.psyga.info/fileadmin/Angebote/PDFs/Ein_Leitfaden_zur_Auswah…

Lohmann-Haislah A: Stressreport Deutschland 2012 - Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. ­Dortmund, Berlin, Dresden: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2012.
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Gd68.pdf%3F__blo…

Sockoll I, Kramer I, Bödeker W: Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheits­förderung und Prävention (iga-Report 13). Essen: BKK Bundesverband, 2008
https://www.von-herzen-gesund.de/wp-content/uploads/iga-Report_13_Wirks…

Für die wissenschaftliche Begleitstudie wurde ein Fragebogen mit vorrangig standardisierten ­Verfahren zusammengestellt

Foto: Visivasnc / Getty Images

Für die wissenschaftliche Begleitstudie wurde ein Fragebogen mit vorrangig standardisierten ­Verfahren zusammengestellt

Praxisbeispiel

Mitarbeiterberatungsansatz bei John Deere, Mannheim 

– Zur dauerhaften Unterstützung wurde ­eine breite Beteiligung aller relevanten ­Akteure (Geschäftsleitung, Fachpersonal, Personalabteilung, Betriebsrat) angestrebt.

– Die geeignete Beratungsform – internes oder externes Angebot (EAP), persönliche oder telefonische Beratung – wurde in Gremien (u.a. ASA) sorgfältig abgewogen.

– Im Abstand von 14 Tagen werden auf dem Firmengelände Beratungsgespräche à 45–60 Minuten angeboten.

– Der Fokus liegt auf einer Erstberatung, bei der die Einschätzung des Problems und bei Bedarf eine Weiterempfehlung
an professionelle Anbieter erfolgt.

– Die Kosten für maximal drei Beratungs­gespräche werden vom Arbeitgeber übernommen.

– Zur Erreichung der Belegschaft werden alle zur Verfügung stehenden Informa­tionskanäle (Intranet, Plakate, Flyer, Veranstaltungen, persönliche Empfehlung der Werksärztin, Mundpropaganda durch ­Führungskräfte und Betriebsrat) genutzt.

– Die Beratungssitzungen werden regelmäßig dokumentiert, anonymisiert ausgewertet und in Gremien berichtet. Die Ergebnisse können unter anderem zur Identifizierung betrieblicher „Problemzonen“ genutzt werden.

– Bei allen Beteiligten ist die strenge ­Einhaltung von Vertraulichkeit oberstes Gebot.

Koautorin

An der Erstellung des Beitrags beteiligt war Frau Dr. Anja Kickinger-Lörsch, Werksärztin John Deere, Mannheim

Kontakt:

Prof. Dr. Andreas Zimber
Studiengang Psychologie und Management, Hochschule der Wirtschaft für Management gGmbH; Oskar-Meixner-Str. 4-6; 68163 Mannheim

Foto: SRH Holding

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