U-Montagelinien
Nach Literaturerkenntnissen stellt die Montage im Produktionsprozess mit bis 70 % den größten Kostenverursacher dar (Lotter u. Wiendahl 2012). Aus kundenspezifischen Gründen werden heutzutage immer mehr Produkte mit vielen Teilen und Produktvarianten montiert, was eine verbrauchsnahe Bereitstellung zahlreicher unterschiedlicher Einzelteile und Werkzeuge nötig macht. Hierbei stößt jedoch der Einsatz von klassischen Einzelmontageplätzen an seine Grenzen. Viele Einzelteile und Werkzeuge machen den Arbeitsplatz unübersichtlich und eine Aufteilung auf zwei Einzelarbeitsplätze erhöht den Transport, die Wartezeit und die Materialpuffer. Um dennoch das Produkt mit höchst möglicher Qualität, zu niedrigen Kosten und in möglichst kurzer Zeit zu montieren, wird das Ablaufprinzip des so genannten „One-Piece-Flow“ (Einzelstückfließfertigung) verwendet. Dieses Prinzip hat seinen Ursprung im Toyota Produktionssystem und basiert auf dem Just-In-Time-Prinzip des „Lean-Production“-Ansatzes. Der Vorteil dabei ist, dass die mehrstufige Bearbeitung eines Teils ohne Zwischenlagerung an verschiedenen Arbeitsstationen stattfindet. Auf diese Weise kann trotz hoher Variantenvielfalt die Flexibilität der Ausbringungsmenge gewährleistet werden. Um lange Wege zwischen der Anfangs- und Endstation zu vermeiden, werden die Arbeitsstationen typischerweise in einem U-Layout angeordnet (Abb. 1). Die Gesamtheit der Arbeitsstationen in dieser Anordnung wird auch U-Montagelinie genannt.
Dabei ist die Vorrausetzung für den Einsatz solcher Systeme einerseits die umfassende Qualifikation der Mitarbeiter, die in der Lage sind, alle Arbeiten an den Stationen auszuführen, aber auch schnell umrüstbare Arbeitsstationen bzw. Werkzeuge, um die Flexibilität zu bewerkstelligen (Lotter u. Wiendahl 2012). Schließlich ergeben sich Möglichkeiten zur Erweiterung der Tätigkeit (Job Enlargement) oder zu einem rotierenden Einsatz (Job Rotation) der Mitarbeiter, wie auch zur Bildung autonomer Gruppen, was zu einer Verbesserung des allgemeinen Arbeitsempfindens gegenüber monotoner Aufgaben an Einzelstationen mit sich bringt (Günther et al. 2005).
Im Allgemeinen werden zwei Betriebsarten einer U-Montagelinie unterschieden. Diese sind das Karawanensystem (s. ➥ Abb. 1) einerseits und das Handübergabesystem andererseits. Der Vorteil des Karawanensystems besteht darin, bei höheren Mengenleistungen mehrere Arbeiter unterbrechungsfrei arbeiten lassen zu können. Dabei durchlaufen die Mitarbeiter nacheinander in jedem Zyklus den gesamten Montageablauf. Dies legt jedoch eine hohe Qualifikation der Arbeiter und das Nivellieren individueller Arbeitsgeschwindigkeiten zugrunde. Im Gegensatz dazu erfolgt beim Handübergabesystem eine klare Abgrenzung der individuellen Arbeitsbereiche, wobei die Übergabestellen sich nach der geforderten Mengenleistung ergeben.
Erkenntnisse zu Belastungen/Beanspruchungen in U-Linien
Bei Montagetätigkeiten in einer U-Linie mit dem „One-Piece-Flow“-Prinzip treten körperliche Belastungen und physiologische Beanspruchungen sowohl im ganzen Körper, in den oberen Extremitäten und des Schultergürtels durch kurze Bewegungszyklen mit hochdynamischen Hand-Arm-Bewegungen als auch in den unteren Extremitäten durch ständiges Stehen und Gehen zwischen verschiedenen Arbeitsstationen auf. Dazu kommen Beinbewegungen mit „seitlichen“ Schritten („seitliches“ Gehen) relativ häufig vor. In den in letzten Jahren durchgeführten Studien zum „Stehen“ bzw. „Gehen“ innerhalb der U-Linie wurde nachgewiesen, dass das so genannte „seitliche“ Gehen für die Beinmuskeln beanspruchender ist im Vergleich zum „normalen“ Gehen (Wakula et al. 2017a). Gleichzeitig gibt es beim Stehen an einzelnen Arbeitsstationen mit einer Dauer bis 15 oder bis 30 Sekunden geringfügige Unterschiede in der lokalen muskulären Beanspruchung. Zusätzlich zeigten einige IAD-Studien, dass die Linksdrehung und -bewegung in der U-Linie stärker die Muskeln im rechten Bein beansprucht als die im linken Bein (Wakula et al. 2017b). Wird ein Richtungswechsel in der Bewegung innerhalb einer U-Linie vorgenommen (von Links- auf Rechtsdrehung), wirkt sich dies nachweislich positiv auf den Beanspruchungsausgleich der Beinmuskeln aus (Wakula et al. 2017b).
Nutzung von Bodenmatten an industriellen Arbeitsplätzen
Bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen in der industriellen Produktion werden oft so genannte ergonomische Bodenmatten verwendet, um in der Kombination mit Sicherheitsschuhen die Belastungen/Beanspruchungen im muskuloskelettalen System des gesamten Körpers und besonders in den unteren Extremitäten, vor allem an Steharbeitsplätzen, zu reduzieren. In modernen Produktionssystemen, z.B. U-Montagelinien, sind Steh- und Geharbeitsplätze kombiniert vertreten, mit häufigen Bewegungen der Arbeitsperson innerhalb der Linie – besonders mit kurzen Zykluszeiten. Nach Rückmeldungen aus der Praxis wird beim Stehen bzw. dem Gehen unterschiedlicher Art auf den Bodenmatten mit Sicherheitsschuhen ein Einfluss auf die Belastung/Beanspruchung des Muskel-Skelett-Apparats vermutet.
Einige Studien haben sich bereits mit dem Einfluss von unterschiedlichen Bodenbelägen teilweise in Kombination mit Arbeitsschuhen auf das subjektive Empfinden und/oder objektive biomechanische und physiologische Messgrößen beschäftigt (z.B. Hansen et al. 1998; Ochsmann et al. 2016). Jedoch kamen die durchgeführten Studien zu unterschiedlichen Erkenntnissen.
In diesem Zusammenhang wurden in einer Pilotstudie im IAD-Labor die Belastungen und muskulären Beanspruchungen der unteren Extremitäten bei Montagetätigkeiten in einer „kreisförmigen“ U-Linie untersucht (Vetter 2017). Die Schwerpunkte konzentrierten sich auf:
Mit Hilfe der Oberflächenelektromyographie-Methode (OEMG; Wakula et al. 2017a) wurden elektrische Aktivitäten im linken und rechten Bein bei acht jungen männlichen Probanden gemessen: ein Muskel im Oberschenkel und zwei im Unterschenkel.
Die konzipierte und im Labor aufgebaute Montagelinie besitzt ein Kreis-Layout und ist in ihrer Gestaltung an eine in der Praxis real existierende Linie angelehnt. Die fünf Matten hatten Abmessungen von 640 × 940 mm und eine Dicke von 15 mm. Sie verfügten an der Oberfläche über ein Riffelblechdesign. An der Unterseite der Matten befand sich ein Rillenprofil. Weiterhin besaßen die Matten eine umlaufend abgeschrägte Anlaufkante (➥ Abb. 2).
Die in der Studie verwendeten Sicherheitshalbschuhe (➥ Abb. 3) der Firma Steitz Secura vom Typ FA 744 erfüllten alle die Anforderungen der EN ISO 20345:2011 S2. Das Besondere an den Sicherheitsschuhen sind die austauschbaren Fersendämpfungselemente (➥ Abb. 4), die für ein auf die individuellen Bedürfnisse des Trägers abgestimmtes Dämpfungsverhalten
sorgen.
Ergebnisse und Diskussion
Die gewonnenen Ergebnisse zeigen keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der lokalen Beanspruchung in den analysierten Muskeln beim Stehen bzw. Gehen innerhalb der analysierten U-Linie mit und ohne Montagematten. Nach der Literatur ergeben sich jedoch positive Effekte bei Nutzung von Bodenmatten an industriellen Arbeitsplätzen, an denen wenig oder kaum Drehungen durchzuführen sind. Daher sollten Bodenmatten an solchen Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Allerdings muss hierbei auf das Oberflächenprofil geachtet werden. Ein stark strukturiertes Oberflächenprofil z.B. mit Noppen ist ausschließlich für den Halt in Umgebungen mit einer gewissen Feuchtigkeit notwendig. In einem klimatisierten Raum sind Bodenmatten ohne oder mit geringem Oberflächenprofil zu empfehlen, um Risiken für Knie- und Fußgelenke bei Drehbewegungen zu minimieren. Hierzu zählen beispielsweise Bodenmatten mit feinnoppiger oder genörpelter Oberfläche.
Die gewonnenen Ergebnisse müssen in einer Praxisstudie mit längeren Analysezeiten besonders für die Betriebsart „Handübergabe“ noch überprüft werden. Diese Art ist stark mit Drehbewegungen (sog. Loops) in den U-Linien verbunden. Auch der psychische Einfluss der Montagematten auf das allgemeine (Wohl-)Befinden der Arbeitspersonen muss näher analysiert werden. Das gesamte Methodeninstrumentarium soll analysiert und für die Feldstudien ausgewählt werden.
Bei Betrachtung der Sicherheitsschuhe sollten die Aspekte der gewichtsangepassten Fersendämpfung sowie der Veränderung von Dämpfungseigenschaften auf lange Zeit berücksichtigt werden. Hübner et al. (2013) wiesen einen deutlichen Optimierungseffekt in der muskulären Beanspruchung bei Verwendung einer gewichtsangepassten Fersendämpfung nach. In ihrer Studie mit 73 männlichen Probanden zeigte sich deutlich, dass nicht nur zu wenig Dämpfung negative Auswirkungen auf die muskuläre Beanspruchung hat, sondern auch eine zu starke Dämpfung.
Es ist ebenfalls zu berücksichtigen, wie sich die Veränderung der Dämpfungseigenschaften, auf lange Zeit gesehen, auf die muskuläre Aktivierung auswirkt, da eine erhöhte elektrische Aktivität (EA) in den Muskel zu positiven Trainingseffekten führen kann, die eine Verringerung der Verletzungsrisiken bewirken könnten (Leufke 2010). Im Gegenzug können erhöhte muskuläre Aktivitäten auch zu einer Ermüdung führen, die wiederum eine erhöhte Verletzungsgefahr zur Folge haben könnte.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.