Schwerpunkte waren
Einleitend zum ersten Schwerpunkt ging es um die physiologischen Grundlagen, fachkundig referiert von dem ausgewiesenen Experten Prof. Dr. med. Bernd Hartmann aus Hamburg. Wenn Leistungsfähigkeit verstanden wird als die sich aus der Gesamtheit aller verfügbaren angeborenen und erworbenen physischen und psychischen Leistungsvoraussetzungen resultierende Fähigkeit, eine konkrete Aufgabenstellung unter konkreten Vollzugsbedingungen zu bewältigen, ohne dabei eine Beanspruchungsintensität mit Gesundheitsrisiko zu erreichen, ist offensichtlich, dass es keinen universellen Begriff für die Leistungsfähigkeit geben kann, schon bei Bezugnahme auf rein körperliche Belastungsarten wie Heben, Halten, Tragen, Ziehen, Schieben etc., wobei es auf Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Flexibilität ankommen kann.
Frau Dr. med. Simone Moser, DRV Knappschaft-Bahn-See, Halle/Saale, referierte zu den wissenschaftlichen Grundlagen für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung mit Bezug auf die Auswirkungen einer veränderten Arbeitswelt, der demografischen Entwicklung, der Weiterentwicklung von medizinischen Behandlungsmethoden und technischen Hilfsmitteln und betonte die Erschwernisse durch notwendige Einbeziehung psychischer Komorbiditäten. Ein Thema zur Diskussion war die sachgerechte Auswertung von Entlassungsberichten nach Medizinischer Rehabilitation.
Zur „Arbeitsplatzbeurteilung in der Arbeitsmedizin“ wurde in die Diskussion eingeführt von Herrn Dr. med. Andreas Bahemann, Nürnberg, in Abgrenzung zur Sozialmedizin mit dem Satz „Betriebsärztinnen und Betriebsäzte kennen den Arbeitsplatz, Sozialmedizinerinnen und Sozialmediziner den Arbeitsmarkt“. In dieser „Einfachheit“ wurde dies infrage gestellt und es wurden verschiedene Sicht- und Herangehensweisen diskutiert. Intensiv thematisiert wurde der Nutzen guter Kooperation von Ärztinnen und Ärzten im betrieblichen Bereich mit den sozialmedizinisch Tätigen speziell aus dem Bereich Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Von großer Bedeutung wie auch fachlich herausfordernd ist „Die Prognose in der Beurteilung der Leistungsfähigkeit“. Hierzu wies Dr. Andreas Bahemann darauf hin, dass es gegebenenfalls zu einzelnen Aspekten des Leistungsbildes verschiedene Prognosezeiträume geben könne. Die Abhängigkeit von typischen und abweichenden Spontanverläufen, von zumutbarer verordneter und eventuell anderweitiger Therapie/Rehabilitation macht es nicht einfacher.
Die „Zumutbarkeit in Behandlung und Rehabilitationsmöglichkeiten“ wurde von Bernd Grüner, Sozialgericht Gießen, juristisch vertieft beleuchtet. Auf die unterschiedliche Relevanz beispielsweise im Sozialrecht für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung ging er mit Verweis auf die §§ 60–67 Sozialgesetzbuch I ein.
Eine zusätzliche Vertiefung bot Priv.-Doz. Dr. med. Volker Arndt, DKFZ Heidelberg, zum „Einfluss des medizinischen Fortschritts auf die Prognose – am Beispiel onkologischer Erkrankungen“. Mit Bezug speziell auf das Krebsregister Baden-Württemberg ergab sich die Bedeutung der absoluten und relativen Überlebensrate, „neuer Krebsmedikamente“, Qualitätsstandards von Kliniken etc. Bei entsprechenden Fragestellungen ist gegebenenfalls aktuelles Detailwissen gefordert.
Frau Prof. Dr. Beate Muschalla, TU Braunschweig, bestritt umfassend den Part „Psychische Leistungsfähigkeit“ mit ihrem reichen wissenschaftlichen Erfahrungshintergrund aus psychologischer/psychotherapeutischer Sicht mit Bezug auf die Mini-ICF-APP (APP steht hier für Aktivitäts- und Partizipationsstörungen bei psychischen Erkrankungen). Auch wenn psychische Erkrankungen epidemiologisch betrachtet nicht zunehmen, ist deren Bedeutung für den Arbeitsmarkt und die diesbezügliche Leistungsfähigkeit zunehmend.
Herr Oliver Tammer, Rechtsanwalt in Frankfurt/Main, bereicherte mit Erläuterungen zu Begriffen, die in der Privatversicherung gebraucht und/oder anders verwendet werden als in der gesetzlichen Sozialversicherung. So hat die „Grundfähigkeitenversicherung“ den Verlust bestimmter definierter Fähigkeiten zum Gegenstand. In vielen Fällen kommt es auf die Kenntnis der konkreten Ausgestaltung der Versicherungsbestimmungen an. Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit gehören als Begriffe dazu.
Die medizinische Perspektive zu den privatrechtlichen Umsetzungen stellte Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Thomann, Institut für Versicherungsmedizin, Frankfurt/Main, in den Kontext des sozialrechtlichen Wegfalls des Schutzes bei Berufsunfähigkeit für nach dem 01.01.1961 geborene Versicherte und verwies eindringlich auf die Besonderheiten der Privatversicherung.
Herr Dr. phil. Dipl.-Psych. Sebastian Bartuschek, Psychologisches Institut für Psychologische Dienstleistungen in Herne, nahm sich des Themas „Reichsbürger und Verschwörungstheorien“ an und begann mit Begriffsklärungen. Auf wichtige Begriffe wie „Struktursuche“ und „Sinnstiftung“ sowie auf seine Sicht zu verschiedenen Gruppen von Reichsbürgern und ihren Zielen ging er näher ein und schloss mit praktischen Tipps.
Die Veranstaltung endete mit einer kurzen Zusammenfassung und dem Hinweis auf das nächste „Heidelberger Gespräch“, bei dem es wegen der großen Nachfrage wieder eine Begleitveranstaltung für Ärztinnen und Ärzte sowie Juristinnen und Juristen geben soll auf ihrem Weg in die Bereiche Sozialmedizin bzw. Sozialrecht (Thema: Einführung zur sozialmedizinischen Begutachtung am Beispiel von Schnittstellenthemen).
Das nächste Heidelberger Gespräch findet am 23. und 24. September 2020 im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg statt.