Konkrete Anlässe für eine Teilhabeplanung können zum Beispiel durch das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) entstehen. Der Gesetzgeber hat 2018 mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) die Vorschriften des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) entsprechend weiterentwickelt und noch verbindlicher aufgestellt. Die Reha-Träger haben daraufhin eine neue Fassung der Gemeinsamen Empfehlung (GE) Reha-Prozess erarbeitet, in der die gesetzlichen Regelungen für die Praxis der Reha-Träger weiter konkretisiert werden.
Mögliche Bedeutung für Betriebsärztinnen und Betriebsärzte im Überblick
Das Wissen um das nunmehr gesetzlich verankerte Instrument der Teilhabeplanung kann bei der Unterstützung von Beschäftigten mit Rehabilitationsbedarf in mehrfacher Hinsicht eine Rolle spielen: Ist kein Teilhabeplan vorhanden, können Beschäftigte über die Vorzüge des Instruments aufgeklärt werden. Dabei kann auch der Hinweis auf das Recht, sich einen Teilhabeplan zu wünschen, oder auf die Rolle weiterer Beteiligter im Teilhabeplanverfahren, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Teilhabeplankonferenz, hilfreich sein. Ein typischer Anknüpfungspunkt für die Befassung mit der Teilhabeplanung kann beispielsweise ein BEM sein, wenn Reha-Leistungen in Betracht kommen. Wird ein Teilhabeplan erarbeitet, können Betriebsärztinnen und Betriebsärzte dazu beitragen, dass Anforderungen des Arbeitsplatzes möglichst realitätsnah im Teilhabeplan abgebildet und passgenaue Leistungen dadurch erleichtert werden. Die Einbeziehung der betriebsärztlichen Expertise ist in der GE Reha-Prozess ausdrücklich vorgesehen (z. B. § 54 Abs. 2 GE Reha-Prozess). Ist bereits ein Teilhabeplan vorhanden, können die Beschäftigten bei der Umsetzung und eventuell
Anpassung des Plans unterstützt werden. Der Teilhabeplan muss den für die Planung verantwortlichen Träger erkennen lassen, bei dem in komplexeren Fällen wesentliche Informationen zusammenlaufen. Für Beschäftigte oder – mit deren Zustimmung – für andere betriebliche Akteure steht so eine einheitliche Kontaktperson für Fragen rund um die Rehabilitation zur Verfügung.
Dabei können Betriebsärztinnen und Betriebsärzte in verschiedener Weise eine aktive Rolle einnehmen, sei es beim Erkennen von Reha-Bedarfen im Vorfeld, bei der Umsetzung des Teilhabeplans und der Sicherung der nachhaltigen Rückkehr in den Betrieb.
Teilhabeplanung als ein verbindliches Kernelement der Steuerung und Zusammenarbeit im Reha-Prozess
Die Zusammenarbeit aller Sozialleistungsträger ist oft notwendig für die Sicherung der Teilhabe von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Deren Bedarfe sind nämlich nicht danach sortiert, welcher Träger mit welcher Teilhabeleistung am Ende welchen Bedarf abdecken kann. Seit 2018 ist durch den mit dem durch das BTHG neu gefassten § 7 SGB IX auch erneut eindeutig klargestellt, dass Zusammenarbeit in diesen Fällen verpflichtend ist. Diese Verpflichtung wird auch nicht durch Vorschriften einzelner „Leistungsgesetze“ (z. B. SGB V) oder untergesetzliche Regularien einzelner Trägerbereiche ausgehebelt.
Als „Prozessverantwortlichen“ und strukturierendes Element für den trägerübergreifenden Reha-Prozess ist die Rolle eines „leistenden Reha-Trägers“ in den §§ 14ff. SGB IX gesetzlich ausgeformt. Das Gesetz greift dabei das auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) entwickelte Konstrukt „Reha-Prozess“ auf, einschließlich der dort erzielten Vereinbarungen zur Teilhabeplanung. Der „Reha-Prozess“ resultierte aus der Einsicht, dass Zusammenarbeit umso besser gestaltet werden kann, wenn über wesentliche Kernelemente und Handlungsschritte der Rehabilitation ein trägerübergreifend einheitliches Verständnis etabliert ist. Dieser Grundgedanke gilt nicht nur für die Reha-Träger, sondern für alle am Reha-Geschehen Beteiligten – also beispielsweise auch für Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, die gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigte bei der Erlangung beziehungsweise Erhaltung eines Arbeitsplatzes unterstützen wollen und sollen. Das Konstrukt beschreibt einen idealtypischen Reha-Prozess, der aus insgesamt sieben Phasen/Elementen besteht (s. auch ➥ Abb. 1):
In der GE Reha-Prozess wird betont, dass diese Phasen beziehungsweise Elemente oftmals ineinander greifen. Kausale Betrachtungen werden so mit Wechselwirkungen verbunden. Das gilt in besonderem Maß für die Teilhabeplanung. Mit einem solchen Verständnis stellen dann zum Beispiel Anpassungen eines Teilhabeplans keine Störungen im Prozess dar, sondern sind Ausdruck der Möglichkeit, auf veränderte Lebenssituationen und Bedarfslagen von Beschäftigten adäquat zu antworten.
Es liegt auf der Hand: Ein solcher Reha-Prozess ist vor allem ein ständiger Kommunikationsprozess, dessen Gelingen auch von erfolgreicher Kommunikation mit dem Leistungsberechtigten und dessen qualifizierter Beratung abhängt. So enthalten die neuen Regelungen im SGB IX und in der GE Reha-Prozess zahlreiche Informations-, Kontakt-, Beteiligungs- und Beratungspflichten. Dies betrifft den gesamten Reha-Prozess, zum Beispiel
Richtig verstanden, bestimmt ein solcher Reha-Prozess auch das Verwaltungshandeln aller beteiligten Sozialleistungsträger. Die „Letztverantwortung“ des leistenden Trägers gegenüber der Leistungsberechtigten führt für ihn dazu, im Konfliktfall zwischen den beteiligten Leistungsträgern in eine umfängliche Leistungspflicht gegenüber den Antragstellenden („Ersatzvornahme“) zu kommen, gegebenenfalls auch im Rahmen einer so genannten „Genehmigungsfiktion“ (§ 18 SGB IX).
Ziele und Grundsätze der Teilhabeplanung
Nach § 48 GE Reha-Prozess lassen sich insbesondere folgende Ziele für die Teilhabeplanung konkretisieren:
Damit diese Ziele auch erreicht werden können, haben sich die Vereinbarungspartner der GE Reha-Prozess auf folgende Grundsätze verständigt (§ 49 GE Reha-Prozess):
Verfahren
Verantwortlichkeit für die Teilhabeplanung
Verantwortlich für die Teilhabeplanung ist grundsätzlich der nach § 14 SGB IX festgelegte „leistende Reha-Träger“, § 19 Abs. 1 SGB IX. Ausnahmen finden sich in § 19 Abs. 5 SGB IX sowie für Integrationsämter, in § 22 Abs. 3 S. 2 SGB IX, und sind in § 52 der GE Reha-Prozess näher konkretisiert.
Einleitung und Durchführung der Teilhabeplanung
Nach dem Gesetz ist eine Teilhabeplanung durchzuführen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt (vgl. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB IX sowie § 51 Abs. 1 GE Reha-Prozess)
Die Leistungsberechtigten haben Bedarf an Leistungen aus mehreren Leistungsgruppen (z. B. medizinische Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben).
Die Leistungsberechtigten haben Bedarf an Leistungen mehrerer Reha-Träger (z. B. beruflich bedingter Mehrbedarf bei der Versorgung mit einem Hörgerät).
Das Verfahren beginnt, indem der für die Teilhabeplanung verantwortliche Reha-Träger
die anderen beteiligten Träger unverzüglich über seine Absicht, eine Teilhabeplanung durchzuführen, unterrichtet. Zur weiteren Unterstützung und Konkretisierung der Einleitung der Teilhabeplanung haben die Reha-Träger einen Mustervordruck für Formulare abgestimmt (Anlage 6 der GE Reha-Prozess, s. auch „Weitere Infos“).
Die Reha-Träger haben sich darauf verständigt, dass auf berechtigten Wunsch der Leistungsberechtigten auch behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie weiteren sachverständigen Personen die Möglichkeit eingeräumt werden soll, an der Teilhabeplanung beteiligt zu werden (§ 53 Abs. 4 GE Reha-Prozess). Insbesondere hier bietet sich eine Möglichkeit, die betriebliche Perspektive zum Beispiel durch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte einzubeziehen.
Auf Basis der vorliegenden Rückmeldungen und Unterlagen erstellt der verantwortliche Reha-Träger den Teilhabeplan. Er enthält die in § 19 Abs. 2 S. 2 SGB IX genannten Angaben. Darüber hinaus sollen zum Beispiel die Anforderungen des Arbeitsplatzes dokumentiert werden. Einen Mustervordruck für den zu erstellenden Teilhabeplan enthält Teil III des Mustervordrucks Teilhabeplan (s. oben, „Weitere Infos“).
Teilhabeplankonferenz
Der verantwortliche Reha-Träger kann mit Zustimmung der Leistungsberechtigten eine Teilhabekonferenz durchführen, in der Feststellungen zum Rehabilitationsbedarf mit allen Beteiligten gemeinsam beraten werden (§ 20 SGB IX). Eine konkrete Rolle können die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte im Kontext einer Teilhabeplankonferenz insbesondere dann einnehmen, wenn das Vertrauensverhältnis zur beschäftigten Person so ausgeprägt ist, dass eine Teilnahme an einer Teilhabeplankonferenz als sonstige Vertrauensperson oder sogar als Beistand (§ 13 SGB I) oder bevollmächtigte Person (§ 12 SGB I) in Betracht kommt.
Form und Rechtscharakter des Teilhabeplans
Der Teilhabeplan ist schriftlich zu erstellen (§ 19 Abs. 1 SGB IX) und ist kein Verwaltungsakt. Die Begründung von Leistungsentscheidungen beteiligter Träger muss erkennen lassen, dass und wie die im Teilhabeplan enthaltenen Feststellungen berücksichtigt wurden (§ 19 Abs. 4 SGB IX i.V.m. § 57 GE Reha-Prozess). Im Konfliktfall spielt ein fehlender oder fehlerhafter Teilhabeplan vor allem bei der Prüfung eine Rolle, ob die einer Leistungsentscheidung zugrunde liegenden Bedarfsfeststellungen ausreichend waren.
Umsetzung und Anpassung des Teilhabeplans
Der für die Teilhabeplanung verantwortliche Reha-Träger wirkt auf die Umsetzung der Teilhabeplanung hin. Ist für die Zielerreichung der Teilhabeplanung eine Anpassung des Plans erforderlich, wird diese durch den verantwortlichen Reha-Träger in Abstimmung mit der/dem Leistungsberechtigten und unter Einbeziehung der beteiligten Reha-Träger durchgeführt. Beispiele möglicher Anlasse für eine Anpassung des Teilhabeplans haben die Reha-Träger in § 63 GE Reha-Prozess aufgeführt.
Teilhabeplanung und Datenschutz
Teilhabeplanung ist ein Kommunikationsprozess und als solcher ohne Erhebung und Übermittlung von Informationen nicht möglich. Bei diesen Informationen handelt es sich oft um personenbezogene Daten und auch um gesundheitsbezogene und mithin besonders sensible Daten. Der (sozial)datenschutzrechtliche Rahmen der Teilhabeplanung ist also für ihre Einleitung, Durchführung, Umsetzung und gegebenenfalls Anpassung von zentraler Bedeutung. Nach § 23 Abs. 1 SGB IX ist der für die Teilhabeplanung verantwortliche Träger auch „Verantwortlicher“ im Sinne der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO). Die Reha-Träger haben gemeinsam mit Vertretern des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) und der Datenschutzkonferenz auf Ebene der BAR eine Arbeitshilfe zur ersten Klärung von für die trägerübergreifende Teilhabeplanung zentralen datenschutzrechtlichen Fragestellungen erarbeitet (s. „Weitere Infos“).
Fazit und Ausblick
Teilhabeplanung ist machbar, auch und gerade mit Blick auf betriebliche Kontexte. Sie kann Arbeit und Beschäftigung sichern und die Grundlagen für individuelle und passgenaue Leistungen für den Einstieg, den Verbleib und die Rückkehr in den beruflichen Kontext mit Hilfe eines strukturierten Verfahrens schaffen. Um die Möglichkeiten der Teilhabeplanung und allgemein des BTHG zu nutzen, stellt die BAR Instrumente zur Verfügung, die auch für betriebliche Akteure nützlich sein können. So hat die BAR über die bereits genannten Umsetzungshilfen hinaus unter anderem
Für Akteure im betrieblichen Kontext ist festzuhalten: Gut beraten und unterstützen kann der, der von den neuen Möglichkeiten der Teilhabeplanung weiß. Durch die Nähe zu Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer sowie zum Betrieb fällt ein Handlungsbedarf früh auf und ein daraus resultierender Reha-Prozess kann direkt angestoßen und aktiv mitgestaltet werden.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Weitere Infos
Anlage 6 der GE Reha-Prozess; ein ausfüllbares Dokument steht online zur Verfügung
www.bar-frankfurt.de/themen/reha-prozess/teilhabeplanung.html
Datenschutz im trägerübergreifenden Reha-Prozess
www.bar-frankfurt.de/themen/reha-prozess/datenschutz.html
Ansprechstellen für Rehabilitation und Teilhabe
www.ansprechstellen.de
Fristenrechner: Berechnung relevanter Fristen im Reha-Prozess
www.reha-fristen.de
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR)
www.bar-frankfurt.de