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Modellvorhaben Grippeschutz­impfungen in Apotheken?

Dr. Christiane Eckert-Lill
Geschäftsführerin Pharmazie
ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

Auszüge aus der Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Gesetzesentwurf eines ­Gesetzes für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) (BT-Drs. 19/13452) sowie zu den Formulierungshilfen für fachliche Änderungsanträge der Fraktionen CDU/CSU und SPD (Kap. 4, S. 10–13).

PRO

Stellungnahme der Bundesvereinigung Deutscher
Apothekerverbände (ABDA)

Durch die Änderung des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) am 1. März 2020 können zwischen Krankenkassen und Apothekerorganisationen regionale Modellvorhaben zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen in Apotheken vereinbart werden (§ 132j –neu – SGB V). Damit soll mit dem Ziel der Steigerung der Impfquote ein optionaler niedrigschwelliger Zugang zu Grippeschutzimpfungen erprobt werden.

Durchimpfungsrate gegen Influenza

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) betrug die Durchimpfungsrate gegen Influenza bei älteren Menschen über 60 Jahre in der Saison 2016/2017 im Bundesdurchschnitt knapp 35 Prozent. In Bayern lag sie allerdings bei nur 23 Prozent. Neben der Betroffenheit des Einzelnen belasten Influenzaerkrankungen die Solidargemeinschaft und verursachen auch volkwirtschaftlichen Schaden. Die Arbeitsgemeinschaft Influenza beim RKI schätzte die Zahl der
Influenza-bedingten ärztliche Besuche in der Saison 2018/19 auf rund 3,8 Millionen, die Zahl der Influenza-assoziierten Arbeitsunfähigkeiten (bzw. Pflegebedürftigkeit oder die Notwendigkeit der Bettruhe bei Erkrankten, die keine Krankschreibung benötigten) auf 2,3 Millionen und die Zahl der Influenza-bedingten Krankenhauseinweisungen aus primärversorgenden Praxen auf 18 000.

Es ist daher ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel, die Impf­raten gegen Influenza zu verbessern.

Voraussetzungen für die Durchführung von Modellvorhaben

Voraussetzungen für die Teilnahme der Apotheker1 an einem Modellversuch sind der Nachweis einer Schulung sowie einer geeigneten Räumlichkeit mit der für Grippeschutzimpfungen notwendigen Ausstattung. Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, dürfen von Apothekern geimpft werden. Die Modellvorhaben werden nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Standards begleitet und ausgewertet. Die Apotheken sind bereit, sich an entsprechenden Modellvorhaben zu beteiligen. Die Bundesapothekerkammer als Arbeitsgemeinschaft der Apothekerkammern der Länder wird eine Leitlinie zur Qualitätssicherung sowie ein Mustercurriculum erarbeiten.

Erfahrungen in anderen Ländern

Weltweit dürfen Apotheker in 27 Ländern impfen, unter anderem in den USA, Kanada, Australien, Argentinien und Brasilien1. Bereits im Jahr 1983 erlaubte Argentinien das Impfen durch Apotheker. In den USA durften 1994 Apotheker zunächst in zwei Bundesstaaten impfen, seit 2009 haben alle Bundestaaten die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen. Zu den Ländern, in denen Apotheker impfen dürfen, zählen aber auch sieben europäische Staaten: Dänemark, Finnland, Frankreich, Island, Irland, Niederlande und die Schweiz.

Die Berechtigung der Apotheker zum Impfen ist in den Ländern unterschiedlich geregelt. In fast allen darf gegen Influenza geimpft werden. In einer ganzen Reihe Länder dürfen Apotheker aber auch gegen andere Krankheiten impfen, wie beispielsweise gegen Herpes-Zoster-Virus, Humanen Papilloma-Virus, Diphtherie, Tetanus, Pertussis oder Masern, Mumps und Röteln.

Das Beispiel Irland zeigt, dass Grippeschutzimpfungen in Apotheken nicht Impfungen in Arztpraxen ersetzen, sondern insgesamt die Impfrate erhöhen. In irischen Apotheken darf seit Oktober 2011/2012 gegen Grippe geimpft werden. Die Zahl der in Apotheken geimpften Personen stieg von diesem Zeitpunkt an von etwa 9000 auf knapp 115 000 in der Wintersaison 2017/2018. In diesem Zeitraum stieg die Gesamtzahl der gegen Grippe Geimpften von 702 500 auf 978 760. Insgesamt wurde die Zahl der geimpften Personen um etwa 175 000 gesteigert.

Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen insgesamt, dass mit dem niedrigschwelligen Angebot der Apotheken auch Menschen angesprochen werden, die wegen einer Impfung nicht zum Arzt gegangen wären, dass diese Menschen mit der Leistung in den Apotheken insgesamt (sehr) zufrieden sind und dass die Impfraten gesteigert werden können.

CONTRA

Stellungnahme der Bundesärztekammer (BÄK)

Die Bundesärztekammer lehnt nachdrücklich den Änderungsvorschlag ab, der Apothekern im Rahmen von Modellvorhaben erlaubt, Grippeschutzimpfungen durchzuführen. Aus Sicht der BÄK besteht derzeit für Patienten in Deutschland ein ausreichender Zugang zu Impfungen, weil bereits niedergelassene Ärzte, aber auch im Rahmen von Modellvorhaben qualifizierte Ärzte nach §§ 132e, 140a und 295a SGB V zur Erhöhung der Durchimpfungsrate der Bevölkerung Versorgungswege beitragen. […].

Die BÄK weist darauf hin, dass es kein Zufall ist, dass nach bisherigem Recht Impfstoffe nur von Ärzten verordnet werden dürfen und dass das Impfen selbst nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen darf. Apotheker durchlaufen während ihres Studiums der Pharmazie keine medizinische Ausbildung. Impfen ist aber eine (präventiv-)medizinische Maßnahme. Bei seltenen, aber durchaus schwerwiegenden Impfkomplikationen – etwa einer allergischen Reaktion – müssen ärztliche Notfallmaßnahmen eingeleitet werden. Aus Sicht der BÄK genügt eine ärztliche Schulung nicht, um Apotheker zum Impfen zu befähigen und zudem mit den erforderlichen Notfallmaßnahmen effizient vertraut zu machen, so dass Gefahren für die Patientensicherheit effizient abgewendet werden können.

Auch gehören neben der eigentlichen Injektion des Impfstoffes die Impfaufklärung und Impfanamnese sowie die Abklärung möglicher akuter Erkrankungen zu einer Impfung. Dies sind komplexe Aufgaben, die nicht ohne Weiteres im Rahmen einer einmaligen Schulung erlernt werden können, sondern die ärztliche Aus- und Weiterbildung voraussetzen. Die vom Gesetzgeber jetzt geplante Schulung ist nicht ausreichend, um alle medizinischen Eventualitäten sachgerecht beurteilen zu können.

Bei der parenteralen Applikation von Arzneimitteln können schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten, die eine ärztliche Sofortmaßnahme (z. B. Reanimation) beziehungsweise eine erneute Vorstellung in der Arztpraxis erforderlich machen. […] Die Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen EudraVigilance listet bis März 2019 mehr als 30 000 Meldungen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Influenzaimpfung auf. […].

Die Durchführung von Grippeschutzimpfungen in Apotheken ist aus Sicht der BÄK obsolet und potenziell gefährlich. Grippeschutzimpfungen können problemlos in Arztpraxen durchgeführt werden. Engpässe bei der Grippeschutzimpfung entstanden in der Vergangenheit nicht durch die Nichtverfügbarkeit von Ärzten, sondern ausschließlich durch die (vorübergehende) Nichtlieferbarkeit von Impfstoffen. […].

Die Grippeschutzimpfung ist ein wichtiger Arzt-Patienten-Kontakt, bei dem über die Grippeimpfung hinaus die Möglichkeit weiterer ärztlicher Tätigkeiten gegeben ist. So kann eine Anamnese der letzten Monate und eine Statuserhebung erfolgen. Zudem bietet die Vorstellung zur Impfung jeweils die Möglichkeit für einen Austausch bezüglich der Indikation, etwaiger Kontraindikationen usw. Arztpraxen sind technisch und organisatorisch zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen ausgestattet, so dass der niedrigschwellige Zugang bereits besteht. […]. Zu berücksichtigen ist auch, dass Apotheker nicht beurteilen können, für welche Patienten eine Impfung tatsächlich indiziert ist. Die formale Vorgabe der STIKO-Empfehlung, ab dem 60. Geburtstag zu impfen, berücksichtigt nicht ausreichend das individuelle Risikomuster. […].

Zudem postuliert das Gesetz einen niederschwelligen Zugang zu Impfungen über das flächendeckende Netz der Apotheken. Dabei verkennt die Gesetzgebung, dass es in Deutschland lediglich etwa 20 000 Apotheken gibt, von denen nur ein Teil in der Lage wäre, die räumlichen Anforderungen zur Durchführung einer Impfung zu erfüllen. Im Vergleich dazu waren 2017 über 150 000 Ärzte im ambulanten Versorgungsbereich tätig, über ein Drittel davon als Hausärzte. […].

In den letzten Jahren hat sich in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, eine nachlassende Akzeptanz von Impfungen manifestiert, aus der sinkende Impfraten resultieren. Die Lösung des sich seit Jahren verschärfenden Problems der niedrigen Durchimpfungsquoten liegt nicht in der Durchführung der Grippeschutzimpfungen in Apotheken, die zur Verunsicherung der Patienten und Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit führen wird. Vielmehr bedarf es nachhaltiger Veränderungen, die Lieferengpässe, aber auch Unsicherheiten und Ängste der Bevölkerung adäquat zu adressieren. Um die Durchimpfungsquote in der Bevölkerung als Teil der Gesundheitsversorgung langfristig zu erhöhen, sind weiterführende Maßnahmen zu ergreifen. […].

Info

VERANSTALTUNGHINWEISE DGAUM Jahrestagung 2020

Freitag, 13.03.2020, 13:30-15:30 Uhr
Symposium „Impfprävention in Deutschland: Die Debatte um das Masernschutzgesetz und die Durchimpfungsraten in der Bevölkerung“

Samstag, 14.03.2020, 9:00-12:00 Uhr
Seminar S3: „Reisemedizin und Impfen im Betrieb“

Weitere Informationen unter www.dgaum.de/termine/jahrestagung

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www.asu-arbeitsmedizin.com/praxis/wie-ist-ihre-meinung-zu-grippeschutzi…

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