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Moderne Influenza-Impfstoffe

I nfluenzaviren der Gruppe A werden anhand der 16 Hämagglutinintypen (H) und der neun Neuraminidasetypen (N) klassifiziert, wobei nur die H1, H2 und H3 als typischerweise humanpathogen gelten und H5 und H7 beispielsweise in erster Linie für Geflügel pathogen sind. Epidemiologisch besonders problematisch ist eine Situation wie beispielsweise derzeit mit H7N9 in China, das bisher offensichtlich nur durch Schmierinfektion übertragbar ist (also nicht aerogen) und beim Menschen schwerste Verlaufsformen mit hoher Letalität zeigt. Da es beim Geflügel kaum Krankheitszeichen hervorruft, sind der Befall des Geflügels und damit auch die aktuelle Ausbreitung(-sdynamik) des Virus nicht abschätzbar.

Influenzaviren der Gruppe B sind vergleichsweise stabil, das Influenzavirus C hat keine nennenswerte humanpathogene Bedeutung.

Das bedeutendste Virusreservoir für Influenzaviren ist der Darm von Wasservögeln. Hier findet auch die stete Veränderung der Antigen- und Pathogenitätsdeterminanten statt, Influenzaviren verändern laufend ihre Struktur. Wasservögel sind meist asymptomatische Träger dieser Viren, die für landlebende Vögel („Geflügel”) eine große Gefahr darstellen können. Aber auch Säuger wie Schweine, Pferde, (Groß-) Katzen und letztlich der Mensch können infiziert werden, schwer erkranken und auch an der Infektion sterben.

Epidemiologie

Gerade die große Variabilität der Influenza-A-Viren birgt die Gefahr der Entstehung neuer Pandemieviren. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass alle ausreichend exakt dokumentierten Grippepandemien (d. h. jene ab dem 20. Jahrhundert) durch Influenza A bedingt waren ( Tabelle 1 ).

Achtung: Bakterielle Superinfektionen (Pneumokokken!) stellen auch bei saisonaler Grippe eine häufig beobachtete Komplikation dar. Pandemien zeigen häufig als zusätzliches Problem ein modifiziertes Spektrum bei den Risikogruppen (zuletzt unter anderem bei Übergewichtigen und Schwangeren).

Ausgangspunkt neuer Influenzaviren ist meist die Problemkonstellation „Mensch – Geflügel – Schwein“: dort wo alle drei Populationen in entsprechender Dichte zusammen leben, fördern Hygienemängel einen steten Austausch unterschiedlichster Erreger und somit unter anderem das Auftreten mutierter Influenzaviren.

Prophylaxe

Die Grundprinzipien der Vorsorge Expositionsprophylaxe, Chemoprophylaxe und Dispositions-(Immun-)Prophylaxe bedeuten für die Influenzavorbeugung Bevorratung und Anwendung von Masken und Neuraminidasehemmern sowie die Entwicklung und den Einsatz von Impfstoffe(n).

Die Hoffnung, Influenzaepidemien oder -pandemien durch expositionsprophylaktische Maßnahmen eindämmen zu können, sind leider enttäuscht worden. Bestenfalls bietet sich die Chance einer Mitigierung. Der Versuch eines Containments war – wie durch die Pandemie mit Influenza A H1N1/California [pdm09] belegt – in der Vergangenheit nicht erfolgreich.

Chemoprophylaktische Maßnahmen sind als „Public-health“-Maßnahme ja nur für den Pandemiefall angedacht und dann (zumindest anhand von Computersimulationen errechnet) nur bei sofortigem und großflächigem Einsatz zielführend. Betrachtet man retrospektiv die in weiten Bereichen katastrophale Umsetzung prophylaktischer Maßnahmen bei der letzten Pandemie, muss man an einer wirksamen Umsetzung der Chemoprophylaxe im Anlassfall zweifeln. Auch ist hierbei mit Problemen durch mögliche Nebenwirkungen, eine aufwändige Verteilungslogistik, eine fehlende Nachhaltigkeit, hohe Kosten und eng limitierte Ressourcen zu rechnen.

Somit kommt der Dispositions-(Immun-)Prophylaxe, also der Schutzimpfung, ein besonderer Stellenwert zu. Bei der Influenzaimpfung gibt es eine zeitlich auf Pandemien abgestimmte Terminologie: saisonal (= interpandemisch, jedes Jahr vor der „Grippewelle”), präpandemisch (ab einer bestimmten Pandemiewarnstufe), pandemisch (während einer laufenden Pandemie, in erster Linie in noch nicht betroffenen Gebieten/Bevölkerungsgruppen).

Die größten Umsetzungsprobleme großflächiger Grippeimpfaktionen resultieren aus folgenden Fakten:

  • Viele Menschen kennen den Unterschied zwischen Grippe und grippalem Infekt nicht.
  • Grippe wird als banale Krankheit eingeschätzt.
  • Weitverbreitete Meinung: Die Impfung löst die Krankheit aus.
  • Die Erwartungshaltung gegenüber der Impfung ist in mehrerer Hinsicht falsch (soll vor „grippalem Infekt “ schützen, Geimpfte sind zu 100 % geschützt usw.)

Dabei ist die Influenzaimpfung, gerechnet an DALYs (Disability Adjusted Life Years), eine der kosteneffektivsten medizinischen Maßnahmen überhaupt. Eine offene und ehrliche Kommunikation hinsichtlich der Vorteile, aber auch der Grenzen der Impfung setzt eine spezielle Kompetenz voraus und ist sehr zeitintensiv (somit in der Mühle der Allgemeinpraxis wohl nur schwer zu bewerkstelligen).

Neben der medizinischen Indikationsstellung (drohende Komplikationen, schwere Verläufe, Spätschäden, Todesfälle im Verlauf einer Influenza) sollten Ärzte im Sinne einer umfassenden Verantwortlichkeit auch organisatorische Indikationsstellungen nicht außer Acht lassen. So haben sich auch Personen in Schlüsselbetrieben (Erhaltung der Arbeitskraft), besonders exponierte und/oder schwer ersetzbare Personen (jene mit häufigem direktem Personenkontakt wie Kindergärtner, Lehrer, Verkäufer, Schalterbeamte bei Bank, Post, Bahn, Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel, Hausfrauen als „Familienmanager”) eine auf persönlicher Wertschätzung begründete Fürsorge verdient.

Beim überaus emotionalisierten Thema der Grippeimpfung erscheint eine seriöse Kommunikation besonders wichtig:

  • Das Influenzavirus verursacht nicht nur hohes Fieber, sondern birgt auch das Risiko einer viralen Pneumonie und Myokarditis und bahnt auch bakteriellen Erregern (wie z. B. Pneumokokken) den Weg, die ihrerseits schwere Krankheiten (evtl. mit Todesfolge) bedingen können. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Influenzaviren auch an anderen Krankheitsgeschehen, wie z. B. Schlaganfällen, beteiligt sein können.
  • Rechnet man all jene Todesfälle ein, an denen saisonale Influenzaviren beteiligt sind, so sterben (auch) in manchen hochindustrialisierten Ländern jährlich mehr Personen an influenzaassoziierten Krankheitsfällen als durch Autounfälle.
  • Influenzaviren werden etwa zur Hälfte durch die Atemluft (aerogen), zur anderen Hälfte durch die Hände (Schmierinfektion) übertragen. Somit kommt der Händehygiene während der Grippezeit ein besonders hoher Stellenwert zu.
  • Grippeimpfen schützt zu einem erheblichen Prozentsatz (im Schnitt 50–70 % absoluter Schutz), aber nicht jeder Geimpfte ist auch geschützt.
  • Regelmäßige Grippeimpfungen erhöhen das „immunologische Grundrauschen” gegenüber Influenzaviren (mögliche Kreuzimmunität gegenüber „gedrifteten” Stämmen).

Angepasstes persönliches Verhalten kombiniert mit einer Influenzaimpfung bedeutet also einen hohen Sicherheitszugewinn bei der Influenzaprophylaxe; garantieren kann man einen Infektionsschutz allerdings nicht.

Impfstoffe

Traditionell waren Influenzaimpfungen bisher Dreifach-Impfungen mit zwei Influenza-A- und einem Influenza-B-Stamm. Nach intramuskulärer Verabreichung bildeten ca. 70–90 % der Geimpften messbare Antikörper, die klinische Protektivität (Schutz vor einer Grippeerkrankung) lag bei ca. 50–70 %.

Dafür wird die Impfstoffzusammensetzung auf Basis der Erkenntnisse von Experten jedes Jahr neu festgelegt und, wenn nötig, die Zusammensetzung der Impfstoffe für die südlichen Hemisphäre vor der dort ja zeitverschoben einsetzenden Grippewelle adaptiert. Das Ergebnis sind bestmöglich aktuelle Influenzaimpfstoffe.

Die Zusammensetzung der trivalenten Standardimpfstoffe für die Saison 2013/14 lautet (s. auch WHO-Seite im Internet):

  • A/California/7/2009 (H1N1)pdm-09-like (Beispiel: A/Christchurch/16/2010)
  • A/Victoria/361/2011 (H3N2)-like (Beispiel: A/Texas/50/2012)
  • B/Massachusetts/2/2012-like (Yamagata lineage)

Moderne Influenzaimpfstoffe

Der Ausdruck „modern” kann unterschiedliche Aspekte reflektieren.

Neue taktische Überlegungen

Hierzu zählt die Strategie einer präpandemischen Indikationsstellung. So ist beispielsweise bereits ein H5N1-Impfstoff im Handel (Vepacel®, Keating et al. 2012), zwei weitere Hersteller haben ebenfalls zugelassene Impfstoffe gegen H5N1 (Aflunov®, Prepandrix®), diese sind derzeit regulär nicht erhältlich.

Solange es keine offizielle präpandemische Empfehlung gibt, beschränken sich seriöse Indikationen auf sog. „exposure prone activities” (in Ländern/mit Produkten aus Regionen mit erwiesener H5N1-Aktivität, evtl. auch Zollbeamte, Gruppe der VFRs = „visiting friends and relatives“).

Neue Verabreichungsformen

Seit kurzer Zeit sind ein intranasaler (Fluenz®, Scott et al. 2012) und zwei intrakutane Impfstoffe (Intanza®) im Handel. Ersterer ist ein Lebendimpfstoff und in der EU derzeit nur für Kinder zugelassen (in den USA auch für Erwachsene = Flu-Mist®). Die intrakutanen Impfstoffe kommen mit einer deutlich niedrigeren Antigenmenge aus, sind aufgrund der Applikationsform trotzdem hoch immunogen (was sich auch in teilweise stärkeren lokalen Nebenwirkungen auswirken kann) und stehen in zwei Konzentrationen (mit 9 µg für Erwachsene bis zum 60. Lebensjahr und 15 µg für Senioren) zur Verfügung.

Breitere Zusammensetzung

Im Herbst 2013 sollen zwei Vierfach-Impfstoffe in Europa auf den Markt kommen. Die Zusammensetzungsempfehlung für die quadrivalenten Impfspezialitäten lautet: Trivalent + B/Brisbane/60/2008-like (Victoria lineage) beispielsweise B/Brisbane/33/2008 (s. auch WHO-Seite im Internet).

Der Nutzen der breiteren Schutzwirkung wird zwangsläufig von der Region abhängen, da nicht in allen Gebieten eine (Co-)Zirkulation von Influenza-B-Stämmen der Victoria lineage auszugehen ist. Stellt schon eine trivalente Influenzaimpfung eine für Reisende sehr wichtige Impfung dar, könnte sich gerade in dieser Klientel die Erweiterung um eine Influenza-B-Komponente als signifikante Verbesserung herauskristallisieren.

Neue Herstellungsprinzipien

Ein Meilenstein bei der Influenza-Impfstoffentwicklung ist die Herstellung auf Zellkulturbasis. Diese Technologie ist im Gegensatz zur Herstellung auf embryonierten Hühnereiern robust, kontaminationssicher (Impfvirus kann ohne Zusatz von Antibiotika propagiert werden), selektiv (Erreger, die sich „unbemerkt” auf Hühnereiern neben den Influenza-Impfviren mitvermehren und damit den Impfstoff verunreinigen könnten, werden durch die verwendete Zellkultur eliminiert) und flexibel (Variabilität in Produktionsmenge und Antigenzusammensetzung, kurze Produktionszeiten). Der derzeit einzig verfügbare Impfstoff (in Europa Optaflu®, in den USA Flucelvax®) ist nebenwirkungsarm und hoch immunogen, enthält keine Stabilisatoren und (klarerweise) kein Hühnereiweiß und kann somit auch ohne Bedenken bei Hühnereiweißallergikern zum Einsatz gebracht werden (Szymczakiewicz-Multanowska et al. 2012).

Zusammenfassung

  • Influenza ist nicht nur bei uns im Erwachsenenalter eine der häufigsten impfpräventablen Krankheiten überhaupt.
  • Bei Influenza haben (nicht nur im Pandemiefall) alle drei Säulen der Vorsorge einen unbestrittenen, aber auch unterschiedlichen Stellenwert.
  • Die mangelnde Akzeptanz der Influenzaimpfung ist in erster Linie durch fehlende/falsche Information, so auch durch eine falsche Erwartungshaltung bedingt
  • Die Empfehlung zur jährlichen Grippeimpfung ist nicht einer schlechten Impfstoffqualität, sondern der steten Veränderung der Viren geschuldet.
  • Vogelgrippe ist eine Tierkrankheit, hat derzeit mit einer „Grippewelle” nichts zu tun.
  • Der Impfschutz der Influenzaimpfung beträgt ca. 70 % und ist auf Influenzaviren beschränkt.
  • Für alle Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind, sollte die jährliche Grippeimpfung eine moralische Verpflichtung darstellen.
  • Für die Influenzaimpfung gibt es nicht nur medizinische, sondern auch eine organisatorisch-strategische Indikationen.
  • Für Arbeitgeber ist eine möglichst hohe Durchimpfungsrate der Mitarbeiter (auch) von erheblicher ökonomischer Bedeutung.
  • Neben den klassischen Indikationen sollte die Impfung auch jedem angeboten werden, der sich impfen lassen möchte (Selbstwertgefühl/Gesundheitsbewusstsein). 

Literatur

Keating GM, Plosker GL, Lyseng-Williamson KA: A/H5N1 prepandemic influenza vaccine (Vepacel®): a guide to ist use. Bio Drugs 2012; 26: 425–430.

Scott LJ, Carter NJ, Curran MP: Live attenuated influenza vaccine (Fluenz™): a guide to ist use in the prevention of seasonal influenza in children in the EU. Paediatr Drugs 2012; 14: 271–279.

Szymczakiewicz-Multanowska A, Lattanzi M, Izu A, Casula D, Sparacio M, Kovacs C, Groth N. Safety assessment and immunogenicity of a cellculture-derived influenza vaccine in adults and elderly subjects over three successive influenza seasons. Hum Vaccin Immunother 2012; 8: 645–652.

Weitere Literatur beim Verfasser.

    Weitere Infos

    Autor

    Prof. Dr. med. Martin Haditsch

    Labor Hannover MVZ GmbH

    TravelMedCenterLeonding (Österreich)

    m_haditsch@syscomp.de und leonding@travelmed.at

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