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Neuerungen durch das Bundesteilhabegesetz

Aufbau und Inhalte

Das neue SGB IX gliedert sich in drei Teile:

  • Teil 1 beinhaltet allgemeine Regelungen zur Teilhabe behinderter Menschen,
  • Teil 2 umfasst die Regelungen der Eingliederungshilfe und
  • Teil 3 die Regelungen zum Schwerbehindertenrecht.
  • Teil 1 des SGB IX umfasst übergreifende Vorschriften für eine verbindlichere Zusammenarbeit der Leistungsträger. Verfahrensregelungen zu Leistungsplanung und Abstimmung sollen „Leistungen wie aus einer Hand“ sicherstellen.

    Teilhabeorientierung

    Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung, mit drohender Behinderung oder chronischen Erkrankungen stehen im Vordergrund und werden durch das BTHG gestärkt. Auf individueller Ebene und als individueller Prozess, geht es darum, auf den einzelnen Menschen bezogen Teilhabe zu gestalten. Seine Bedürfnisse und Bedarfe, sein Lebensbezüge, der Sozialraum, in dem er lebt, sollen handlungsleitend für den Teilhabeprozess sein.

    Neuer Behinderungsbegriff

    Der neue Behinderungsbegriff legt einen deutlicheren Schwerpunkt auf die Wechselwirkungen zwischen Person und Umwelt, das heißt einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die Menschen mit Behinderung an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern. Die Neudefinition richtet sich nach dem biopsychosozialen Modell, das der Internationalen Klassifikation von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) zugrunde liegt.

    Fünf Leistungsgruppen

    Die Leistungen umfassen zukünftig:

  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
  • Unterhalt sichernde und andere ergänzende Leistungen,
  • neu: Leistungen zur Teilhabe an Bildung,
  • Leistungen zur sozialen Teilhabe.
  • Während die medizinische Rehabilitation in erster Linie der Wiederherstellung der Gesundheit und die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben der Sicherung des Erwerbseinkommens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dienen, sollen die Leistungen zur sozialen Teilhabe und ebenso die Leistungen zur Teilhabe an Bildung die persönliche Entwicklung fördern und Selbstbestimmung ermöglichen.

    Wunsch- und Wahlrecht

    Das BTHG sieht auch Veränderungen in Bezug auf das Wunsch- und Wahlrecht vor. Nach § 104 SGB IX muss den Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen werden, wenn diese angemessen sind. Hierbei ist – wie bisher auch – zunächst eine Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmen. Nur wenn die alternative Leistung zumutbar ist, ist zu prüfen, ob durch die gewünschte Leistung unverhältnismäßige Mehrkosten entstehen.

    Ansprechstellen

    Alle Sozialleistungsträger sind verpflichtet, so genannte Ansprechstellen zu benennen, an die sich und Mitarbeiter das Kollegium anderer Rehabilitationsträger, Betroffene und ebenso ihre innen und ArbeitgeberUnternehmen wenden können und Informationen erhalten.

    Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR) hat auf ihrer Homepage ein bundesweites Ansprechstellenverzeichnis eingerichtet, in das die Reha-Träger die Kontaktdaten ihrer Ansprechstellen einstellen können (s. „Weitere Infos“).

    Reha-Prozess, Verfahren

    Bedarfsermittlung

    Entscheidend ist: Die Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf eines Menschen mit Beeinträchtigung orientieren. Denn je nach Erkrankung oder Behinderung stellen sich ganz unterschiedliche Anforderungen, die sowohl in von der Person bedingten Gegebenheiten und ebenso in ihrem Umfeld liegen. So spielen beispielsweise Wohnort, Alter, Lebensbedingungen, Bildungsniveau oder auch die soziale Eingebundenheit eine entscheidende Rolle, wenn es um aktive Teilhabemöglichkeiten geht. Je besser und passgenauer der Teilhabebedarf erhoben wird, desto höher sind die Chancen auf „volle Teilhabe“. Und – dies darf und muss auch formuliert werden – desto wirtschaftlicher der Mitteleinsatz.

    Die auf dem biopsychosozialen Modell basierende ICF ist ein geeignetes Instrument, um die Wechselwirkungen zwischen Individuum, Gesundheitsproblem und den Kontextfaktoren zu beleuchten. Das fördert nicht nur die Entscheidung über den Rehabilitationsbedarf, sondern auch die Transparenz für die am Entscheidungsprozess beteiligten Personen.

    Verfahrensregelungen: Antragsverfahren, Teilhabeplanung, Mitwirkungsrechte des Leistungsberechtigten

    Ein Kernbereich des BTHG ist das neu geregelte Antrags- und Teilhabeplanverfahren. Künftig reicht ein Reha-Antrag aus, um alle benötigten Leistungen von verschiedenen Rehabilitationsträgern zu erhalten. Die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger wird straffer geregelt, um Leistungen „wie aus einer Hand“ zu ermöglichen. Das Teilhabeplanverfahren gilt für alle der in § 6 SGB IX genannten Rehabilitationsträger und ist von diesen zwingend zu beachten. Ein Format für die gemeinsame Beratung und Abstimmung zwischen den beteiligten Leistungsträgern ist die Teilhabekonferenz, für die auch die Zustimmung des Leistungsberechtigten erforderlich ist.

    Koordination

    Das gegliederte Sozialleistungssystem bleibt bestehen: Neun Sozialleistungsträger bieten eine Fülle an Leistungen an, deren Nutzung von Voraussetzungen des Menschen mit Behinderung und der Zuständigkeit des einzelnen Trägers abhängt (➥ Tabelle 1).

    Im Teil 1 des SGB IX sind deshalb anknüpfend an die bereits bestehende Regelung zur Zuständigkeitsklärung die Regelungen zur Koordinierung ausführlicher gestaltet. Es ist nun detailliert gesetzlich geregelt, dass der nach § 14 SGB IX „leistende Rehabilitationsträger“ das Verfahren zur Feststellung der Rehabilitationsleistungen koordiniert, wenn mehrere Rehabilitationsträger beteiligt sind.

    Ausblick

    Mit den durch die neue Rechtslage eintretenden Veränderungen ist eine erhebliche Umgestaltung verbunden, deren Auswirkungen im Einzelnen noch nicht abzusehen sind – nicht zuletzt, weil viele Regelungen ineinandergreifen.

    Gesetzlich verankerte Normen und Regeln sind zwar grundlegend, müssen in der Praxis aber auch gelebt werden. Diesen Nachweis muss das Bundesteilhabegesetz in den kommenden Jahren erbringen. Der Teilhabeverfahrensbericht, den die BAR mit den Daten der Rehabilitationsträger ab 2019 jährlich erstellt, wird sukzessive Einblicke in die Umsetzung der neuen Vorschriften liefern (s. „Weitere Infos“).

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR): Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess. Frankfurt am Main: BAR, 2019 (www.bar-frankurt.de).

    Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR): Bundesteilhabegesetz kompakt. Die wichtigsten Änderungen im SGB IX, dritte Auflage. Frankfurt am Main: BAR, 2019.

    Weitere Infos

    Ansprechstellen für Reha­bilitation und Teilhabe
    www.ansprechstellen.de

    BAR: Teilhabeverfahrensbericht (THVB)
    www.teilhabeverfahrensbericht.de

    Autorin
    Prof. Dr. phil. Helga Seel
    Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR)
    Solmsstraße 18
    60486 Frankfurt am Main

    BAR