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Sonderteil PROTECT

Technische Innovationen und Arbeitsschutz

Seit mehr als 10 Jahren beherrscht das Schlagwort Industrie 4.0 die Diskussionen in den Unternehmensleitungen, zwischen den Sozialpartnern, im Consulting, in der Exportwirtschaft und natürlich auch in der ingenieur- und sozialwissenschaftlichen Forschung. Das verarbeitende Gewerbe beispielsweise steht vor den Herausforderungen der Produktivitäts- und Wettbewerbsverbesserung, des Arbeitskräftemangels, der Attraktivität von Arbeitsplätzen und der Alterung der Erwerbsbevölkerung. Alle Produktionssysteme sind von der Industrie 4.0 betroffen. Die bisher in der Literatur am meisten untersuchten Tätigkeiten sind Montage, Wartung und Kommissionierung. Im Mittelpunkt steht die Smart Factory, in der Betriebsmittel und Arbeitsobjekte vernetzt sind und miteinander kommunizieren.

Im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz liegen die Entwicklungsinteressen in der Verringerung menschlicher Fehler, der Risiken von Muskel-Skelett-Erkrankungen und der Arbeitshygiene (z. B. Exposition gegenüber verschiedenen Schadstoffen), der Entwicklung und dem Einsatz intelligenter Schutzausrüstungen, der Übermittlung von Warnhinweisen und der Ermittlung von Gefahrenzonen, die es den Beschäftigten ermöglichen, sich aus bestimmten Situationen zurückzuziehen. Intelligente Objekte wie Exoskelette, die die manuelle Handhabung unterstützen oder als Sitz-Steh-Stationen fungieren, intelligente Handschuhe und intelligente Brillen, um nur einige zu nennen, halten Einzug in die Fertigung. Im Rahmen von Industrie 4.0 werden Produktionssysteme immer integrierter und komplexer, konzentrieren sich auf Produkte mit hohem Mehrwert und werden mit Spitzentechnologien oder -wissen entwickelt. Ein nachhaltiges Unternehmen muss jedoch seine Leistungsanforderungen mit dem Wohlergehen seiner Beschäftigten in Einklang bringen.

Die vom Markt erwünschte Individualisierung der Produkte hat allerdings mit Industrie 5.0 schon ein neues Schlagwort erschaffen. Man findet, dass die Vernetzung und Digitalisierung von Betriebsmitteln und Arbeitsobjekten um Aspekte der menschlichen Kreativität ergänzt werden muss. Es geht also um „Maßanfertigung“, die die Vorteile von Industrie 4.0 nutzt ohne die Nachteile eines anonymen Produkts in Kauf zu nehmen – trotz erwünschter großer Stückzahlen und hoher Produktivität.

Es wäre vermessen, mit einigen wenigen Publikationsbeiträgen in diesem Heft das gesamte Problemfeld von Industrie 4.0 und Industrie 5.0 zu umreißen. Wir können Ihnen nur einige Fallstudien darstellen, die auf das Spannungsfeld zwischen Innovation und Arbeitsschutz hinweisen.

Exoskelette (Beitrag Karsten Kluth) sind eine vielversprechende Entwicklung, mit der es gelingen kann, Arbeitspersonen vor hohen Beanspruchungen und muskulo-skelettalen Erkrankungen zu schützen. Exoskelette sind aber nicht nur positiv zu beurteilen. Sie erhöhen die Verletzungsgefahr bei Stolper-, Sturz- und Rutschunfällen. Nur konstruktiv sichere Exoskelette sollten eingesetzt werden (CE-Kennzeichnung). Eine standardisierte Gefährdungsbeurteilung für Exoskelette liegt noch nicht vor. So sind auch Langzeiteffekte noch nicht untersucht.

Mit Human Work Design (Beitrag Martin Benter und Peter Kuhlang) steht ein Ins­trument zur humanorientierten Gestaltung menschlicher Arbeit zur Verfügung, das mehrere Vorteile bietet. Es kann zum einen manuelle Arbeitsprozesse unter Berücksichtigung der weltweit standardisierten MTM-Normleistung zeitlich bewerten und so die Gestaltung produktiver Abläufe unterstützen. Es kann zum anderen die physischen Belastungen am Arbeitsplatz mit einem Ergonomiebewertungsverfahren beurteilen.

Der Schutz der Arbeitspersonen bei der Flugzeugenteisung (Beitrag Sylvie Nadeau und Kurt Landau) greift ein nichtindustrielles Thema auf. Auch hier wird auf den Menschen im Spannungsfeld zwischen Innovation und Arbeitsschutz Bezug genommen. Die Enteisung der Flugzeuge am Boden hat sicherheitstechnische und ökologische Aspekte, ist aber zugleich auch eine sehr große Herausforderung für die betroffenen Beschäftigten. Das Enteisungspersonal ist großen Belastungen unterworfen. Sie reichen von Zwangshaltungen bei der Bedienung der Sprühpistolen über die widrigen Witterungsbedingungen bis hin zur hohen psychomentalen Belastung beim visuellen und taktilen Erkennen des Vereisungszustands und dem damit verbundenen Verantwortungsdruck.

Schließlich berichtet Martin Schmauder noch über die gerade stattgefundene Herbstkonferenz der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft. Die Tagung hat zusammen mit der Jubiläumsveranstaltung des Ergonomie-Kompetenz-Netzwerks (ECN) stattgefunden. Die Konferenz stand unter dem Titel „Zeitbezug und Transformation – Ergonomie im Wandel des Fortschritts“. Besonders interessant ist hier auch die Prämierung innovativer und ergonomischer Produkte, die damit direkt Bezug zum Inhalt dieses Editorials nimmt.

Kurt Landau und Sylvie Nadeau

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