Neben der natürlichen Strahlung, die sich aus terrestrischer, kosmischer und innerer Strahlung des Menschen zusammensetzt, sind die Menschen auch der zivilisatorischen Strahlenbelastung ausgesetzt. Dabei resultiert die größte Belastung aus medizinischen Röntgenuntersuchungen. Kleine Anteile der gesamten Strahlenbelastung (unter 1 %) resultieren von spezifischen Expositionen, wie beispielsweise radiometrische Messtechniken in Forschung und Industrie, Expositionen in kerntechnischen Anlagen sowie Fall-out nach Atombombenversuchen und Reaktorunfällen (➥ Abb. 1). Der Strahlenschutz richtet sich in erster Linie weltweit nach dem ALARA-Prinzip („as low as reasonably achievable“). Das bedeutet, dass alle Maßnahmen ergriffen werden, um die Strahlenexposition so gering wie möglich zu halten. Erwähnenswert ist die aktuelle Korrektur der zulässigen Grenzwerte in Deutschland durch die neue Strahlenschutzgesetzgebung hin zu geringeren Grenzwerten, wie z.B. die drastischen Reduzierung des Grenzwertes der Augenlinsendosis für strahlenexponiertes Personal von 150 mSv/Jahr auf 20 mSv/Jahr oder die „neue“ aktive Meldepflicht „bedeutsamer Vorkommnisse“ bei röntgenologischen Untersuchungen gegenüber der zuständigen atomrechtlichen Behörde. Im Folgenden werden die Grundprinzipien und verschiedene Möglichkeiten des Strahlenschutzes beispielhaft in der interventionellen Radiologie oder Kardiologie beschrieben und diese für vergleichbare Konstellationen im arbeitsmedizinischen Umfeld empfohlen.
Aktuelle Entwicklungen
Die Entwicklung und Anwendung katheterbasierter Verfahren hat in den letzten Jahrzehnten eine enorme technische Entwicklung erfahren. Die interventionelle Behandlung verschiedenster Erkrankungen unter Verwendung von Röntgengeräten ist heute ein wichtiger und etablierter Behandlungspfad vieler Erkrankungen. Durch die vermehrte Häufigkeit dieser minimal-invasiven Eingriffe und deren zunehmende Komplexität ist der prozentuale Anteil der gesamten Strahlendosis auf ca. 17 % aller radiologischen Untersuchungen angewachsen (Arbeitsgemeinschaft Interventionelle Radiologie 2003). Im Vergleich dazu verursachen computertomographische Untersuchungen einen Anteil von ca. 48 %. Immer wieder wird auch über die Strahlenbelastung für die untersuchenden Berufsgruppen (Kardiologen, Radiologen, Chirurgen, OP-Personal) diskutiert. Das Risiko, an einer Krebserkrankung zu erkranken, scheint für die Berufsgruppen, die fluoroskopisch mit Röntgenstrahlung arbeiten, erhöht (Rajaraman et al. 2016). Umso wichtiger ist daher das Bewusstsein über praktikable Strahlenschutzmaßnahmen zu Reduzierung der Strahlenexposition für Patienten und Untersuchungspersonal.
In der Röntgenverordnung (§ 25) ist klar hinterlegt: „… jede mögliche Maßnahme zur Minimierung der Dosiswerte durch Streustrahlung ist zu ergreifen …“. So sind auch in der Richtlinie 2013/59/EURATOM die drei Strahlenschutzgrundsätze (Rechtfertigung der Untersuchung, Optimierung und Begrenzung der Strahlendosis) klar festgehalten (Kapitel III, Art. 5 a–c).
Strahlenbelastung bei interventionellen Eingriffen in der Kardiologie und Radiologie
Die Strahlenbelastung unterteilt sich in drei Gruppen:
1. die Nutzstrahlung, notwendig zur Generierung von aussagekräftigen Bildern bzw. Untersuchungsergebnissen,
2. die Absorptionsstrahlung, die eigentliche Strahlenbelastung für den Patienten, und
3. die Streustrahlung, die die Strahlenbelastung für die Untersucher ausmacht (➥ Abb. 2).
Die Streustrahlung wird vor allem verursacht durch den Compton-Effekt und ist stark abhängig von der Größe des Strahlungsfeldes und der Objektdicke. Allein durch das Einblenden der Feldgröße von beispielsweise 30 × 40 cm auf 5 × 8 cm reduziert sich der Streustrahlenanteil von 90 auf 40 % (eigene Messungen). Mit den heutigen Röntgengeraten, DSA-Angiographieeinheiten oder C-Bögen, ist es problemlos möglich, das Untersuchungsfeld einzublenden; auch während laufender Untersuchungen sollte permanent eine optimale Einblendung des durchleuchteten Feldes durchgeführt werden. Zudem können mit halbtransparenten Blenden, Carblenden oder Irisblenden optimale Bildqualitäten erreicht werden. Der Einsatz moderner Bilderzeugungssystem mit digitalem Zoom – „last image hold oder run“ – tragen auch maßgeblich zur Verringerung der Strahlung bei.
Die Dosis ist natürlich auch stark abhängig von der so genannten Pulsfrequenz, d.h. den Röntgenimpulsen pro Sekunde. Je mehr Impulse, desto höher ist die Strahlendosis, umgekehrt: je weniger Impulse (1 Bild/s), desto geringer die Dosis. Bei kräftigen, röntgendichten Strukturen ist eine hohe Pulsfrequenz zum Akquirieren aussagekräftiger Bilder notwendig. An einem Beispiel mit einer gängigen Angiographieeinheit (Philips Allura Xyper FD 20) zeigen sich die Unterschiede: Bei Durchleuchtung eines Oberschenkels wird mit einer Pulsrate von 5–6/s eine Dosis von 0,02 mGy/s erzeugt, bei 12 Pulsen/s steigt die Dosis auf 0,05 mGy/s und bei 16–18 Pulsen/s auf 0,08 mGy/s. Entsprechend den Untersuchungsbedingungen lassen sich diese Pulsraten in den modernen Maschinen extra anwählen oder sind automatisch in den anwählbaren Programmen angepasst. Geräte ohne gepulste Röntgenstrahlung dürfen heutzutage nicht mehr benutzt werden, sofern diese nicht vor 2008 in Betrieb genommen wurden. In der Angiographie werden oft Bilder mit Hilfe der digitalen Subtraktionsangiographie (DSA) erzeugt, d.h., der Hintergrund (Knochen-, Bindegewebs- und Muskelstrukturen) wird von den weiteren Untersuchungsbildern subtrahiert und es werden nur neue Kontrastierungen erfasst, beispielsweise die Kontrastierung von Gefäßen. Die deutlich höhere Bildqualität im so genannten Aufnahme- und DSA-Modus gegenüber dem Durchleuchtungsmodus wird allerdings auch mit einer deutlich höheren Strahlendosis erkauft. Bei eigenen Messungen im Oberschenkel mit o.g. Angiographieeinheit steigt die Dosis auf Werte von 0,6 mGy/s, d.h. um den Faktor 30! In der Literatur werden Unterschiede bis zum Faktor 100 und höher beschrieben. Das bedeutet, dass der DSA-Modus so wenig wie möglich angewendet werden sollte.
Ein wichtiger weiterer Einflussfaktor für das Maß der Streustrahlen ist die bereits erwähnte Dicke des Objekts. Das heißt, bei kräftigen, adipösen Patienten ist mit einer deutlichen Zunahme der Streustrahlung zu rechnen. In einer Untersuchung (Schueler et al. 2006) wird dieses am Phantom sehr anschaulich illustriert und in Beispielrechnungen erfasst. Als Basis wird eine Objektdicke von 15 cm ausgewählt und die Eintrittsdosis als 100 % gewertet; bei einer Steigerung der Objektdicke auf 20 cm steigt die Dosis auf 200–300 %, bei 25 cm auf 400–600 % und bei einer Dicke von 30 cm auf enorme 800–1200 % im Vergleich zur Objektdicke mit 15 cm. Umso mehr muss bei adipösen Patienten auf eine strengste Optimierung der Strahlenbelastung und des Strahlenschutzes geachtet werden. Auch die Ausrichtung des Strahlengangs hat einen wesentlichen Einfluss. Angenommen wird ein ovales Objekt (Patientenkörper) mit einer Dicke von 15 cm im so genannten a.p.-Strahlengang (senkrecht zum Objekt) und einer Eintrittsdosis mit 100 %. Beim Kippen der Röntgeneinheit auf eine schräge Einstellung (z.B. 35° oblique zum Objekt) vergrößert sich der Durchmesser des Objekts (Körper des Patienten) und die Eintrittsdosis erhöht sich auf 200–300 %!
Wichtig ist zudem die Positionierung des Bilddetektors und der Strahlenquelle. Die Strahlenquelle sollte stets mit einem größtmöglichen Abstand zum Patienten gewählt werden, da sich die Einfallsdosis mit zunehmendem Abstand exponentiell verringert. Der Bilddetektor sollte möglichst nah am Patienten positioniert sein, denn so erhöht sich die Bildqualität (Verringerung der Halbschattenbildung, besseres Signal-Rausch-Verhältnis) und die Anlage reguliert die Dosis automatisch, so dass die Einfallsdosis um bis zu 25 % gesenkt werden kann.
Zusammenfassend kann allein durch verschiedene Einstellungen der Röntgeneinheit eine erfolgreiche Reduktion der Strahlendosis erreicht werden:
1. Einblendung des Strahlenfeldes,
2. Reduktion der Pulsfrequenz der Röntgenstrahlung,
3. Reduktion des DSA-Modus,
4. Berücksichtigung der Objektdicke (Patientendurchmesser, Gewicht),
5. enge Positionierung des Strahlendetektors zum Patienten,
6. schräge (oblique) Strahlengänge (Durchleuchtungspositionen) vermeiden.
Zusätzliche Strahlenschutzmaßnahmen für das Untersuchungspersonal
Mit den bereits o.g. Maßnahmen sind auch wichtige Aspekte zum Schutz des Untersuchungspersonals genannt. Zudem gibt es aber eine Reihe von Möglichkeiten, sich ergänzend zu schützen. Grundsätzlich sind die verfügbaren Dauerschutzeinrichtungen der Angiographieanlagen permanent einzusetzen (➥ Abb. 3). Das heißt, die Strahlenquelle bzw. der Strahlengang sollten immer gut durch die Verwendung eines Bleiglases abgeschirmt sein. Deckenmontierte Bleiglaswände sowie mobile Bleiglaswände sind konsequent zwischen Untersucher und Strahlenquelle sowie Patient zu positionieren und im täglichen Setting zu implementieren. Sie sind relativ mühelos zwischen Untersucher und Patiententisch mit der Angiographieeinheit zu platzieren und gerade bei DSA-Aufnahmen mit der erwähnten höheren Strahlendosis bieten sie ausreichend Schutz für den Untersucher. Auch sollte regelmäßig der Untertischschutz, die so genannten Untertischlamellen, richtig positioniert werden, möglichst schon geplant im Vorfeld der Untersuchung, um spätere Probleme mit der sterilen Abdeckung zu vermeiden. Auch wenn manche Arbeitsschritte dadurch umständlicher wirken – durch regelmäßige, konsequente Anwendung dieser Maßnahmen können sie gut in den routinemäßigen Ablauf der interventionellen Untersuchungen integriert werden (➥ Abb. 4).
Eine absolut unverzichtbare und verpflichtende Schutzmaßnahme im Kontrollbereich ist die Strahlenschutzkleidung. Strahlenschutzkleidung an Hochdosisleistungsarbeitsplätzen (Angiographie-Anlagen oder auch Herzkatheterarbeitsplätzen) sollte grundsätzlich einen Rundum-Schutz bieten. Der Bleigleichwert bei Strahlenschutzkleidung sollte im Frontbereich mindestens 0,5 mmPB und im Rückenbereich mindestens 0,25 mmPB, besser noch 0,35 mmPB betragen. Trotz der Unbequemlichkeit in Form von Gewicht und verstärkter Wärmebildung bei der Verwendung der Schutzkleidung ist sie für den Untersucher unverzichtbar. Zusätzlich wichtig ist auch das permanente Tragen eines Schilddrüsenschutzes (mit 0,5 mmPB) und einer Bleiglasbrille mit Bleischutz (zwischen 0,5 und 1,0 mmPB). Die Grenzwerte zum Schutz gegen eine Strahlenkatarakt sollen mit der neuen Strahlenschutzverordnung vom 150 mSv pro Jahr auf 20 mSv pro Jahr reduziert werden. Mit Hilfe des tragbaren Bleischutzes lässt sich die relative effektive Strahlendosis am Angiographietisch von 100 % (ungeschützt) auf 1,8 % reduzieren (Boetticher et al. 2006).
Wesentlich ist auch die lokale Platzierung des Untersuchers zum Patienten und damit zum Angiographietisch. Entsprechend dem Abstandsquadratgesetz nimmt die Dosis der Strahlung umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands ab. Mit Verdoppelung des Abstandsfaktors reduziert sich die Eintrittsdosis auf 25 %. Daher ist es sinnvoll, die Arbeitsschritte im Vorfeld zu planen, um auch eine größere Entfernung zum Patienten mit zu berücksichtigen. Aus Abb. 4 ist zu ersehen, dass der Untersucher seitlich vom Angiographietisch steht, wodurch eine größere Distanz zur Röntgenröhre möglich ist er alle Materialien auf einem Extratisch bedienen und zusätzlich noch die Bleiglaswand einbringen kann. Sollte während der Untersuchung eine Kontrastmittelapplikation durch den Untersucher unmittelbar am Angiographietisch notwendig sein, ist davon abzuraten, das Kontrastmittel direkt an der liegenden Schleuse zu verabreichen. Eine Heidelberger Verlängerung beispielsweise kann dem Untersucher gewährleisten, Abstand zwischen sich und die Strahlenquelle zu bringen.
Auch eine gute präinterventionelle Planung kann zur Vermeidung unnötiger Strahlenbelastung für Patient und Personal beitragen. Eine strategische Planung im Vorfeld mit strahlenfreien Untersuchungen wie Ultraschall und MRT können unnötige diagnostische Schritte reduzieren.
Zusammenfassung
Die Aspekte des ALARA-Prinzips tragen maßgeblich zur Reduktion der Strahlenbelastung bei. Das Bewusstsein für die auftretenden hohen Strahlendosen ist wichtig, um die Strahlendosis mit verschiedenen technischen Parametern gering zu halten. Eine gute Information über die angewendeten Gerätschaften ist notwendig, um eine optimale Einstellung der entsprechenden Parameter zu erreichen. Wesentlich ist daher auch die Schulung des Personals zur Optimierung der Untersuchungstechniken.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
Boetticher H, Lachmund J, Hoffmann W, Luska G: Optimierung des Strahlenschutzes für das Personal in der Radiologie auf Grundlage der effektiven Dosis. Fortschr Röntgenstr 2006; 178: 287–291.
Schueler BA, Vrieze TJ, Bjarnason H, Stanson AW: An investigation of operator exposure in interventional radiology. Radiographics 2006; 26: 1533–1541.
Rajaraman P et al. Cancer risks in U.S. radiologic technologists working with fluoroscopically guided interventional procedures, 1994–2008. Am J Roentgenol 2016; 206: 1101–1108.
Weiter Infos
Unterrichtung durch die Bundesregierung. Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2003
https://doris.bfs.de/jspui/bitstream/urn:nbn:de:0221-201004061230/1/BfS…
Richtlinie 2013/59/EURATOM
https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2014:013:00…