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Radiologische Untersuchungen der Lunge in der Arbeitsmedizin – Chance oder Risiko?*

Radiologische Untersuchungen der Lunge in der Arbeitsmedizin – Chance oder Risiko?

Erst radiologische Untersuchungen haben die Möglichkeit eröffnet, auf nichtinvasivem Wege zu Lebzeiten eines Versicherten die Diagnose einer Berufskrankheit der Lunge zu stellen und diese von anderen Lungenerkrankungen zu differenzieren.

Die rechtfertigende Indikation zur Durchführung einer Untersuchung in der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist aber nicht schematisch zu stellen. Sie ergibt sich im individuellen Fall aus der Abschätzung der Gefährdung des Versicherten am aktuellen oder früheren Arbeitsplatz, der Kenntnis der Rauchgewohnheiten als potenzierender Gefährdung, der differenzierten qualitäts-gesicherten Lungenfunktion sowie des aktuellen individuellen Gesundheitsstatus und den bekannten Latenzzeiten. Nur bei enger Zusammenarbeit zwischen Arbeitsmedizin und Radiologie ist die Voraussetzung gegeben, die richtige, an die individuelle Fragestellung angepasste, Untersuchung für den Versicherten auszuwählen. Dies kann bei genauer Abwägung zwischen Nutzen und Risiko der Untersuchung im Einzelfall an Stelle der Thoraxübersichtsaufnahme auch ein qualitätsgesichertes Niedrigdosis-Volumen-CT sein.

Schlüsselwörter: rechtfertigende Indikation – Röntgenuntersuchungen der Lunge – arbeitsmedizinische Vorsorge – DGUV Grundsätze – Strahlen-exposition

Radiological examinations of the lung in occupational medicine – Opportunity or risk?

The introduction of radiological examinations opened up the opportunity to use non-invasive methods to diagnose an occupational lung disease during the lifetime of a worker and to differentiate pneumoconiosis from other pul-monary diseases.

However, the justification to perform a radiologic examination in surveillance in occupational medicine cannot be established schematically. It has to be based on assessing the individual risk to the each person in his/her current or previous job, the quality-assured lung function test, the individual’s current health status and the known latency period and information on smoking habits as a further risk factor. Only if there is close cooperation between occupational medicine and radiology it is possible to select the proper examination in each individual case. In special cases, provided the benefits and risks of the examination are carefully weighed, it may be reasonable, to carry out a quality-assured low-dose CT scan instead of a chest X-ray.

Keywords: justification of X-ray examination, – X-ray examinations of the lung – preventive occupational medicine – DGUV principles – radiation exposure

K. Hofmann-Preiss1

K.G. Hering2

(eingegangen am 06. 05. 2015, angenommen am 30. 06. 2015

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015; 51: 44–49

Einleitung

Erste Hinweise auf staubbedingte Lungenerkrankungen bei Steinmetzen finden sich bereits 1500 v. Chr. im Papyrus Ebers. Bereits 1728 identifizierte Henkel (1728) den Staub als Krankheitsauslöser bei Bergarbeitern und forderte Schutzmaßnahmen. Erst der Pathologe Zenker beschrieb aber 1867 die morphologischen und histologischen Veränderungen einer Staublungenerkrankung differenziert.

Bis zur Einführung von Röntgenuntersuchungen der Lunge Anfang des 20. Jahrhunderts konnte man zu Lebzeiten die Diagnose einer Pneumokoniose oder eines berufsbedingten Malignoms der Lunge nicht objektivieren, da die klinischen Symptome Husten, Kurzatmig-keit, Hämoptysen und Gewichtsverlust unspezifisch sind und zum Beispiel auch durch Infektionen ausgelöst werden können.

Erste systematische Beschreibungen radiologischer Befunde von durch Quarzstaub bzw. Asbestfaserstaub bedingten Lungenerkrankungen wurden in Deutschland bereits 1923 durch Saupe publiziert. Sehr schnell wurde die Thoraxübersichtsaufnahme integraler Bestandteil der Diagnostik in Vorsorge und Begutachtung staubbedingter Lungenkrankheiten (Reichmann 1931; Saupe 1938). L.H. Garland formulierte bereits 1936 in seiner Arbeit The X-Ray Aspects of Pneumoconiosis: „Die Diagnose wird gestellt aus: Berufsanamnese, Klinik und Röntgenbild, schwächstes Glied in der Kette ist die Klinik, stärkstes der Röntgenbefund“.

Durch Thoraxübersichtsaufnahmen in Korrelation mit den Be-funden der Pathologie wurden in den folgenden Jahrzehnten Erkenntnisse zu unterschiedlichen Ausprägungen, Verlaufsformen und Latenzzeiten berufsbedingter benigner wie maligner Lungenerkrankungen gewonnen (Hnizdo u. Sluis-Cremer 1993; Jacob u. Bohlig 1960). Zunehmend wurde auch in Langzeitbeobachtungen deutlich, dass zumindest bei beruflicher Asbeststaubexposition ein gleichzeitiger Nikotinabusus das Risiko, an einem Malignom der Lunge zu erkranken, deutlich erhöht (Markowitz et a. 2013).

Einsatz Radiologischer Untersuchungen in der Arbeitsmedizin

Thoraxübersichtsaufnahme in der Vorsorgeuntersuchung

Möglichkeiten und Limitationen

Bis zur Einführung der Computertomographie in die medizinische Diagnostik Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts waren konventionelle radiologische Untersuchungen wie Thoraxübersichtsaufnahmen und konventionelle Tomographien die einzigen radiologischen Verfahren zur Diagnostik von Lungenerkrankungen. Garland forderte schon 1938 zur Diagnostik berufsbedingter Lungen-erkrankungen den Einsatz der besten Röntgentechnik, wies aber auch darauf hin, dass Thoraxaufnahmen diagnostische Unsicherheiten bergen können. So formulierte er, dass häufig eine Kontrolluntersuchung nach 4 Wochen erforderlich wäre, um entzündliche Veränderungen auszuschließen, die das Bild der Pneumokoniose aggravieren könnten.

Bereits durch pathologische Untersuchungen, besonders aber nach Einführung der Computertomographie in die Diagnostik berufs-bedingter Erkrankungen der Lunge wurde evident, dass anhand von Thoraxübersichtsaufnahmen allein eine substantielle Zahl falsch-positiver, wie falsch-negativer Befunde erhoben wird. Remy-Jardin (1990) konnte zeigen, dass bei quarzstaubexponierten Arbeit-nehmern in bis zu 25 % der Fälle kleine Herdbefunde anhand der Thoraxaufnahmen nicht erkannt werden, hingegen wurden bei 50 % der Fälle mit einem Streuungsgrad von 1/1 nach ILO in der CT-Untersuchung keine Granulome nachgewiesen. Von Kraus und Raithel (1998) konnte bei asbestexponierten Arbeitnehmern gezeigt werden, dass in 7,2 % der Fälle mit auffälliger Thoraxaufnahme kein BK-relevanter Befund vorlag, in 25,7 % der Fälle die Erkrankung – häufig eine pleurale asbestfaserbedingte Veränderung – jedoch durch die Thoraxübersichtsaufnahme nicht zu erkennen war. Dass eine Früherkennung von Lungenkarzinomen mit Thoraxübersichtsaufnahmen nicht gelingt, hat die NLST-Studie überzeugend belegt (Aberle et al. 2013).

In den 70er Jahren wurden in Deutschland unter Federführung der DGUV (damals HVBG) und unter Mitwirkung aller relevanten arbeitsmedizinischen Organisationen erstmals einheitliche Grundsätze zur qualitätsgesicherten Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen formuliert, die in der Folge nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik aktualisiert wurden. Neben der Anamnese, der Arbeitsanamnese, der klinischen Untersuchung und der differenzierten Lungenfunktion ist die radiologische Diagnostik mit der Thoraxübersichtsaufnahme im posterior-anterioren Strahlengang (p. a.) Bestandteil der diagnostischen Methoden. Seit einigen Jahren werden diese Aufnahmen in der Regel digital erstellt. Eine Aufnahme im seitlichen Strahlengang wurde nur fakultativ bei verdächtigen Befunden empfohlen, allerdings ist die diagnostische Sicherheit der seit-lichen Thoraxaufnahme bei interstitiellen Lungenerkrankungen und bei tumorverdächtigen Befunden sehr begrenzt (Feigin 2010).

Die Befundung der Thoraxaufnahmen nach Staubeinwirkung er-folgt weltweit standardisiert nach der (national modifizierten) ILO-Klassifikation. Zur Befundung von digitalen Radiographien wird die ILO 2011 D eingesetzt. Den Tatbeständen der BK-Nr. 4101 und 4103 entsprechend, ist das Anzeigekriterium für eine Pneumokoniose anhand der Thoraxübersichtsaufnahme in Deutschland ein Streuungs-grad  1/1 nach ILO, bei auffälligem Auskultationsbefund und beruflicher Asbestfaserexposition bereits ein Streuungsgrad  1/0 nach ILO bzw. eine Verdickung der Pleura mit mehr als 2 cm Länge und 3 mm Breite. Die radiologische Untersuchung ist damit nicht nur Instrument der Diagnose, sondern auch der Begutachtung.

Strahlenexposition der Thoraxübersichtsaufnahme

In Deutschland besteht heute eine etablierte Qualitätssicherung für radiologische Untersuchungen. Verantwortlich sind die sog. „Ärzt-lichen Stellen“ der Ärztekammern und in einigen Bundesländern auch der Kassenärztlichen Vereinigung. Neben der Bildqualität wird die applizierte Dosis überprüft, bei konventionellen radiologischen Untersuchungen dient dazu das Dosisflächenprodukt (cGy x cm2) (Leitlinie der Bundesärztekammer 2008). 2003 wurden erstmals durch das Bundesamt für Strahlenschutz Dosisreferenzwerte für diagnostische Röntgenuntersuchungen publiziert (Bundesamt für Strahlenschutz 2003, 2010). Ohne Begründung sollen diese nicht überschritten werden. Für eine Thoraxaufnahme p. a. lag der Dosis-referenzwert im Jahr 2003 bei 20 cGy x cm2 (entsprechend einer effektiven Dosis von 0,04 mSv), im Jahr 2010 wurde der Wert auf 16 cGy x cm2 (entsprechend einer effektiven Dosis von 0,03 mSv) gesenkt.

Bei Anwendung modernster digitaler Vollfeldsysteme liegt die effektive Dosis für eine p. a.-Thoraxaufnahme für einen normalgewichtigen Versicherten (BMI 24 kg/m2) derzeit bei 0,01 mSv, mit zunehmendem Body Mass Index steigt die effektive Dosis an ( Tabelle 1).

Rechtfertigende Indikation Thoraxübersichtsaufnahme

Im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen bei staubexponierten Versicherten werden in Deutschland pro Jahr ca. 200 000 Thoraxübersichtsaufnahmen in einer Ebene angefertigt (Kraus 2004).

Ziel der Vorsorgeuntersuchungen ist die möglichst frühzeitige Erkennung berufsbedingter benigner wie auch maligner Lungenerkrankungen sowie die Einleitung erforderlicher Maßnahmen des Arbeitsschutzes. Im Regelfall werden hierbei klinisch asymptomatische Personen untersucht. Der Einsatz ionisierender Strahlung ist in diesem Kontext besonders kritisch zu überprüfen. Oberstes Gebot dabei ist, sicherzustellen, dass der diagnostische Nutzen einer radiologischen Untersuchung gegenüber deren möglichem Schaden überwiegt.

Nach RöV ist die rechtfertigende Indikation zur Untersuchung in jedem Einzelfall zu überprüfen. Grundlagen der rechtfertigenden Indikation für Röntgenuntersuchungen an Patienten sind die Anamnese, ihre Symptome und eventuelle Befunde von Voruntersuchungen, die weiter abgeklärt werden müssen ( Tabelle 2).

Für Untersuchungen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vor-sorge, also an asymptomatischen Versicherten, ergibt sich die rechtfertigende Indikation aus der Abschätzung der Gefährdung am aktuellen oder früheren Arbeitsplatz, der Kenntnis der Rauchgewohn-heiten als potenzierender Gefährdung, der differenzierten qualitätsgesicherten Lungenfunktion und natürlich der Kenntnis der Latenz-zeit bis zum Auftreten einer chronischen Berufskrankheit. Sofern klinisch validierte Testsets für Biomarker vorhanden sind, sind auch deren Befunde wesentlicher Bestandteil der rechtfertigenden Indikation. Auch das Alter des Versicherten und die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Befund in der Thoraxübersichtsaufnahme erkennbar sein wird, muss in die Entscheidung, eine Röntgenuntersuchung durchzuführen, mit einbezogen werden.

Obwohl die effektive Dosis einer konventionellen Übersichtsaufnahme der Lunge sehr niedrig ist, ist vor allem in Kenntnis der Limitationen dieser Untersuchung in der Früherkennung berufsbedingter Lungenerkrankungen die rechtfertigende Indikation für eine Thoraxaufnahme im individuellen Fall grundsätzlich genau zu prüfen.

Insbesondere die rechtfertigende Indikation zur Anfertigung der lateralen Thoraxaufnahme wird bei V. a. berufsbedingte Erkrankungen des Lungenparenchyms, aber auch bei Verdacht auf pleurale Befunde nach Einführung der Computertomographie zunehmend in Frage gestellt (Hillerdal 1986), da mit dieser Untersuchung eine endgültige Klärung der Diagnose nur in Einzelfällen gelingt.

Besteht der Verdacht auf ein Malignom, reicht die seitliche Aufnahme zur Klärung keinesfalls aus. In diesen Fällen ist die Computer-tomographie (ggf. auch als PET CT) der obligatorische nächste diagnostische Schritt. Die Anfertigung einer Seitaufnahme stellt in diesen Fällen eine unnötige zusätzliche Strahlenexposition dar.

Beispielsweise ist auch bei Arbeiten unter Überdruck die Anfertigung einer Thoraxübersichtsaufnahme aus radiologischer Sicht kritisch zu hinterfragen. In Nachuntersuchungen von Versicherten, die ein berufsbedingtes Barotrauma erlitten, konnte gezeigt werden, dass 1–2 cm große dünnwandige luftgefüllte zystische Läsionen im Lungenmantel (engl. „bleb“) oder subpleurale Bullae, die ursächlich für den Pneumothorax waren, anhand der Thoraxübersichtsaufnahme in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht nachweisbar sind (Reuter et al. 1997; Toklu et al. 2003). Computertomographisch werden diese Veränderungen jedoch sicher erkannt. Sind prädisponierende Faktoren für einen Spontanpneumothorax wie asthenischer Habitus und erheblicher Nikotinabusus bzw. vorbestehende Lungenerkrankungen oder in seltenen – familiär gehäuften – Fällen auch genetische Anomalien in der Anamnese nachweisbar (Painter et al. 2005), ist an Stelle einer Thoraxübersichtsaufnahme die Anfertigung einer LD-Volumen-CT-Untersuchung zu erwägen.

Sollten sich in der Zusammenschau aller zur Feststellung der rechtfertigenden Indikation erforderlichen Informationen keine auf-fälligen Befunde zeigen, ist eine Röntgenuntersuchung des Thorax nicht indiziert.

Besonders kritisch sind Erstuntersuchungen und Nachuntersuchungen in kurzen Intervallen bei jungen Versicherten zu hinterfragen. Im Gegensatz zu der früher geübten Praxis, in der sich die radiologische Diagnostik in der Begutachtung nur auf den Vergleich von Thoraxübersichtsaufnahmen stützte, hat eine bei der Erstuntersuchung unauffällige Thoraxaufnahme im Berufskrankheitenverfahren heute keine vorrangige Beweiskraft mehr, da nach den Leitlinien und Empfehlungen der DGUV (2011a,b) als erster Schritt in der Begut-achtung mit wenigen Ausnahmen eine LD-Volumen-CT-Untersuchung durchgeführt wird.

Computertomographie in der Vorsorgeuntersuchung

Möglichkeiten und Limitationen

Seit etwa 20 Jahren hat die Bedeutung computertomographischer Untersuchungen in der Diagnostik und auch in der Begutachtung von Pneumokoniosen einen zunehmenden Stellenwert, dies gilt insbesondere, seit Volumen-CT-Untersuchungen mit 1 mm Schichtdicke als Routineuntersuchung zur Verfügung stehen. Mit diesen Untersuchungen gelingt die Differenzierung interstitieller Lungen-erkrankungen und damit auch die Zuordnung von Befunden zu einer Berufskrankheit, deutlich sicherer auch sind kleine Lungen-karzinome früher und damit in potenziell kurablen Stadien zu erkennen.

Auch in der Computertomographie bestehen allerdings Limita-tionen der diagnostischen Aussage. Besteht zum Beispiel bei einer Asbestfaserexposition eine fibrosierende Lungenerkrankung mit UIP-Muster ohne gleichzeitigen Nachweis von parietalen oder viszeralen Verbreiterungen der Pleura, ist röntgenmorphologisch die Diagnose einer Asbestose nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu stellen, da auch andere Erkrankungen gleiche Bildmuster hervorrufen können.

Strahlenexposition in der Computertomographie

Auch für computertomographische Untersuchungen sind erstmals 2003 durch das Bundesamt für Strahlenschutz diagnostische Refe-renzwerte publiziert worden, die 2010 aktualisiert wurden. Es werden die lokale Dosis (CTDIvol), und das Dosislängenprodukt (DLP), d. h. die integrale Strahlenexposition der gesamten Scanserie (in mGy x cm), dokumentiert. Der aktuelle Dosisreferenzwert einer dia-gnostischen CT-Untersuchung des Thorax für eine Scanserie (ein Untersuchungsdurchgang) liegt bei 400 mGy x cm das entspricht einer effektiven Dosis von 5,6 mSv. Hier handelt es sich um Untersuchungen von Patienten mit klinischen Symptomen einer Lungenerkrankung. In Kenntnis der Publikationen von Strahlenbiologen (Brenner u. Hall 2012), die zumindest bei Kindern nachweisen konn-ten, dass bei diagnostischen CT-Untersuchungen ein – wenn auch kleines – Risiko einer späteren Tumorentstehung besteht, ist in der Früherkennung einer benignen wie auch einer malignen Lungenerkrankung bei asymptomatischen Versicherten eine CT-Untersuchung mit diagnostischer Dosis nicht akzeptabel.

Erst mit der Einführung von Niedrigdosis-Volumen-CT-Untersuchungen (LD-Volumen-CT), wurde unter Abwägung von Nutzen und Risiko die CT-Untersuchung auch in der Vorsorge (und in der Begutachtung) einsetzbar. Im Gegensatz zur Technik der Thoraxübersichtsaufnahme, die standardisiert ist, kamen und kommen für LD-CT-Untersuchungen sehr unterschiedliche Protokolle zum Einsatz. Low-Dose-Untersuchungsprotokolle sind zudem heute noch nicht routinemäßig bei Auslieferung von CT-Geräten implementiert. Da im Berufskrankheitenverfahren der Grundsatz der Gleichbehand-lung der Versicherten zentrales Gebot ist, wurde durch die AG DRauE der DRG in Zusammenarbeit mit einem fachkompetenten Medizinphysiker (Dr. H.D. Nagel, Wissenschaft & Technik für die Radiologie, 21244 Buchholz) ein für alle in Deutschland eingesetzten Mehrzeilen-CT-Geräte ( 16 Zeilen) einheitlich anwendbares, gewichtsadaptiertes Untersuchungsprotokoll entwickelt, dessen effektive Dosis bei einem normalgewichtigen Versicherten unter 0,9 mSv liegt (s. Home-page der AG DRauE der DRG, Homepage der GVS).

Rechtfertigende Indikation LD-Volumen-CT

Aus radiologischer Sicht besteht eine rechtfertigende Indikation für eine LD-Volumen-CT dann, wenn aus Anamnese, Arbeitsanamnese mit Abschätzung der Gefährdung am aktuellen und früheren Arbeits-platz und der Kenntnis der Rauchgewohnheiten als potenzierende Gefährdung, der Versicherte in ein Kollektiv mit hohem Risiko für eine maligne berufsbedingte Erkrankung einzuordnen ist oder ein Verdacht auf benigne Veränderungen besteht, die einer Berufskrankheit entsprechen könnten.

In Anlehnung an die NLST-Studie wurde beispielsweise für ehe-mals asbestexponierte Arbeitnehmer ein Kollektiv beschrieben, das mehr als 10 Jahre asbestexponiert war, älter als 55 Jahre ist und einen Nikotinabusus mit mehr als 30 py betrieben hat, der nicht länger als 15 Jahre beendet ist bzw. noch anhält. Diese Versicherten erhalten das Angebot einer erweiterten nachgehenden Vorsorge, bei der an Stelle einer Thoraxaufnahme ein qualitätsgesichertes, standardisiertes LD-Volumen-CT durchgeführt werden kann.

Vor Eingang in die Begutachtung besteht nach den Leitlinien und den zugehörigen Empfehlungen (AWMF-Leitlinien; Begutachtungsempfehlungen der DGUV 2011) die rechtfertigende Indikation für eine LD-Volumen-CT-Untersuchung auch für ehemals gegenüber Quarzstaub bzw. Asbestfaserstaub exponierte Versicherte, deren Thoraxübersichtsaufnahmen formal charakteristische Anzeigekriterien für eine berufsbedingte Erkrankung von Lunge und/oder Pleura zeigen. Mit dieser Untersuchung kann eine Lungenerkrankung, die dem Bild einer Berufskrankheit entspricht, aufgrund der in der Literatur gut charakterisierten Bildmuster weitaus sicherer als anhand der Thoraxübersichtsaufnahme diagnostiziert werden.

Auch bei pathologischer Lungenfunktion und Diffusion ist aus radiologischer Sicht kritisch zu prüfen, ob zur weiteren Abklärung dieser Befunde nicht grundsätzlich die CT-Untersuchung zum Einsatz kommen sollte ( Tabelle 3).

Natürlich sind die Kosten für eine CT-Untersuchung der Lunge höher als für eine Thoraxübersichtsaufnahme. Die Vergütung für Röntgen- und CT-Untersuchungen ist in der UV GOÄ einheitlich geregelt, öffentlich einsehbar und verbindlich (Lit UV GOÄ). Eine CT-Untersuchung mit Kodierung nach ICOERD kostet etwa um den Faktor 6 mehr als eine Thoraxaufnahme mit Kodierung nach ILO. Diese Tatsache könnte bei ausschließlicher Betrachtung der potenziellen Kosten sehr schnell zu dem Schluss führen, dass es zu teuer werden könnte, in der Vorsorge neben konventionellen Röntgenuntersuchungen im Einzelfall auch CT-Untersuchungen anzu-bieten.

Nach RöV ist die rechtfertigende Indikation aber ausschließlich unter medizinischen Aspekten zu stellen, dabei ist kritisch zu hinterfragen, ob die angeforderte Untersuchung geeignet ist, die Frage-stellung suffizient zu beantworten. Sollte dies zum Beispiel mit einer Thoraxübersichtsaufnahme nicht hinreichend sicher gelingen, ist die – wenn auch geringe – Strahlenexposition der Untersuchung nicht zu rechtfertigen.

Wird die rechtfertigende Indikation zu einer radiologischen Untersuchung nicht schematisch gestellt, sondern resultiert für jeden einzelnen Versicherten lediglich aus seinem aktuellen Gesundheitsstatus und dem individuell für ihn ermittelten Risiko am aktuellen oder früheren Arbeitsplatz sowie eventueller weiterer Risikofaktoren, ist davon auszugehen, dass die Zahl der Untersuchungen insgesamt sinken könnte. Gleichzeitig wird es aber individuelle Konstellationen geben, in denen die rechtfertigende Indikation zur qualitätsgesicherten LD-Volumen-CT gegeben ist, weil die Thoraxaufnahme nicht geeignet ist, die individuelle Fragestellung suffizient zu beantworten.

Schlussfolgerungen

Erst radiologische Untersuchungen haben die Möglichkeit eröffnet, zu Lebzeiten eines Versicherten eine Berufskrankheit der Lunge zu diagnostizieren und von anderen Lungenerkrankungen zu differenzieren. Damit bietet sich durch die radiologische Diagnostik eine einmalige Chance für die Versicherten.

Nachdem heute viele Erkenntnisse über arbeitsplatzbedingte und additive Gefährdungen vorliegen, die zu einer Entstehung von benignen wie auch malignen Erkrankungen der Lunge führen können, lassen sich die Risiken einer Untersuchung mit ionisierender Strahlung durch einen individuell angepassten verantwortungsbewussten Einsatz so minimieren, dass der Nutzen der Untersuchung für den einzelnen Versicherten die Risiken überwiegt.

Die rechtfertigende Indikation zur Durchführung einer radiologischen Untersuchung im Rahmen der Vorsorge ist im Einzelfall unter genauer Beachtung der individuellen potenziellen Risiken des einzelnen Versicherten und in Kenntnis der Limitationen der radiologischen Verfahren zu stellen. Sie erfordert die enge Zusammenarbeit zwischen Arbeitsmedizin und Radiologie, da Radiologen nicht über Kenntnisse bezüglich der möglichen Gefährdung am Arbeitsplatz verfügen.

Thoraxübersichtsaufnahmen werden zwar mit niedriger Strahlendosis angefertigt, eignen sich aber insbesondere nicht zur frühen Erkennung von Malignomen. Auch in der Erkennung und Differenzial-diagnose niedrig gestreuter Pneumokoniosen und asbestbedingter Pleuraveränderungen sowie auch bei dem Nachweis oder Ausschluss von Blebs oder Bullae bestehen für diese Untersuchung deutliche Limitationen.

Nachdem ein einheitlich anwendbares Protokoll für eine Niedrig-dosis-CT-Untersuchung (LD-Volumen-CT) publiziert wurde, ist je-doch in der Vorsorge für Versicherte mit hohem Erkrankungsrisiko infolge der beruflichen Belastungen – verglichen mit der Allgemeinbevölkerung – im Einzelfall abzuwägen, ob die Chance der Frühdiagnostik genutzt werden soll. In diesem Fall ist die gemäß dieses Untersuchungsprotokolls durchgeführte LD-Volumen-CT der Thoraxübersichtsaufnahme weit überlegen und sollte als diagnostisches Mittel eingesetzt werden.

Aus Sicht der Autoren erscheint es sinnvoll, ergebnisoffen für die einzelnen Vorsorgegrundsatz die Rahmenbedingungen zur Stel-lung der rechtfertigenden Indikation für eine radiologische Untersuchung, sei es Übersichtsaufnahme oder CT, zu formulieren und auch potenzielle Fallgestaltungen aufzuzeigen, für die sich im individuellen Fall keine Indikation zu einer radiologischen Untersu-chung ergibt.

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Interessenkonflikt: Für beide Autoren besteht kein Interessenkonflikt.

Für die Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Karina Hofmann-Preiß

BDT MVZ Erlangen

Wetterkreuz 21 – 91058 Erlangen-Tennenlohe

k.hofmann-preiß@bdt-erlangen.de

Fußnoten

1 BDT-MVZ-Träger GmbH,Institut für bildgebende Diagnostik und Therapie, Erlangen

2 Klinik für Radiologie (Chefarzt: Priv.-Doz. Dr. med. Jens Rodenwaldt), Klinikum Westfalen (Knappschaftskrankenhaus), Dortmund

* Der Beitrag beruht auf einem Vortrag der Erstautorin, gehalten auf dem Symposium Gefahrstoffe 2015 („Schlema VIII“) am 26. 03. 2015 in Merseburg