Versicherte, die Pflichtmitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, mussten während des Kranken- oder Verletztengeldbezuges bis 2016 ihre gegenüber Versorgungseinrichtungen geschuldeten Beiträge in voller Höhe selbst zahlen. Sie waren damit strukturell deutlich gegenüber den gesetzlich Versicherten benachteiligt, deren Beiträge während dieser Zeit hälftig vom Sozialversicherungsträger übernommen werden. Ab 2016 wurde dieser Personenkreis im Krankheitsfalle bei der Alterssicherung wirtschaftlich entlastet und den in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten im Hinblick auf die Beitragszahlung aus dem Krankengeld gleichgestellt. Eine entsprechende Regelung für das Verletztengeld bei Arbeitsunfall oder Berufserkrankung unterblieb und wurde. erst mit Wirkung zum 25. 07. 2017 nachgeholt.
Berufsständische Versorgungswerke
Berufsständische Versorgungswerke sind solidarische Versicherungseinrichtungen für die kammerfähigen Freien Berufe der Ärzte, Apotheker, Architekten, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater, Ingenieure u.a. Sie sichern auf landesrechtlicher Grundlage die Pflichtversorgung ihrer Mitglieder für den Alters-, Invaliditäts- und Todesfall. Obgleich danach auch dieser Personenkreis Mitglied eines gesetzlichen Alterssicherungssystems ist, war er im Falle der längeren Krankheit – auch nach einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit – dem Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung hinsichtlich der Beiträge zur Alterssicherung nicht gleichgestellt. Während der Zahlung von Kranken- oder Verletztengeld verpflichtete der Gesetzgeber die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) bzw. gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) lediglich zur Beitragszahlung an die gesetzliche Rentenversicherung (DRV). Entsprechende Beitragsverpflichtungen in Bezug auf die berufsständische Versorgung des Kranken- oder Verletztengeldempfängers sah das Gesetz nicht vor.
Von den Betroffenen war daher von jeher die analoge Einbeziehung berufsständischer Versorgungseinrichtungen in die Beitragszahlung aus Lohnersatzleistungen verlangt worden. Dies fordere die Gleichheit der Interessenlage, weil die berufsständischen Versorgungen dieselbe Funktion wahrnähmen wie die gesetzliche Rentenversicherung. Es wurde eine Verletzung von Art. 3 Grundgesetz geltend gemacht, denn ohne Rechtfertigung würde ein berufsständisch Versicherter schlechter behandelt als ein in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherungspflichtiger.
Die Rechtsprechung war dem mit dem Argument entgegengetreten, das Risiko, während einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit selbst für eine kontinuierliche Alterssicherung sorgen zu müssen und mit entsprechenden Beitragszahlungen belastet zu werden, sei generell weder den Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung noch den Mitgliedern anderer Sicherungssysteme lückenlos abgenommen. Insgesamt sei die Übernahme der gesetzlichen, berufsständischen und privaten Altersvorsorge bei Arbeitsunterbrechungen durch zahlreiche Einzelbestimmungen in so unterschiedlicher Weise geregelt, dass eine analoge Anwendung bestehender Vorschriften unter Beachtung der notwendigen Grenzziehung nahezu unmöglich sei. Mit Rücksicht auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sei eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Mitglieder von berufsständischen Versorgungswerken im Vergleich zu gesetzlich Rentenversicherten nicht festzustellen.
Beitragsanspruch der gesetzlich Krankenversicherten
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde zunächst die GKV ab dem Jahr 2016 verpflichtet, berufsständisch Pflichtversicherte während des Bezugs von Entgeltersatzleistungen beitragsrechtlich zu entlasten. Sie wurden mit § 47a SGB V Pflichtversicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf die Beitragszahlung aus dem Krankengeld gleichgestellt. Sie können Beiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung in der Höhe beanspruchen, die bei Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären, begrenzt auf die Hälfte der in der Zeit des Leistungsbezugs vom Mitglied an die berufsständische Versorgungseinrichtung zu zahlenden Beiträge.
Beitragsanspruch der gesetzlich Unfallversicherten
Für die vergleichbare Entgeltersatzleistung bei Arbeitsunfähigkeit nach Arbeitsunfall oder Berufskrankheit durch die Berufsgenossenschaften verblieb es ohne erkennbaren Grund bei der bisherigen Rechtslage. Hier mussten die Versicherten weiterhin Beiträge zur berufsständischen Versorgung während des Verletztengeldbezuges in voller Höhe selbst zahlen. Angesichts des dort an der Schadensersatzpflicht orientierten Leistungsrahmens, der in vielfacher Hinsicht weiter ist als derjenige der GKV, sahen dies Betroffene und Teile der Kommentarliteratur als ein Versehen des Gesetzgebers. Sie forderten analoge Anwendung des § 47 a SGB V in der DGUV. Angesichts der Neuregelung in der GKV seien die wirtschaftlichen Einbußen der berufsständisch Versicherten während ihrer Arbeitsunfähigkeit nach einem Arbeitsunfall noch weniger als zuvor einsehbar. Es läge eine planwidrige Gesetzeslücke vor, da kein Grund für die Schlechterstellung von Verletztengeldempfängern gegenüber Krankengeldempfängern ersichtlich sei.
Dem trat zunächst der Ausschuss für Rechtsfragen der Geschäftsführerkonferenz der DGUV entgegen und meinte, dem Gesetzgeber sei die Problematik bekannt gewesen. Er habe bewusst von einer Erweiterung der Ansprüche im SGB VII abgesehen. Dies sah aber der Gesetzgeber anders, hat mit Wirkung zum 25. 07. 2017 sein Versehen korrigiert und mit § 47 a SGB VII die Versicherten der gesetzlichen Unfallversicherung mit berufsständischer Versorgung gleichgestellt. Aus dem Verletztengeld können sie jetzt ebenfalls maximal die Hälfte des Beitrags beanspruchen, der bei Eintritt der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten wäre.
Zusätzlich erhalten Mitglieder einer privaten Kranken-/Pflegeversicherung, die als Beschäftigte Anspruch auf einen Zuschuss zu Kranken-/Pflegeversicherungsbeiträgen haben, bei Verletztengeldbezug einen Zuschuss in Höhe des fiktiven Pflichtbeitrags, beschränkt auf den an die private Kranken-/Pflegeversicherung zu zahlenden Betrag.
Antragstellung notwendig
Unbedingt zu beachten ist, dass die Beiträge berufsständig Versicherter nur auf Antrag gezahlt werden. Das Antragserfordernis auch in der gesetzlichen Unfallversicherung war notwendig, weil es zwischen den Krankenkassen und den berufsständischen Versorgungswerken bezüglich der dortigen Pflichtmitgliedschaft bzw. zwischen den Krankenkassen und der DRV Bund hinsichtlich dort anhängiger oder entschiedener Befreiungsverfahren kein Meldeverfahren gibt.
Eine bestimmte Frist für die Stellung des Antrags enthält das Gesetz nicht, so dass der Antrag auch noch nach dem Bezug von Kranken- oder Verletztengeld gestellt werden kann. Der Antrag wirkt gegebenenfalls rückwirkend ab dem Bezug der jeweiligen Lohnersatzleistungen bis zu deren Beendigung bei durchgehender Zahlung. Erneute Antragstellung ist anzuraten, sofern nach Unterbrechung ein neuer leistungsauslösender Arbeitsunfähigkeitszeitraum beginnt.
Beiträge aus Verletztengeld vor dem 25.07.2017?
Während der Beitragsanspruch aus dem Krankengeld bereits ab dem 01.01.2016 auch für Übergangsfälle, bei denen Krankengeld bereits vor dem Stichtag bezogen wurde, greift, gilt der eigenständige § 47 a SGB VII für gesetzlich Unfallversicherte oder Berufserkrankte erst ab dem 25.07.2017. Sollte es also endgültig bei einer Schlechterstellung dieses Personenkreises gegenüber den gesetzlich Krankenversicherten für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis 24.07.2017 bleiben?
Nein, den betroffenen Beziehern von Verletztengeld – wegen der Verweisung in § 50 SGB VII auch den Bezieher von Übergangsgeld – ist zur rückwirkenden Antragsstellung ab dem 01.01.2016 zu raten. Es spricht vieles dafür, dass der Verweis in § 47a I SGB VII auf die Regelung im SGB V auch in zeitlicher Hinsicht die Benachteiligung der Unfallversicherten bereinigen sollte, die Beiträge mithin ab dem 01.01.2016 auch aus dem Verletztengeld beansprucht werden können.
Analoge Anwendung von § 47a SGB V für Verletztengeld
Hilfsweise könnte § 47a SGB V für Unfallversicherte bis zum 24.07.2017 analoge Anwendung in der DGUV finden. So hatte bereits vor Einführung des § 47a SGB VII das Sozialgerichts München (SG) mit Urteil vom 23.05.2017 – S 23 U 18/17 – zugunsten einer Klägerin, die vom 28.09.2015 bis einschließlich 15.05.2016 Verletztengeld erhielt, entschieden, sie habe Anspruch ab 01.01.2016 auf Entrichtung von Beiträgen an ihre berufsständische Versorgungseinrichtung in entsprechender Anwendung der für das Krankengeld geltenden Vorschriften.
Zur Begründung verwies das SG darauf, dass der jeweilige Arbeitgeber nach Auslaufen der Entgeltfortzahlung gesetzlich nicht mehr zur Tragung von Beiträgen zur Alterssicherung verpflichtet ist. Dies sei unabhängig davon, ob Kranken- oder Verletztengeld zu zahlen sei. Angesichts der ansonsten ausgewogenen Vorgaben des Gesetzgebers zur Berechnung des dem Versicherten verbleibenden Nettos sei eine Schlechterstellung von Verletztengeldbeziehern gegenüber den Krankengeldbeziehern bei Beitragszahlungen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen nach dem 01.01.2016 nicht mehr gerechtfertigt und willkürlich.
Es handele sich für die Betroffenen um vergleichbare Sachverhalte. Wesentlicher Unterschied sei lediglich die Ursache der Arbeitsunfähigkeit. Deshalb wäre eine Ungleichbehandlung von Versicherten bei Bezug von Kranken- und Verletztengeld bezüglich der Beiträge zur Alterssicherung nicht gerechtfertigt. Dies umso mehr als die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung typischerweise eher höher sind als diejenigen der gesetzlichen Krankenversicherung. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Schlechterstellung vom Gesetzgeber gewollt wäre. Es handele sich um eine unbewusste und ungewollte Regelungslücke, die durch analoge Anwendung der Regelung für das Krankengeld zu schließen sei.