Der Beschäftigte möchte seine informationellen Selbstbestimmungsrechte gewahrt wissen, der Arbeitgeber dagegen möchte wissen, wie gesund und leistungsstark seine Mitarbeiter sind und ob sie die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erfüllen können. Im Bereich des öffentlichen Arbeitsschutzrechtes (ArbSchG, ArbMedVV, ASiG etc.) kommt noch hinzu, dass ärztlicherseits festgestellte und ausgesprochene gesundheitliche Bedenken einerseits für den Arbeitgeber Verpflichtungen auslösen, auf der anderen Seite für den Beschäftigten negative Folgen haben können. So hat in bestimmten Fallkonstellationen ein Arbeitgeber bei Kenntnis gesundheitlicher Bedenken die Gefährdungsbeurteilung zu überprüfen und unverzüglich die zusätzlichen Schutzmaßnahmen zu treffen. Die geht soweit, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten nach Maßgabe der dienst- und arbeitsrechtlichen Regelungen eine andere Tätigkeit zuweisen muss, bei der diese Bedenken nicht bestehen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 ArbMedVV). In den unten noch zu erläuternden Fällen, in denen die Bescheinigung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit Tätigkeitsvoraussetzung ist, können sich in letzter Konsequenz auch gravierende Folgen für den Beschäftigten ergeben. Die Worte „nach Maßgabe der arbeitsrechtlichen Regelungen“ in § 8 Abs. 2 Satz 2 ArbMedVV besagen in letzter Konsequenz nichts anderes, als dass auch eine Kündigung des Beschäftigten erfolgen kann, wenn der Kündigungsgrund an sich im Sinne des § 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Kann der Beschäftigte aufgrund der ausgesprochenen gesundheitlichen Bedenken seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen und besteht für ihn im Unternehmen/Betrieb keine Möglichkeit, andere Tätigkeiten wahrzunehmen, so kann eine Kündigung erfolgen, wenn:
- eine negative Prognose hinsichtlich des Gesundheitszustandes gegeben ist,
- die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt sind,
- die erhebliche Beeinträchtigung zu einer nicht mehr hinzunehmenden Belastung für den Arbeitgeber führt1.
Vom Grundsatz her hat die arbeitsmedizinische Vorsorge nicht die Zielrichtung, die Eignung der Beschäftigten zu überprüfen (vgl. auch BR-Drs. 643/08, Seite 27). Bei besonders gefährdenden Tätigkeiten ist allerdings die Bescheinigung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit auch eine öffentlich-rechtliche Tätigkeitsvoraussetzung. Im Bereich der ArbMedVV betrifft dies die Tätigkeiten in Druckluft (hier ist Voraussetzung, dass die gesundheitliche Unbedenklichkeit innerhalb von zwölf Wochen vor der Aufnahme der Beschäftigung und anschließend vor Ablauf von zwölf Monaten bescheinigt wird (§ 4 Abs. 2 Satz 2 ArbMedVV i. V. m. Teil 3 Abs. 1 Nr. 5 Anhang ArbMedVV). Aber auch im Atom- und im Bergrecht ist im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge das Vorliegen einer ärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung rechtliche Tätigkeitsvoraussetzung für die Durchführung dieser Arbeiten (z. B. § 37 Abs. 1 RöV, § 60 Abs. 1 StrlSchV, § 2 Abs. 1 GesBergV). Es muss von Rechts wegen nochmals hervorgehoben werden, dass es sich hierbei nicht um individualarbeitsrechtliche Zivilrechtangelegenheiten handelt, sondern um eine Regelungsmaterie, die dem besonderen Verwaltungsrecht (folglich dem öffentlichen Recht) zuzuordnen ist. Die ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung ist in diesen Fällen folglich mehr als der bloße Nachweis der gesundheitlichen Unbedenklichkeit, sie ist vielmehr öffentlich-rechtliche Voraussetzung einer zulässigen Beschäftigung. Als solche ist sie unabdingbar, kann somit durch Arbeitsvertrag nicht geändert werden (z. B. Verzicht auf Untersuchung etc.) und muss sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Beschäftigten eingehalten werden.
Eine öffentlich-rechtlich vorausgesetzte ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung beschränkt den Beschäftigten in der freien Verwendung seiner Arbeitskraft
Relevant ist auch der Umstand, dass gerade diese Auswirkungen auf das Berufsleben das Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 GG berühren. Ohne sich an dieser Stelle vertiefend mit diesem Grundrecht auseinanderzusetzen (Interessierte dürfen hier auf die umfangreiche Literatur im Staats- und Verfassungsrecht verwiesen werden), kann als Ergebnis festgehalten werden, dass eine öffentlich-rechtlich vorausgesetzte ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung an dem Grundrecht des Art. 2 GG zu messen ist, da sie den Beschäftigten in der freien Verwendung seiner Arbeitskraft beschränkt. Gleiches gilt auch für den Arbeitgeber, da diese öffentlich-rechtlichen Vorschriften diesen hindern, seine Mitarbeiter entsprechend seinen unternehmerischen Interessen einzusetzen (vgl. auch BAG v. 15. 06. 2004 – 9 AZR 483/03). Für die Feststellung des Eingriffscharakters für den Beschäftigten ist es auch unmaßgeblich, dass sich die Tätigkeitsverbote aus dem öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzrecht (z. B. ArbMedVV, Berg- und Atomrecht) gar nicht unmittelbar an den Beschäftigten wenden. Vielmehr verbieten sie lediglich dem Arbeitgeber, eine Person mit der gefährdenden Tätigkeit zu beschäftigen, bei der gesundheitliche Bedenken gegen diese Tätigkeit bestehen. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte sog. „berufsregelnde Tendenz“ ist hier auf alle Fälle gegeben. Erfasst sind auch die Fälle, in denen die öffentlich-rechtlichen Regelungen aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen auf die Berufsfreiheit geeignet sind, diese mittelbar erheblich zu beeinträchtigen2. Insofern ist auch ein Rückgriff auf die in Art. 2 Abs. 1 GG normierte allgemeine Handlungsfreiheit nicht notwendig. Der staatliche Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 GG rechtfertigt sich vor allem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Recht auf körperliche Unversehrtheit), da die entsprechenden Tätigkeiten mit einer nicht unwesentlichen Gefährdung für Leben und Gesundheit der Beschäftigten verbunden sind. Hier wird schon deutlich, dass die Legitimationsanforderungen an derartige Arbeitsschutzregelungen recht hoch anzusetzen sind. Beschränkungen für den Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedürfen somit nicht nur einer klaren Regelung (wie sie z. B. bei Arbeiten in Druckluft nach § 4 Abs. 2 Satz 2 ArbMedVV i. V. m. Teil 3 Abs. 1 Nr. 5 Anhang ArbMedVV gegeben sind), es ist somit auch klargestellt, dass derartige Beschränkungen nur dann zulässig sind, wenn sie eine nicht nur unwesentliche Gefährdung des Beschäftigten beinhalten. Sofern der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber öffentlich-rechtliche Tätigkeitsverbote im Arbeitsschutzrecht nur auf besondere Risikogruppen beschränkt, so ist dies durchaus auch mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar, da besonders gefährdete Risikogruppen auch speziell gegen sie bedrohende Gefahren geschützt werden müssen (Art. 15 RL 89/391/EWG).
Weiterhin ist allerdings zu prüfen, ob derartige Beschränkungen auch den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Als Ausfluss von Art. 19 Abs. 4 GG ist somit weiterhin zu fordern, dass sowohl der Arbeitgeber als auch der Beschäftigte die inhaltliche Richtigkeit einer ärztlichen Bescheinigung überprüfen lassen können, wenn sie sich in ihren Rechten verletzt sehen.
Für den Bereich der ArbMedVV ist in § 8 Abs. 1 ArbMedVV ein entsprechendes Rechtsschutzinstrumentarium geschaffen worden. Halten die untersuchte Person oder der Arbeitgeber das Untersuchungsergebnis für unzutreffend, so entscheidet hier auf Antrag die zuständige Behörde (Arbeitsschutzbehörde, z. B. das Gewerbeaufsichtsamt in Bayern nach § 1 Abs. 1 ASiMPV).
Auch im Bergrecht ist aufgrund des in § 1 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG normierten Subsidiaritätsprinzips § 8 Abs. 2 ArbMedVV die anzuwendende spezielle Vorschrift.
Im Bereich des Atomrechts existieren eigenständige Vorschriften mit im Wesentlichen gleichlautenden Regelungen (§ 62 StrlSchV, § 39 RöV).
Die zuständigen Behörden sind bei ihrer Entscheidungsfindung nicht an die ärztlichen Feststellungen des die Bescheinigung ausstellenden Arztes gebunden3.
Wird die zuständige Behörde auf Antrag des Arbeitgebers oder des Beschäftigten tätig, so handelt es sich kostenrechtlich um Amtshandlungen im Sinne der Kostengesetze der Länder. Die Kosten hat in der Regel derjenige zu tragen, welcher die Amtshandlung veranlasst (vgl. Art. 2 Abs. Kostengesetz Bayern). Ob tatsächlich Kosten erhoben werden, ist von den jeweiligen Landesregelungen abhängig. So enthält beispielsweise die Allgemeine Verwaltungsgebührenordnung des Landes Nordrhein-Westfalen eine entsprechende Gebührennote für Entscheidungen über Anträge gemäß § 8 Abs. 2 ArbMedVV (Nr. 1.1.7.2 AVerwGebO NRW, Gebühr: 50–3000 Euro).
Aber auch die Arbeitsgerichte wären befugt, entsprechende Entscheidungen herbeizuführen. Der Beschäftigte könnte hier im Rahmen einer auf Beschäftigung gerichteten Klage Rechtsschutz suchen. Hierzu müsste der Beschäftigte dann geltend machen, zu Unrecht mit „gesundheitlichen Bedenken“ eingestuft worden zu sein. Die Arbeitsgerichte sind in diesen Fällen dann auch befugt, durch Einholung eines Gutachtens eines arbeitsmedizinisch fachkundigen Arztes die Streitfrage verbindlich einer Klärung zuzuführen und ggf. die erforderliche Unbedenklichkeitsbescheinigung „auszustellen“4.
Fußnoten
- Prüfschritte nach der Rechtsprechung des BAG (z. B. BAG 12.07.2007 – 2 AZR 716/06)
- Tettinger, in Sachs, GG, Art. 12 Rn. 72 m.w.N.
- Vgl. auch: OVG Hamburg v. 29.09.85 – BF III 194/82
- BAG v. 15.06.2004 – 9 AZR 483/03