Sachverhalt
Die beklagte Krankenkasse versorgt den bei ihr versicherten Kläger u.a. mit Inkontinenzmaterial. Er beantragte die Übernahme der Mehrkosten für die Entsorgung dieser Materialien und machte geltend, die Kosten fielen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch an – ähnlich wie Stromkosten für einen Elektrorollstuhl-Akku – und seien seiner Ansicht nach von der Hilfsmittelversorgung mit umfasst. Er benötige für die Entsorgung eine 120-Liter-Restmülltonne mit 14-tägiger Leerung anstelle der für seinen Haushalt sonst ausreichenden 40-Liter-Mülltonne (Kosten 8 Euro monatlich statt 3 Euro monatlich).
Die Beklagte lehnte eine Kostenübernahme ab, da die Versorgung mit Hilfsmitteln deren Entsorgung nicht mit umfasse; die Entsorgung unterliege der Eigenverantwortung des Versicherten. Sozialgericht und Landessozialgericht haben die Klage abgewiesen, da es keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf sämtliche mit der Hilfsmittelversorgung verbundenen Kosten gebe. Lediglich die Versorgung mit dem Hilfsmittel selbst, nicht aber auch dessen Entsorgung könne in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beansprucht werden. Versicherte hätten bezüglich der Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 Abs. 1 S. 4 SGB V zwar auch Anspruch auf die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und die zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und Kontrollen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift seien dagegen Kosten der „Entsorgung“ nicht vom Begriff der „Versorgung“ erfasst. Es gehe dort stets nur um den „bestimmungsmäßigen Gebrauch“. Dass mit dem Gebrauch der Inkontinenzmaterialien auch Entsorgungskosten verbunden seien, führe nicht zu einem Anspruch auf deren Erstattung. § 27 SGB V lege den Leistungskatalog der GKV abschließend fest; dort nicht erfasste Maßnahmen würden der Eigenverantwortung des Versicherten nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V zugerechnet. Eine Krankenkasse müsse nicht für alles aufkommen, was die Gesundheit fördere und mit der Behandlung im Zusammenhang stehe.
Mit seiner Revision rügte der Kläger die Verletzung des § 33 SGB V und eine Ungleichbehandlung. Der Leistungsanspruch umfasse auch Nebenleistungen der Hilfsmittelversorgung im Rahmen des bestimmungsmäßigen Gebrauchs, z.B. notwendiges Zubehör und hilfsmittelnahe Dienstleistungen. Der Gesetzgeber habe in diesem Sinne eine umfassende Versorgung des Leistungsberechtigten sicherstellen wollen. Hier beinhalte die Versorgung mit dem für einen einmaligen Einsatz zum Ausgleich der Behinderung vorgesehenen Hilfsmittel „Inkontinenzmaterial“ als unmittelbare „logische Folge“ der Versorgung auch die Entsorgung über den Hausmüll. Die Versorgung sei insoweit vergleichbar mit den auch von der Leistungspflicht umfassten Betriebs- und Energiekosten als Folgekosten des konkreten Hilfsmittels (z.B. Strom für den Elektrorollstuhl; Versorgung eines Blindenführhundes).
Keine Rechtsgrundlage
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts schloss sich der Meinung der Vorinstanzen an und bestätigte, dass es für die Übernahme von Entsorgungskosten keine Rechtsgrundlage gebe.
Aus dem SGB V ergebe sich nach Wortlaut, Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte sowie dessen Sinn und Zweck unter Berücksichtigung der dazu bereits ergangenen Rechtsprechung des Senats kein Anspruch des Klägers auf die Beteiligung der Beklagten an der Entsorgung des Inkontinenzmaterials.
Wortlaut und Gesetzessystematik
Schon nach dem Wortlaut von § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V umfasst der Anspruch Versicherter auf Krankenbehandlung nur die „Versorgung“ mit Hilfsmitteln, während im Gesetzestext von einer „Entsorgung“ von (benutzten bzw. nicht mehr funktionsfähigen) Hilfsmitteln nicht die Rede sei.
Nach der in § 33 Abs. 1 SGB V zum Ausdruck kommenden Gesetzessystematik könne ebenfalls nicht angenommen werden, dass der Anspruch Versicherter der GKV auf Versorgung mit Hilfsmitteln auch die Entsorgung nicht mehr gebrauchsfähiger Hilfsmittel umfasse. Zwar spreche § 33 Abs. 1 S. 4 SGB V auch einzelne Nebenleistungen der Versorgung mit dem von der Krankenkasse zur Verfügung zu stellenden Hilfsmittel an und unterstelle diese gleichermaßen der Leistungspflicht. Darin würden jedoch nur „auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen hervorgehoben. Diese Regelung sei auch nicht etwa so gefasst, dass angenommen werden könnte, hiermit werde – etwa nach der Art bloßer „Regelbeispiele“ – kein abschließender Leistungskatalog umschrieben. Im Übrigen gewähre auch das Rehabilitations- bzw. Teilhaberecht nicht die vom Kläger begehrten Ansprüche; in den einschlägigen Regelungen sei vielmehr nur noch von der notwendigen „Instandhaltung“ die Rede.
Entstehungsgeschichte
Das gleiche Ergebnis folge aus der Entstehungsgeschichte der Regelungen des SGB V über die Hilfsmittelversorgung. So heißt es schon in der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen, dass mit Einführung des SGB V in Abkehr zu der den Leistungskatalog der GKV allgemein betreffenden Vorgängerregelung das Wort „insbesondere“ bewusst wegfallen und der Leistungsinhalt „jetzt abschließend beschrieben“ werden sollte. Nicht erfasste Maßnahmen würden dadurch generell entsprechend § 1 S. 2, § 2 Abs. 1 SGB V der Eigenverantwortung des Versicherten zugerechnet. Diese Auslegung stehe in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach es keinen übergesetzlichen Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung bzw. auf alles gibt, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Die Auslegung stehe darüber hinaus auch in Einklang mit § 31 SGB I, wonach Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des SGB nur begründet werden dürfen, soweit ein Gesetz es (positiv) vorschreibt oder zulässt. An einer solchen, die Leistungspflicht der Krankenkassen für die Entsorgung von Hilfsmitteln allgemein bzw. Inkontinenzmaterial im Besonderen ermöglichenden Regelung fehle es hier.
Aus dem Umstand, dass der Wortlaut des neuen § 33 Abs. 1 S. 5 SGB V mit Wirkung zum 11.04.2017 durch das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) dahin gefasst wurde, dass der Anspruch auf ein Hilfsmittel „auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung …“ umfasst, folge nichts anderes. Zwar wurde der Wortlaut der Regelung damit nunmehr „offener“ als zuvor im Sinne beispielhafter Leistungen formuliert. Den Gesetzesmaterialien dazu könne jedoch nicht entnommen werden, dass dadurch eine Erweiterung des Leistungskatalogs, bezogen auch auf die Entsorgung von Hilfsmitteln erfolgen sollte. Vielmehr ging es insoweit nur um „zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende notwendige Leistungen“ mit dem Ziel, eine redaktionelle Angleichung an die Regelungen der Qualitätssicherung bei Hilfsmitteln in § 139 Abs. 2 S. 3 SGB V herbeizuführen.
Anderweitige Rechtsprechung
Auch aus einer teleologischen Auslegung von § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und § 33 Abs. 1 SGB V ließe sich das vom Kläger befürwortete Ergebnis nicht herleiten. Insbesondere trügen die von ihm gezogenen Parallelen zu bereits ergangener Rechtsprechung des 3. Senats des BSG zur Leistungspflicht der Krankenkassen für „hilfsmittelbezogene Nebenleistungen im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs“ in Bezug auf die Entsorgung von Inkontinenzmaterialien nicht. Allein ein typischer Zusammenhang zwischen einer bestimmten Krankheit und dem Auftreten eines Bedarfs bei deren Krankenbehandlung bzw. beim Behinderungsausgleich durch ein Hilfsmittel begründe noch keinen Anspruch auf Kostenübernahme für sämtliche Nebenleistungen durch die Krankenkasse. Ein derartiges allgemeines Prinzip liege den gesetzlichen Regelungen nicht zugrunde.
Letzteres werde schon an verschiedenen Einzelregelungen aus dem Hilfsmittelbereich deutlich: So sind nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens von der Leistungspflicht ebenso ausgenommen wie nach § 34 Abs. 4 SGB V i.V.m. einer Rechtsverordnung ausgeschlossene Hilfsmittel von nur geringem bzw. umstrittenem therapeutischen Nutzen oder von geringem Abgabepreis. Dass in § 33 Abs. 1 S. 4 SGB V (Änderung, Instandsetzung, Ersatzbeschaffung, Ausbildung im Gebrauch, Wartung) einzelne Bedarfssituationen und Nebenleistungen in Bezug auf das Hilfsmittel ausdrücklich als von der Leistungspflicht umfasst hervorgehoben werden, andere hingegen nicht, spreche ebenfalls gegen die Existenz des von der Klägerseite präferierten vermeintlich geltenden Prinzips. In die gleiche Richtung gehe es schließlich, wenn durch § 33 Abs. 2 S. 4 und Abs. 3 S. 4 SGB V wiederum einzelne Leistungen (Brillengestelle, Kontaktlinsenpflegemittel) von der Leistungspflicht explizit ausgeschlossen sind, obwohl sie sogar für eine ordnungsgemäße Verwendung des Hilfsmittels benötigt werden.
Entsorgung keine Gebrauchsvoraussetzung
Aus der Rechtsprechung des 3. Senats könne nicht etwa hergeleitet werden, dass die Versorgung mit dem für einen einmaligen Einsatz zum Ausgleich der Behinderung vorgesehenen Hilfsmittel „Inkontinenzmaterial“ als unmittelbare „logische Folge“ auch die Entsorgung über den Hausmüll gebiete. Zwar hat das BSG in seiner Rechtsprechung nicht nur das Hilfsmittel als solches sowie Teile und Zubehörteile, die zu dem Gebrauch des Hilfsmittels erforderlich sind, als vom Leistungsumfang des § 33 Abs. 1 SGB V umfasst angesehen. Der Anspruch erstrecke sich grundsätzlich auf all dasjenige, was erforderlich ist, um dem Versicherten den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Hilfsmittels zu ermöglichen, z.B. auf die Erstausstattung eines Hörgeräts mit Batterien, auf die Unterhaltskosten für einen Blindenführhund, die Kosten der gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung für einen Elektrorollstuhl sowie Energiekosten für das Wiederaufladen des Akkus eines Elektrorollstuhls.
Mit diesen Fällen sei die Entsorgung des verwendeten Inkontinenzmaterials indessen schon vom Sachverhalt her ersichtlich nicht vergleichbar, so dass sich der Kläger auch nicht zu Recht auf eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber dem von der höchstrichterlichen Rechtsprechung begünstigten Personenkreis berufen kann. Denn in seinem Fall gehe es nicht darum, dass die Funktionsfähigkeit und der bestimmungsgemäße Gebrauch des Hilfsmittels überhaupt erst (ähnlich wie durch den Einsatz von elektrischer Energie oder die Einhaltung behördlicher oder versicherungsrechtlicher Erfordernisse) hergestellt werden müsste. Inkontinenzmaterial als solches ist vielmehr sogleich ohne Weiteres nach der Entnahme aus der Verpackung für den zu erfüllenden Zweck einsatzfähig. Dem Kläger gehe es stattdessen darum, von ihm geltend gemachte, erst nach dem bestimmungsgemäßen Gebrauch eintretende Folgemehrkosten der Versorgung von der beklagten Krankenkasse zu bekommen bzw. davon freigestellt zu werden. Er befindet sich damit der Sache nach in der gleichen Situation wie jeder andere Versicherte, der ein ihm von der Krankenkasse gewährtes, aber z.B. durch Abnutzung oder Verschleiß funktionsunfähig gewordenes Hilfsmittel entsorgen muss.
Entsorgungskosten grundsätzlich zumutbar
Das Gesetz sehe aber nach seinem begrenzten Wortlaut nicht für alle mit der Versorgung verbundenen Folgekosten einen Anspruch des Versicherten vor. Die vorliegende Sachlage sei insoweit vielmehr ähnlich derjenigen, dass eine krankheits- oder behinderungsbedingt eingetretene Bedarfslage in zumutbarer Weise so zu bewältigen ist, wie in ähnlichen Situationen im täglichen Leben von nicht gesundheitlich beeinträchtigten Menschen. Dies sei letztlich auch der Grund, weswegen in ähnlicher Weise die Leistungspflicht der GKV explizit für Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens ausgeschlossen ist. Auch in krankheits- bzw. behinderungsunabhängigen Lebenslagen kann indessen bei vielen Menschen – abhängig von den jeweiligen individuellen Lebensverhältnissen – die Situation eintreten, dass inkontinenzbedingte erhöhte Reinigungskosten oder zusätzliche Entsorgungskosten anfallen (etwa bei Kleinkindern). Diese Kosten, die der Kläger mit zusätzlich fünf Euro im Monat errechnet hat, erscheinen nicht derart außergewöhnlich hoch, als dass es trotz des weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers aus Gründen des einfachen Rechts oder des Verfassungsrechts geboten wäre, insoweit zwingend eine zusätzliche Leistungspflicht von Sozialleistungsträgern im Bereich der GKV vorzusehen.
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Weitere Infos
Sozialgesetzbuch (SGB V), Fünftes Buch: Gesetzliche Krankenversicherung, § 33 SGB V Hilfsmittel