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Urteil des Hessischen LSG vom 24.07.2014 – L 8 KR 352/11 – iVm Urteilen des BSG vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R – und 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –

Anspruch auf Ausstattung mit einem höherwertigen Hörgerät in der KV

Sachleistung zum Festbetrag

Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenbehandlung umfasst u. a. die Versorgung mit Hilfsmitteln, § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 iVm § 33 SGBV. Dieser Anspruch ist von der Krankenkasse in Form einer Sachleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGBV) zu erbringen, wo-bei jedoch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 2 SGBV grundsätzlich bestimmt, dass die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag erfüllt, sofern für die entsprechende Leistung ein socher festgesetzt ist. Dies ist bei Hörgeräten der Fall. Nach §§ 126, 127 SGBV haben die Krankenkassen Verträge mit der Bundesinnung der Hör-geräteakustiker abgeschlossen, die die Abgabe von Hörhilfen auf der Grundlage einer ärztlichen Verordnung oder einer Bewilli-gung der Ersatzkassen nach Festbeträgen regelt.

Gestützt auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat das Hessische Landes-sozialgericht überzeugend begründet, dass die Krankenkasse bei entsprechendem Be-darf auch zu einer weitergehenden Versor-gung mit höherwertigen Hörgeräten verpflichtet ist. Rechtsgrundlage ist § 33 Abs. 1 Satz 1 SGBV. Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Kranken-behandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGBV aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Unter Beachtung der Ausschlüsse besteht demgemäß nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGBV ein Anspruch auf Hörhilfen, soweit sie im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen (§ 12 Abs. 1 SGBV) für den von der Krankenkasse geschuldeten Behinderungsausgleich erforderlich sind.

Vollständiger Behinderungs-ausgleich

Beim Behinderungsausgleich steht im Vor-dergrund, die ausgefallenen oder beeinträch-tigten Körperfunktionen selbst auszugleichen (sog. unmittelbarerer Behinderungsausgleich). Anders als beim mittelbaren Be-hinderungsausgleich, der nicht die Funktion selbst, sondern nur die direkten und indirek-ten Folgen der Behinderung mindert, wird beim unmittelbaren Behinderungsausgleich die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion geleitet. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunk-tion – hier das Hören – selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Die Versorgung mit Hörgeräten dient diesem unmittelbaren Be-hinderungsausgleich, dem das Gebot eines möglichst weitreichenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts gilt.

Der unmittelbare Behinderungsausgleich dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbe-dürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne darstellt. Daher kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiter entwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist. Das Maß der notwendigen Versorgung würde verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten Hörgeräte ungeachtet hörgerätetechnischer Verbesserungen nur „zur Verständigung beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache“ zur Verfügung stellen müssten. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGBV geschuldeten, möglichst vollständigen Behinderungsausgleichs ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGBV) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Dies schließt je nach Notwendigkeit auch die Versorgung mit digitalen Hörgeräten ein.

Wirtschaftlichkeitsgebot

Grundsätzlich begrenzt ist der so umrissene Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGBV. Die Leistungen müssen danach „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein“ und dürfen „das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und auch die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs. 1 Satz 1 SGBV nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind demnach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünsti-gere Versorgung für den angestrebten Nach-teilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGBV).

Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der GKV ist eine kostenaufwändige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Das gilt bei Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten nach ärztlicher Einschätzung in seinem Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Schließlich kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen und wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnis-mäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht.

Soweit die Krankenkasse aus Gründen der Wirtschaftlichkeit die Sachleistung „Ver-sorgung mit Hörhilfen“ auf der Grundlage einer Festbetragsregelung (§ 36 SGBV) erbringt, erfüllt sie zwar im Regelfall ihre Leistungspflicht. Die Betragsbegrenzung und evtl. freiwillige Zuzahlung ist grundsätzlich verfassungsgemäß, genügt jedoch nur, wenn ohne Zuzahlung eine sachgerechte Versorgung des Versicherten zu den festgesetzten Festbeträgen möglich ist. Der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenzt die Leistungspflicht der Krankenkasse nämlich dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht.

Berufsbedingter Bedarf höherwertiger Hörhilfen

Letzteres kann auch dann gelten, falls die (Mehr-)Versorgung ausschließlich zur Ausübung eines bestimmten Berufes erforderlich war bzw. der behinderte Mensch seine bisherige Tätigkeit ohne die begehrte Versorgung nicht weiter hätte ausüben können. Die insoweit berufliche Rehabilitation fällt zwar in die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers, möglicherweise auch in die eines Unfallversicherungsträgers. Wird eine Hörhilfe indes bei der Krankenkasse beantragt, wird diese für die gesamte Leistung kostenpflichtig, sofern die Weiterleitung an den anderen Versicherungsträger nicht innerhalb von 14 Tagen erfolgt. Denn ein Antrag eines Versicherten auf eine Hörgeräteversorgung stellt einen Antrag auf Teilhabeleistungen im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX dar, weil es nach der Auslegungsregel des § 2 Abs. 2 SGB I um eine umfassende, nach Maßgabe des Leistungsrechts des Sozialgesetzbuchs bestmögli-che Versorgung mit einem neuen Hörgerät geht. Das schließt auch eine Aufspaltung des Leistungsbegehrens des Versicherten in zwei separate Leistungsanträge, nämlich in einem Antrag auf Bewilligung eines Festbetrages (Normalversorgung, § 12 Abs. 2 SGBV) und einen weiteren Antrag auf Bewilligung einer über den Festbetrag hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren und teureren Versorgung von vornherein aus. Bereits jede Versorgungsanzeige eines Hörgeräteakustikers an die Krankenkasse ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als ein solcher Leistungsantrag des Versicherten auszulegen. 

    Autor

    Reinhard Holtstraeter

    Rechtsanwalt

    Lorichsstraße 17

    22307 Hamburg

    mail@ra-holtstraeter.de

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