Abgrenzungskriterien
Gemäß §7 SGB IV ist sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Als Anhaltspunkte dafür nennt das Gesetz die Tätigkeit nach Weisungen und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers. Letztere soll bereits dann vorliegen, wenn Arbeitszeit, -ort und Rahmenbedingungen der Ausführung vorgegeben sind. Demgegenüber sprechen für Selbständigkeit das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, der Einsatz eigener Mitarbeiter oder erheblicher Finanzmittel sowie die freie Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft durch im Wesentlichen eigenständige Gestaltung von Tätigkeit und Zeit sowie der Möglichkeit zur Ablehnung von Aufträgen.
Das Gesamtbild der so ermittelten Vertrags- und Arbeitsbeziehung entscheidet über den sozialversicherungsrechtlichen Status. Dabei betont die Rechtsprechung, dass weniger der vertraglich niedergelegte Wille der Partner als vielmehr die gelebte Rechtsbeziehung mit ihren tatsächlichen Verhältnissen maßgeblich sei. Der vertraglich geäußerte Willen habe nur dann indizielle Wirkung, wenn er den tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich widerspreche.
Honorartätigkeiten im Krankenhaus
Für Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten usw., die als Honorarkräfte in Krankenhäusern oder Arztpraxen mitarbeiten, können die statusrechtlichen Grundannahmen derzeit als geklärt gelten. Nach der insoweit gefestigten Rechtsprechung werden die dortigen Kooperationsformen regelmäßig als abhängige Beschäftigung zu werten sein1. Das begründet sich vor allem aus der schwer vermeidbaren Eingliederung in die logistischen und organisatorischen Abläufe des Auftraggebers, dem Vorhandensein von Einsatz- und Dienstplänen sowie der Zusammenarbeit und dem Abstimmungsbedarf mit dort angestellten Vorgesetzten.
Uneinheitliche Rechtsprechung zu Not- und Rettungsärzten
Weniger übersichtlich ist die Frage der sozialversicherungsrechtlichen Einstufung für Ärzte im Not- und Rettungsdienst. Die bislang bekannt gewordenen fünf obergerichtlichen Entscheidungen sind trotz wesentlich vergleichbarer Sachverhalte divergent.
Der 10. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen2 stellte zunächst fest, dass die Tätigkeit von Notärzten grundsätzlich sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch selbständig verrichtet werden könne. Sie sei losgelöst von etwaiger hauptberuflich angestellter Tätigkeit im Krankenhaus zu beurteilen und während der Einsätze nur den Regeln ärztlicher Kunst unterworfen. Der Notarzt sei frei in der Annahme von Aufträgen und auch im Übrigen nicht weisungsgebunden. Mithin sei in der Gesamtabwägung von Selbständigkeit auszugehen.
Der 2. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen3 fokussiert demgegenüber in zwei Entscheidungen ausschließlich auf die Bedingungen des einzelnen Rettungseinsatzes und sieht die so beurteilte Tätigkeit als Notarzt ohne größere Entscheidungs- oder Gestaltungsspielräume als diejenige von Ärzten, die in einer Klinik abhängig beschäftigt sind. Als wesentlich für seine Beurteilung als abhängige Beschäftigung hebt er auf das Fehlen von unternehmerischen Chancen und Risiken sowie die Gestellung der Betriebsmittel durch den Auftraggeber ab.
Ebenso stuft das LSG Mecklenburg-Vorpommern4 die Übernahme von Notarztaufgaben als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein. Es sieht gleichermaßen die vertragliche Rahmenvereinbarung nicht als ausschlaggebend für die rechtliche Einordnung der Tätigkeit an. Es sei ausschließlich auf die Verhältnisse nach Auftragsannahme, also bei Durchführung des einzelnen Auftrags abzustellen. Danach ergäbe sich, dass die Arbeit des Rettungsarztes wesentlich fremdbestimmt sei. Dem stehe seine Einschränkung der Weisungsgebundenheit nicht entgegen. Denn bei Diensten höherer Art sei dem Arbeitgeber wegen der überragenden Sach- und Fachkunde des Dienstleistenden regelmäßig die Einflussnahme auf die Art der Ausführung rechtlich versagt oder aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Unternehmerische Risiken seien überhaupt nicht erkennbar. Maßgebliche eigene Betriebsmittel würden nicht eingesetzt und das Pauschalhonorar sei – wie bei allen abhängig Beschäftigten – typischerweise allein vom zeitlichen Einsatz abhängig, nicht hingegen etwa von der Güte bzw. dem Erfolg der verrichteten Dienste.
Genau umgekehrt argumentiert und entscheidet das LSG Berlin-Brandenburg5. Es stellt zunächst auf den Gestaltungswillen der Vertragspartner ab und hebt zu Recht hervor, dass Tätigkeiten weisungsfrei bleiben, wenn zwar ihre Ziele vorgegeben werden, die Art und Weise der Ausführung aber dem Dienstleister überlassen bleibt. Obgleich der Arzt nach dem Rahmenvertrag einem Alarm der Leitstelle Folge zu leisten hatte und dem ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes unterstand, wurde seine Selbständigkeit bejaht. Denn Art und Umfang seiner Tätigkeit im Einsatzfall bestimme er allein. Der Zwang, sich inhaltlich an Rahmenvorgaben auszurichten, führe nicht zur Annahme von Weisungsgebundenheit. Das Weisungsrecht des Ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes sei ein rein ordnungsrechtliches und diene der Einsatzorganisation bei Katastrophenfällen. Eine Rechtsgrundlage für direkte Durchgriffsweisungen fehle. Kein Argument gegen die Selbstständigkeit eines Notarztes sei, dass er wegen des festen Stundensatzes kein Unternehmerrisiko trage.
Hausärztlicher Notdienst
Die zeitlich letzte Entscheidung in diesem Kontext unterstützt ebenfalls die freiberufliche Stellung des Honorararztes. Ein Berufssoldat im Range eines Oberstarztes hatte in genehmigter Nebentätigkeit auf Basis eines „Freien-Mitarbeiter-Vertrages“ die kassenärztliche Versorgung im Rahmen des hausärztlichen Notdienstes für eine ärztliche Gemeinschaftspraxis in der Zeit von 20.00 bis 7.00 Uhr übernommen.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sah das LSG Rheinland-Pfalz6 keine Einbindung des Klägers in die Arbeitsorganisation der Praxis. Zu Recht verweist es darauf, dass die bloße vertragliche Verpflichtung, eine bestimmte Leistung während eines bestimmten Zeitraums zu erbringen, nicht Kennzeichen einer abhängigen Beschäftigung ist. Auch typische selbständige Tätigkeiten können aufgrund vertraglicher Vorgaben fristgebunden sein. Insbesondere wenn diese anderweitig zwingend vorgegeben sind, wie hier durch die kassenärztliche Verpflichtung zu nächtlichem Not- bzw. Bereitschaftsdienst, wird damit keine Eingliederung in die Betriebsabläufe des Auftraggebers bewirkt. Auch Kontaktierung des Arztes über die Telefonnummer der Praxis während der Bereitschaftszeiten und die – allgemein notwendige – Weiterleitung der Notfalldaten zur Weiterbehandlung spreche nicht für seine Einbindung im die Praxisorganisation.
Trotz geringen Betriebsmitteleinsatzes sah der Senat durchaus ein unternehmerisches Betriebsrisiko. Es sei gerade typisch für geistige Tätigkeiten, dass die Vorhaltung von Betriebsmitteln in größerem Umfang nicht erforderlich ist. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bestehe ein Unternehmerrisiko in Form eines persönlichen Haftungsrisikos für Behandlungsfehler. Dass der Honorararzt dieses Risiko durch den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verringert habe, spiele für die Betrachtung keine Rolle, da hierdurch die grundsätzliche Verpflichtung zur Haftung nicht entfällt und er zudem die Haftungsübernahme aufgrund eigener wirtschaftlicher Entscheidung durch Prämienzahlung erkauft.
Einheitliche Leitlinie überfällig
Nach Summe der oberinstanzlichen Entscheidungen steht es also unentschieden. Für Betroffene, Rechtsanwender und Rechtberatung ist die damit verbundene Ungewissheit und Zufälligkeit der Ergebnisse nicht nur wirtschaftlich unerträglich. Neben umsatzsteuerlichen Fragen besteht für den Auftraggeber das Risiko, bei Fehleinschätzung ohne wesentliche Regressmöglichkeiten bis zu vier Jahren rückwirkend zur Nachvergütung der vollständigen Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommen zu werden.
Die fehlende Rechtssicherheit kann nicht ausreichend mit dem Grundsatz der Einzelfallentscheidung gerechtfertigt werden. Auswahl und Gewichtung der Argumente bei vergleichbaren Sachverhalten fallen dafür in den zitierten Entscheidungen zu weit auseinander. Es bleibt zu hoffen, dass die vom LSG zugelassene Revision vom Bundessozialgericht genutzt wird, eine einheitliche Linie in die Subsumtion der Instanzgerichte zu bringen. Bis dahin muss vor allem dem Auftraggeber des Honorararztes vor Vertragsschluss dringend die Statusklärung nach §7a SGB IV und ggf. anschließende Nachjustierung der Vereinbarung angeraten werden.
Fußnoten
1Ärzte: LSG BW vom 17.04.13 – L 5 R 3755/11; LSG BW vom 12.12.14 – L 4 R 1333/13; LSG BW vom 20.08.15 – L 4 R 1001/15; LSG N-B vom 16.12.15 – L 2 R 516/14; Krankenpfleger: SG Dortmund vom 29.10.13 – S 25 R 2232/12; Operationspfleger: LSG Bayern vom 28.05.2013 – L 5 R 863/12; Intensivpfleger: LSG NW vom 26.11.14 – 8 R 573/12; Physiotherapeuten: LSG N-B vom 24.09.14 – L 1 KR 351/12
2 Urteil vom 29.08.13 – L 10 R 519/09 –
3 Urteile vom 18.12.13 – L 2 R 64/10 – und 04.06.14 – L 2/12 R 81/12 –
4 Urteil vom 28.04.15 – L 7 R 60/12 –
5 Urteil vom 20.03.15 – L 1 KR 105/13 –
6 Urteil vom 20.04.2016 – L 4 R 318/14 –