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Urteil des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 05.06.2013 – 7 U 11/12 – 1

Mitverschulden des Radfahrers ohne Helm?

Die Verletzte war am Unfalltag mit ihrem Fahrrad unterwegs und trug keinen Fahrradhelm. Die Fahrerin eines am rechten Fahrbahnrand geparkten Pkw öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Radfahrerin die Fahrertür. Die Radfahrerin konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen, fuhr gegen die Fahrertür, stürzte zu Boden, fiel auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zu (zweifacher Schädeldachbruch am Stirnbein und hohen Scheitelbein linksseitig, Blutungen sowie Hirnquetschungen rechtsseitig).

Ohne Beweisaufnahme hatte das Landgericht der Klage vollumfänglich stattgegeben mit der Begründung, die Klägerin treffe kein Mitverschulden, da es eine allgemeine Helmpflicht nicht gäbe und sie ihr Fahrrad im Gegensatz zu Rennradfahrern als gewöhnliches Fortbewegungsmittel genutzt habe.

Das OLG erhob Beweis zu der Frage, ob die von der Radfahrerin beim Unfall erlittenen Kopfverletzungen auch dann ebenso schwer gewesen wären, wenn sie einen Helm getragen hätte. Der neurologische Sach-verständige führte aus, dass die Verletzungs-folgen mit Blutungen innerhalb und außer-halb des Schädels, sowie die Hirnverletzung des Scheitellappens und beider Schläfenlappen und insbesondere die Schädelbrüche auf eine massive Gewalteinwirkung auf den Kopf hindeuteten mit dem Ergebnis eines mittelschweren bis schweren Schädel-Hirn-Traumas. Das Verletzungsmuster spreche dabei für eine überwiegend lineare Akzele-ration und Krafteinwirkung in Längsrichtung des Kopfes. Gerade bei linearen Krafteinwirkungen mit entsprechenden Hirnquetschungen an den Grenzen des Schädels und bei Schädelbrüchen böten Fahrradhelme (im Gegensatz zu Verletzungen durch Rotationsbeschleunigungen des Kopfes oder durch penetrierende Gewalteinwirkung) den größten Schutz. Die Helme hätten die Funk-tion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbierten. Die Kraft des Aufpralls würde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert.

Damit wäre die Wahrscheinlichkeit eines Schädelbruchs verringert und die Bewegung des Gehirns gebremst, das auf der gegenüberliegenden Seite eine weniger starke Quetschung erführe (sog. Contre-coup-Ver-letzung). Da Fahrradhelme naturgemäß ihre größte Schutzwirkung bei leichten bis mittel-gradigen Traumen entfalten würden und bei dem Fahrradsturz der Klägerin nach Art und Schwere eine starke Krafteinwirkung auf den Kopf stattgefunden habe, hätte ein Helm das Trauma zwar nicht verhindern, zumindest aber in einem gewissen Umfang verringern können.

Nach Auffassung des Senates war folglich das Nichttragen eines Schutzhelmes im öffentlichen Straßenverkehr kausal für das Ausmaß der Kopfverletzungen und von der Radfahrerin zu vertreten, weil sie Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe (sog. Verschulden gegen sich selbst). Sie habe die im eigenen Interesse gebotene Umsicht nicht gewahrt und dem Risiko, beim Radfahren eine Kopfverletzung zu erleiden, nicht nach – zumutbarer – Möglichkeit vorgebeugt. Der Helm hätte diesen Schutz nach der einmütigen Einschätzung der Sicherheitsexperten bewirken können. Daher könne nach heutigem Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, soweit er sich in den öffentlichen Straßenverkehr mit dem besonderen Verletzungsrisiko durch die dominierenden motorisierten Fahrzeuge begebe.

Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, es würde an einer gesetzlichen Helmtrageverpflichtung fehlen, da das Tragen eines Helmes bisher nach § 21a Abs. 2 StVO nur für Fahrer von Krafträdern mit einer bauartbedingten Höchstgeschwin-digkeit von über 20 km/h vorgeschrieben ist. Denn vom Bundesgerichtshof würde in ständiger Rechtsprechung ein Mitverschulden des Geschädigten auch ohne das Bestehen gesetzlicher Vorschriften angenommen, wenn der Geschädigte „diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eige-nen Schadens anzuwenden pflegt“. Es werde erwartet, dass er sich insoweit „verkehrsrichtig“ verhalte, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenver-kehrsordnung bestimme, sondern nach dem, was wegen der konkreten Gefahren im Verkehr zumutbar sei, um die Gefahr möglichst gering zu halten.

Der Senat hat vorliegend das Mitverschulden auf 20 % begrenzt, weil ein Helm nach den Feststellungen des Sachverständigen die Kopfverletzung der Klägerin zwar in einem gewissen Umfang hätte verringern, aber nicht verhindern können. Ein deutlich höherer Mitverschuldensanteil wäre also in anderen Fallkonstellationen denkbar.

In der zugelassenen Revision hat der Bundesgerichtshof nun Gelegenheit die Ein-heitlichkeit der Rechtsprechung wieder her-zustellen. Einiges spricht dafür, dass er zumindest dem Grunde nach die Auffassung des Schleswig-Holsteinischen OLG bestätigen wird. Lange vor Einführung der Helm-pflicht für Motorradfahrer im Jahr 1976 hatte der Bundesgerichtshof bereits mit Urteil aus dem Jahre 1965 ein Mitverschulden eines Motorradfahrer bejaht, weil dessen Kopfverletzungen wesentlich durch den fehlenden Schutzhelm begründet waren. Ähnlich hat sich der Gedanke des „Verschulden gegen sich selbst“ bei sportlichen Betätigungen mit hoher Kopfverletzungsgefahr in der Rechtsprechung durchgesetzt, obgleich z. B. beim Reiten und Skifahren in Deutschland gleichermaßen keine gesetzliche Helmtrage-pflicht normiert ist. 

    Autor

    Reinhard Holtstraeter

    Rechtsanwalt

    Lorichsstraße 17

    22307 Hamburg

    mail@ra-holtstraeter.de

    https://www.ra-holtstraeter.de/

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