Interne Besprechung im Verwaltungsbau des überbetrieblichen Dienstes
Geschäftsführer zum Leiter der kaufmännischen Abteilung: „Gratuliere, Herr Lämmer, das sind 25 % Umsatzrendite im letzten Geschäftsjahr und das nach Steuern. Jetzt haben wir ein Luxusproblem.“
„Allerdings, aber auch ein Kapazitätsproblem. Das Auftragsvolumen steigt und steigt. Unsere Ärzte schaffen das nicht mehr. Und wir bekommen auch keine neuen Ärzte. Der Markt ist leer gefegt. Im Gegenteil, wir haben vermehrt Kündigungen. Viele kommen mit dem wirtschaftlichen Druck nicht klar. Sie wollen Mediziner und keine Kaufleute sein. Es wurde zwar nicht schlecht verdient, doch insbesondere die älteren Ärzte steigen aus, weil ihnen die viele Fahrerei und die zum Teil feindselige Haltung in den Kleinstbetrieben auf den Senkel gehen.“
„Die sollen sich was überlegen, was die Kunden bei Laune hält.“
„Was denn? Unser ganzes Brimborium mit Seminaren und dem Online-Kram interessiert die doch gar nicht. Die Beschwerden häufen sich, dass keine Betreuung vor Ort stattfindet, obwohl die froh sind, wenn kein Arzt auftaucht.“
„Die wollen nur den Preis drücken.“
In der Verwaltung des überbetrieblichen Dienstes geht ein Schreiben von der Dachdeckerinnung ein: ...kündigen wir hiermit den Rahmenvertrag fristgerecht und danken für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Umgehend bestellt der Geschäftsführer den Gebietsrepräsentanten zu sich. „Was ist denn da für ein Mist passiert?“
„Ich habe mit dem Innungsmeister gesprochen. Sie haben einen niedergelassenen Arzt gefunden, der die Betreuung für € 30 pro Stunde macht. Da konnte ich nicht mehr dagegen halten.“
„So, Ihre fette Abschlussprovision haben Sie aber kassiert. Ich werde mir Gedanken machen, wie wir unser Anreiz- und Belohnungssystem nach Werthaltigkeit und Laufzeit der Verträge staffeln.“
Zentrale des Bundesverbandes der gesetzlichen Unfallversicherung (BUV)
Inzwischen hatte Herr Prof. Dr. Breudorf, der Hauptgeschäftsführer des BUV, Kenntnis von den Preisdrückereien und den Kapazitätsengpässen im Arbeits- und Gesundheitsschutz erlangt. Er rief einen engen Kreis von Mitarbeitern zusammen, dem auch der Geschäftsführer des überbetrieblichen Dienstes der BUV, Herr Prof. Dr. Siegewitz, angehörte.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren“, so Breudorf, „ich mache mir große Sorgen, dass unser Tätigkeitsbereich wegen unsauberer Methoden bei der Dienstleistungserbringung in Verruf gerät.“
„Aber was sollen wir denn machen?“, lamentierte Siegewitz. „Die Aufträge sind da, aber es fehlen die Ärzte. Sollen wir das Geld auf der Straße liegen lassen? Die Mitglieder in unserer Vertreterversammlung haben uns zu diesem Kurs ermutigt. Die von der Gewerkschaft haben als einzige Bedingung gefordert, dass wir die Zusatzeinnahmen dazu verwenden, um ein paar Stabsstellen in der Verwaltung aufzubauen. Beispielsweise gibt es jetzt bei uns ein Team, welches unsere Internationalisierung im europäischen Ausland vorantreibt. Außerdem wollten sie eine kräftige Tariferhöhung für die Arzthelferinnen haben. Auch das ist gelaufen.“
Breudorf zeigte sich im Verlauf des Meetings zunehmend beruhigter. Wichtig für ihn war, dass in den Lenkungsgremien, den paritätisch besetzten Vertreterversammlungen, keine Missstimmungen auftraten. Auch die Arbeitgeberseite war mit der Entwicklung nicht unzufrieden. Trotz Ärztemangel Tiefstpreise. Das musste man erst mal hinbekommen. Deswegen: Weiter so, hieß die Devise.
Arbeitsmedizinisches Zentrum
In etwa zur gleichen Zeit schaute Frau Heinrich, die Arzthelferin im arbeitsmedizinischen Zentrum, in ihre Gehaltsabrechung und stellte fest, dass die letzte Lohnerhöhung bei ihr gerade mal € 25 Plus pro Monat ausmachte. Obwohl ihre Überstunden immer mehr geworden waren, fiel die letzte Jahresgratifikation mager aus. Ihr Zentrum hätte einen geringeren Gewinn ausgewiesen, hieß es. Hinter vorgehaltener Hand wurde kolportiert, dass die Kosten für das neue IT-System (was keiner haben wollte und mit dem keiner zurechtkam) ausgeufert seien.
Die Helferin packte ihre Schubkarre mit Sehtestgerät und Audiometer, wuchtete die Apparate über die Ladekante des Zentrumsautos, einen Polo, und machte sich auf den Weg zu einem Kleinbetrieb in 60 km Entfernung. Eigentlich hätte der Betriebsarzt mitkommen sollen, doch der hatte – wie so oft – anderweitig zu tun. Man hatte ihr aufgetragen, das neue Imagemagazin des überbetrieblichen Dienstes in dem Betrieb auszulegen. Dort konnte man in fetten Lettern auf der ersten Seite lesen: Wir sind jetzt Marktführer in der Region, ein starker Partner für erfolgreiche Unternehmen.
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