Kaum jemand war für die wissenschaftliche und praktische Arbeitsmedizin so lange und mit solcher Energie tätig wie Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerd Jansen, geb. 1928, der am 1. September des Jahres im Alter von 91 Jahren nach kurzer Krankheit verstorben ist. Er ist vielen persönlich bekannt, bis vor kurzem auch als aktiver Besucher der DGAUM-Jahrestagungen: Bis kurz vor seinem 90. Lebensjahr war er mit einem vollen Arbeitsprogramm betriebsärztlich tätig, aus Freude an dieser Arbeit und mit großem Interesse an allem Neuen in der Arbeitsmedizin.
Direkt nach dem Studium der Medizin und Psychologie, die er beide mit einer Promotion abschloss, begann er 1956 seine berufliche Laufbahn am Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie in Dortmund. Für heutige Zeiten besonders bemerkenswert leistete er während einer Freistellung nicht nur ein Pflichtassistentenjahr und Landarztvierteljahr ab, sondern leitete sogar Geburten in einem gynäkologischen Krankenhaus.
Sein wissenschaftliches Interesse verortete sich – entsprechend seiner beiden Studienfächer – im innovativen Grenzbereich zwischen Medizin, Physiologie und Psychologie. In Dortmund (von 1956 bis 1966) führte er experimentelle und epidemiologische Studien im Bereich Arbeitsphysiologie und -medizin durch, wechselte 1966 an das Institut für Hygiene und Arbeitsmedizin des Universitätsklinikums Essen, dort Habilitation 1967 und H3-Professur für Arbeitsmedizin 1971. 1975 wurde er auf den Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialmedizin an die Johannes-Gutenberg-Universität nach Mainz berufen, nur vier Jahre später, 1979, auf den Lehrstuhl für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Diesen leitete er, über seine Emeritierung 1993 hinaus, bis 1994. Als Besonderheit in Düsseldorf war Gerd Jansen in Personalunion auch Staatlicher Gewerbearzt in Nordrhein. Seit 1992 war er zudem Honorarprofessor der Tongji Universität in Wuhan (VR China), eine Auszeichnung, die nur sehr wenigen Nicht-Chinesen zuteil wird.
Sein wohl wichtigster wissenschaftlicher Schwerpunkt waren experimentelle, klinische und epidemiologische Untersuchungen von Lärmbelastungen auf extraaurale Funktionen – ein Themengebiet, das mit zunehmendem Lärm in vielen Lebensbereichen im arbeits- wie im umweltmedizinischen Bereich immer noch höchst relevant ist. An einer großen Zahl von Arbeitenden in Lärmbereichen konnte Gerd Jansen beispielsweise zeigen, dass mit steigender Lärmexposition vermehrt vegetative Störungen im Herz-Kreislauf-System auftreten. Er konnte aber auch demonstrieren, dass bei Lärmintensitäten, die weit unter den für das Gehör schädlichen liegen, deutliche physiologische Stressreaktionen auftreten, beispielsweise auch während und trotz fortgesetzten Schlafens. Diese Befunde können heute helfen, die epidemiologischen Zusammenhänge zwischen Verkehrslärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erklären.
Weitere wichtige Arbeitsgebiete waren psychopharmakologische Untersuchungen zu alkoholbedingten Leistungseinbußen, Untersuchungen zur zirkadianen Rhythmik psychomotorischer Koordinationsleistungen und experimentelle Schlafuntersuchungen.
Sein Werk umfasst mehr als 500 Veröffentlichungen. Er war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften, national und international, und von Einrichtungen wie der WHO. Unter anderem war er langjähriges Mitglied des Sachverständigenrats für Umwelt der Bundesregierung (1987–1987) sowie des Wehrmedizinischen Beirats des Bundesministers der Verteidigung (1988–2007). 1987 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2007 das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold verliehen.
Als Lehrstuhlinhaber vertrat er das ganze Fach in der Lehre. Wesentliche klinische Tätigkeiten bestanden in Begutachtungen, insbesondere zu Themen wie Lärm- und Lärmschwerhörigkeit, toxikologischen Fragestellungen, Atemwegserkrankungen oder vibrationsbedingte Erkrankungen der Hände. Als bedeutender Fachvertreter richtete er die Weiterbildungskurse „Arbeitsmedizin“ an der Ärztekammer Nordrhein ein, die bis heute zahlreiche Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner ausgebildet haben.
Praktisch unmittelbar nach Aufgabe seiner universitären Tätigkeit im Alter von 66 Jahren baute er mit der Gründung des Zentrums für Arbeits- und Umweltmedizin (heute ABMZ) am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf einen eigenen betriebsärztlichen Dienst auf, den er bis 2016 selbst ärztlich mit großem Elan leitete.
Bei all diesen Aktivitäten war Gerd Jansen auch ein ausgeprägter Familienmensch. Im Jahr 1962 heiratete er seine Frau Eva, mit der er zwei Söhne hatte und drei Enkel. Das Ehepaar liebte Musik und fremde Kulturen, reiste gerne und viel und machte bis ins hohes Alter ausgedehnte Fernreisen. Er betonte aber, wie schön Deutschland sei und wie wichtig ihm Familie und Freunde seien.
Gerd Jansen ist mir als ein ungemein vitaler, klar denkender, bescheiden auftretender Kollege in Erinnerung, sympathisch in seiner hintergründig humorvollen Art, sehr anregend im Gespräch. Die Arbeitsmedizin hat mit ihm eine bedeutende Persönlichkeit verloren.