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Auf dem Weg zu einer besseren Sicherheits- und Gesundheitskultur

Kultur als Entwicklungsprozess

Wenn es um Kultur geht, besitzen Begriffe wie „Werte, Einstellungen, Traditionen, Glaube, Überzeugungen, Zeitgeist“ hohe Relevanz. Diese Elemente beeinflussen im hohen Maße die Gestaltung unserer Arbeits- und Sicherheitskulturräume und prägen das menschliche Verhalten. Im Unternehmen stehen alle Bereiche wie Produktivität, Qualität, Umweltschutz, Führungsverhalten, Gesundheit und Sicherheit etc. in Wechselwirkung zueinander.

Alle positiv wie negativ gelebten Kulturwerte und Kulturtreiber in einem Bereich wirken immer auch in den übrigen. Besonders die Führungskultur muss von nachhaltiger Entwicklungs- und Veränderungsbereitschaft geprägt sein, sonst versandet über kurz oder lang jeder Verbesserungsprozess oder scheitert ganz.

„Bessere“ Sicherheits- und Gesundheitskultur, was bedeutet das?

„Besser“-Definitionen benötigen in der Regel zwei Ebenen:

  • eine Beschreibung des Ist-Zustandes und
  • die Klärung eines „besseren“, erstrebenswerteren Soll-Zustands.

Zahlen, Daten und Fakten zum Ist-Zustand

Rund um das Unfall- und Krankheitsgeschehen erhalten wir sehr umfangreiches und detailliertes Datenmaterial von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Daraus ergibt sich aktuell folgendes Bild:

  • Seit 2005 stagnieren die Zahlen der meldepflichtigen Arbeits- und Wegeunfälle bei durchschnittlich 28 pro tausend Versicherte ( Abb. 1).
  • Die Zahl der tödlichen Ereignisse sank kontinuierlich um ca. 30 % und hat sich bei ca. 650 eingependelt.
  • Pro Jahr haben wir je 100 Versicherte ca. 110 bis 115 Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU) mit durchschnittlich zwölf Tagen Ausfallzeit pro AU-Fall. Dabei spielen Unfälle eher eine untergeordnete Rolle ( Abb. 2).
  • Die Erkrankungen durch psychische Belastungsfaktoren nehmen enorm zu. Inzwischen schicken wir genauso viele Versicherte in vorzeitige Rente wegen psychischer und Verhaltensstörungen (ca. 70 000), wie bei den HKS-, Muskel-Skelett- und Karzinomerkrankungen zusammen (ca. 69 000;  Abb. 3).

Das Fazit ist eher ernüchternd. Trotz aller Anstrengungen herrscht seit sieben bis acht Jahren Stagnation, und im Bereich der psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankungen legen wir sogar signifikant zu.

Ein durchgreifender Kulturwandel hat in den letzten Jahren also eher nicht stattgefunden. Ebenso wenig scheint die „Vision Zero“ der DGUV noch nicht in den Köpfen und Herzen der Mehrheit der Unternehmer angekommen zu sein.

Forderungen an einen erstrebenswerteren Soll-Zustand

Vision Zero

Zuerst liegt ein kontinuierliches Absenken der Unfallzahlen, der Arbeitsbelastungen, der AU-Fälle und AU-Zeiten mit dem Ziel „Vision Zero“ auf der Hand. Eine ganzheitlichen Herangehensweise an Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie der Ausbau eines präventiv-/verhaltensorientiert agierenden Ansatzes ist angesagt.

Bereits in ihrem Positionspapier zur Prävention aus dem Jahre 2008 forderte die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): „Arbeitswelt und Bildungseinrichtungen sind so zu gestalten, dass Arbeits-, Schul- und Wegeunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln verhindert werden (Vision Zero)“.

„Geeignete Mittel“ sind zweifelsfrei:

  • Gefahren beseitigen/sichere Bedingungen schaffen (technisch-organisatorisch),
  • risikoreiches bzw. krankmachendes Handeln durch sicheres bzw. gesundes Handeln ersetzen,
  • Bewusstsein für Wert und Glück der eigenen Gesundheit ausbilden.

Mehrere Produktionsstätten eines sehr großen international agierenden Nahrungsmittelkonzerns haben ihre „Vision Zero“ so formuliert: „Alle Mitarbeitenden verhalten sich so, dass alle jeden Tag den Arbeitsplatz gesund verlassen, und am nächsten Tag gesund wiederkommen!“ Das ist auf den Punkt gebracht.

Bewusstseinswandel

Der erfolgreiche Weg zu einer präventiv wie verhaltensorientiert aufgestellten Sicherheits- und Gesundheitsschutzkultur erfordert des Weiteren einen Bewusstseinswandel aller Beteiligten. Für die Unternehmer heißt das:

  • ihren gebetsmühlenartigen Bekenntnissen, vom Mitarbeiter als wichtigste und wertvollste Ressource, auch nachhaltig die entsprechenden Taten folgen zu lassen;
  • die Überzeugung gewinnen, dass Investitionen in Gesundheit und Sicherheit der MA mit zu den besten Investitionen gehören, die Unternehmen machen können und nachweislich einen Turn-on-Invest mit einem Faktor von etwa 2 haben;
  • eine Führungskultur zu implementieren,
    • die einen hohen Vorbildcharakter prägt,
    • die von der Idee einer „Vision Zero“ grundsätzlich überzeugt ist,
    • die Menschen an den Prozessen beteiligt, ihnen Sinn vermittelt und deren Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit fördert;
  • auf der Mitarbeiterebene bedeutet Bewusstseinswandel, dass
    • die Menschen ihre Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit für ein gesundes und verletzungsfreies Leben sehen und aktiv wahrnehmen,
    • sie den Wert ihrer gesunden Arbeitskraft nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Familien und sozialen Beziehungsfelder erkennen,
    • die Überzeugung verankert ist, dass eine gesunde und unfallfreie Arbeit grundsätzlich möglich ist.

Nachhaltigkeit des Prozesses

Viele Best-Practice-Beispiele zeigen: Wenn Arbeits- und Gesundheitsschutz als gleichrangig zur Produktivität, Qualität, Innovationskraft usw. gesehen und entsprechend in die Unternehmensprozesse integriert werden, ergeben sich daraus auch die gewünschte Nachhaltigkeit und positiven Synergieeffekte für die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens.

Der verhaltensorientierte Arbeitsschutz als „Kulturtreiber“

Verhaltensorientierter Arbeitsschutz besitzt international vor allem im englischsprachigen Raum eine lange Tradition. Seit Jahrzehnten geführt unter dem Begriff „Behavior Based Safety“ (BBS) hat er dort in der Praxis sehr vielfältige Interpretationsformen hervorgebracht.

Der Verhaltensansatz ist ein behavioristischer Ansatz, das heißt, man geht sehr kausal vor. Stark vereinfacht kann man es so darstellen: Wenn man ständig die Bedingungen in Richtung sicher und gesund verbessert und ein ebensolches Verhalten trainiert, dann erhält man als Ergebnis eine gesunde, unfall- und verletzungsfreie Arbeitswelt.

Diese zwingend erscheinende Kausalität trifft in der Praxis allerdings auf den Faktor Mensch. Kontinuierliche Verbesserungsbemühungen und bewusstes Verhalten setzen immer Nutzen- und Gewinnerkenntnisse des Einzelnen voraus, sonst ist er nur kurze Zeit dabei. Der Mensch handelt nicht ohne Sinn und Grund. Die persönlichen Werte, Überzeugungen, Erfahrungen und Emotionen bilden seine wirklichen Antriebskräfte. Je stärker der Nutzen und der Sinn sicherer, gesunder Arbeitsbedingungen und Verhaltensweisen damit in Kompatibilität gebracht werden, desto wahrscheinlicher erzeugt man das gewünschte Handeln.

Der verhaltensorientierte Arbeitsschutz interveniert immer auf zwei Wirkungsebenen:

  • Schaffung sicherer, gesunder Bedingungen und Definition entsprechender gewünschter Verhaltensweisen,
  • Bewusstseinsbildung durch Formung einer gemeinsamen Sinn- und Interessenslage sowie deren Antizipation durch die Beteiligten.

Wenn Arbeits- und Gesundheitsschutz in diesem Wechselspiel aufgebaut werden, erlebt man signifikanten Erfolg. In  Abb. 4 wird dargestellt, wie dieses Wechselspiel in der Praxis befruchtet werden kann.

  • Die Zielfindungsphase:

Am Beginn steht eine Standortbestimmung bzgl. des Unfallgeschehens und der allgemeinen Betriebskultur: „Man muss wissen, wo man steht, um das Ziel zu beschreiben, wo man hin will“.

In der Startphase sind ein Steuerungskreis und ein „Kümmerer“ sowie positive Multiplikatoren von großer Hilfe. Vor allem der Betriebsrat gehört mit ins Boot.

  • Die Aufbauphase:

Hier findet der Kompetenzaufbau bei den Führungskräften, den Arbeitsschutzakteuren und Mitarbeitern statt.

Es gilt, die Grundlagen, Konzepte wie Instrumente des verhaltensorientierten Arbeitsschutzes zu vermitteln und eine kommunikative Kompetenz herzustellen.

  • Die Umsetzungsphase:

Praxiserfahrung und Training on the Job führen dazu, dass die gewählten Instrumente dauerhaft und professionell eingesetzt werden. Hier beginnt schon der kontinuierliche Verbesserungsprozess, gestützt durch gute Prozessdokumentation und -steuerung.

  • Wirkungsphase:

Wie nachhaltig sich Maßnahmen letztlich erweisen, zeigen Einführungs- und Wirksamkeitskontrollen nach bestimmten Zeitabschnitten. Die daran anknüpfenden Reflexionen bilden Grundlage für weitere Sicherungsschritte im Prozess und nächsten Impulsen.

Der verhaltensorientierte Arbeitsschutz ist kein „Schnellschussverfahren“. Er erfordert Ausdauer und Disziplin zur konsequenten Umsetzung der Phasen und kontinuierliche Wachstumsbereitschaft.

Die Akteure im Arbeits- und Gesundheitsschutz

Je stärker sie in die betrieblichen Entscheidungsprozesse bzw. die Entwicklung von Leitbildern zur Arbeitsschutzkultur eingebunden sind, desto höher ist auch die Einflussnahmemöglichkeiten. Häufig schwächer hingegen ist ihre Position als externe Beauftragte. In der Natur des Auftrags liegt eine zeitlich befristete Anwesenheit im Betrieb und damit per se mehr Distanz.

Wie schwierig sich Gestaltung von Bewusstseinsprozessen und Einwirken auf die Führungs- und Kommunikationskultur auch ergeben mögen, hier liegt ein Schlüssel für Veränderungen. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung hat 2011 in der Verordnung 2 (DGUV V2) dafür den Akteuren ein wirksames Werkzeug an die Hand gegeben.

Mit der neuen Verordnung will man bekanntlich zweierlei erreichen:

  • eine Deregulierung und Flexibilisierung als Anreiz für die Unternehmen und
  • den bedarfsorientierten Arbeitsschutz vor Ort – ausgehandelt und stetig verbessert im kontinuierlichen Dialog zwischen Betriebsarzt, SiFa, UVT und Unternehmer.

Wird die hier geforderte deutlich engere Kooperation von Betriebsarzt und SiFa gut gemacht, verdoppelt sich sozusagen die Wirkungskraft in den Unternehmen und damit auch die Chance eines nachhaltigen Bewusstseinswandels.

Unabhängig von der Wahl der Betreuungsformen und dem Unterstützungsaufwand: Dreh- und Angelpunkt bildet das Ziel, sowohl die Verhältnisse („Verhältnisprävention“) als auch das Verhalten („Verhaltensprävention“) stetig sicherer und gesünder zu gestalten. Das weite Feld der Verhältnisprävention wird mit den klassischen Instrumenten wie Gefährdungsbeurteilung, nachgeordneten Maßnahmen, Unterweisung etc. bearbeitet. Ein häufig anzutreffender „Verhältnismangel“ in der Praxis ist die fehlende Vision für den Arbeitsschutz sowie die mangelnde Identifikation/das mangelnde Vorbild der Führungskräfte. Für eine erfolgreiche Verhaltensprävention ist die Entwicklung einer unterstützenden Führungskultur allerdings unabdingbar. Hier sind die Arbeitsmediziner und SiFa nicht nur in beratender, sondern ganz stark auch in moderierender und motivierender Funktion gefragt.

Weitere unabdingbare Kernelemente der Verhaltensprävention bilden:

  • Schlüsselverhaltensweisen,
  • kollegiales Sicherheitsgespräch.

Schlüsselverhaltensweisen sind ein wertvolles Transferinstrument in die Belegschaft hinein. Sie werden abgeleitet analog zu den Unfallschwerpunkten und aus den grundsätzlichen Erfahrungen bezüglich eines sicheren Arbeitens. Es ist darauf zu achten, eher wenige, dafür aber sinnvolle, gut lebbare und beobachtbare Verhaltensweisen zu definieren und diese konsequent zu trainieren. Konsens ist, dass die Regeln für alle im Betrieb – ohne Ausnahme – gelten. Darauf baut das regelmäßige kollegiale Sicherheitsgespräch auf. Im Vier-Augen-Dialog sollen nötige Verhaltenskorrektur bzw. Motivation, Bewusstseinsbildung und Verhaltensverstärkung erreicht werden.

Sicherheitsgespräche sind im verhaltensorientierten Arbeitsschutz besonders Aufgabe der Führungskraft und der Arbeitssicherheitsakteure, die konsequent eingefordert werden muss. In der Praxis benötigen sie dafür ein intensives Kommunikationstraining. Ebenso wichtig ist eine Dokumentation dieser Gespräche, um Entwicklung bzw. Veränderung auch nachvollziehen zu können.

Mit fortschreitendem Prozess werden alle Mitarbeiter in diese Aufgabe einbezogen. Man qualifiziert sie dahin, dass sie sich gegenseitig in Sachen Arbeitsschutz unterstützen, aufeinander aufmerksam sind, unsicheres Verhalten ansprechen und sicheres Verhalten verstärken. Abgerundet werden diese Anforderungen mit der Einrichtung einer funktionierenden Meldekette für unsichere Bedingungen und Beinaheunfälle. Daraus können sich ein effektives System der Gefahrenbehebung und ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) entwickeln.

Kontinuierliche Verhaltens- und Verhältnisprävention bringen die notwendigen Verbesserungen in der Gesundheits- und Sicherheitskultur und tragen im Sinne der „Vision Zero“ maßgeblich zu einer gesunden, verletzungs- und unfallfreien Arbeitswelt bei.

Fazit

  • Erfolgreiche(r) Kulturwandel/Kulturentwicklung wird stets von oben nach unten in Gang gesetzt.
  • Produktivität, Qualität und Arbeitsschutz sind gleichrangig zu bewerten.
  • Vorbild der Führungskräfte und deren Identifikation mit Vision und Zielsetzung sind unabdingbar für den Erfolg.
  • Die konsequente und anhaltende Kommunikation zu Sicherheit und Gesundheit (kollegiales Sicherheitsgespräch) sichern nachhaltige Verhaltensänderung und -verstärkung.
  • Über kontinuierliche Verhaltens- und Verhältnisprävention lässt sich die „Vision Zero“ Schritt für Schritt erfüllen.
  • Die Kräftebündelung aller Akteure im Sinne eines ganzheitlichen Vorgehens sichert den Erfolg.

    Autor

    Waldemar Junior

    HRP Heinze Consultants

    Kantstraße 24

    51570 Windeck

    waldemar.junior@hrp-heinze.com

    Weitere Infos

    Studie der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS): Prävention lohnt sich – Kosten und Nutzen von Präventionsmaßnahmen zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz für die Unternehmen

    http://www.healthatwork-online.de/fileadmin/downloads/Studie_GDUV_IVSS__Pr%C3%A4vention_und_Kosten.pdf

    Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Unfallverhütungsvorschrift V2 zum ASiG

    http://www.dguv.de/inhalt/praevention/vorschr_regeln/dguv_vorschrift_2/index.jsp

    HRP Heinze Consultants: Strategische Neuausrichtung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei einem international tätigen Nahrungsmittelkonzern

    http://www.consultants.hrpheinze.com/fileadmin/PDF/CON/Publikationen/Fallstudie_zum_HRP_Heinze-Prozess_beim_Nahrungsmittel-_Produzent.pdf

    HRP Heinze Consultants: Das HRP Heinze-Modell für eine sichere und „Gesunde Organisation“

    http://www.consultants.hrpheinze.com/fileadmin/PDF/HRP_Heinze_Modell_Gesunde_Organisation.pdf

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