Einleitung
Warum braucht man eigentlich ein Gesetz, das Prävention und Gesundheitsförderung stärkt? Im Kabinettsentwurf des Präventionsgesetzes vom 17. 12. 2014 gibt der Gesetzgeber als Begründung an, dass die „[…] demografische Entwicklung mit einer anhaltend niedrigen Geburtenrate, einem erfreulichen Anstieg der Lebenserwartung und der damit verbundenen Alterung der Bevölkerung sowie der Wandel des Krankheitsspektrums hin zu chronisch-degenerativen und psychischen Erkrankungen und die veränderten Anforderungen in der Arbeitswelt […] eine effektive Gesundheitsförderung und Prävention“ erfordern.
„Ziel dieses Gesetzes ist es“, so heißt es dort weiter, „unter Einbeziehung aller Sozialversicherungsträger sowie der privaten Krankenversicherung und der privaten Pflege-Pflichtversicherung die Gesundheitsförderung und Prävention insbesondere in den Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger auch unter Nutzung bewährter Strukturen und Angebote zu stärken, die Leistungen der Krankenkassen zur Früherkennung von Krankheiten weiterzuentwickeln und das Zusammenwirken von betrieblicher Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz zu verbessern.“
Der Gesetzgeber nimmt damit Bezug auf die Vorgaben, die bereits im Koalitionsvertrag vom 27. 11. 2013 standen, nämlich, dass ein auf den Weg zu bringendes Präventionsgesetz die
- Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten wie Kita, Schule und Pflegeheim,
- Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) und Verzahnung mit dem Arbeitsschutz,
- Einbeziehung aller Sozialversicherungsträger,
- Verbesserung der Kooperation und Koordination aller Sozialversicherungsträger sowie der Länder und Kommunen über Landes-Rahmenvereinbarungen unter Berücksichtigung einheitlicher Gesundheitsziele,
- Stärkung der Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und Erwachsenen sowie die
- Erhöhung der Impfquoten.
zu berücksichtigen habe.
Mit Blick auf die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung hat der Bund allerdings keine umfassenden Kompetenzen zur Regelung von Gesundheitsförderung und Prävention; er kann aber Gesundheitsförderung und Prävention über seine Zuständigkeit zur Regelung der Sozialversicherung gestalten. Und so ist also ein Artikelgesetz entstanden, das schwerpunktmäßig Änderungen im SGB V und weitere Änderungen insbesondere im SGB VI, SGB VII und SGB XI vorgenommen hat.
Gestaltungselemente
Gestaltungselemente des Präventionsgesetzes sind vor diesem Hintergrund im Wesentlichen die differenzierte Ausweitung des Leistungsspektrums der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie die verbindliche Zusammenarbeit möglichst vieler bedeutsamer Akteure auf der Bundesebene sowie in den Ländern. Nur dieser zweite Aspekt, also derjenige der Kooperation auf der Bundesebene, soll im Folgenden herausgestellt und näher beleuchtet werden.
Einen ersten Überblick über die neuen Kooperationsstrukturen auf der Basis des Präventionsgesetzes gibt Abb. 1.
Eine zentrale Position nimmt die Nationale Präventionskonferenz (NPK) ein, deren Zusammensetzung in Abb. 2 aufgezeigt ist.
Die NPK entwickelt, so zeigt es Abb. 1, die Nationale Präventionsstrategie – diese wiederum umfasst die Bundesrahmenempfehlungen (BRE) zur Gesundheitsförderung und Prävention in Deutschland sowie die Erstellung eines Präventionsberichtes.
Des Weiteren beauftragt die NPK die Durchführung des Präventionsforums.
Nehmen wir zunächst die Nationale Präventionsstrategie, also die BRE und den Präventionsbericht, in den Blick.
Die Bundesrahmenempfehlungen (BRE)
Die BRE wurden am 19.02.2016 von der NPK verabschiedet und dienen
- der Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität von Prävention und Gesundheitsförderung (P+G);
- der Benennung von Verfahrensgrundsätzen zur Zusammenarbeit der SV-Träger untereinander sowie mit den an der P+G in Lebenswelten und Betrieben beteiligten Trägern und Stellen sowie
- der Festlegung gemeinsamer Ziele, Zielgruppen und Handlungsfelder, die in Tabelle 1 aufgeführt sind.
Das zweite Element im Rahmen der Nationalen Präventionsstrategie ist der alle vier Jahre – erstmalig also 2019 – zu erstellende Präventionsbericht. Er soll die Umsetzung des Präventionsgesetzes dokumentieren und bewerten.
Auf der Basis der BRE schließen die Partner auf der jeweiligen Landesebene dann Vereinbarungen über entsprechende länderspezifische Ziele und Handlungsfelder, sog. „Landesrahmenvereinbarungen“.
Das Präventionsforum
Der Nationalen Präventionskonferenz steht ein „Präventionsforum“ (PF) beratend zur Seite.
In § 20 (e), Abs. 2 des Präventionsgesetzes heißt es dazu: „Die Nationale Präventionskonferenz wird durch ein Präventionsforum beraten, das in der Regel einmal jährlich stattfindet. Das Präventionsforum setzt sich aus Vertretern der für die Gesundheitsförderung und Prävention maßgeblichen Organisationen und Verbände sowie der stimmberechtigten und beratenden Mitglieder der Nationalen Präventionskonferenz nach Absatz 1 zusammen. Die Nationale Präventionskonferenz beauftragt die Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung e. V. mit der Durchführung des Präventionsforums […]“ (Bundesgesetzblatt Jg. 2015 Teil I Nr. 31, ausgegeben zu Bonn am 24. Juli 2015, S. 1371 f).
Im Präventionsforum sind neben den Trägern der gesetzlichen und der privaten Sozialversicherung auch zahlreiche andere relevante Akteure aus Staat, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingebunden. Es dient somit als Plattform für den regelmäßigen Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen diesen Kooperationspartnern und ermöglicht die systematische Bewertung der Aktivitäten und Maßnahmen der Nationalen Präventionskonferenz.
Dieser Informations- und Erfahrungsaustausch wird in Form einer Veranstaltung mit Plenums- und Workshop-Phasen ausgestaltet, die sich inhaltlich an den Bundesrahmenempfehlungen (BRE) ausrichtet.
Da es sich beim Präventionsforum also nicht um ein Gremium handelt, gibt es auch keine „Mitgliederliste“ des Präventionsforums, sondern einen auf die jeweiligen Beratungsgegenstände der BRE abgestimmten Verteiler, dessen Erstellung sich an den Kriterien des § 12 (3) der Geschäftsordnung der NPK orientiert:
- Kompetenzen in der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention,
- Bezug zu den Zielen und Handlungsfeldern der trägerübergreifenden bundeseinheitlichen Rahmenempfehlungen nach § 9,
- wissenschaftliche Expertise,
- bundesweiter Tätigkeitsbereich,
- hohe Fachlichkeit,
- keine eigenen wirtschaftlichen Interessen.
Zum ersten Mal wird das Präventionsforum am 13. September 2016 in Berlin als eintägige Veranstaltung stattfinden. Der Vormittagsblock fokussiert mit Blick auf Politik und Öffentlichkeit die Relevanz von Prävention und Gesundheitsförderung insgesamt sowie insbesondere des Setting-Ansatzes. Der Nachmittagsblock dient der fachlich-inhaltlichen Diskussion der am 19. 02. 2016 verabschiedeten Bundesrahmenempfehlungen – und zwar in Form von Workshops, die die jeweiligen Ziele und deren Zielgruppen thematisieren. Die Ergebnisse des Präventionsforums werden dokumentiert und dann wieder in der Nationalen Präventionskonferenz beraten.
Die BRE und das Präventionsforum sind also nicht statisch, sondern als lernende Modelle konzipiert, um der den Handlungsfeldern innewohnenden Dynamik gerecht werden zu können.
Die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG)
Für die notwendige Kontinuität in der Bearbeitung der Themen sorgt die BVPG, die das Präventionsforum durchführt und dieses mit beratender Stimme auch in der Nationalen Präventionskonferenz vertritt, indem sie einen systematischen vor- und nachbereitenden Austausch mit und zwischen den Beteiligten des Präventionsforums organisiert.
Diese vom BMG institutionell geförderte, aber eigenständige Organisation mit Geschäftsstelle in Bonn wurde 1954 gegründet und ist ein gemeinnütziger, politisch und konfessionell unabhängiger Verband. 130 Organisationen sind zurzeit Mitglied der BVPG, darunter vor allem Bundesverbände des Gesundheitswesens, die einen Arbeitsschwerpunkt im Bereich „Prävention und Gesundheitsförderung“ aufweisen. Die BVPG hat die Aufgabe, im Handlungsbereich „Prävention und Gesundheitsförderung“ die Zusammenarbeit insbesondere der zivilgesellschaftlichen Kräfte zu unterstützen bzw. weiterzuentwickeln.
Die BVPG vertritt in der Regel nicht die jeweils besonderen Interessen ihrer Mitgliedsverbände, sondern setzt sich in der Hauptsache für Strukturerhalt und Strukturverbesserungen bzgl. der Gesundheitsförderung und Prävention insgesamt in Deutschland ein. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der BVPG gegenüber anderen Bundes- oder Dachverbänden ist, dass nicht spezifische Sach- oder Fachthemen prägend für das Profil des Verbandes sind, sondern die Art der Bearbeitung dieser Sach- und Fachthemen. Als „Brückeninstanz“ zwischen den Kooperationspartnern aus Praxis, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik stehen die Vernetzung der jeweils kompetenten und zuständigen Partnerorganisationen, die Bündelung von Ressourcen, das Erreichen von Synergien und die langfristige oder dauerhafte Verfestigung der dadurch entstehenden Plattformen oder Aktionsbündnisse an erster Stelle.
Fazit
Der Gesetzgeber hat mit dem Präventionsgesetz einige neue Rahmenbedingungen für eine zielorientiertere Vorgehensweise, für die Verbesserung der Qualität von Leistungsangeboten, für verbesserte Möglichkeiten der Finanzierung prioritärer Maßnahmen und für Ansätze eines umfassenden Dokumentationssystems im Handlungsfeld „Gesundheitsförderung und Prävention“ geschaffen und ein notwendiges politisches Signal für die Bedeutung dieses Handlungsbereichs gesetzt.
Allerdings ist vom gesamtgesellschaftlichen Ansatz der Gesundheitsförderung nicht allzu viel übrig geblieben. Die Leistungen zur Prävention werden vor allem von den gesetzlich Versicherten bezahlt, es fehlen steuerfinanzierte Anteile. Und auch der Versuch einer strukturellen Verzahnung von Bund, Ländern und Kommunen bleibt tendenziell unbefriedigend, weil der Bund hier wegen der kompetenzrechtlich begründeten föderalen Strukturen in der Gesundheitsförderung und Prävention keine wirkliche Gestaltungsmacht besitzt.
Das PrävG ist somit nach wie vor ein auf das Gesundheitsressort beschränktes Gesetz, aber es bietet – zumindest ansatzweise – die Möglichkeit zur ressortübergreifenden Kooperation nicht nur im Bund, sondern vor allem in den Ländern und vor Ort.
Da das Gesetz nicht „strafbewehrt“ ist, liegt die Verantwortung zur innovativen und sachgerechten bzw. problemlösenden Nutzung dieser neuen Möglichkeiten ausschließlich in den Händen aller verantwortlich Beteiligten.
Mit Blick auf die in diesem Beitrag fokussierten Gestaltungselemente lässt sich sagen: In jedem Fall bieten die Nationale Präventionskonferenz mit den BRE und das Präventionsforum neue und durchaus gute Chancen.
Autorin
Dr. rer. soc. Beate Grossmann
Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e. V. (BVPG)
Heilsbachstraße 30
53123 Bonn