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Care-net-Management als integrierte Versorgung für Flüchtlinge — ein erprobtes und erstrebenswertes Modell

VO: Bei der Vorstellung des zweiten Versorgungsberichts bemängelten Sie das Fehlen von koordinierenden Stellen vor Ort. Hat sich diese Situation in der Zwischenzeit gebessert? Gibt es solche Stellen inzwischen, wo und wie viele? Wie sind diese besetzt und werden sie den Aufgaben gerecht?

UC: Nein, leider nein. Unsere Idee, damals auch entsprechend vorgebracht, wurde ministeriell nicht aufgegriffen. Allerdings ist durchaus vieles an Struktur verbessert und auch Personal aufgestockt worden. Inzwischen ist durch die kleiner gewordene Zahl an neu eintreffenden Flüchtlingen der Druck deutlich geringer geworden – von daher wäre jetzt eigentlich der richtige Zeitpunkt, sich durch Erfahrungen gestärkt und ohne den massiven Handlungsdruck in Ruhe zusammenzusetzen. Denn eines ist sicher: Es werden weitere Flüchtlingstrecks ins Land kommen, denn leider wird es nicht weniger mit Krieg und Vertreibung in dieser Welt.

VO: Sie sind auf das Land Baden-Württemberg zugegangen, weil hier bürokratische Abläufe und Zuständen die schnelle und bedarfsorientierte Hilfe erschwert haben. Was hat sich seitdem verändert?

UC: Wir werden noch einmal auf das Land Baden-Württemberg zugehen – in Sachen Gesundheitskarte für Flüchtlinge, aber auch in Sachen „Runder Tisch“, an dem nach unserer Vorstellung alle betroffenen und beteiligten Stellen miteinander ins Gespräch kommen sollen. Auf dieser Grundlage ließen sich heutige und künftige Probleme sicher leichter als bisher lösen.

VO: Psychosoziale Zentren sollten ihren Versorgungsauftrag mittel- oder langfristig in das reguläre ambulante Gesundheitswesen integrieren, fordern Sie. Wie könnte das aussehen?

UC: So wünschenswert das wäre, so wenig Fortschritt ist da erzielt worden, denn die psychosozialen Zentren leiden weiter an schwerer Unterfinanzierung. Warum? Weil sozusagen das laufende Geschäft teilweise weggebrochen ist durch die automatische Überführung der Flüchtlinge ins reguläre GKV-System ab dem 16. Monat des Aufenthaltes in Deutschland – außerdem sind die Erteilungen von Ermächtigungen, wie sie ins Gesetz geschrieben wurden und wie es die regionalen Zulassungsausschüsse auch umsetzen könnten, an die fachärztliche und die fachpsychotherapeutische Qualifikation gebunden. Mit der persönlichen Haftung der dann zugelassenen Ärzte und psychologischen Psychotherapeuten ist das für die Psychosozialen Zentren nicht zu stemmen, hierfür überhaupt Kollegen zu finden. Es war vormals auch schon nicht leicht, engagierte Ärzte und psychologische Psychotherapeuten zu finden, die in (finanziell) unsicherem Kontext ihre Lebensaufgabe sehen.

VO: Das Gesundheitsamt prüft die Notwendigkeit einer ambulanten Psychotherapie, indem es den Flüchtling zur ärztlichen Untersuchung einbestellt – im Gegensatz zum GKV-System, bei dem der MDK auf Basis schriftlicher Berichte oder Befunde entscheidet. Damit haben die Gesundheitsämter eine stärkere Position erhalten, gleichzeitig aber auch eine starke Belastung ihrer Mitarbeiter. Hat sich dieses Vorgehen bewährt?

UC: Dieses unterschiedliche Procedere hatte sich in der Vergangenheit insofern durchaus bewährt, weil beispielsweise Dolmetscher-Notwendigkeit und -Kosten gesehen und auch gewährt werden konnten. Das fällt nun ersatzlos ab dem 16. Monat trotz eben vorheriger Gewährung deswegen weg, weil gemäß Leistungsrahmen des Sozialgesetzbuch V durch die Versichertenkarte einer gesetzlichen Krankenkasse, die Dolmetscherkostenübernahme nicht vorgesehen ist.

Die Mitarbeiter der Gesundheitsämter sind großenteils näher an den Problemen dran – die Zusammenarbeit war und ist da deutlich besser als es mancher vermuten mag oder mochte.

VO: Das Care-net-Management ist ja eine integrierte Versorgung für Flüchtlinge. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Aufgaben der Gesundheitsämter? Wie die Aufgaben des Teams? Arbeiten sie mit Hausärzten zusammen? Wie sieht diese Zusammenarbeit aus? Gibt es Kooperationen mit anderen Ärzten?

UC: Am Beispiel Bremens lässt sich das gut studieren. Durch bürokratische Vereinfachung läuft es dort einfach runder, glatter, leichter und besser als anderswo – obwohl gerade in der Hansestadt Bremen die Zahlen der Flüchtlinge nicht klein sind – vor allem ist Bremen bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sehr beliebt, und das ist ja keineswegs eine einfache Gruppe. Denn für die niedergelassenen Hausärzte und die grundversorgenden Fachärzte als auch für die Kliniken entfällt der ganze bürokratische Aufwand deswegen, weil es eine Gesundheitskarte für alle in Bremen gemeldeten Flüchtlinge gibt. Das macht es für alle einfacher und billiger – auch fürs Gesundheitsamt. Da ist die Integration ins normale ambulante Gesundheitswesen eigentlich gelungen.

Wir sollten nicht nachlassen und die deutschlandweite Einführung der Gesundheitskarte angehen, wie es auch der Deutsche Ärztetag schon aus sachlichen Erwägungen lange fordert. Keineswegs sollte aus Gründen ideologischer Abschreckungskonzepte davon zurückgewichen werden, ein sinnvolles System nicht flächendeckend einzuführen.

VO: Vielen Dank für das Gespräch!

    Kontakt

    Dr. med. Ulrich Clever

    Landesärztekammer Baden-Württemberg

    Jahnstraße 40

    70597 Stuttgart

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