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Chancen durch verbesserte interne Kommunikation, Coaching oder Mediation

Musikergesundheit einmal anders

Das Management beschließt, die Ver-waltung setzt um, die Mitarbeiter führen aus: Eine solche Arbeitsweise ist kennzeichnend für Institutionen, die in autokratischem Stil geführt werden. Auch Opernhäuser und Kulturor-chester gehören hierzu. Ihre Organisations- und Führungsstrukturen haben sich in den vergangenen 150 Jahren kaum verändert. Allerdings hat sich die Gesellschaft inzwi-schen massiv verändert. Der Stand von Bil-dung und Ausbildung ist höher, Autoritäts-denken wie in früheren Zeiten gibt es nicht mehr. Arbeitnehmer stellen heute andere Ansprüche an Führung, Betriebe und Organisationen: Sie denken mit, stellen Fragen, wollen gehört werden. In der Wirtschaft ist ein solches Bewusstsein längst in Teilen der Chefetagen angekommen und berücksichtigt worden. Nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit, sondern weil erkannt wurde, dass es die Produktivität und den Erfolg des Unternehmens deutlich steigern kann. Auch die Qualität und damit die Anziehungskraft von Orchestern ließe sich durch interne Kom-munikationsmaßnahmen deutlich steigern. Ein Mehrwert, der in Zeiten von sinkenden Kulturetats durchaus wichtig sein dürfte.

Ein weiterer Punkt ist, dass durch zunehmenden Druck in der Gesellschaft das Thema „Psychische Belastungen am Arbeits-platz“ in den letzten Jahren einen hohen Stellenwert erhalten hat. Auch wenn noch keine Studien zu diesem speziellen Thema für die Arbeit im Orchester erstellt wurden, gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die sich den speziellen Wechselwirkungen zwischen Ansprüchen und Bedürfnissen eines Künstlers und den beruflichen Erfordernis-sen im Orchesteralltag widmen.

In einer Studie zum Thema Musikergesundheit, herausgegeben von der Gmünder Ersatzkasse, heißt es: „Die bei Musikern auftretenden Beeinträchtigungen und Erkrankungen spiegeln sich zunächst gewissermaßen ‚an der Oberfläche’, den Muskeln und deren Sehnen, sowie dem Skelettsystem wider. Die eigentlichen Ursachen liegen in den außerordentlich komplizierten Wechselwirkungen zwischen körperlichen Belastungen, instrumentalspezifischen Besonderheiten, psychomentalen Anforderungen und Belastungen durch Perfektions-, Konkurrenz- und Zeitdruck sowie dem immer stärkeren Druck durch die Arbeits- und Organisationsform des Kulturbetriebs. (...) Auch die Organisations- und Führungskultur im Musikunterricht und in Orchestern spielt hier eine Rolle“ (s. „Weitere Infos“: Samsel et al. 2005, S. 10). Das Problem ist systemischer Natur.

Die Führungsspitze der traditionellen Kulturorchester, also Intendanten und Generalmusikdirektoren, denken und arbeiten in überschaubaren Zeiträumen, für die Dauer ihrer Verträge, meistens in 5-Jahres-Zyklen. Ihr nachvollziehbares Ziel ist einerseits der eigene künstlerische Erfolg und der des Ensembles, andererseits die Festigung ihrer Position und die daraus resultierende Vertragsverlängerung beziehungsweise die Veränderung zu einer bedeutenderen Institution. Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen.

Damit fehlt allerdings eine Führungsinstanz, die über den jeweiligen Intendanten- bzw. GMD-Zyklus hinaus Probleme anpackt, längerfristige Visionen verwirklicht und grundsätzliche Entwicklungen vorantreibt. Das kann beispielsweise die Überprüfung und Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, die Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit, die Steigerung der Motivation, die künstlerische Förderung und Weiterentwicklung der Mitarbeiter sein oder einfach die Tatsache, dass regelmäßige Mitarbeitergespräche geführt werden. Die Orchestermanager sind für solche Maßnahmen nicht ausgebildet, zumal es für diese Tätigkeit noch kein allgemein gültiges Anforderungsprofil gibt. Ein Studium wie für Ärzte gibt es nicht, Orchestermanager sind in der Regel Quereinsteiger.

Tiefgreifende Konflikte unter der Oberfläche

Häufig unterschätzter Bremsklotz im Orchesteralltag sind persönliche oder gruppeninterne Konflikte, die aus einer Vielzahl nicht gelöster oder nicht angesprochener Streitpunkte bestehen. Viele künstlerische Chefs, gleichzeitig künstlerische Abteilungs-leiter, kennen diese Probleme jedoch nicht, nehmen sich keine Zeit für die Lösung kom-plexer Streitigkeiten. Regelmäßige Personalgespräche oder Teambildungsmaßnahmen, mit denen entsprechenden Entwicklungen rechtzeitig begegnet werden könnte, finden nicht statt. Es gibt schlichtweg niemanden, der sie durchführen könnte. Wenn die Selbst-reinigungskräfte innerhalb des Orchesters – die im Übrigen in den meisten Fällen weder angeleitet noch gefördert werden, sondern sich aus der Sozialkompetenz einzelner Orchestermitglieder ergeben – nicht greifen, entstehen hohe Konfliktpotenziale mit zum Teil gravierenden Folgen: Die Leistungsfä-higkeit einzelner Musiker bzw. ganzer Grup-pen wird beeinträchtigt. Es folgen dauerhaft lähmende Kommunikationsstörungen bis hin zu anhaltenden somatischen Beeinträch-tigungen. Der Weg in die innere Kündigung ist nicht mehr weit. Eine andere Folge kann Mobbing sein.

Auf dem Seminar „Von der Klangkultur zur Gesprächskultur“, das in der Bundesakademie in Wolfenbüttel 2010 unter Beteiligung der DOV und des Bühnenvereins stattgefunden hat, gab es unter den anwesenden Musikern eine Umfrage zum Thema Mobbing im Orchester. Die Info rechts listet einige der als Mobbing erlebten Verhaltensweisen auf.

Eigentlich ist der Beruf des Orchestermusikers ein Traumberuf. Wo sind die Ideale hin, wenn man in solchen Untiefen gelandet ist? Was sind die Auswege?

Das Netzwerk „Der gute Ton“ möchte mit seiner Beratung und seinen Angeboten dem etwas entgegensetzen. Die Mitglieder des Netzwerks – Herlinde Kersch-hackel (Philharmoniker Hamburg), Gottlob Schmücker (Philharmonisches Orchester der Stadt Augsburg) und auch ich selbst (Niedersächsisches Staatsorchester Hannover) – sind Profimusiker und seit vielen Jahren mit den möglichen internen Problemen und diversen Konfliktformen in Orchestern und Theaterbetrieben vertraut. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Orchestervorstände, Betriebs- oder Personalräte ist ihnen gemeinsam, dass sie bereits vor einigen Jahren zu der Überzeugung gelangt sind, dass bestehende Strukturen nicht ausreichen, um gravierende Probleme und lang anhaltende Kommunikationsstörungen zu beheben. Aus diesem Bewusstsein heraus haben sie sich entschieden, den Blick „über den Tellerrand“ zu wagen und sich fortzu-bilden. Themen ihrer Fortbildungen waren Mediation und Mobbingberatung, aber auch systemische Ansätze zu innerbetrieblicher Kommunikation, Grundlagen der Kommu-nikation, Teamentwicklung, Coaching, Personal- und Organisationsentwicklung etc. wurden behandelt.

Es ist das zentrale Anliegen des 2010 ge-gründeten Netzwerks, diese Themen und Inhalte auf verschiedenste Art und Weise den Orchestern und Theatern zugänglich zu machen, sei es durch Workshops und Seminare, durch Vorträge, durch Coaching, durch Mediatorentätigkeit oder durch Kommunikationstage mit ganzen Orchestern, bei denen neue Gesprächsformen (z. B. World-Café) mit Erfolg angewandt werden.

Die langjährige Orchestererfahrung der Mitglieder bildet das Rückgrat des Netzwerks und hilft, Berührungsängste zu vermeiden. Diese intime Kenntnis vom Orchesteralltag ist eine wichtige Voraussetzung für die Aufarbeitung von Konflikten in diesem besonderen Berufsbereich. Aus den Angeboten des Netzwerks:

  • Coaching für Einzelpersonen und Teams, Konfliktcoaching
  • Mobbingberatung
  • Konflikt-Perspektiv-Analyse (KPA) für Gruppen oder Einzelpersonen, wenn der Konfliktpartner nicht zur Verfügung steht
  • Beratung zu Personal- und Organisations-entwicklung
  • Mediation für zwei Personen, Kleingrup-pen und große Gruppen
  • Teamentwicklung
  • Seminar „Fair streiten im Orchester“
  • Vorträge zu Kommunikationsthemen, Mobbing, Personal- und Organisationsentwicklung
  • Kommunikationstage

Unser Netzwerk möchte mit dazu beitragen, dass Sorgen und Befürchtungen hinsichtlich neuer Formen des Miteinanders abgebaut werden. Ängste, Leistungs- und Perfektionsdruck verhindern häufig die Beschäftigung mit eigenen Schwächen, dürfen aber nicht zu einer grundsätzlichen Blockade neuer Ideen führen, weil dadurch jede positive Entwicklung bereits im Keim erstickt wird. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit erforderlich, und zwar auf allen Seiten: bei Intendanten, Geschäftsführern, Orchesterdirektoren und Musikern.

Das wichtigste Kapital in einem Orches-ter sind die einzelnen Musiker, ihre künstlerische Individualität, ihre Kreativität und Leistungsfähigkeit, ihre Freude an der Arbeit. Wir brauchen eine neue Anerkennungskultur und Wertschätzung für die Eigenheiten und Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder. Durch ein verbessertes Miteinander schaffen wir wichtige Voraussetzungen für hohe Motivation und Leistungsbereitschaft, und damit nicht zuletzt die Basis für gesunde Individuen und kreative Arbeitsprozesse. Die steigende Qualität und Ausstrahlung der Klangkörper wird es beweisen. 

    Info

    Mobbinghandlungen im Orchester

    • Weggehen, wenn der Kollege kommt, ausgrenzen, schneiden
    • Bei anderen Kollegen die Leistung anzweifeln
    • Ohren zuhalten
    • Missbilligende Blicke
    • Unqualifizierte Kritik am künstlerischen Leiter
    • Absichtliches „zu laut“ spielen
    • Kopfschütteln, wenn spezielle Musiker/Innen einsetzen
    • Lachen über Fehler/Kiekser anderer
    • Manipulationen am Instrument/Noten
    • Tuscheln, Gerüchte über Beziehungen
    • Unbegründetes Verweigern von „Freiwünschen“ seitens des Diensteinteilers
    • Demonstratives „Loben“, wenn Aus-hilfen spielen
    • Absichtliches „Nichtintegrieren“, bzw. Andersspielen in der Gruppe
    • Fachlich unsachliche Kritik
    • Verleumdung, falsche, üble Nachrede
    • Aufhören zu spielen und so tun, als ob der andere schuld ist, dass das Zusammenspiel nicht klappt
    • Verunglimpfung bei Chef/Kollegen, Anschwärzen beim „Neuen Chef“
    • Nichtbeachten von Mobbing-Hinweisen, („Metamobbing“)
    • Machtspielchen (bewusste Fehlkom-munikation/vorsätzliche mangelnde Kommunikation)
    • Sexistische Kommentare
    • Rollenzuweisung: das Opfer nicht aus seiner Rolle herauslassen, Klischees aufrecht erhalten
    • Anonyme Aktionen: Brief, Telefon, SMS

    Weitere Infos

    Der gute Ton – Netzwerk für Kommunikation und Konflikt-beratung in Orchestern und Theaterbetrieben

    http://www.der-gute-ton.net/

    Samsel W et al.: Musikergesundheit. GEK-Edition, Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 39. Bremen, Schwäbisch Gmünd, Lauchheim, 2005, S. 10

    https://www.barmer.de/presse/infothek/studien-und-reporte/studien-berufsleben-und-gesundheit-1055772

    Autor

    Ralf Pegelhoff

    Entwicklungsberatung, Personalcoaching

    Im Heimfrieden 12

    30627 Hannover

    rp@pegelhoff.de

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