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Das agrarsoziale Sicherungssystem

Organisatorische Entwicklung der landwirtschaftlichen Sozial-versicherung

Das System der Agrarsozialversicherung hat sich ausgehend von den Bismarckschen Re-formen in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts im Laufe der vergangenen knapp 13 Jahrzehnte sowohl komplettiert als auch konzentriert. Mit der allgemeinen wurde seinerzeit auch die landwirtschaftliche Unfall-versicherung gegründet. 1957 kam dann die Alterssicherung der Landwirte hinzu, 1972 die landwirtschaftliche Krankenversicherung und 1995 die Pflegeversicherung.

Die Notwendigkeit einer einschneiden-den Neuorganisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung wurde über Jahrzehnte bis hin zur Schaffung eines Bundesträgers vor allem von Seiten der zuständigen Bundes-ministerien und des Bundesrechnungshofs beharrlich betont. Unter ihrer maßgeblichen Einflussnahme kam es zu regionalen Vereinigungen, die Träger verloren nach langem Widerstand zunächst Teile ihrer Zuständig-keiten an ihren (jeweiligen) Bundes- bzw. Spitzenverband. Schließlich wurden gem. Artikel 1 § 3 Absatz 3 LSV-NOG alle Träger der agrarsozialen Sicherung zum 01. 01. 2013 in den Bundesträger „Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau“ eingegliedert. Bis dahin gab es nicht nur eine regionale Zersplitterung, sondern auf regio-naler Ebene (nur die Träger der Sozialversiche-rung für den Gartenbau waren bundesweit zuständig) jeweils vier rechtlich selbststän-dige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit einer spezifischen thematischen Zustän-digkeit. Dieser Zustand wurde mit der Errich-tung der SVLFG überwunden. Nach § 114 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VII ist die SVLFG Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, nach § 49 Satz 1 ALG ist sie Träger der Alters-sicherung der Landwirte, nach § 17 Absatz 1 Satz 1 KVLG 1989 Träger der Krankenver-sicherung der Landwirte. Die landwirtschaftliche Sozialversicherung wird somit erstmals durch eine einheitliche Behörde durchge-führt; sie ist anstelle der früher zuständigen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, landwirtschaftlichen Alterskassen und landwirtschaftlichen Krankenkassen Träger des jeweiligen Zweiges der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Der zusammenfassende Behördennamen ermöglicht nicht nur den größten Berufsgruppen die Wieder-erkennung, auch der Charakter als ein agrar-soziales Sondersystem wurde gestärkt.

Versicherter Personenkreis, Finanzierung, Leistungen

Das agrarsoziale Sicherungssystem wird ge-tragen vom Grundgedanken der gesamtgesellschaftlichen und der berufsständischen Solidarität. Anders als für andere Berufsgruppen Selbständiger hat man sich hier im Wege des breiten gesellschaftlichen Konsenses für eine sozialversicherungsrechtliche Komplettabsicherung entschieden. Dabei ist den Besonderheiten der Unternehmerversicherung vor allem im Finanzierungsbereich Rechnung getragen worden. Die grundsätz-lichen und weitreichenden Besonderheiten bei der Finanzierung vor allem der Alters-sicherung sowie der Kranken- und der Pflege-versicherung, nämlich Beitragsfinanzierung durch die aktiven Unternehmer sowie Bundesmitteleinsatz, tragen dem anhaltenden Strukturwandel Rechnung. Die im Verhält-nis weniger gravierenden Spezifika des Leistungsrechts berücksichtigen in der Alterssicherung insbesondere den Teilsicherungs-charakter der Renten und ebenfalls in allen Versicherungszweigen die besonderen, berufsspezifischen Bedürfnisse. So wird unter verschiedenen Voraussetzungen Betriebs-hilfe zur Fortführung des Betriebs bei Unfall, Krankheit und Schwangerschaft geleistet. Während im Bereich des Leistungsrechts und des Vertragsrechts der landwirtschaftli-chen Krankenversicherung ansonsten weitgehende Parallelen zur allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung bestehen, gibt es einen fundamentalen Unterschied zu den anderen gesetzlichen Krankenkassen: Die in der landwirtschaftlichen Krankenversiche-rung Versicherungspflichtigen können im Gegensatz zum Personenkreis der von der allgemeinen gesetzlichen Krankenversiche-rung Erfassten nicht ihre Krankenkasse frei wählen (§ 173 SGB V). Damit ist die landwirtschaftliche Krankenkasse keine Wettbewerbskrankenkasse. Sie nimmt daher auch nicht am Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen i. S. v. § 266 SGB V teil.

„Sicher und gesund aus einer Hand“

Gemäß dem Leitmotto und Slogan „Sicher und gesund aus einer Hand“ haben Sicher-heit und Gesundheit der Versicherten nicht nur große Bedeutung, sondern die sozialen Dienstleistungen können durch die Zustän-digkeit nur „eines Hauses“ besonders wirt-schaftlich erbracht werden. Versichertenorientierung ist damit nicht durch eine Zer-splitterung der Zuständigkeiten erschwert. Außerdem werden regional unterschiedliche Vorgehensweisen nunmehr harmonisiert: Bis zur Eingliederung der zuletzt je neun Verwaltungsgemeinschaften mit insgesamt 36 Versicherungsträgern und des LSV-Spitzenverbandes in die SVLFG war trotz identischen Rechtsgrundlagen von einer gewissen Heterogenität bezüglich des genutzten Gestaltungsanspruchs der Selbstverwaltungs-organe auszugehen. Diese spiegelte sich nicht nur in der zum Teil sehr divergenten Beitragsgestaltung, sondern auch in unterschiedlichen Ausrichtungen hinsichtlich der Präventionskonzepte und -aktivitäten wider. Während über den Pflichtkanon hinausge-hende sozialversicherungszweigübergrei-fende Leistungsangebote mancherorts kaum initiiert wurden, wurden an anderer Stelle erhebliche Anstrengungen zur Ermittlung und Befriedigung von Versichertenbedarfen unternommen, z. B. durch die Versichertenbefragung 55plus. Entsprechendes gilt auch für das Versorgungsgeschehen der landwirtschaftlichen Krankenkassen.

Ungeachtet der spezifischen Regelungssystematiken (während es für die Alterssicherung der Landwirte mit dem ALG ein umfassendes Gesetz gibt, arbeitet das agrar-soziale Sonderrecht ansonsten größtenteils mit Verweisungen auf andere Bücher des SGB; siehe für die landwirtschaftliche Kran-kenversicherung z. B. §§ 8 und 15 KVLG 1989) und der im Wesentlichen dem eigen-ständigen Finanzierungsregime geschuldeten Sonderregelungen (siehe z. B. §§ 37 ff. KVLG 1989) birgt die SVLFG multiple Mög-lichkeiten der zweigübergreifenden internen und externen Kooperation.

Fazit

Mit dem jüngsten Reformschritt ist sowohl die gesamtgesellschaftliche als auch Solidarität der Beitragszahler auf ein festeres Fundament gestellt worden. Wirtschaftlichkeitspotenzial wird gehoben und interne Wettbewerbsverzerrungen durch Beitragsunterschiede werden beseitigt. Die SVLFG als Bundesträger ist dadurch gefordert und in der Lange, ihr Leitmotto „sicher und gesund aus einer Hand“ für Versicherte, Gesellschaft und Beschäftigte positiv erlebbar zu machen. Dabei geht es darum, die Möglichkeiten des Verbundsystems auf allen Regelungsebenen proaktiv auszugestalten. Die Mitglieder der Organe der Selbstverwaltung haben die einzigartige Möglichkeit und die Aufgabe, soziale Sicherheit und Gesundheitsförderung bundesweit „aus einer Hand“ zu gestalten. Damit ist die SVLFG nicht nur „die“ Sozialversicherung für Land-wirtschaft, Forsten und Gartenbau, sondern auch attraktiver Partner für Leistungserbrin-ger und Wissenschaft. 

Literatur

Bahrs E: Beitragsgestaltung in der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, Agrar-ökonomische Forschung 14/2012.

Dahm K: Die Krankenversicherung der Landwirte im System der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, SdL 1972, 207–214.

Freund R, Baron M: Notwendig einer Neuorganisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung im Kontext der Fusionsentwicklungen in der allgemeinen Sozialversicherung, SdL 2012, 9–19.

Gelbke R: Organisation und Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, SdL Sonder-heft 2011, 109–134.

Koch E: Quo vadis LSV?, ZFSH/SGB 1999, 462–471.

Koch E: LSV im Wandel – Änderungen im agrar-sozialen Sondersystem, WzS 2008, 257–278.

Koch E, Wille M: Zum Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung und seiner Bedeutung für die landwirtschaftliche Krankenversicherung, SdL 2010, 225.

Landgrebe J, Sunder E: Warum braucht die landwirt-schaftliche Sozialversicherung nach 2001 noch eine zweite Organisationsreform?, SdL 2007, 112–121.

Masuch P: Die landwirtschaftliche Unfallversicherung im Spiegel der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Sonderheft SdL 2011, 25–52.

Mehl P: Reformansätze und Reformwiderstände in der Agrarsozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland – Politikinhalte und ihre Bestimmungsgründe 1976–1990.

Schmidt B: Die Organisationsreform nach dem LSVMG – eine Chance für ein regional gegliedertes System, SdL 2008, 7–29.

Wille, M: Zur Modernisierung der Organisationsstruktur in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, SdL 1998, 383–391.

Wirth C: 50 Jahre Alterssicherung für Landwirte, SdL 2007, 96–102.

    Weitere Infos

    Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaft-lichen Sozialversicherung

    http://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/Foerderung-Agrarsozialpolitik/Agrarsozialpolitik/_Download/BGBl_LSV_NOG.pdf?__blob=publicationFile

    Zweites Gesetz über die Kranken-versicherung der Landwirte (KVLG 1989)

    http://www.gesetze-im-internet.de/kvlg_1989/BJNR025570988.html

    Autor

    Dr. jur. Erich Koch

    Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau

    Stabsstelle Selbstverwaltung/Öffentlichkeitsarbeit

    Weißensteinstraße 70–72

    34131 Kassel

    erich.koch@svlfg.de

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