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Der neue Suchtpatient — Leistung um jeden Preis?

Die Anzahl der Arbeitnehmer, die entsprechende Substanzen schon zum Doping eingesetzt haben, ist in den vergangenen sechs Jahren stark angestiegen. Während in der letzten Studie von 2008 lediglich 4,7 % der Berufstätigen angaben, solche Substanzen zum Hirndoping wenigstens schon einmal eingenommen zu haben, sind es in der neuen Studie bereits 6,7 %. Die DAK hat hierfür die Arzneimitteldaten von 2,6 Millionen er-werbstätigen Versicherten analysiert und außerdem über 5000 Berufstätige im Alter von 20 bis 50 Jahren befragt.

Natürlich gibt es gemäß den Ergebnissen des DAK Gesundheitsreports 2015 eine hohe Dunkelziffer von bis zu 12 %. Hochgerechnet auf die Bevölkerung der BRD ha-ben damit rund 5 Millionen Erwerbstätige schon einmal leistungssteigernde oder stim-mungsaufhellende Medikamente zum Hirn-doping eingenommen. So betonte DAK-Vor-standschef Herbert Rebscher: „Auch wenn Doping im Job in Deutschland noch kein Massenphänomen ist, sind diese Ergebnisse ein Alarmsignal.“

Das Phänomen tritt nicht, wie man viel-leicht denken könnte, vorwiegend bei Füh-rungskräften oder den sog. Leistungsträgern eines Unternehmens auf, sondern es kann jeden Berufstätigen betreffen. Insbesondere sehen wir auch eine Zunahme bei Beschäftigten mit einfacheren Tätigkeiten oder unsicheren Jobs. Diese gehören zu den Risikogruppen für den Medikamentenmissbrauch.

Was motiviert aber Arbeitnehmer, Substanzen einzusetzen, um beruflich scheinbar erfolgreicher zu sein? Immer mehr Berufs-tätige sehen sich, vielleicht durch Arbeitsverdichtung, vielleicht aber auch durch über-zogene subjektive Ansprüche an ihren Erfolg, gezwungen, leistungssteigernde Substanzen regelmäßig einzusetzen. Teilweise spielt dabei auch die Arbeitsplatzunsicherheit eine große Rolle. Gerade die Angst, dass Arbeits-verträge nicht verlängert werden oder man nur durch besondere Leistungen positiv auf-fällt und beruflich Karriere macht, lassen einen Arbeitnehmer der Verführung erliegen, dass es scheinbar harmlose Substanzen gibt, die seine Leistungsfähigkeit steigern.

Nicht selten sind es die „gut gemeinten“ Ratschläge von Kollegen, die selbst solche Substanzen ausprobiert haben, oder die viel zu positiven Berichte, die man zum Einsatz dieser Substanzen im Internet lesen kann, die die Neugierde wecken und den Betroffenen neugierig machen, diese Substanzen auszuprobieren.

Auch gibt es eine gewisse Persönlichkeitsstruktur, die für die Einnahme dieser Substanzen besonders empfänglich ist. Meist sind es junge Arbeitnehmer, die vielleicht schon durch den Einsatz dieser Substanzen in Schule oder Studium erste Erfahrungen damit gesammelt haben. Es handelt sich dabei vor allem um Substanzen wie Methyl-phenidat (Ritalin) oder andere Medikamente, die primär gegen das sog. ADHS eingesetzt werden sollten und deren Missbrauchpotenzial oder nicht indikationsgeleitete Verschreibung in Deutschland enorm hoch ist. So haben wir alleine im Jahr 2007 die Verordnung von 47 Millionen Tabletten Ritalin zu verzeichnen, obwohl dieses Medikament zu diesem Zeitpunkt nur für Jugendliche zugelassen war. Leider hat sich dies mit der Änderung der Verschreibungsrichtlinien 2011 geändert. Ritalin darf jetzt auch für Erwachsene verordnet werden, bei denen der Verdacht besteht, dass schon früher ein ADHS vorgelegen hat. Es ist klar, dass damit auch die Gefahr des Missbrauchs dieser Substanz deutlich gestiegen ist.

Nutzer sind insbesondere auch Arbeitnehmer, die in einer Generation groß geworden sind, in der Begriffe wie „schneller – höher – weiter, alles ist erreichbar“ durch die Fortschritte der Technik suggeriert werden, die dann aber auch auf den Alltag und die mögliche Einnahme von Medikamenten oder Drogen übertragen wird. Vor allem in Amerika wird dieser Trend zunehmend beobachtet. Im amerikanischen Sprachraum galt früher der Spruch „One apple a day keeps the doctor away“; heute hört man in der Arbeitswelt der USA zunehmend den Satz „One pill a day keeps the boss away“.

Wie dargelegt, nimmt der Trend, seine Arbeitsleistung mittels Einnahme von Medikamenten oder Drogen zu steigern, aber auch in Deutschland immer mehr zu. Die Verführung ist groß, durch die Einnahme entsprechender Substanzen länger wach zu sein, länger durchzuhalten, immer perfekt und allzeit leistungsfähig zu sein, nicht müde zu werden, positiv aufzufallen.

In unserer Klinik, in der wir ein spezielles Behandlungskonzept für diese Patienten anbieten, beobachten wir eine deutliche Zu-nahme der Nachfrage nach Behandlungsmöglichkeiten, aber auch, dass diese Problematik inzwischen alle Berufsgruppen in völlig unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen betrifft. Wir sehen dies sowohl bei der Schuh-verkäuferin, dem Immobilienmakler, dem Arzt als auch bei Lageristen.

Dennoch wissen wir auch, dass es in einigen Berufsfeldern besondere Häufungen gibt (s. Infobox).

Unter den eingenommenen Medikamen-ten spielen vor allem das Methylphenidat (Ritalin) und das Modafinil (Vigil) als Substanzen zum Neuroenhancement eine große Rolle. Beide Substanzen führen zunächst zu einer vermehrten Aufmerksamkeit, zu einem Nachlassen der Müdigkeit, zu einer Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit und dadurch insgesamt zu einer – zumindest kurzfristigen – Erhöhung der Leistungsfähigkeit. Daher werden diese Medikamente oft missbräuchlich eingesetzt. Bei Studenten ist das Modafinil, das als Medikament ausdrücklich zur Behandlung der Narkolepsie zugelassen ist, besonders beliebt. In Studentenkreisen spricht man daher auch vom „Viagra für den Kopf“.

Diese Medikamente werden z. T. ärztlich verordnet, aber auch illegal beschafft, zum Beispiel über das Internet. Bei den Vertriebswegen im Internet ist dies natürlich besonders gefährlich, da man nicht weiß, welche Substanzen diese illegal vertrieben Medikamente enthalten, zumal in welcher Dosierung.

Die Wirksamkeit dieser Medikamente ist in der Regel begrenzt, da es zu einer Ge-wöhnung kommt (und damit einhergehend zu einer deutlichen Dosissteigerung). Daher steigen diese Patienten nicht selten auf illegale Drogen wie Amphetamine oder Kokain um. Beide Substanzen wirken hauptsächlich über das serotonerge und noradrenerge System und prägen entscheidend Stimmungslage, Antrieb sowie Kommunikationsfähigkeit und führen über das Verschwinden von Hunger und Müdigkeitsgefühl zu einer scheinbaren Verlängerung der Einsatzbereitschaft.

Wenn diese Substanzen aber zunächst doch funktional wirken, was ist dann so ge-fährlich bezüglich deren Einnahme? Das Verführerische ist, dass die Substanzeinnahme zum Neuro-Doping zunächst deshalb nicht als Problem gesehen wird, weil ja die Leistungssteigerung positiv besetzt ist. Durch die rasche Gewöhnung der Rezeptoren im Be-reich der Neurotransmitter im Gehirn kommt es sehr schnell zu einer Anpassung an die Substanz, einer Verregelmäßigung der Einnahme und zu einer Dosissteigerung. Unter Absetzen der entsprechenden Substanzen folgen dann eine vermehrte Müdigkeit, ein Nachlassen von Konzentrations- und Leistungsvermögen, so dass immer häufiger und immer rascher durch die Einnahme neuer Substanzen die Leistungsfähigkeit aufrecht erhalten werden muss. Nicht selten werden nach der Einnahme entsprechender Substanzen und der Beendigung der Tätigkeit dann zu Hause wiederum Alkohol oder Sedativa eingesetzt, um „wieder runter zu kommen“ und zumindest einige Stunden schlafen zu können.

Daher kommt es häufig zu einer kombinierten Abhängigkeit von leistungssteigernden Substanzen sowie im Gegenzug zur regelmäßigen Einnahme von Alkohol, Schmerz- oder Beruhigungsmitteln. Zusätzlich treten Langzeitveränderungen des Hirnstoffwechsels mit erheblichen Konzentrationsstörungen, rascher Ermüdbarkeit und länger dauernden depressiven Verstimmungen auf. Der hohe Anspruch an sich selbst, perfekt sein zu wollen, besser sein zu wollen als andere, verbunden mit dem entsprechenden starken Leistungsstreben, aber auch dem starken Leistungsdruck, fördert die Neigung zu der Einnahme entsprechender Substanzen. Zusätzlich wirkt das hypothalamische Belohnungssystem durch den direkten beruflichen Erfolg im Sinne der Verstärkung besonders suchtfördernd. Die ständige Verfügbarkeit, nicht müde werden zu wollen oder zu dürfen, lange Arbeitseinsätze, sowie eine einseitige Definition der Lebenszufriedenheit über beruflichen Erfolg sind mit begünstigende Faktoren der entsprechenden Entwicklung einer Ab-hängigkeit. Zusätzliche Probleme durch Misserfolge im Job, hierarchische Unterordnungen, die nicht hingenommen werden können, oder eine problematische Partner-schaft, fördern diese Entwicklung. Man ge-rät in eine Spirale aus Selbstwertproblematik und dem entsprechenden Drang nach erneuter Einnahme der Substanz sowie in einen Teufelskreis aus Angst vor Versagen und den tatsächlichen ersten Misserfolgen durch den veränderten Hirnstoffwechsel und die entsprechenden negativen Langzeitwirkungen der Substanzen ( Abb. 1). Diese sind oft mit einem deutlichen Nachlassen der Leistungsfähigkeit und depressiven Entwicklung verbunden.

Wichtig ist es, diese Mitarbeiter auf ihren Suchtmittelkonsum anzusprechen und ihnen Wege der Behandlung aufzuzeigen. Die aktive Auseinandersetzung mit dem Betroffenen muss als Führungsaufgabe und Aufgabe des betrieblichen Gesundheitsmanagements verstanden werden. In der AHG Klinik Tönisstein behandeln wir in einer speziellen Gruppe zunehmend Patienten, die unter einer Abhängigkeit von sog. Lifestyle-Drogen leiden. Gerade diese äußern sehr häufig, dass sie froh gewesen wären, wenn sie früh genug von Kollegen oder Vorgesetzten auf ihren Suchtmittelkonsum angesprochen worden wären.

Es ist wichtig, die Drogeneinnahme als Lebens- oder Arbeitsstil in Frage zu stellen. Der Vorstellung, dass nur ein „gedopter“ Mitarbeiter ein guter Mitarbeiter ist, muss klar entgegengewirkt werden, da der „gedopte“ Mitarbeiter über kurz oder lang so krank sein wird, dass er als Mitarbeiter nicht mehr tragbar ist, und damit die Gefahr besteht, den Kollegen zu verlieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vorbeugung beispielsweise durch die Vorbildfunktion der Vorgesetzten, aber auch in der Eindeutigkeit, mit Suchtmittelproblemen offen umzugehen. Dies auch sollte Inhalt einer entsprechenden Unternehmensphilosophie oder des be-trieblichen Gesundheitsmanagements sein. Nach dem offenen und klaren Gespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter ist es wichtig, ihm Hilfe aufzuzeigen. Diese gibt es über entsprechende Beratungsstellen. Viele Fach-kliniken sind aber noch zu wenig spezialisiert auf die Besonderheiten der Behandlung von Patienten mit dieser Abhängigkeitsproblematik.

Gerade Führungskräfte neigen oft dazu, „alles selbst im Griff zu haben“ und wenig Hilfe von Außen annehmen zu wollen. Bei entsprechender Spezialisierung der Angebote sind die Behandlungserfolge – unter der Voraussetzung einer entsprechenden Veränderungsmotivation – sehr hoch. Wichtig ist aber der klare Umgang mit dem Kollegen mit einem eindeutigen Hilfeangebot.

Man darf nicht wegschauen und damit den Mitarbeiter fallen lassen!

Literatur

Buschmann HC: Doping bei der Arbeit? Sonderdruck aus ASUpraxis 2009; 44: 7.

Buschmann HC: Doping in der Unfallchirurgie. Unfallchirurg 2010; 113: 180–182

    INFO

    Wer ist betroffen? (typische Berufsbilder/-situationen)

    • Bei besonders langen Arbeitszeiten
    • Nicht nur Führungskräfte
    • Menschen mit hoher Kommunikations-fähigkeit, Kreativität
    • Berufe in Presse, Funk, Fernsehen
    • Kreativberufe, Künstler
    • Sportler
    • Bankwesen
    • IT-Branche
    • Werbebranche u. v. a.

    Weitere Infos

    DAK-Studie: Doping im Job nimmt deutlich zu, Presse-stelle der DAK-Gesundheit

    www.dak.de/dak/download/Pressemitteilung_Gesundheitsreport_2015-1585952.pdf

    Buschmann HC: Doping im Beruf – Ursachen, Risiken und Therapiemöglichkeiten. Die Führungskräfte, 2014

    https://www.die-fuehrungskraefte.de/aktuelles/fuehrungskraefte-news/detailansicht/doping-im-beruf-ursachen-risiken-und-therapiemoeglichkeiten-von-dr-med-hubert-c-buschmann/33b74b242d310a8e1e620e80d9c6a134/

    Autor

    Dr. med. H. C. Buschmann

    AHG Klinik Tönisstein

    Hochstrasse 25

    53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler

    hbuschmann@ahg.de

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