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Dieselskandal: Sind Stickoxide das geringere Übel?

Die WHO schätzt in ihrem jüngsten Bericht (s. „Weitere Infos“), dass ungefähr 7 Millionen Menschen jährlich an Feinstaub sterben, „der tief in die Lungen und das Herzkreislaufsystem eindringt, Krankheiten wie Schlaganfall, Herzerkrankungen, Lungenkrebs, COPD und Atemwegsinfekte inklusive Lungenentzündung verursacht“ (oder verstärkt). NO2 wird als Schadstoff nicht einmal erwähnt – weil er vergleichsweise wenig Schaden anrichtet?

Entbehren die Stickoxid-Grenzwerte der Plausibilität?

Die medial viel diskutierte Studie eines Autorenteams um Prof. Kraus in Aachen hat an 25 jungen, gesunden Probanden mit reinem NO2 gezeigt, dass beim Gesunden erst ab dreistündiger Exposition mit 956 µg/m³ erste Lungenfunktionsstörungen auftreten (Brand et al. 2016). Die WHO listet experimentelle Studien mit reinem NO2 auf, die ab 1880 µg/m³ leichte Effekte nach Kurzzeitbelastung zeigen (WHO 2006), andere finden bis 6000 µg/m³ (Arbeitsplatzgrenzwert Schweiz) keinen Effekt. Bei Asthmatikern spricht die WHO von einem klaren „lowest observed effect level“ (LOEL) von 400–500 µg/m³ bei Kurzzeitwirkungen.

Wie kommt es dann zu den von der WHO empfohlenen und auch in Österreich (s. „Weitere Infos“) festgelegten Grenzwerten (Jahresmittelwert von 40 µg/m³ und Einstundenmittel von 200 µg/m³)? Chronische Schäden bei geringen (diagnostisch verifizierbaren) Akutwirkungen sind bei chlorierten Kohlenwasserstoffen sowie Schwermetallen wie Blei oder Asbest gut erforscht. Allerdings sind das nichtlösliche, bioakkumulierende Stoffe. Stickstoffdioxid als Reizgas ist beides nicht. Ozon als vergleichbares Reizgas erzeugt Lungenfibrose und eingeschränktes Lungenwachstum bei Kindern erst ab Konzentrationen, in denen auch deutliche akute Effekte feststellbar sind.

Daher ist der Verdacht begründet, dass Langzeitwirkungen von NO2 mit anderen, gleichzeitig vorkommenden Luftschadstoffen, Allergenen und Infektionserregern erklärt werden müssen. Für die epidemiologisch dem Stickstoffdioxid NO2 zugeschriebenen Gesundheitsschäden ist vermutlich vorwiegend der ultrafeine Partikel (UFP) samt Beladung mit polyzyklischen Aromaten (PAK) und Metallabrieb aus dem Motor verantwortlich (  Abb. 1).

Umweltschutz und Medizin haben den technischen Fortschritt übersehen

Diese „Verwechslung“ konnte nur deswegen geschehen, weil man glaubte, UFP würden mit PM2,5 ausreichend erfasst. Dabei wurde allerdings die Motorenentwicklung übersehen: Seit dem Jahr 2000 ist der Druck im Dieselmotor bis auf 2400 bar (PKW) gestiegen. Erst dadurch wird ein primäreres Partikel derart klein (20 nm – quasi PM0,02). Beim Benzin-Einspritzer sind es nur 150 bar; dennoch werden hier noch kleinere Partikel erzeugt, weil sie durch Verdunstung in Millisekunden kleiner werden.

Der gestiegene Druck hat die Masse (PM) der Partikel extrem reduziert, die Anzahl blieb gleich. Ein EURO-V-LKW emittiert die gleiche Zahl, aber nur 1/10 der Masse an Partikeln eines EURO III, im Vergleich zu EURO I gar nur ein Dreißigstel. Das leichteste 1 % der Masse hat aber 80 % der – für die Gesundheit relevanten – Oberfläche. Wenn ein Partikel mit 5 µm (wird teils sogar bei PM2,5 miterfasst) aus einer Mischung mit 1 Million Partikel mit 50 nm (frisches Dieselabgas) mit gleichem Gewicht (!) entfernt wird, ist die Luft scheinbar um 50 % besser geworden, obwohl >99 % der Oberfläche bleiben. Die „lung deposit surface area“ könnte sich als beste Beschreibung des Schadenspotenzials von Partikeln bewähren, wenn zusätzlich auch die chemische Zusammensetzung berücksichtigt wird. Denn je nach Größe schwankt die Resorption in der Lunge und der Übertritt ins Blut – und damit in praktisch alle Organe – sehr stark.

Entfernung des Schwefels

Eine weitere Täuschung brachte die sinnvolle Entfernung des Schwefels aus dem Diesel: SO2 hat nicht nur die Partikelbildung gefördert, sondern der Sulfatmantel hat viel Wasser um den Partikel gebunden, nun ist die Partikelmasse um diesen harmlosen Teil „besser“. Das erklärt auch Gerüchte, dass die Containerschiffe „ja mehr emittieren als alle Dieselfahrzeuge zusammen“ – der hohe Schwefelanteil des Schiffsdiesels bringt einen höheren Wassergehalt auf die „PM10-Waage“. Aus dem schwarzen Ruß ist unsichtbarer, alle biologischen Barrieren durchdringender, ultrafeiner Partikel weit unter den Lichtwellenlängen geworden.

Mechanische Generierung (Abrieb etc.) bringt überwiegend Partikel über 1000 nm hervor. Diese Größenordnung ist häufig auch natürlichen Ursprungs (Pollen, Erosion, salzhaltige Luft am Meer). Weil es sie schon vor dem Menschen gegeben hat, hat der Mensch dafür mehrere „Filtermechanismen“ in Nase (Mund-Atmer haben daher ein deutlich höheres Risiko für Staublunge), Luftröhre und Bronchien. Natürlich gibt es Viren – u.a. natürlich Partikel im Nanomaßstab –, aber nicht 600 Milliarden pro Kubikmeter.

Ein Wert von 1000 nm gilt zwar als gerade alveolengängig, allerdings penetriert diese Größe die alveokapilläre Membran nicht, sondern wird von Makrophagen abtransportiert oder gelangt ins Interstitium. Unter 100 nm kann der nun ins Blut penetrierende Partikel in alle Organe gelangen –auch durch Zellwände und bis in den Zellkern. Ultrafeinstaub wurde bereits in Gehirnen von Ungeborenen gefunden und kann auch beim Erwachsenen (z.B. über nasale Translokation wie Herpesviren via Bulbus olfaktorius) bis ins Gehirn gelangen. Kinderärzte haben Anfang 2018 gewarnt, dass diese Partikel pränatal die Blut-Hirn-Schranke beschädigen; zahlreiche Folgeschäden, vor allem im Sinn mentaler Beeinträchtigungen, werden befürchtet. „UFP ist die ideale Darreichungsform für unerwünschte Substanzen in die Zelle“ (Prof. Armin Hansel, Institut für Ionenphysik).

Zunahme an Herzinfarkten und Schlaganfällen

Die Hauptlast stellt – epidemiologisch und experimentell gesichert und biologisch plausibel – die Zunahme an Herzinfarkten und Schlaganfällen dar. Die kleinsten Partikelgrößen führen über Durchblutungsstörung durch endotheliale Dysfunktion und eine Erhöhung der Blutgerinnung und permanente Entzündung, unter anderem über oxidativen Stress, zu mehr thrombotischen Ereignissen. Damit wird eine Erhöhung der Sterblichkeit plausibel. 66.000 Todesfälle nennt die EEA für Deutschland pro Jahr. Am NO2 sterben pro Jahr in der gesamten EU 11.400 (Env. Health Analytics, LCC, 2018).

Ruß/Black Carbon ist ex aeqo mit Methan als zweitwichtigster Klimatreiber anerkannt. Weil sie viel schneller aus der Atmosphäre verschwinden, haben 400 Wissenschaftler 2012 dazu aufgerufen, der Reduktion dieser beiden Stoffe Vorrang vor dem CO2 zu geben. Eine kürzlich publizierte Studie zeigt, dass zur Erreichung des 1,5 °C-Klimaziels auch eine Reduktion von Black Carbon von derzeit 6 auf 1,5 Megatonnen erforderlich ist (Grubler et al. 2018).

Die Lösung: Partikelfilter auch zur Nachrüstung

Selten ist eine Technik derart wirksam. Studien von AVL und der ETH Zürich haben gezeigt, dass 99,99 % Reduktion Standard sind. Beim PKW wurde der Filter mit EURO V (2010) Pflicht, beim LKW leider erst mit EURO VI (2014). Mit den Partikeln werden auch Metallabrieb (Nickel und Chrom sind krebserregend und werden in höher drehenden Motoren wie Benzin-PKW und Motorrädern noch stärker frei gesetzt) und PAK (polyzyklische Aromate) zu über 85 % entfernt (  Abb. 2).

Was macht die Politik?

Diese Erkenntnisse haben in der Schweiz zu einer langjährigen Diskussion, aber auch zielgerichtetem Handeln geführt. Busse in öffentlichem Interesse fahren nur dann von der Mineralölsteuer befreit, wenn sie Filter haben. 95 % der Busse wurden nachgerüstet bzw. entsprechen der EURO–VI-Norm. Größere Baumaschinen müssen Partikelfilter haben und die Funktion wird auf den Baustellen streng überprüft. Selbst Schiffe und Dieselloks der Schweiz wurden nachgerüstet. So kann unser Nachbar den PM2,5-Grenzwert von 12,5 µg/m³ vermutlich bald einhalten, während wir bei doppelt so hohen Grenzwerten Überschreitungen verzeichnen müssen. Die WHO hat 2017 darauf hingewiesen, dass selbst ihr Grenzwertvorschlag von 10 µg/m³ die Gesundheit nicht ausreichend schützt. Israel wird ab Oktober 2018 LKW ohne Filter bei den jährlichen Kontrollen aus dem Verkehr ziehen, auch in anderen Ländern wurden insgesamt fast zwei Millionen Partikelfilter nachgerüstet. Das forderte der Weltärztebund 2014 in einem Appell an alle Regierungen (s. „Weitere Infos“), ebenso eine Überwachung von Partikelzahl (PN) und lungendeponierter Oberfläche (LDSA) an den relevanten Standorten.

Die bei uns fehlende Nachrüstung aller viel und noch lange im Betrieb stehenden Schwerfahrzeugen etc. führt zu einem direkten Gesundheitsschaden von mindestens 10 Cent pro Liter und dem Doppelten durch Produktionsverlust in der Wirtschaft.

Ein zweiter Aspekt ist beim Diesel besonders ärgerlich – die steuerliche Begünstigung (in Österreich 8 Cent pro Liter). Würden wir CO2-Steuern wie in Schweden oder Britisch Columbia einführen (was den momentanen Klimaschaden von 80 € pro Tonne abbildet), müssten pro Liter Diesel 21 Cent zusätzlich abgeführt werden, da pro Liter 2,6 kg CO2 entstehen. Langfristig wird mit bis zu 500,– € Schaden pro Tonne CO2 gerechnet. Auch die steuerliche Förderung des Berufspendelns mit Dieselautos (statt des Umstiegs auf elektrische Massentransportsysteme) ist kontraproduktiv. Weniger als ein Drittel des Diesels fließt allerdings in PKW.

Weitere „Skandale“ rund um den Diesel sind die größere Lärmerregung im Bereich von Wohnstraßen und der Zusatz von Palmöl, der in der Größenordnung der in Lebensmitteln verwendeten Menge liegt (EU-Bemühungen um Reduktion sind im Gange). Palmöl ist das Fett mit dem geringsten Bodenverbrauch und kann nachhaltig gewonnen werden, auch wenn das in der Praxis heute noch selten erfolgt. Für eine Verbrennung in Motoren und Kraftwerken sind Lebensmittel viel zu schade. Praktisch veranschaulicht, kann festgestellt werden, dass die Menge Mais, die eine Tankfüllung Ethanol ergibt, einen Menschen ein Jahr lang ernähren kann. Hinzu kommt, dass Ethanol ebenso schädliche Abgase erzeugt und die Grundstoffe zudem zukünftig knapp werden.

Ein weiterer Skandal ist die Zerstörung von Partikelfiltern und der Einbau von sog. Emulatoren, die den Harnstoffverbrauch stark reduzieren und damit die Stickoxidbelastung vervielfachen. Den eingesparten Kosten steht ein großer Schaden an der Allgemeinheit gegenüber.

Fazit

Eine Software, die am Prüfstand niedrige NO2-Emissionen von Automotoren als real auf der Straße vortäuscht, ist ein schwerer Betrug. Kaum ein Hersteller kann die NO2-Grenzwerte ohne teure SCR-Technik einhalten. Die Stickoxide aus Motorabgasen sind problematisch in Kombination mit Staubpartikeln und wegen ihres Beitrags zu Überdüngung sowie bei der Entstehung von Ozon in trockener Hitze, wie es in kommenden heißen, niederschlagsarmen Sommern wieder zum Problem werden könnte – besonders für Lungenkranke.

Aber der Schaden durch die Partikel (sog. Feinstäube) ist mehrfach größer – für die Gesundheit und für das Klima. Auch die DGP (Deutsche Gesellschaft für Pneumologie) forderte ein, sich dem gefährlicheren Feinstaub zu widmen. Eine Nachrüstung aller Schwerfahrzeuge mit Partikelfiltern, wie es die Schweiz umgesetzt hat, kostet für Deutschland rund 3 Milliarden Euro. Eine Nachrüstung aller PKW mit SCR zur Reduktion der Stickoxide in der Praxis kostet bis zum Zehnfachen – bei einem Zehntel des Nutzens (siehe „Weitere Infos“).

Deshalb ist es unsinnig, viel Geld in die Reduktion eines gesundheitlich weniger relevanten Stoffes zu investieren, wenn hocheffizient der Hauptschädiger durch Partikelfilter beseitigt werden kann.

Interessenskonflikt: Der Autor erklärt keinen Interessenskonflikt.

Literatur

Brand P, Bertram J, Chaker A, Jörres RA, Kronseder A, Kraus T, Gube M: Biological effects of inhaled nitrogen dioxide in healthy human subjects. Int Arch Occup Environ Health 2016; 89: 1017–1024.

Grubler A et al.: A low energy demand scenario for meeting the 1.5 °C target and sustainable development goals without negative emission technologies. Nature Energy 2018; 3: 515–527.

WHO: Air Quality Guidelines, Global Update 2005. WHO, 2006, p. 239–249.

    Über den Autor

    Dr. Heinz Fuchsig ist Arbeitsmediziner bei der AUVA (Austrian Workers Compensation Board) und Umweltreferent der Österreichischen Ärztekammer sowie Autor des Appells des Weltärztebundes zur Reduktion von (Diesel-)Ruß vom Oktober 2014.

    Info

    Mit Benzin, Kerosin, Heizöl und anderen Ölprodukten teilt Diesel die militärischen Kosten. Der Großteil der außerhalb der USA positionierten Streitkräfte ist in und um die Öllieferländer stationiert; die USA importieren immer noch die Hälfte ihres Bedarfes. Das soll zu Kosten von ca. 50 Cent pro Barrel führen und durch das Waffen- und Ölgeschäft zwischen den USA und Saudi-Arabien abgesichert werden.

    Weitere Infos

    WHO: 9 out of 10 people worldwide breathe polluted air, but more countries are taking action (Mai 2018)

    www.who.int/news-room/detail/02-05-2018-9-out-of-10-people-worldwide-breathe-polluted-air-but-more-countries-are-taking-action

    Österreichische Akademie der Wissenschaften: Wirkungen von Stickstoffoxiden auf den Menschen

    https://www.oeaw.ac.at/fileadmin/kommissionen/klimaundluft/1998_Band17_NO2_Kurz-fassung.pdf

    World Medical Association: WMA statement on the prevention of air pollution due to vehicle emissions

    https://www.wma.net/policies-post/wma-statement-on-the-prevention-of-air-pollution-due-to-vehicle-emissions/

    External Costs of Transport in Europe. Update Study for 2008

    https://ce.nl/publicaties/external-costs-of-transport-in-europe/

    Autor

    Dr. Heinz Fuchsig

    Umweltreferent der Tiroler und Österreichischen Ärztekammer

    Körnerstraße 16

    6020 Innsbruck

    heinz.fuchsig@auva.at