Die Möglichkeit, sich in Rauschzu-stände versetzen zu können, gehört zur menschlichen Existenz. Schon tausende Jahre vor unserer Zeitrechnung entdeckten und entwickelten die Menschen die berauschende Wirkung des Alkohols, von Pilzen, des Hanfs oder des Mohns. Heute fassen wir diese psychoaktiven Substanzen unter dem Oberbegriff der Drogen zusammen, wobei in unserem eigenen Kulturkreis interessanterweise der Alkohol hierunter umgangssprachlich nicht subsumiert wird. Diese Tatsache weist auf das Spannungsfeld hin, in dem sich der Gebrauch psychoaktiver Substanzen befindet.
Zu nennen sind einerseits der Einsatz von „Rauschmitteln“ zu kultisch-religiösen Zwecken, wie wir ihn beispielsweise in den Hochkulturen Mittel- und Südamerikas, aber auch Indiens finden, und andererseits die Anwendung von „Drogen“ als Heilmittel zu medizinischen Zwecken. Hier sind insbesondere der sog. indische Hanf und der Schlafmohn zu nennen, die seit mehreren tausend Jahren in der Heilkunst genutzt werden. Mit ihren modernen Derivaten sind sie auch heute noch fester Bestandteil ärztlicher Pharmakotherapie.
Eine dritte Säule der Anwendung von „Drogen“ ist die ihres Gebrauchs als Genussmittel. Nicht umsonst titulierte Ernst von Bibra 1855 sein Standardwerk zu den berauschenden Substanzen mit „Die narkotischen Genussmittel und der Mensch“. Interessanterweise beginnt dieses Buch mit Kapiteln über Kaffee, Tee und Kakao. Von Bibra beschreibt bereits schon Mitte des 19. Jahrhunderts sehr eindrücklich die Gefahr, dass aus Genuss Sucht werden kann.
In ihrer Wirkung kann man die unter-schiedlichen „Rauschmittel“ in drei große Gruppen unterteilen: zum einen die Gruppe der Substanzen, die eher dämpfen und entspannen (wie Opium und seine Abkömmlinge), jene, die stimulieren und aktivieren (wie Kokain und Amphetamine) sowie eine zahlenmäßig geringere Gruppe mit halluzinogenen Effekten. Zu letzterer Gruppe zählen u. a. das LSD und bestimmte psycho-gene Pilze. Der jeweils intendierte Effekt bedingt die Wahl des Rauschmittels.
So beschreibt schon von Bibra vor 160 Jahren das Opium als Betäubungsmittel und formuliert hierzu: „Der Geist wird aufgeheitert, über die gewöhnlichen Sorgen des Lebens erhoben. Süße Bilder umschweben den Rauchenden […].“ Heute, außer in einigen Regionen Asiens, ist es nicht mehr das Opium, sondern seine moderne Form, das Heroin, das diesen altbekannten Zustand hervorrufen soll. Während in der Bundes-republik Deutschland die Heroinkonsumen-ten eher rückläufige Zahlen aufweisen, erlebt die Substanz derzeit in den USA eine Renaissance. Es bleibt daher zu hoffen, dass dieser Trend sich nicht auch hierzulande ein-stellt.
Wie heute das Heroin und andere illegale Drogen, war bereits im 18. und 19. Jahrhundert der Handel mit seinem Vorgänger Opium ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. So war Opium im 19. Jahrhundert die Hauptexportware des Westens – angeführt von der East India Company – nach China. Vom chinesischen Arzneimittel des 18. Jahrhunderts wandelte sich das Opium zum Suchtmittel des 19. Jahrhunderts. Schätzungen zufolge waren Ende des 19. Jahrhunderts etwa 15 Mil-lionen Chinesen von Opium abhängig, mit allen desaströsen Folgen für Kultur und Ge-sellschaft.
Cannabis, das im Hochmittelalter als Haschisch Einzug in die europäische Kloster-medizin fand, verfügt je nach Disposition des Konsumenten über sedierend-entspan-nende wie auch angstlösend-euphorisierende Eigenschaften. Im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es ein beliebtes Therapeutikum, das vor allem bei Schmerzen und diversen neurologischen Erkrankungen eingesetzt wurde. Auch der appetitanregende Aspekt wurde früh beschrieben, ebenso das Fehlen typischer Entzugserscheinungen im Vergleich zum Opium, wenngleich es diesem auch als Schmerztherapeutikum unterlegen war. Aktuell erfährt Cannabis gleichwohl eine Wiederentdeckung als legales Medikament zur Behandlung von Krebs- und Aidspatienten.
Furore machten die Produkte des „indischen Hanfes“, allerdings in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Illegalität. Cannabis wurde zur weltweit führenden illegalen Droge.
Die dritte große Gruppe illegaler Drogen, die es zu betrachten gilt, ist die der Psychostimulanzien. Hier stehen an erster Stelle das Kokain und die Gruppe der Amphetamine. Die „Coca“ wurde der europäischen Kultur durch die spanischen Eroberer Südamerikas vertraut. Dort galt sie als Pflanze göttlichen Ursprungs, ein Kraut, „welches den Hungrigen sättigt, dem Müden und Erschöpften neue Kräfte verleiht, und dem Unglücklichen seinen Kummer vergessen macht“ (von Bibra). Die spanischen Eroberer beobachteten auch, dass der Genuss von Coca geeignet war, die Arbeitsleistung der von ihnen versklavten Ureinwohner zu verbessern. „Der Arbeiter bedurfte weniger Speise und leistete größere Dienste mit der Coca“ (von Bibra).
Das Prinzip der Leistungssteigerung in Folge der Einnahme von Stimulanzien hat eine lange Tradition und ist nicht nur von aktueller arbeitsmedizinischer Brisanz. Noch bis 1906 enthielt Coca-Cola stimulierende Extrakte der Coca-Pflanze. Bis heute ist Kokain fester Bestandteil des Marktes illegaler Drogen. Durch seine Hochpreisigkeit sicherlich steht es allerdings deutlich hinter der Gruppe der Amphetamine. Als weltweit die Nummer zwei unter den häufigsten illegalen Drogen aus der Gruppe der Stimulanzien gilt mittlerweile Methamphetamin. Nach neuesten Untersuchungen fungiert es teilweise sogar als Einstiegsdroge.
Bereits im zweiten Weltkrieg und auch danach diente Methamphetamin zur Verbesserung der Wachheit und Leistungsfähig-keit von Soldaten. Die Diskussion um die aktuelle Entwicklung des Konsums von Amphetaminen, speziell Crystal Meth, zeigt ein neues Profil von Drogenkonsumenten. Hier geht es nicht primär um das Erleben des Rausches und der Bewusstseinsveränderung, sondern um die Steigerung der subjektiven Arbeitsproduktivität, ungeach-tet der unkontrollierbaren Gefährdung der eigenen Gesundheit. Ernst Jünger formulierte schon 1970 hierzu treffend zum Thema Drogen und Rausch: „Inmitten der Arbeitswelt und ihrer Spannung werden sie vielen zur Nervenkost.“ Ein Prinzip, das den südamerikanischen Minenarbeiter des 17. Jahrhunderts mit den modernen Berufstätigen unserer hochentwickelten Industriegesellschaft verbindet.
Die Sehnsucht nach dem Rausch wird der menschlichen Natur sicherlich auch zukünftig erhalten bleiben. Wenn aber in der Folge aus Genuss Sucht wird, sind Medizin und Gesellschaft gefordert.
Die Literatur kann beim Verfasser angefordert werden.
Autor
Dr. med. W. Wittgens M.A.
Schlossparkklinik Bergisch Gladbach
Paffrather Straße 265
51469 Bergisch Gladbach