Die Sprechstunde geht zurück auf die Initiative einer afrikanischen Sozialarbeiterin, Frau Virginia Wangare Greiner, Leiterin des Verein Maisha e.V., die Afrikanerinnen und Afrikaner in Frankfurt am Main sozialarbeiterisch betreut und in diesem Rahmen häufig mit medizinischen Problemen konfrontiert wurde. Ihre Vorsprache bei der Stadt Frankfurt am Main führte damit 2001 zur Einrichtung der so genannten Humanitären Sprechstunde. Diese wurde anfänglich als „Afrika-Sprechstunde“ einmal pro Woche vormittags durchgeführt. Mit der EU-Ost-Erweiterung 2007 suchten auch zunehmend Bürger ohne Krankenversicherung aus anderen europäischen Staaten die Sprechstunde auf, so dass diese aufgrund des Patientenandrangs auf zwei Tage pro Woche (montags und donnerstags) erweitert wurde.
Das medizinische Angebot
Die Angebote der Humanitären Sprechstunde entsprechen denen einer hausärztlichen Praxis. Es werden Blut-, Urin-, Stuhl-, EKG-, Sonographieuntersuchungen und individuelle gesundheitliche Beratung, Behandlung und Medikamentengabe durchgeführt.
Behandlungsschwerpunkte
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
- Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus,
- degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates,
- akute Infektionen (Hepatitiden, HIV, Tbc, STI).
Die häufig erforderliche psychosoziale Beratung erfolgt zusammen mit der Clearingstelle des Verein Maisha e.V.
Im Laufe der Jahre konnten Kooperationspartner gefunden werden, wie die Elisabeth-Straßenambulanz der Caritas, die Malteser-Migranten-Medizin sowie einige niedergelassene Fachärzte.
Die Hauptherkunftsländer der Patienten sind: 49 % Europa (an erster Stelle Rumänien, gefolgt von Bulgarien, darunter auch vereinzelte nicht krankenversicherte Deutsche), 40 % Afrika (1. Ghana, 2. Äthiopien, 3. Eritrea), 9 % Asien und zu 2 % Nord- und Südamerika ( Abb. 1 und 2).
Da eine große Gruppe der Patienten der Humanitären Sprechstunde Frauen mit Kindern sind, wurde zur Absicherung der gesundheitlichen Versorgung ihrer Kinder, eine Humanitäre Kindersprechstunde jeden Mittwochvormittag eingerichtet.
Im Fokus dieser, durch eine Kinderärztin geleiteten Sprechstunde, stehen dabei die gesetzlichen Kindervorsorgeuntersuchungen sowie die Sicherstellung des kompletten Impfstatus.
Insgesamt werden die Sprechstunden von 3 Amtsärztinnen und 2 Medizinischen Fachangestellten durchgeführt. Unterstützt werden sie seit 2014 durch eine Gesundheitswissenschaftlerin zur Koordination der Humanitären Sprechstunde mit anderen gesundheitlichen Institutionen.
Das ambulante Entbindungsprogramm
Die Betreuung von Schwangeren stellte das Team im Laufe der Jahre immer häufiger vor medizinische Herausforderungen, da die unvorhersehbaren Komplikationen bei Hausgeburten zunahmen. Aufgrund ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus und fehlender Krankenversicherung wagten die Frauen nicht, Kranken- oder Geburtshäuser aufzusuchen. Deshalb wurden 2007 von der Leitung des Gesundheitsamtes Verhandlungen mit Frankfurter Entbindungskliniken geführt und 2008 ein ambulantes Entbindungsprogramm ins Leben gerufen.
Voraussetzungen zur Teilnahme an diesem Programm
- Erfassung der Personalien von Mutter und Kindsvater.
- Der Wohnsitz der Schwangeren ist in Frankfurt am Main.
- Die Patientin oder der Partner tragen die Kosten von € 600,–, € 100,– werden von der Stadt Frankfurt am Main dazu gegeben.
Die erfassten Personalien werden streng vertraulich behandelt, es erfolgt keine Weitergabe an andere Institutionen und Behörden.
Ablauf des Programms
- Die Blutuntersuchungen für die Ausstellung des Mutterpasses erfolgen in der Humanitären Sprechstunde.
- Die Betreuung der Schwangeren erfolgt in Kooperation mit in Frankfurt am Main niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen.
- Die Geburt findet in einer von sechs Frankfurter Entbindungskliniken im Versorgungsumfang einer gesetzlich krankenversicherten Gebärenden statt.
- Die Geburt wird durch eine Hebamme und ggf. von einem Gynäkologen geleitet.
- Die Entlassung erfolgt nach ca. 6 Stunden unter Voraussetzung des gesundheitlichen Wohlbefindens von Mutter und Kind.
Eine Problematik des Programms besteht darin, dass bei Patientinnen mit gravierenden Komplikationen im Schwangerschaftsverlauf die Aufnahme in das ambulante Entbindungsprogramm nicht garantiert werden kann.
Des Weiteren gehen die ggf. entstehenden stationären Mehrkosten (z.B. bei operativer Entbindung) zu Lasten der Patientin oder des Partners, Ratenzahlungen werden im Allgemeinen von den Krankenhäusern akzeptiert.
Für Schwangere in prekären Lebenslagen, wie bei Wohnsitz- und Mittellosigkeit, werden in Ausnahmefällen die Kosten von kirchlichen Organisationen übernommen.
Das Team der Humanitären Sprechstunde dankt der Stadt Frankfurt am Main, auch im Namen der Patienten, für die Möglichkeit, diese Sprechstunde durchführen zu können.
Interessenkonflikt: Die Autorinnen erklären, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Info
Diese humanitäre Tätigkeit ist durch das Hessische Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (HGÖGD) abgesichert: Im zweiten Abschnitt in § 7 wird explizit auf die Prävention und Gesundheitsförderung für „sozial benachteiligte oder besonders schutzbedürftige Personen, die an der gesundheitlichen Versorgung nicht ausreichend teilnehmen“ Bezug genommen: „Für diesen Personenkreis können die Gesundheitsämter ambulante Behandlungen im Einzelfall vornehmen.“
Beispiele
Ein Blick in die tägliche Praxis der Humanitären Sprechstunde
D., 32 Jahre, aus Ghana
Die Patientin war bereits seit längerem in der Humanitären Sprechstunde bekannt; sie wurde wegen Hypertonie medikamentös behandelt. Unter der Therapie trat eine Schwangerschaft ein. Nach anamnestischer Angabe hatte D. in der Vergangenheit bereits mehrere Aborte unklarer Ursache erlitten. In Kooperation mit einer niedergelassenen Gynäkologin erfolgte eine Überwachung als Risikoschwangerschaft.
Daraus resultierte ein stationärer Krankenhausaufenthalt, der jedoch nach zwei Tagen von der Patientin abgebrochen wurde, aus Angst vor den zu erwartenden finanziellen Forderungen. Die Patientin konnte ihre eigene Gefährdung und die ihres ungeborenen Kindes nicht einschätzen und nahm wochenlang keinen Kontakt mit der Humanitären Sprechstunde auf. Erst durch einen Anruf der behandelnden niedergelassenen Gynäkologin erfuhren wir, dass bei der dort in der 24. SSW durchgeführten Routine-Uultraschalluntersuchung der Verdacht auf eine Minderversorgung des Feten („small for gestational age“) gestellt wurde. Zusätzliche Spezialuntersuchungen bei einer weiteren Gynäkologin folgten. Hierbei ergab sich, dass die Hypertonie der Schwangeren bereits zu einer Einschränkung der arteriellen Versorgung von Gebärmutter und Plazenta geführt hatte.
Der fehlende Krankenversicherungsschutz und der ungeklärte Aufenthaltsstatus der Afrikanerin machte die weitere medizinische Versorgung schwierig; die Patientin entzog sich erneut der fachärztlichen Behandlung. Vier Wochen später erfolgte die Mitteilung einer Frankfurter Entbindungsklinik, dass in der 27. SSW eine Geburtseinleitung bei intrauterinem Fruchttod erforderlich wurde. Die Krankenhausbehandlungskosten sind bis heute ungedeckt, die Patientin hat seit über einem Jahr nicht mehr in der Humanitären Sprechstunde vorgesprochen.
O., 32 Jahre, aus Ghana
Sie stellte sich erstmalig wegen der Schwangerschaft in der Sprechstunde vor. Bei der grob orientierenden Erstuntersuchung wurden Auffälligkeiten festgestellt: Hypertonie und Proteinurie in der geschätzten 32. SSW.
Es wurde sofort der Kontakt zu einem kooperierenden niedergelassenen Gynäkologen hergestellt, wegen des Verdachtes auf Präeklampsie. Ungefähr eine Woche später erreichte die Humanitäre Sprechstunde ein Anruf eines Krankenhauses aus der Frankfurter Umgebung: Bei O. musste eine vorzeitige Notsectio bei schwerer Präeklampsie in der ca. 34. SSW durchgeführt werden. Das neugeborene Mädchen war mit 1238 g und 39 cm deutlich wachstumsretardiert. Wegen weiterer Gewichtsabnahme des Säuglings auf 1050 g wurde das Neugeborene intensivpflichtig. Aufgrund fehlender neonatologischer Betten in Frankfurt wurde eine notfallmäßige Verlegung des Säuglings in ein Krankenhaus außerhalb Frankfurts notwendig. Durch diese dringend erforderlichen medizinischen Maßnahmen entstanden Kosten von über 30 000 Euro, die ebenfalls bis heute ungedeckt blieben.
A., 42 Jahre, aus einem asiatischen Land
Die Erstvorstellung erfolgte mit Wunsch nach einem Check-up. Sie lebt seit über neun Jahren in Frankfurt am Main, undokumentiert und ohne Krankenversicherung. Sie hatte bisher keine Chance auf Regelung ihres Aufenthaltsstatus trotz anwaltlicher Unterstützung. Im Rahmen der Erstvorstellung erfolgte die Feststellung eines Diabetes mellitus Typ II (Nüchternblutzucker: 307 mg/dl, HbA1c: 12,9 %). Der Diabetes mellitus wurde letztendlich erfolgreich auf eine Kombination von oraler Therapie mit Injektionstherapie eingestellt. Die Patientin ist sehr zuverlässig und öffnet sich im Laufe der Behandlung. Sie verfügt über eine qualifizierte Berufsausbildung im Bereich der Psychologie. Während der Vorstellungen erfolgte eine psychosoziale Beratung. Die Patientin entwickelt Eigeninitiative und bekommt ein Anstellungsangebot auf dem ersten Arbeitsmarkt. Unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen erfolgt die Einleitung ihrer Legalisierung. A. nimmt eigenständig Kontakt mit der Ausländerbehörde auf und wird darauffolgend wegen ihres irregulären Status kurzfristig in Polizeigewahrsam genommen. Es wurde unter Mitwirkung der zuständigen Behörde die Vereinbarung getroffen, dass A. für drei Monate zurück in das Heimatland reist, um dann zur Arbeitsaufnahme wieder legal zurückkehren zu können. Die Diabetesmedikation wurde der Patientin für die Gesamtdauer des Heimataufenthaltes von der Humanitären Sprechstunde mitgegeben, da die erfolgreiche Diabetestherapie andernfalls gefährdet wäre.
S., 43 Jahre, aus Mexiko
Der Patient ist seit Anfang 2017 in der Humanitären Sprechstunde bekannt. Er wurde durch einen Frankfurter Verein überwiesen, da nachweislich eine fortgeschrittene HIV-Erkrankung besteht und er nicht krankenversichert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass S. insulinpflichtiger Diabetiker ist, an Hypertonie und an einer Fettstoffwechselstörung erheblichen Ausmaßes leidet. Durch die Vermittlung der Humanitären Sprechstunde konnte die Weiterbehandlung der HIV-Erkrankung durch einen niedergelassenen Infektiologen sichergestellt werden. Die Stoffwechselerkrankungen werden in der Humanitären Sprechstunde behandelt. Aufgrund des ungeklärten Aufenthaltsstatus verschlechtert sich der psychische Zustand des Patienten wesentlich, aber dennoch ist er zuverlässig und gewissenhaft und stellt sich in regelmäßigen Abständen in der Humanitären Sprechstunde vor. S. erfüllt alle Maßnahmen im Rahmen der Integration, wie erfolgreiche Teilnahme am Deutschkurs und zeigt darüber hinaus persönliches Engagement in einer Hilfsorganisation. Der Patient hat zurzeit bereits das zweite Stellenangebot, nach erfolgreicher Absolvierung eines Praktikums, erhalten und wartet auf die Befürwortung seines Antrages auf Änderung des Aufenthaltsstatus, um eine Ausbildung im Pflegebereich beginnen zu können.
Für die Autorinnen
Laura Marscheck
Stadt Frankfurt am Main
Gesundheitsamt
53.21 Amtsärztlicher Dienst und Humanitäre Sprechstunden
Breite Gasse 28
60313 Frankfurt am Main