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Eine Qualitätsoffensive in Zeiten des Ärztemangels

Prämissen betriebsärztlicher Delegation und Kooperation

Die Arbeitsmedizin entwickelt sich angesichts der Forschung über arbeitsbedingte Erkrankungen und Erkenntnisse über die Wechselbeziehungen zwischen Gesundheit und Arbeit zunehmend zu einer wichtigen, vorrangig präventiven Säule unseres Gesundheitswesens, wie auch das jüngst verabschiedete Präventionsgesetz zeigt. Ihre zentrale Aufgabe ist es, die gesundheitlichen Herausforderungen für das Individuum im Spannungsfeld zwischen Arbeit und Gesundheit zu erkennen und die Verhaltens- und Verhältnisprävention im Betrieb gezielt zu be-gleiten. Die Berücksichtigung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit einer Belegschaft bei der Beurteilung der Arbeits-bedingungen sichert dabei mittel- bis langfristig die Beschäftigungsfähigkeit im demografischen Wandel. Dabei ist der Betriebsarzt in erster Linie Arzt, der in vielen Fällen einen sehr tiefen Einblick in persönliche und betriebliche Belange hat, die in weiten Bereichen einer strengen ärztlichen Schweige-pflicht unterliegen. Diese Schweigepflicht gilt auch für die ärztlichen Gehilfen, die me-dizinischen Fachangestellten (MFA), die ihn bei seiner Aufgabe unterstützen.

Delegation

In Deutschland gilt der Arztvorbehalt: Da-runter fallen Leistungen, wenn besondere ärztliche Fachkenntnis zur Ausführung nötig ist. Maßstab ist hierbei das Niveau des Facharztes im jeweiligen Gebiet. Patien-ten haben Anspruch auf Behandlung nach diesem Standard. Neben einigen wenigen Leistungen, die der Arzt höchstpersönlich zu erbringen hat (s. „Weitere Infos“: Bundesärztekammer 2008, und Infokasten), kann er andere Tätigkeiten delegieren, entweder an ärztliche oder nichtärztliche Mitarbeiter. Nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) darf der Arzt all jene Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder als delegierbare Leistung durch seine Mit-arbeiter hat erbringen lassen, die seiner Auf-sicht und fachlichen Weisung unterstehen. An die Qualifikation der Mitarbeiter werden dabei spezifische Anforderungen gestellt (Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungs-pflicht; (Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung 2008).

Bei der Delegation entscheidet der Arzt in letzter Verantwortung, ob eine Leistung erbracht wird, die MFA wird unter Anleitung und auf Veranlassung des Arztes tätig und bestimmt faktisch über die Qualität der Leis-tungserbringung (Erdmann u. Ehlers 2015). Die Haftung liegt jedoch immer beim Arzt: Schadensersatz ergibt sich aus § 280 BGB (Schadensersatz bei Verträgen) sowohl aus dem Behandlungsvertrag i.V.m. § 630a und § 278 BGB, aber auch deliktisch nach § 823 und § 831 BGB (Haftung aus unerlaubter Handlung), wenn er nicht delegationsfähige, höchstpersönliche Leistungen delegiert (Höhl 2015). Dennoch eröffnen sich in der betriebsärztlichen Praxis eine Vielzahl von delegierbaren Leistungen nach dem ASiG und der DGUVVorschrift 2, sofern die Medizinischen Fachangestellten für die jeweiligen Aufgaben ihre Eignung nachgewiesen haben.

Diese Delegationsform wird derzeit in Modellprojekten im Pflegebereich von den Kammern, den Kassenärztlichen Vereinigungen und dem Hausärzteverband unter den Begriffen EVA, MoNi, NäPA, VERAH und AGNESzwei entwickelt (Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband 2015).

Prämissen der Delegation

  • Grundlage jeder betriebsärztlichen Tätigkeit und Beratung ist die umfassende Kenntnis der spezifischen Arbeitsbedingungen (§ 6 ArbMedVV i.V.m. AMR 3.1), erworben in persönlichen Begehungen und der Auseinandersetzung mit den Arbeitsprozessen. Als Grundbedingung einer fachlich fundierten arbeitsmedizinischen Betreuung kann dies nicht delegiert werden.
  • Die Aufgabenfelder der Grundbetreuung gem. DGUVV2 sind überwiegend betriebsärztliche Tätigkeit und an die Person des Betriebsarztes gebunden.
  • Zur Erfüllung der Inhalte der betriebsspezifischen Betreuung können jedoch fachkundige Spezialisten unter Koordi-nierung des Betriebsarztes und in Kooperation mit ihm einbezogen werden.
  • Voraussetzung für eine Delegation ist die Verpflichtung des Arztes, sicherzustellen, dass die beauftragte Person zuverlässig und aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation oder allgemeinen Fähigkeiten und Kenntnisse für die Erbringung der zu delegierenden Leistung geeignet ist (Auswahlpflicht). Dabei hat der Arzt bei Delegation den Mitarbeiter zur selbstständigen Durchführung der zu delegierenden Leistung anzuleiten und regelmäßig zu überwachen (Anleitungs- und Überwachungspflicht).

Verantwortungsvolles Handeln im Interesse des Auftraggebers steht dabei im Mittelpunkt. Ziel ist die Entlastung des Betriebsarztes von alltäglichen Routineaufgaben und die Konzentration auf das Wesentliche. Dies beinhaltet eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und erweitert den Aktionsradius des Betriebsarztes. Für die MFA bedeutet es eine deutliche Erweiterung ihres Tätigkeitsspektrums und bewirkt damit eine Steigerung ihrer Anerkennung und Motivation (Job-Enrichment).

Kooperation

In mehreren Ausprägungen finden sich in der Arbeitsmedizin auch Kooperationen. So gibt es üblicherweise keine letztverantwortliche Zuständigkeit des Betriebsarztes, wenn Ak-teure des Betriebes z. B. mit anderen Trägern (Krankenkassen, Fitnessstudios, Reha-Ein-richtungen oder der Rentenversicherung) Ak-tionen im Betrieb organisieren und durchführen. Kooperationen haben darüber hin-aus in der Zusammenarbeit der Ärzteschaft bei der Teilleistungserbringung eine lange Tradition. Auch in der betriebsärztlichen Be-treuung kennt man Kooperationen mit anderen Fachärzten, die im Rahmen der betriebs-ärztlichen Betreuung eigenverantwortlich in Teilbereichen konsiliarisch tätig werden können, wie Radiologen (Stauberkrankungen), Dermatologen (Hauterkrankungen und -tu-moren), Laborärzte (Vorsorge und Eignung), HNO-Ärzte (Lärmschwerhörigkeit, Nasenseptumdefekte), Zahnärzte (Säureschäden) u.v.a.

Kooperationen werden erschwert, wenn differenzierte Arbeitsplatzkenntnisse erfor-derlich sind wie in der Reise- und Tropenmedizin bei Langzeitaufenthalten im Ausland, in der Toxikologie, wenn nach dem Bio-monitoring Aufnahmewege zu ermitteln sind oder genetische Besonderheiten eine Rolle spielen und im Betrieblichen Eingliederungs-management an speziellen Arbeitsplätzen Belastungsstufen festzulegen sind. Im Falle einer Kooperation mit fachkundigen Spezialisten liegen nur die Planung der Durchführung und die Ergebnisauswertung in der Hand des Betriebsarztes.

Neben den im folgenden Beitrag von A.E. Schoeller beschriebenen delegierbaren Aufgaben der arbeitsmedizinischen Assistenz können auch folgende Berufsgruppen typi-scherweise in die Delegation/Kooperation einbezogen werden ( Tabelle 1; beispielhafte Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Qualifikation

Bezogen auf die vielfältigen Teilaufgaben des Betriebsarztes nach ASiG und DGUVV2 sind verschiedene berufliche Basisqualifikationen denkbar. Entscheidend ist allerdings, dass vor Übernahme betriebsärztlicher Aufgaben Grundkenntnisse in folgenden Berei-chen vorhanden sind:

  • Grundkenntnisse zum System der Sozialen Sicherung in Deutschland unter dem Aspekt der Prävention und Rehabilitation
  • Ziele, rechtliche Grundlagen und Aufgaben der Arbeitsmedizin
  • Dualismus im Arbeitsschutz
  • Grundzüge der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention
  • Datenschutz und ärztliche Schweige-pflicht
  • Akteure im Gesundheitsschutz des Unter-nehmens
  • Aufgaben des Arbeitsschutzausschusses
  • Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutz
  • Verhaltens- und Verhältnisprävention/BGM
  • Betriebliches Eingliederungsmanagement
  • Grundzüge der arbeitsmedizinischen Vorsorge/Biomonitoring
  • Betreuung besonderer Personengruppen

Neben einer anerkannten Beratungskompetenz sind Moderations- und Kommunikationsfähigkeiten unabdingbare Anforderungen.

Substitution

Bei der Substitution liegt die Verantwortung für die Durchführung und die Entscheidung über das ob einer Leistung nicht beim Arzt. Die Endverantwortung geht auf einen anderen Leistungserbringer über. Die Substitution ist also eine dauerhafte Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf nichtärztliches Per-sonal. Derzeit wird in Modellprojekten für Pflegeberufe nach § 63 (3c) SGB V eine Qualifikation zur Substitution von ärztlichen Leistungen erprobt. Diese Qualifikationen werden von der Ärzteschaft abgelehnt.

Die auffallend parallelen Aufgaben für Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft nach § 3 und § 6 ASiG erwecken vordergründig den Eindruck, es handle sich um weitgehend substituierbare Aufgaben. Der Gesetzgeber hatte hier jedoch nicht die Substitution im Blick, sondern die unterschiedliche Betrach-tungsweise aus technischer und medizinischer Sicht, die im Zusammenwirken zu einer fundierten Beratung des Unternehmers führen sollte. Der Ersatz betriebsärztlicher Expertisen durch medizinische Laien geht üblicherweise mit massiven Qualitätseinbußen einher: Zwar kann z. B. eine Sicherheitsfachkraft im Chemiebetrieb akribisch eine umfangreiche technische Gefährdungsbeurteilung erstellen, die physiologische oder toxikologische Abschätzung sollte ihr dennoch in jedem Fall nicht überlassen werden, weil sie darin nicht ausgebildet wurde.

Die Substitution birgt die Gefahr, dass das eigentliche Schutzziel außer Acht ge-lassen wird und die betrieblichen Akteure sich verselbständigen, indem sie eigene Ziele formulieren und umsetzen. Dies fördert ein Maßnahmenmosaik und Meinungsvielfalt im Unternehmen, die das effektive Erreichen konkreter Gesundheitsziele behindern und stören können.

Fazit

Nur selten ist der Unternehmer in Anbetracht seiner sonstigen Aufgaben und seiner beruf-lichen Qualifikation selbst in der Lage, die Steuerung aller erforderlichen Maßnahmen für Gesundheit und die Abwehr arbeitsbedingter Erkrankungen alleine zu überneh-men. Durch isolierte, nicht fachlich koordi-nierte Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsberatung und -förderung entstehen im Unternehmen Parallelstrukturen, die im betrieblichen Gesundheitsschutz nicht immer ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Zwar erfordern die heute vielfältigen He-rausforderungen der Betriebe immer häufiger ein arbeitsteiliges Vorgehen kompetenter und teilweise spezialisierter Teams und die professionelle Zuarbeit ist in Teilbereichen gewollt und erforderlich, die Wahrnehmung der Gesamtverantwortung für das Thema Gesundheit im Setting Betrieb muss aber in jedem Fall auf Beratungsebene des Unternehmers beim Betriebsarzt verbleiben.

Literatur

Erdmann, A, Ehlers A: Ärztliche Aufgaben an Assistenzpersonal übertragen. DMW 2015; 140: 62–64.

Gebührenordnung für Ärzte in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 1996 (BGBl. I S. 210), zuletzt geändert durch Artikel 17 des Gesetzes vom 4. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3320), Berlin 2001.

Höhl R: Delegation: Die Haftung liegt beim Praxis-chef. BDI aktuell Februar 2015: S. 9.

    Info

    „Höchstpersönliche Leistungserbringung“

    Die Bundesärztekammer benennt in ihrer Stellungnahme vom 29.08.2008 folgende höchstpersönlich zu erbringende Leistungen:

    • Anamnese
    • Indikationsstellung für weitere Maß-nahmen
    • Untersuchung des Patienten einschl. invasiver diagnostischer Leistungen
    • Stellen der Diagnose
    • Aufklärung und Beratung des Patienten
    • Entscheidung über die Therapie und
    • Durchführung invasiver Therapien ein-schl. der Kernleistungen operativer Eingriffe

    Weitere Infos

    Barth C, Hamacher W, Eick-holt C: Arbeitsmedizinischer Betreuungsbedarf in Deutschland. baua Forschungsprojekt F2326. BAuA, 2014

    www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/F2326.pdf?__blob=publicationFile&v=6

    Bundesärztekammer und Kassen-ärztliche Bundesvereinigung: Per-sönliche Leistungserbringung – Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen, Stellungnahme vom 29.08.2008

    www.bundesaerztekammer.de/richtlinien/empfehlungenstellungnahmen/delegation/

    Kassenärztliche Bundesvereini-gung und GKV-Spitzenverband: Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambu-lanten vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V, Anlage 24 BMV-Ä vom 01.10.2013 (Stand 1.1.2015)

    www.kbv.de/media/sp/24_Delegation.pdf

    Autor

    Dr. med. Hanns Wildgans

    ias Aktiengesellschaft

    Lothstraße 19/II

    80797 München

    hanns.wildgans@ias-gruppe.de

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