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Epilepsie-Beratungsstellen – Eine flächendeckende Notwendigkeit

Historische Quellen belegen, dass epilepsiekranke Menschen mit den Industrialisierungsprozessen im 19. Jahrhundert in eine gesellschaftlich randständige Position geraten sind. Dies setzt sich bis zum heutigen Tage fort, obwohl sich die Behandlungsmöglichkeiten der Epilepsien sowie die technischen und sozialen Hilfesysteme dramatisch verändert haben.

Epilepsien sind mit 7 Betroffenen pro 1000 häufige Erkrankungen. Ihre Auswirkungen auf die Selbstbestimmung und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft betreffen alle Lebensphasen und Lebensbereiche Familiensystem, soziales Netzwerk, Kindergarten und Schule, Ausbildung und Beruf, Partnerschaft, Mobilität und Freizeit.

Zwei in den letzten Jahren in Deutschland durchgeführte repräsentative Studien zeigen, wie stark Epilepsien sich auf die einzelnen Lebensbereiche auswirken und werfen zugleich ein Licht auf den sich daraus ergebenden hohen Beratungsbedarf. In einer epidemiologischen Studie 2011/2012 bei in Deutschland niedergelassenen Nervenärzten waren von den 637 über 15-jährigen Befragten nur 59,9 % gegenüber 76,1 % in der Gesamtbevölkerung erwerbstätig und 8,5 % gegenüber 4,9 % arbeitslos. Die Lebensqualität war niedriger als in der Gesamtbevölkerung. Personen mit Epilepsie fühlten sich mehr oder weniger stark eingeschränkt in den unterschiedlichen Lebensbereichen: 61,3 % seelisches Wohlbefinden, 55 % allgemeine Gesundheit, 48,5 % Berufstätigkeit/Ausbildung, 46,5 % körperliche Leistungsfähigkeit, 43,5 % Auto/Motorradfahren, 42,4 % Hobby/Sport/Freizeitaktivitäten, 35 % Partnerschaft, 30,4 % Kontakte zu Freunden. Ein gutes Fünftel fühlte sich wegen der Erkrankung mehr oder weniger stark ausgegrenzt, was darauf verweist, dass Epilepsie noch immer ein Stigma anhaftet (Epideg-Studie 2011/2012).

In einer TNS-Emnid-Studie aus 2008 hielten noch 11 % Epilepsie für eine Geisteskrankheit, was mit dem Wunsch nach Ausschluss aus zentralen Lebensbereichen, wie Arbeit oder familiäre Netzwerke, einherging. Weitere wissenschaftliche Studien in den USA, Großbritannien und Deutschland zeigen, dass eine mit den medizinischen Behandlungseinrichtungen vernetzte, auf die Besonderheiten und die Vielschichtigkeit der Epilepsien ausgerichtete spezialisierte Beratung zu nachweisbaren Verbesserungen der Lebensqualität, der beruflichen Situation und der sozialen Beziehungen der Betroffenen führt und deutlich effektiver als allgemeine, nicht auf Epilepsie spezialisierte Beratung ist.

In Deutschland sollte es deshalb möglich sein, eine nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation epilepsiekranker Menschen durch ein mit den medizinischen Behandlungsangeboten verzahntes Netz spezialisierter Beratungsangebote zu erreichen. Die Beratung setzt zunächst bei den einzelnen Betroffenen an, bezieht dann aber immer auch die Familie und das soziale Netzwerk mit ein und beachtet zudem den soziokulturellen Hintergrund mit den besonderen Deutungsmustern von Epilepsie.

Wer epileptische Anfälle bekommt, ist von Behinderung bedroht oder behindert im Sinne des Sozialrechts. Die Epilepsieberatungen haben die Aufgabe, individuell geeignete Hilfen und Unterstützungsmaßnahmen zu definieren und bei der Implementierung sowie im Verlauf zu unterstützen mit dem Ziel, die Folgen der Erkrankung und der nicht selten zusätzlich bestehenden psychischen, kognitiven und/oder körperlichen Beeinträchtigungen zu beseitigen oder zu bessern bzw. ihrer Verschlimmerung vorzubeugen. Ein besonders hoher Bedarf an epilepsiespezifischer psychosozialer Beratung besteht bei Menschen, die nicht anfallsfrei werden, bei beruflichen Schwierigkeiten, bei Komorbiditäten wie Depressionen oder Angststörungen oder bei einer infolge der Erkrankung krisenhaften Zuspitzung der Lebenssituation.

Der erste Anfall oder alleine schon ein nur einmaliger Anfall kann sich auf die beruflichen Möglichkeiten oder die Fahrtauglichkeit einschränkend auswirken und spezielle Unterstützungsformen notwendig machen.

Die Beratungsstellen für Epilepsie unterstützen die Epilepsiebetroffenen und die Angehörigen mit den Angeboten. Ihre Aufgaben sind lösungsorientiert. Netzwerke wie „Epilepsie und Arbeit“ werden genutzt, um betriebliche und soziale Probleme differenziert wahrzunehmen und Lösungen zu finden. Dabei werden Beteiligte miteinbezogen und aufgeklärt.

Epilepsieberatungsstellen sind regionale Einrichtungen, in denen Menschen mit Epilepsie und ihre Angehörigen sowie Personen/Organisationen, die in einer Beziehung zu Epilepsiekranken stehen, Beratung erhalten. Sie ist für Betroffene und Angehörige kostenlos und wird per Telefon, schriftlich oder in persönlich aufsuchender Form durchgeführt. Sie respektiert die unterschiedlichen Wertorientierungen der KlientInnen. Die Beratung erfolgt trägerneutral. Beratungsstellen üben ihre Beratungstätigkeit als Teil eines regional vernetzten Behandlungs- und Unterstützungsangebots für Menschen mit Epilepsie aus. Sie kooperieren mit den regionalen medizinischen Behandlungsangeboten (neurologische Praxen, Praxen für Kinder und Jugendmedizin mit dem Schwerpunkt Neuropädiatrie sowie Schwerpunktpraxen für Epilepsie, Anfallsambulanzen, neurologische Abteilungen der Krankenhäuser, Epilepsiezentren), Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen und den nicht auf Epilepsie spezialisierten allgemeinen Beratungsstellen.

Die Beratungsstellen vernetzen sich mit für ihre Tätigkeit wichtigen Ansprechpartnern aus Ämtern, Behörden, sozialen und medizinischen Diensten, wie beispielsweise den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ), Arbeitsmedizinischen Zentren, Integrationsfachdiensten (IFD), dem Netzwerk Epilepsie und Arbeit (NEA), Einrichtungen ihrer Region, beispielsweise Kindergärten, Arbeitgebern sowie Schwerbehindertenvertretungen. Die Mitarbeiter der Epilepsieberatungsstellen sind in für ihre Tätigkeit wichtigen Arbeitskreisen regional (z. B. Arbeitskreise von Beratungsstellen im Gesundheitswesen) und überregional (Sozialarbeit bei Epilepsie e. V.) eingebunden.

Das Angebot von Epilepsieberatungsstellen richtet sich an Menschen aller Altersgruppen und Lebensphasen nach einem ersten Anfall oder die eine Epilepsie ggf. mit zusätzlichen psychischen, kognitiven, körperlichen Beeinträchtigungen haben einschließlich deren Angehörigen. Das Angebot richtet sich ebenso an Personen mit nichtepileptischen (meist psychisch bedingten) Anfällen.

Aufgaben von EpilepsieBeratungsstellen

Aufgabe von Epilepsie-Beratungsstellen ist es, Menschen mit Epilepsie der unterschiedlichen Lebensphasen in ihren individuellen und regionalen Lebensbereichen und in das Gemeinwesen einzubinden. Dies geschieht unter Nutzung der speziellen regionalen Ressourcen. Zu den Aufgaben gehört auch, die in überregionalen Einrichtungen wie Epilepsiezentren oder Rehabilitationseinrichtungen begonnene Behandlungs- und Rehabilitationsprozesse in der Heimatregion fortzuführen und umzusetzen bzw. die Vermittlung von Klienten in solche spezialisierte Einrichtungen.

Wichtig ist auch hierbei immer: Die Beratungen sind kostenlos und vertraulich und werden durch fachkundige Experten durchgeführt.

Wie sieht die flächendeckende Besetzung von Epilepsie-Beratungsstellen in Deutschland aus?

Regionale Beratungsstellen gibt es leider nicht flächendeckend. Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie verzeichnet zwanzig regionale Epilepsie-Beratungsstellen in Deutschland (Stand März 2013). Davon gibt es alleine in Bayern elf Beratungsstellen (mitgerechnet wurde die Beratungsstelle vom Netzwerk Epilepsie und Arbeit). In Hessen gibt es vier Beratungsstellen. In Baden-Württemberg, Sachsen, Bremen und in Niedersachsen gibt es je eine Beratungsstelle. In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, gibt es keine Epilepsie-Beratungsstelle für Erwachsene.

In Bayern sind die guten Versorgungsstrukturen auf die in Kraft gesetzten Regelungen zurückzuführen. Seit 1988 ist das bayerische Sozialministerium bemüht gewesen, zusammen mit den Kommunen entsprechende Dienste der Träger der freien Wohlfahrtspflege zu bezuschussen und zu fördern. Aus den Diensten der offenen Behindertenarbeit sind die Epilepsieberatungsstellen für anfallskranke Kinder, Jugendliche und Erwachsene und deren Angehörige entstanden (2001). Nach einem Pilotprojekt wurde in den Regierungsbezirken in Bayern Epilepsieberatungsstellen eingerichtet. Damit können Information und Beratung zu allen Fragen des täglichen Lebens (insbesondere auch in der Arbeitswelt) vermittelt werden.

Eine entsprechende Umsetzung wäre auch bundesweit wünschenswert. 

Literatur

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen: Versorgung von Epilepsiekranken in Bayern. München, 2001.

Coban I, Lippold M, Thorbecke R: Erste Ergebnisse einer bundesweiten Follow-up-Befragung (EPIDEG-Studie II). In: 12. Fachtagungsband Sozialarbeit bei Epilepsie. Bielefeld: Bethel Verlag, 2013 (in Druck).

Thorbecke R, Pfäfflin M, May T, Coban I (Epilepsie-Zentrum Bethel, Bielefeld), Stephanie U (Universitätsklinik Kiel, Klinik für Neuropädiatrie): Einstellungen zur Epilepsie in Deutschland, TNS Emnid Studie 2008 im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie vom Epilepsie-Zentrum Bethel in Zusammenarbeit mit dem TNS Emnid Institut.

    Zur Person

    Thomas Porschen, Vorsitzender vom Landesverband für Epilepsie Selbsthilfe Nordrhein Westfalen e. V.

    Als Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes bin ich selbst von Epilepsie betroffen und ehrenamtlich seit 1991 in der Epilepsie-Selbsthilfe engagiert. Auch beim Internationalen Büro für Epilepsie (IBE), der weltweiten Epilepsie-Patientenvertretung, bin ich langjähriges aktives Mitglied. Wir erstellen Informationsbroschüren für Menschen mit Epilepsie und deren Angehörige. Mit Prof. Dr. Hermann Stefan, Universität Erlangen habe ich den ersten Internationalen Epilepsie-Notfallausweis entwickelt. Darüber hinaus betreibe ich mehrere Epilepsie-Informationsseiten im Internet. 2011 war ich Initiator und Mitautor des Fachbuches „Epilepsie und Führerschein“ (G. Krämer, R. Thorbecke, T. Porschen) für neurologisch tätige Ärzte, Menschen mit Epilepsie und ihre Angehörigen, Sozialarbeiter, Juristen sowie andere Berater und Fachleute im Gesundheitswesen.

    Aufgaben von Epilepsie- Beratungsstellen:

    • Informationen zur Erkrankung, Diagnose und Behandlung sowie zum eigenverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung
    • Beratung von Familien mit einem epilepsiekranken Kind
    • Informationen zur Berufswahl und Hilfen zur beruflichen Eingliederung junger Erwachsener mit Epilepsie Beratung erfolgt in enger Kooperation mit den für die medizinische Behandlung Verantwortlichen und den für die berufliche Förderung zuständigen Einrichtungen und Diensten,
    • Beratung erwachsener Menschen mit Epilepsie mit beruflichen Schwierigkeiten Ausgehend von einer Problemklärung werden ggf. Kontakte mit der/m behandelnden Ärztin/Arzt und dem Betrieb hergestellt, bei Bedarf auch Arbeitsplatzbegehungen durchgeführt.
    • Beratung bei Schwierigkeiten, selbständig zu wohnen
    • Beratung von Personen nach erstem Anfall
    • Information und Beratung bei Versicherungsfragen
    • Mobilitätshilfen und Führerschein
    • Sport und Freizeitgestaltung
    • Finanzielle Sicherung
    • Gruppenangebote
    • Fortbildungsangebote und Öffentlichkeitsarbeit

    Weitere Infos

    Epilepsie im Arbeitsleben, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, REHADAT (2012)

    http://www.rehadat.de/rehadat/Download/Hilfsmittel/Epilepsie_und_Arbeitsleben.pdf

    Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e. V. (2013), Verzeichnis der Beratungsstellen

    https://www.epilepsie-online.de/?docid=25

    Autor

    Thomas Porschen

    Landesverband für Epilepsie Selbsthilfe Nordrhein-Westfalen e.V.

    Höninger Weg 361

    50969 Köln

    info@epilepsie-online.de

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