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Epilepsie und Fahreignung

Ein Fortbestehen oder die Wiedererlangung der Fahreignung kann nur dann unterstellt werden, wenn im konkreten Fall das Risiko eines Anfallsrezidivs beim Führen eines Kraftfahrzeugs weitgehend ausgeschaltet werden kann. Diese prognostische Abschätzung wird erschwert durch die Vielfalt der auftretenden Erscheinungsformen zerebraler Krampfleiden und ihrer Verläufe.

Allgemeine Grundlagen

Die Problematik der Fahreignung tritt einerseits als Frage der Arbeitssicherheit im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung einschlägiger Berufsgruppen auf, andererseits in Form behördlicher Begutachtungsaufträge. Für die Beurteilung im Rahmen der betriebsärztlichen Aufgaben gibt es keine offiziellen Vorgaben, an denen man sich orientieren könnte. Für die Begutachtung im Auftrag der Fahrerlaubnisbehörden dagegen sind die „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung“ (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen – Mensch und Sicherheit, Heft M115) als Beurteilungsgrundlage bindend; Abweichungen müssen im Einzelfall begründet werden. Diese „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung“ sind auch als Richtschnur für die betriebsärztlichen Untersuchungen zu empfehlen.

Anlass für eine Untersuchung oder Begutachtung der Fahreignung ist meist das Bekanntwerden einer akuten oder akut exazerbierten Erkrankung oder bereits eine auf eine krankhafte Störung der Leistungsfähigkeit zurückzuführende Verkehrsauffälligkeit.

Im Falle von Begutachtungen werden bei Krampfanfällen primär Neurologen angesprochen. Sie sollten jedoch eine „verkehrsmedizinische Qualifikation“ aufweisen, wie sie in Kursen der zuständigen Landesärztekammer erworben werden kann. Um Konflikte zu vermeiden, sollten sie nicht gleichzeitig behandelnder Arzt und Gutachter sein.

Auch Betriebsärzte und Fachärzte für Arbeitsmedizin können die Begutachtung übernehmen. Bei ihnen wird aufgrund ihrer fachlichen Ausrichtung eine übergreifende verkehrsmedizinische Qualifikation vorausgesetzt, sie bedürfen deshalb nicht des zusätzlichen Erwerbs einer verkehrsmedizinischen Qualifikation. Eine Kooperation mit einem Neurologen ist zumindest bei Fehlen eigener fachspezifischer Erfahrung jedoch zu empfehlen. Unabdingbar ist, soweit möglich, eine Fremdanamnese zu erheben und die Befunde des behandelnden Neurologen beizuziehen. Hierzu bedarf es allerdings einer Schweigepflichtentbindung des Patienten. Wird diese verweigert, ist eine fundierte, fachlich vertretbare Beurteilung nicht möglich und auf die Darstellung eines Ergebnisses der Untersuchung oder Begutachtung sollte verzichtet werden.

In der Situation einer Begutachtung wie auch bei betriebsärztlichen Untersuchungen ist immer davon auszugehen, dass der Betroffene nicht nur die Verkehrssicherheit, sondern auch die aus einer negativen Beurteilung erwachsenden persönlichen Folgen im Auge hat. Man darf daher nicht darauf vertrauen, dass der Patient dem Untersucher immer objektiv und ungeschönt wahrheitsgemäß zur Anamnese, v. a. zur Anfallsanamnese berichtet. In Begutachtungen für die Fahrerlaubnisbehörde ist explizit die Berücksichtigung der so genannten objektiven Verkehrsvorgeschichte, das heißt, die Kenntnis der behördlichen Führerscheinakte, die den Sachverhalt objektiv wiedergibt, gefordert.

Leistungsanforderungen und potenzielle krankheitsbedingte Risiken sind abgestuft in Abhängigkeit zu den Aufgaben, die erfüllt, bzw. den Fahrzeugen, die geführt werden sollen, zu sehen. In den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung unterscheidet man aus diesem Grund die Gruppe 1 (Krafträder, PKW und Arbeitsmaschinen entsprechend den Fahrerlaubnisklassen A, B, M, T, L) und Gruppe 2 (LKW, Busse und allgemein Personenbeförderung entsprechend Fahrerlaubnisklassen C und D). Die Anforderungen an Gruppe 2 sind gerade auch in Fällen von Anfallsleiden sehr viel strenger. Auch diese Abstufung sollte in die betriebsärztliche Beurteilung übernommen werden.

Krampfanfälle und Fahreignung in Gruppe 1

Bei der Beurteilung der Fahreignung von Patienten mit Krampfanfällen muss zwischen einem einmaligem Anfall bzw. einer anfallsartig auftretender Bewusstlosigkeit einerseits und der Diagnose einer Epilepsie andererseits unterschieden werden. Die Diagnose einer Epilepsie wird erst dann gestellt, wenn wiederholt Krampfanfälle auftreten, die keinen erkennbaren Auslöser haben müssen.

Ein erstmaliger, unprovozierter Anfall ohne Anhalt für eine beginnende Epilepsie führt bei Kraftfahrern der Gruppe 1 zu einer Aufhebung der Kraftfahreignung für sechs Monate. Wenn in dieser Zeit klinischer Verlauf und die regelmäßige fachneurologische Abklärung einschließlich EEG und Bildgebung keinen Hinweis auf ein grundsätzlich erhöhtes Risiko und eine beginnende Epilepsie ergeben, kann die Fahreignung wieder bejaht werden.

Ein einmaliger, provozierter Anfall mit vermeidbarem Auslöser, wie zum Beispiel Schlafentzug oder akute Erkrankung (hohes Fieber, Stoffwechselstörung u. ä.) bzw. deren Therapie (prokonvulsiv wirkende Medikamente), führt zu einer Aufhebung der Kraftfahreignung für Gruppe 1 für mindestens drei Monate. Danach kann bei Ausbleiben von Rezidiven wieder von einer Fahreignung ausgegangen werden. Der Auslöser sollte jedoch als dauerhafter oder häufig rezivierend auftretender Faktor weitgehend ausgeschaltet werden können. Ist dies nicht möglich, treten die fakultativen Auslösekonstellationen aber vorhersehbar nur selten auf, wie beispielsweise bei Fieberkrämpfen, muss der Patient darüber aufgeklärt werden, dass das Risiko eines erneuten Krampfanfalls in diesem Zusammenhang besteht und er dann vorübergehend nicht fahrgeeignet ist.

Nicht vergessen werden darf, dass auch die zugrunde liegende Grunderkrankung hinsichtlich der Fahreignung eine Bedeutung haben kann, etwa ein Diabetes mellitus mit Krämpfen im Rahmen von hypogykämischen Entgleisungen. Diese ist in der Bewertung dann dem Krampfleiden überstellt. Eine Therapie mit prokonvulsiv wirkenden Medikamenten ist mitunter ohne Alternative. Dann muss die Begutachtung ähnlich wie bei der Diagnosestellung einer Epilepsie erfolgen.

Ein einem Anfall vorausgehender Schlafentzug ist nicht zwingend isoliert im Sinne eines Auslösers eines einmaligen Anfalls zu interpretieren. Schlafmangel kann einen ersten Grand-mal bei Disposition zu idiopathischer Epilepsie induziert haben. Vor der Bescheinigung der Fahreignung nach einem einmaligen, möglicher Weise durch Schlafentzug provozierten Krampfanfall muss daher die idiopathische Disposition zu einer Epilepsie auch mittels EEG ausgeschlossen werden.

Die Vorgaben einer dreimonatigen Beobachtungszeit gelten auch für Krampfanfälle, die in der ersten Woche nach einem Schädel-Hirn-Trauma oder einem neurochirurgischen Eingriff (ohne Hinweis auf eine strukturelle Hirnschädigung) aufgetreten sind.

Wird die Diagnose einer Epilepsie gestellt (nach wiederholten Anfällen ohne erkennbaren Auslöser), ist die Fahreignung für Gruppe 1 beim nicht oder insuffizient behandelten Patienten nicht mehr gegeben. Die Gefahr eines Leistungsversagens im Straßenverkehr wird durch eine im Einzelfall häufig dem Anfall vorangehende Aura nicht ausreichend gebannt. Eine suffiziente Therapie aus verkehrsmedizinischer Sicht setzt Anfallsfreiheit voraus. Die Fahreignung für Gruppe 1 kann erst wieder unterstellt werden, wenn unter Therapie für mindestens ein Jahr keine erneuten Anfälle aufgetreten sind. Das EEG muss dabei nicht zwingend frei von epilepsietypischen Potenzialen sein. Allerdings darf die medikamentöse Therapie nicht zu eignungsausschließenden Nebenwirkungen führen. Wirkt ein Patient verlangsamt oder verhangen, sollte eine Beurteilung der Fahreignung nicht ohne testpsychologische Zusatzbegutachtung erfolgen. Nach epilepsiechirurgischen Eingriffen sind mögliche operationsbedingte fahreignungsrelevante Funktionsstörungen zu beachten.

Besondere Vorsicht ist angebracht, wenn eine qualitative oder quantitative Änderung der Therapie erfolgen soll. Es ist nicht nur mit einem erhöhten Anfallsrisiko zu rechnen, sondern u. U. auch mit einer Veränderung der Nebenwirkungen. Bei verstärkten eignungsrelevanten Nebenwirkungen sollte eine abschließende Bewertung aber erst nach einer Gewöhnungsphase von einigen Wochen erfolgen. Die Fahreignung ist in Frage zu stellen, eine Fahrpause von etwa 3 Monaten zu empfehlen, bis sich die Situation wieder stabilisiert hat.

Manche ätiologische (nichtgenuine) Epilepsieformen erfordern nicht unbedingt eine lebenslange antiepileptische Therapie. Wird in solchen Fällen eine Reduktion oder ein Absetzversuch unternommen, ist für die Dauer der Reduktion und für die ersten drei Monate ohne Medikation keine Kraftfahreignung gegeben. Ausnahmen können aber in gut begründeten Einzelfällen möglich sein.

Tritt bei bestehender Fahreignung nach langjähriger Anfallsfreiheit ein Anfallsrezidiv auf, dann kann für Kraftfahrer der Gruppe 1 die Kraftfahreignung nach 6 Monaten wieder gegeben sein, wenn keine Hinweise auf ein weiter erhöhtes Wiederholungsrisiko vorliegen. Wurde der Anfall durch vermeidbare Faktoren provoziert, wird eine Fahrpause von drei Monaten als ausreichend angesehen.

Es gibt aber auch persistierende Anfälle, die nicht zwangsläufige zu einer Einschränkung der Kraftfahreignung führen. Die geforderte Anfallsfreiheit als Grundlage der Begutachtung kann für Kraftfahrer der Gruppe 1 entfallen, wenn ausschließlich an den Schlaf gebundene Anfälle auftreten und nach einer mindestens dreijährigen Beobachtungszeit keine Anhaltspunkte für eine Ausweitung in die Wachphasen vorliegen. Auch bei ausschließlich einfachen fokalen Anfällen ohne Bewusstseinsstörung und ohne motorische, sensorische oder kognitive Behinderungen kann die Fahreignung trotz weiterhin auftretender Anfälle gegeben sein. Dabei darf in einer mindestens einjährigen Beobachtungszeit keine Tendenz zu einer Ausweitung der Anfallssymptomatik oder zu einem Übergang zu komplex-fokalen oder generalisierten Anfällen erkennbar geworden sein.

In allen Fällen einer positiven Fahreignungsprognose des Epileptikers sind Nachuntersuchungen im Abstand von 1, 2 und 4 Jahren erforderlich. Generell zu berücksichtigen ist neben den Auswirkungen der Medikation ggf. auch das Vorliegen einer hirnorganischen Störung. Charakteristische EEG-Veränderungen können je nach Art und Ausprägung Hinweis auf eine erhöhte Rezidivneigung sein, schließen eine positive Beurteilung der Fahreignung aber nicht zwingend aus. EEG-Befunde verlieren mit zunehmender Zeitdauer der Anfallsfreiheit an Gewicht.

Krampfanfälle und Fahreignung in Gruppe 2

Deutlich strengere Maßstäbe sind bei der Beurteilung einer Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 2 anzulegen. Generell darf die Fahreignung für Kraftfahrer der Gruppe 2 nur dann angenommen werden, wenn Anfallsfreiheit auch ohne Behandlung mit Antiepileptika besteht.

Bei einem erstmaligen, unprovozierten Anfall ohne Anhalt für eine beginnende Epilepsie ist die Fahreignung für Kraftfahrer der Gruppe 2 für zwei Jahre ausgeschlossen. Wenn klinischer Verlauf, fachneurologische Abklärung einschließlich EEG und Bildgebung keinen Hinweis auf ein grundsätzlich erhöhtes Risiko und eine beginnende Epilepsie ergeben haben, kann die Fahreignung danach wieder bejaht werden.

Bei einem einmaligen, provozierten Anfall, der einen vermeidbaren Auslöser hatte, ist für Gruppe 2 die Kraftfahreignung für mindestens sechs Monate aufgehoben. In dieser Zeit müssen regelmäßige fachneurologische Kontrolluntersuchungen erfolgen.

Wird die Diagnose einer Epilepsie gestellt, ist bei Kraftfahrern der Gruppe 2 die Kraftfahreignung in der Regel nicht mehr gegeben. Eine Ausnahme liegt nur dann vor, wenn nach mindestens fünf Jahren eine Anfallsfreiheit ohne medikamentöse Therapie besteht, wie nur in seltenen Fällen nicht-genuiner Epilepsieformen zu erwarten ist. 

    Für die Autoren

    Priv.-Doz. Dr. med. A. Dettling

    Institut für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin

    Universitätsklinikum Heidelberg

    Voßstraße 2 – 69115 Heidelberg

    andrea.dettling@med.uni-heidelberg.de

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