Behandlungsleitlinien als eine Ent-scheidungshilfe und Brücke für die interdisziplinäre Zusammenarbeit
Für jede Krankheit besteht mindestens eine Behandlungsleitlinie, deren Aufgabe es ist, bei der Therapieentscheidung zu unterstützen. Diese Leitlinien werden von verschiedenen Fachgesellschaften entwickelt und verfolgen mehrere Ziele: Zum einen sollen sie die bestehenden Versorgungsstrukturen verbessern, zum anderen aber auch zu ökonomischen Entscheidungen bewegen und unnötige Kosten vermeiden. Zudem dienen Leitlinien als Informationsquelle der Öffent-lichkeit und als Entscheidungshilfe für das medizinisches Fachpersonal (Leitlinien.de 2015).
Gerade im Hinblick auf die Vermeidung unnötiger Kosten im Gesundheitswesen wäre eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwi-schen Fachärzten und Arbeitsmedizinern zweckmäßig. Im Jahr 2014 gaben Kranken-kassen rund 10,62 Milliarden Euro für Krankengeld aus, hinzu kommen Produktivitätsverluste und Ausfälle an Bruttowertschöpfung, die sich ebenfalls im hochstelligen Milliarden-Euro-Bereich bewegen (GKV-Spitzenverband 2015; BAuA 2015). Durch eine bessere Vernetzung können neben Pro-duktivitätseffekten und Kostensenkungen auch Vorteile für individuelle Patienten er-zielt werden, so wurde beispielsweise bewie-sen, dass sektorenübergreifende Versorgung zu besseren Behandlungsergebnissen führen kann (Olsson et al. 2009).
Ziel sollte es sein, die beiden Sektoren miteinander zu verknüpfen und das Bewusst-sein arbeitsmedizinischer Gesundheitspro-bleme zu schärfen. Unter anderem würde dies gelingen, indem berufliche Reintegration oder der Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Patienten in Behandlungsleitlinien integriert werden. Um herauszufinden, inwiefern dies schon umgesetzt wird, wurden 172 Behandlungsleitlinien der folgenden Fachgesellschaften untersucht: Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Deutsche Ge-sellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, Deut-sche Gesellschaft für Schmerztherapie sowie Deutsche Dermatologische Gesellschaft und Ophthalmologische Gesellschaft.
Ergebnisse und Einteilung in Schärfegrade
Von den 172 Behandlungsleitlinien inte-grieren nur 14 das Thema „Arbeitsfähigkeit“ als Therapieziel. Sechs dieser 14 Leitlinien betreffen psychische Erkrankungen, weitere drei beziehen sich auf onkologische Er-krankungen und wurden von der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie Verdau-ungs- und Stoffwechselkrankheiten in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Onkologie entwickelt. Die restli-chen fünf Leitlinien betreffen folgende Krank-heiten: periphere Nervenverletzung, Schlag-anfall, chronische Schmerzen, Gallensteine und rheumatoide Arthritis. Weiterhin wurde untersucht, wie stark das Thema „Erhalt der Arbeitsfähigkeit“ gewichtet wurde. Es wurden drei Schärfegrade festgelegt:
- Grad 1: berufliche Reintegration (zurück in die Arbeitswelt, die berufliche Aufgabe ist zweitrangig)
- Grad 2: berufliche Teilhabe
- Grad 3: Erhalt der Arbeitsfähigkeit (alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Pa-tienten in seinem Beruf zu halten)
Je nach Schärfegrad der Beschreibung des Ziels „Erhalt der Arbeitsfähigkeit“ wurde entschieden, welche Leitlinie welchem Grad zugeordnet wird. Begriffe wie „Wiedereingliederung“ und „Reintegration“ wurden Grad 1 zugeordnet, während „Berufliche Partizipation“, „Teilhabe“ und „Leistungsfähigkeit“ Grad 2 zugehörig waren. Wann immer der Begriff „Arbeitsfähigkeit“ auftauchte, wurde Grad 3 gewählt. Tabelle 1 zeigt die Aufteilung der Leitlinien.
Die meisten Leitlinien lassen sich bei Grad 2 (berufliche Teilhabe) einordnen, doch auch bei Grad 3 (Erhalt der Arbeitsfähigkeit) wurden einige Leitlinien zugewiesen. Einige Leitlinien finden sich zwischen den Graden wieder, bei diesen Leitlinien war eine genaue Zuordnung des Grads nicht möglich, da Begrifflichkeiten gewählt wurden, die sowohl dem einen, als auch dem anderen zugehörig waren.
Insgesamt ist die Anzahl jedoch sehr ge-ring, dabei wäre die Integration dieses The-rapieziels ein erster Schritt Richtung Verknüpfung der Sektoren und gleichzeitig eine Möglichkeit, um langfristig Produktions-ausfälle zu reduzieren. Gerade in der heutigen vom Fachkräftemangel geprägten Gesellschaft sollte der möglichst lange Erhalt der Arbeitsfähigkeit als ein übergeordnetes Ziel identifiziert werden.
Literatur
Olsson L, Hansson E, Ekman I, Karlsson J: A cost-effectiveness study of a patient-centred integrated care pathway. J Adv Nursing 2009; 65: 1626–1635.
Weitere Infos
BAuA: Kosten durch Arbeits-unfähigkeit vom 05. März 2015 (Zugriff: 26.08.2015)
www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Statistiken/Arbeitsunfaehigkeit/Kosten.html
GKV-Spitzenverband: GKV-Kennzahlen (Zugriff: 26.08.2015)
Leitlinien.de betreut durch ÄZQ, BÄK und KBV: Ziele von Leitlinien vom 27.07.2015 (Zugriff: 26.08.2015)