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Globales Großunternehmen –und doch KMU

Wandelt sich der Konzern, wandeln sich auch die Arbeitsplätze: Bis auf die Kernkraftwerke (KKW) mit Restlaufzeiten bzw. die im Rückbau befindlichen KKW gibt es im Unternehmen keine großen „Produktionsstandorte“ mehr. Die weltweit mehr als 40 000 Beschäftigten arbeiten an der Infrastruktur der neuen Energiewelt: Erneuerbare Energien onshore und in Offshore-Parks, Instandhaltung und Ausbau intelligenter digitaler Energienetze, die an individuellen Kundeninteressen orientiert sind. Kundenbetreuung und Vertrieb spielen dabei eine wachsende Rolle. Etwa 60 % der Beschäftigten arbeiten außerhalb Deutschlands, beispielsweise in Großbritannien, Schweden, Italien, Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Rumänien. Andere Beschäftigte arbeiten an der Planung und Errichtung von Windparks, dezentralen Energielösungen oder aber auch bei „Rafiki Power“, einem Projekt, das mit Sonnenstrom aus dem Container die Elektrifizierung von Dörfern in Tansania voranbringt ( Abb. 1).

Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) eines derart heterogenen und im Change-Prozess stehenden internationalen Unternehmens muss ebenso agil und „open-minded“ sein: dezentral, nachhaltig (grün) und vernetzt. Zwei große Herausforderungen sind dabei besonders zu meistern:

  • die Diversität der Länder und
  • die Betriebsstrukturen der Arbeitsplätze.

Jedes Land ist anders

Die Länder, in denen die regionalen Einheiten arbeiten, haben unterschiedliche gesetzliche Regelungen zu Arbeits- und Gesundheitsschutz. Es bestehen kaum vergleichbare Gesundheitsversorgungs- sowie Versicherungssysteme, noch dazu begegnet der im Ausland Arbeitende völlig anderen Mentalitäten. Da in Großbritannien ein weniger ausgebautes öffentliches Gesundheitsversorgungssystem besteht, nehmen die Beschäftigten die Gesundheits- und auch Therapieangebote des Arbeitgebers gerne an und empfinden diese als willkommene Zusatzleistung. Dafür akzeptieren sie einen – verglichen mit Deutschland – geringeren Datenschutz. Folglich stehen dem BGM dort ganz andere Kennzahlen als Parameter zur Verfügung. In Schweden wird betrieblicher Gesundheitsschutz über externe Dienstleister gesteuert, die eng mit dem BGM und dem lokalen Gesundheitsversorgungssystem vernetzt sind. Die hohe Effizienz des schwedischen BGM setzt ebenfalls mehr Transparenz voraus. Bereits nach 15 Tagen Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten hat der Vorgesetzte ein Wiedereingliederungsverfahren zu starten und zu managen; das BGM unterstützt ihn dabei.

Wenige Großstandorte – viele KMU

Lediglich die E.ON-Konzernzentrale in Essen weist über 2000 Beschäftigte aus. Andernorts dominieren Betriebsgrößen von eher mittelständischem Zuschnitt oder gar Kleinunternehmen. Bei fortschreitender Digitalisierung der Arbeitswelt entgrenzen sich Arbeitsplätze und Arbeitszeit. Viele Mitarbeiter in der Netzbetreuung und im Vertrieb sind häufig allein im Einsatz – ohne Kontakt zu ihren Abteilungen, Kollegen oder Vorgesetzten. Weder funktionale noch disziplinarische Führungskräfte sind für den Beschäftigten kontinuierlich präsent. Wie kann BGM in solch heterogenen und großflächigen Strukturen umgesetzt und gelebt werden?

Herausforderungen und Krankheiten sind jedoch gleich

Bei aller Diversität gibt es in den Ländern und Betriebsstrukturen jedoch die gleichen drei großen Herausforderungen: Digitalisierung, Globalisierung und demografischer Wandel prägen das, was als „Arbeit 4.0“ bezeichnet wird. Sie sind die Prüfsteine zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit.

Auch bei den drei Hauptdiagnosen für Arbeitsunfähigkeit gibt es übergreifende Einheitlichkeit: Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE), psychische Störungen und Atemwegsinfekte. Nur die Reihenfolge ist von Land zu Land unterschiedlich und wechselt gelegentlich. Dies wird durch unterschiedliche Diagnosesysteme befördert und auch durch mentalitätsbedingte Definitionen von Krankheit. Wann ist eine Muskel-Skelett-Erkrankung doch eher psychosomatisch? Schon changiert die Diagnosegruppe.

Keine Unterschiede gibt es beim „Endpunkt“: der Mortalitätsstatistik. In allen genannten Ländern sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen der „Killer Nummer eins“ vor Krebserkrankungen. Die Bedeutung psychischer Stabilität als Präventionsfaktor für alle diese Diagnosen rückt immer mehr in den Fokus der wissenschaftlichen Forschung. Und damit auch die Frage, wie wir in Zukunft Stressfolgeerkrankungen wie Burnout, Depression aber auch Adipositas, Hypertonie, Diabetes und Herzinfarkt vermeiden können.

Vom Arbeitsschutz zum „Gesunden Unternehmen“

Damit sind die Handlungsfelder für ein erfolgreiches BGM abgesteckt. Das Präventions-Setting Betrieb muss Arbeitsplätze und Organisationsformen für „Gesunde Arbeit“ bieten. Es kann dem Beschäftigten zudem die Entfaltung seines Gesundheitsverhaltens ermöglichen. Führungskräfte haben das Potenzial für eine nicht zu unterschätzende Vorbildrolle.

Neben den in Deutschland geltenden Gesetzen und Verordnungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz ist es sinnvoll, entsprechende Betriebsvereinbarungen zu treffen, die zwischen Arbeitgeber und Mitbestimmung die innerbetrieblichen Regeln und Ziele festlegen. So gibt es bei E.ON seit 2015 eine Konzernbetriebsvereinbarung (KBV) „Gesundheit“, welche die oben genannten Handlungsfelder beschreibt und vier Schwerpunkte als Module definiert:

  • Modul Betriebliches Gesundheitsmanagement,
  • Modul Suchtprävention und -intervention,
  • Modul Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM),
  • Modul Mitarbeiterberatung.

In diesen Modulen sind neben Verantwortung und Zuständigkeit auch Strukturen und Prozesse beschrieben.

Wie können nun diese Vereinbarungen in der Praxis auch flächendeckend umgesetzt werden? Das BGM steuert ein Konzernsteuerungskreis, der mit den dezentralen, lokalen Steuerungskreisen gut vernetzt ist. Im Dialog wird der Maßnahmenbedarf ermittelt und Projektideen werden geprüft. Die lokalen Steuerungskreise übernehmen dann die Durchführung der Maßnahmen in der Fläche. Ein Konzernbetriebsratsausschuss „Health, Safety & Environment“ begleitet auf der Mitbestimmungsseite. Beide Gremien werden operativ von einem BGM-Expertenkreis in Deutschland unterstützt. Die Vernetzung mit den Betriebsärzten, die in Deutschland die Beschäftigten arbeitsmedizinisch betreuen, erfolgt über eine Arbeitsgruppe der koordinierenden Ärzte. Global vernetzt sich das Health-Team, in dem Austausch und Cross-learning im Vordergrund stehen. Alle Gruppen werden koordiniert vom zentralen Team „Arbeitsmedizin und Gesundheitsmanagement“. Die BGM-Experten in Deutschland betreuen die lokalen Einheiten und bedienen sich bei Bedarf der Angebote für Betriebliche Gesundheitsförderung aus einer zentralen Toolbox. Unterstützt werden sie von Gesundheitskoordinatoren und Multiplikatoren in den kleinen Einheiten.

Flächendeckend sind „Betriebliche Ansprechpartner Sucht“ (BAPS) ausgebildet worden und stehen den Beschäftigten zur Seite. Ein „Stufenplan Suchtintervention“ ist Teil der Konzernbetriebsvereinbarung (KBV „Gesundheit“). Die „BAPS“ wie auch die Betriebsärzte und andere Gesundheitsakteure bilden wiederum eine Schnittstelle zur externen Mitarbeiterberatung. Sie steht allen E.ON-Beschäftigten in Deutschland und deren Angehörigen für verschiedene Beratungsanlässe offen. Daneben gibt es in einigen Einheiten auch bewährte innerbetriebliche Sozialberater.

Im Modul Betriebliches Eingliederungsmanagement sind die betrieblichen Abläufe einschließlich Datenschutz geregelt und entsprechende Formblätter hinterlegt. Gesteuert von den jeweiligen Personalabteilungen begleiten Betriebsräte, Schwerbehindertenvertretung, Betriebsärzte und andere Akteure das Verfahren. Es liegt in der Hand des Beschäftigten und ist von den lokalen Gegebenheiten geprägt.

Handlungsfelder des BGM

Zielgruppenspezifische und regionale Maßnahmen des BGM definieren sich häufig aus den Analysen der jeweiligen Steuerungskreise und Arbeitsschutz-Ausschüsse. Daneben gibt es – abgeleitet aus den oben beschriebenen Hauptdiagnosen von Erkrankungen – drei Handlungsfelder, die konzernweit mit den vor Ort möglichen Mitteln bearbeitet werden sollen.

Ich mache mich stark!

Es gilt, die Bewegung am Arbeitsplatz, speziell an Büroarbeitsplätzen, zu fördern. Körperliche Aktivität muss Teil des Arbeitsalltages werden – neben den Angeboten von Firmenfitness- oder Laufgruppen, die meist nur die sowieso schon bewegungsbegeisterten und fitten Mitarbeiter erreichen. Der Wechsel von sitzender zu stehender Arbeit auch ohne elektrisch höhenverstellbare Schreibtische muss gefördert werden. Kreative „Treppe-statt-Aufzug“-Konzepte mit interessanter Gestaltung der oft langweiligen Treppenhäuser werden vorangebracht. Eine „bewegte Pause“ soll direkt zur Planung jeder längeren Sitzung gehören. Daneben sind Materialien der Betriebskrankenkasse (BKK) und deren Unterstützung bei Gesundheitstagen zu nutzen. Für körperlich belastete Beschäftigte stehen Gesundheits-Ferienangebote der BKK zur Verfügung.

Ich bleibe in Balance!

Hier wird speziell das flächendeckende Angebot der externen Mitarbeiterberatung beworben. An größeren Standorten steht auch der Betriebsarzt in einer „offenen Sprechstunde“ als Ansprechpartner für psychische Probleme wie Erschöpfung, Burnout oder Mobbing zur Verfügung. Entsprechende Angebote der BKK und die frühen Präventionsleistungen der Deutschen Rentenversicherung werden kommuniziert.

Ich halte mich gesund!

Im Rahmen der KBV „Gesundheit“ werden deutschlandweite Kampagnen zentral organisiert. Dazu gehört die saisonale Influenza-Impfaktion. Informationsmaterial wird ebenso wie ein moderner Influenza-Impfstoff zentral zur Verfügung gestellt. Die Aktion wird von den lokalen BGM-Experten und anderen Multiplikatoren gemeinsam mit den Betriebsärzten vor Ort organisiert. Die Inanspruchnahme ließe sich noch mehr befördern und das Setting Betrieb für den Impfschutz der Beschäftigten noch besser nutzen, wenn die Impfkosten direkt und digital mit den Krankenkassen abrechenbar wären. Das wird im Präventionsgesetz in Aussicht gestellt – die Umsetzung in der Fläche ist abzuwarten.

Bei E.ON besitzt die Darmkrebs-Früherkennung eine lange Tradition. Dazu gehören Informationen zur Prävention von Darmkrebs und entsprechende Kantinenangebote in Form von gesunder Ernährung. Daneben können die Beschäftigten (über 45 Jahre alt oder Risikogruppe) bei einem deutschlandweit agierenden Dienstleister immunologische Stuhltests bestellen (Abb. 2).

Firmeneigenes Social Intranet unterstützt Information und Kommunikation

Um die Inhalte und die Angebote des BGM im Unternehmen in zeitgemäßer Form zu transportieren, nutzt E.ON sein unternehmensinternes Social Intranet, auf das alle Akteure zugreifen können. Neben dem Austausch in Blogs stehen Health-Wikis und eine Health-Videothek als Wissensspeicher zur Verfügung. Solche modernen Kommunikationsformen fördern den Austausch und die Akzeptanz des BGM. Dezentral, nachhaltig und vernetzt – so, wie BGM sein soll.

    Autorin

    Dr. med. Ulrike Hein-Rusinek

    Head of Occupational Health

    E.ON SE, CoC HSSE

    Brüsseler Platz 1

    45131 Essen

    ulrike.hein-rusinek@eon.com

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