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Herausforderung Nachuntersuchung gemäß Grundsatz 35

Der folgende Artikel schildert den Fall einer komplizierten Blasenbilharziose, der trotz typischer Exposition, regelmäßiger Untersuchun-gen nach Grundsatz 35 und der Dokumentation einer Eosinophilie erst vom Hausarzt und dem operierenden Urologen diagnostiziert wurde, als ein Nierenaufstau auftrat.

Rechtlicher Hintergrund der im März 2013 verfassten Überlegungen war die ArbMedVV in ihrer Fassung von 2008, die inzwischen novelliert wurde. Es bleibt zu hoffen, dass die dargestellten medizinisch-fachlichen Anforderungen sich in die neue Rechtslage herüberretten lassen.

Fallbeschreibung

Bei der hausärztlichen Durchuntersuchung des beschwerdefreien, damals 59-jährigen wissenschaftlichen Mitarbeiters eines westdeutschen Universitätsinstituts1 fiel sonographisch ein Nierenaufstau rechts auf. Die umgehend eingeleitete urologische Untersuchung mit Zystoskopie ergab exophytisch wachsendes Gewebe am rechten Ureterostium, was den Verdacht auf ein Malignom weckte. Zwei Wochen nach der sonographischen Diagnose wurde daher die Tumorresektion mit Neueinpflanzung des rechten Ureters in die Blase vorgenommen. In der histologischen Aufarbeitung des Resektionspräparats fanden sich epitheloidzellhaltige Granulome um Fremdkörpereinschlüsse herum, die sich als Eier von Schistosoma sp. identifizieren ließen, wobei eine Differenzierung zwischen Schistosoma haematobium, dem Erreger der Blasenbilharziose, und Schistosoma mansoni, einem der Erreger der Darmbilharziose, im Schnittpräparat nicht gelang. Es wurde die Diagnose einer Blasenbilharziose, am ehesten durch S. haematobium, mit Hydronephrose rechts gestellt und im weiteren Verlauf vom Hausarzt mit Praziquantel in korrekter Dosierung behandelt. Hausarzt und Institutsleiter erstatteten etwa ein halbes Jahr nach der Intervention die Verdachtsanzeige auf das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) bei der zuständigen Unfallkasse.

Im Rahmen des sich anschließenden Anerkennungsverfahrens als BK nach Ziffer 3104 (Tropenkrankheiten, Fleckfieber) der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV; s. „Weitere Infos“) wurden Fragen der Exposition und der vorangegan-genen, auch arbeitsmedizinischen Unter-suchungsbefunde aufgeworfen. Der Versicherte arbeitet auf dem Gebiet des Klimawandels, der im Holozän aus einem ursprünglich regenreichen Gebiet die Sahara entstehen ließ. In diesem Zusammenhang hielt er sich allein im Zeitraum von Ende 2004 bis Ende 2011 in 28 der 84 Wochen in Ländern auf, die dem Südrand der Sahara und dem Sahel zugeordnet werden können. Zur Methodik der Arbeitsgruppe gehört auch die Entnahme von Bohrkernen aus dem Sediment von Süßwasseransammlungen, die durch manuelles Einschlagen von Rohren von einem Gerüst aus erfolgt. Ein Durchwaten von Uferbereichen dieser Seen und regelmäßiger Wasserkontakt ist insofern unausweichlich. Selbst versalzene Seen weisen im Uferbereich durch horizontalen Süßwassereinstrom eine Süßwasserfauna auf; das Vorkommen von Biomphalaria- und Bulinus-Schnecken, die im Grundsatz trans-missionsfähig für die Schistosomiasis sind, wurde unter Bezug auf Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe publiziert (van Bocxlaer 2011). Private Aufenthalte in Ländern mit Schistosomiasisübertragung wurden vom Versicherten nicht angegeben.

Seit seinem Wechsel an das betreffende Universitätsinstitut im Jahr 1995 wurde der Mitarbeiter in Kenntnis seiner dienstlichen Auslandsaufenthalte regelmäßig nach dem G 35 untersucht. An eine spezifische Befra-gung zum Tätigkeitsmuster im Sinne einer Gefährdungsbeurteilung konnte er sich nicht erinnern. Angeforderte Unterlagen wiesen ab 2004, nicht aber 1996 und 2001, eine ansteigende Eosinophilie auf, die im Fall der 2010 festgestellten 10,3 % mit „leicht erhöht (Allergie)“ kommentiert wurde. Das Vor-liegen von Allergien gab der Versicherte bei der gutachterlichen Befragung nicht an. Auch Untersuchungen des Urins sind nur 1996, nicht aber 2010 oder 2012 dokumentiert.

Die Operationspräparate wurden angefordert. Dabei bestätigt sich, dass die Diagnose eines Befalls mit Schistosoma haematobium, erkennbar am terminalen Stachel der abgelegten Eier, in der Histologie nur unsicher gestellt werden kann (s. Abb. 2). Es fiel allerdings – im Originalbefund unerwähnt – auf, dass zwei komplette adulte Wurmpaare und separat ein Männchen mit-entfernt und im histologischen Schnitt dargestellt wurden (s. Abb. 3).

Im Gefolge der geschilderten Krankheits-episode stellten sich auch andere Mitglieder der Arbeitsgruppe zur tropenmedizinischen Untersuchung vor. Eine Schistosomiasis wurde mit serologischen Tests bei drei von vier bislang untersuchten Personen festgestellt und als Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit an den zuständigen Unfallversicherungsträger gemeldet. Dabei war die Exposition teils deutlich kürzer oder auf einzelne Wasseransammlungen begrenzt.

Epikrise

Die Schistosomiasis ist eine vorwiegend im Tropengürtel Afrikas, aber auch in Teilen Süd-ostasiens und Südamerikas ( Abb. 1) ver-breitete Parasitose, bei der Wurmpaare in den perirektalen oder -vesikalen Venen zu fin-den sind (s. Abb. 3). Die Weibchen legen Eier in die Wand dieser Hohlorgane ab, von wo die Eier in die Ausscheidungen gelangen. Werden Fäkalien in Süßwasser eingeleitet, so können sich geeignete Schnecken mit Mirazidien infizieren und dann Zerkarien in großer Zahl ins Uferwasser abgeben. Diese sind in der Lage, die Haut zu penetrieren und zu neuen adulten Würmern heranzureifen, wenn Personen in diesem Wasser stehen, baden, sich waschen etc. Komplikationen dieser Parasitose treten meist, aber nicht immer, bei intensivem Wurmbefall auf und umfassen unter anderem Nierenaufstau, Harnblasenwandverdickung und -verkalkung, Abschwemmung von Eiern in die Leber mit Fibrose, Zervizitiden und Balanitiden sowie variable Symptome als Folge ektoper Wurmpaare. Daher sind Diagnosestellung und Therapie erforderlich, auch wenn eine Symptomatik lange Zeit fehlen kann.

Die Untersuchung nach G 35 (Aufenthalt im Ausland unter besonderen klimatischen und gesundheitlichen Belastungen) hat eine mehrfache Aufgabe. Sie soll

  • die gesundheitliche Situation des Beschäftigten und somit seinen Versorgungsbedarf auch während der Tätigkeitszeit im Ausland beschreiben,
  • die für das Einsatzland und die Tätigkeit typischen Gefahrenmerkmale hinsichtlich Erkrankungsspektrum, aber auch Infrastruktur und Versorgungsmöglichkeiten klären und
  • im Fall einer Nachuntersuchung gesund-heitliche Folgen der Auslandstätigkeit aufdecken, auch um die Ansprüche des Mitarbeiters gegenüber dem Unfallversicherungsträger zu wahren.

Wegen der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen, die insbesondere der zweite und dritte Punkt erfordern, war die Durchführung der G 35 lange auf ermächtigte Arbeits- und Betriebsmediziner bzw. Tropenmediziner beschränkt. Die mit dem 01. 01 2009 in Kraft getretene Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV, s. „Weitere Infos“) hat diese Ermächtigung zwar abgeschafft, spricht aber in § 7 (1) durchaus davon, dass ein Arzt die für die Untersuchung erforderlichen Fachkenntnisse aufweisen – oder einen entsprechend qualifizierten Arzt hinzuziehen muss. Ob in diesem Falle ausreichend qualifizierte oder ermächtigte Ärzte für die Gefahrenbeurteilung und die Festlegung der in der Nachuntersuchungssituation erforderlichen Diagnostik eingesetzt wurden, muss hier offenbleiben. Das Ergebnis der Untersuchungen spricht aber dagegen.

Die Histologie gilt im Allgemeinen als diagnostischer Goldstandard. Die Identifikation des seitlich oder endständig positionierten Stachels zur Zuordnung aufgefundener Eier zu einer der Schistosomenarten ist im histologischen Schnitt ( Abb. 2) jedoch schwieriger als im Nativpräparat aus Urin oder Stuhl oder im Quetschpräparat einer Biopsie aus der Harnblasen- oder Darmwand. (Man kann sich leicht vorstellen, dass auch zufällige Schnitte durch eine Rose nur sehr selten die typische Form eines Dorns zeigen würden.) Vielmehr ist im Idealfall eine dreidimensionale Integration von Schnittserien zur Gesamtform erforderlich. Diese gelang im vorliegenden Falle auch nicht bei der sehr auffälligen For-mation eines Wurmpaares ( Abb. 3), die allerdings nur mit entsprechenden parasitologischen Kenntnissen gelingen kann.

Da vielfach die Vorstellung vorherrscht, eine normale Eosinophilenzahl im Differenzialblutbild schließe eine Parasitose prak-tisch aus, sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass das nicht so ist. Zwar rufen viele invasive Parasitosen zumindest phasen-weise eine Eosinophilie hervor, doch ist dies bei einzelligen Parasitosen (Malaria, Lambliasis, Amöbiasis, Leishmaniose, Trypanosomiasis) nicht der Fall. Als etwa der hier ge-schilderte Patient wegen seines granulombedingten Harnstaus operiert wurde, lag keine Eosinophilie vor. Auch intestinale Wurm-erkrankungen rufen nicht notwendig eine Eosinophilie hervor – es sei denn in Durchwanderungsphasen, wie sie die Askariden oder die Hakenwürmer durchmachen, andere luminale Helminthen aber nicht. Parasitologische Nachweisverfahren sind generell hochspezifisch, aber nicht sehr sensitiv, so dass man damit keine Ausschlussdiagnostik betreiben kann (Müller 2013).

In der Situation der Nachuntersuchung muss in Abhängigkeit von den ermittelten Gefährdungen auch auf solche Erkrankungen hin untersucht werden, für deren Vorliegen eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, auch wenn Symptome nicht bestehen. Dieser Gedanke liegt vielen Untersuchern bei der HIV-Infektion nahe, muss aber auch auf andere Infektionen mit langer symptomloser oder -armer Latenz ausgedehnt werden, wozu eben auch die Schisto-somiasis gehört. Dass es sich dabei nicht um eine seltene Diagnose handelt, belegt unter anderem die Statistik der anerkannten BK (DGUV 2008;  Tabelle 1), bei der die Schistosomiasis etwa auf Rang 4 der Diagnosen unter BK 3104 steht. Die Untersuchung nach G 35 muss sich auch am Anspruch messen lassen, solche Erkrankungen zu diagnostizieren, um sie einer Behandlung zuzuführen und Folgeveränderungen zu verhindern. Führen G 35-Untersuchungen praktisch nie zu einer BK-Verdachtsmeldung, so muss man sich fragen, ob solche Untersuchungen zu oberflächlich erfolgen. Dies relativiert ihren Wert auch ganz grundsätzlich, da schließlich auch in der Wahrnahme von Arbeitgebern und Beschäftigten, nicht zuletzt aber auch der des Verordnungsgebers „nie etwas dabei herauskommt“. 

Literatur

van Bocxlaer B et al.: Modern and holocene mollusc fauna of the Ounianga Lakes … JQS 2011; 26: 433–447.

DGUV (Hrsg.): Dokumentation des Berufskrank-heiten-Geschehens in Deutschland, Daten und Fakten zu Berufskrankheiten: – Lärmschwerhörig-keit, – Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten, Berlin, 2008.

Müller A: Schistosomiasis. In: Rieke B, Küpper T, Muth C-M: Moderne Reisemedizin, 2. Aufl. Stutt-gart: Gentner, 2013.

Fußnoten

 1 Medizinisch nicht relevante Details, die die Rückidentifikation des Falles erlauben würden, sind hier und im weiteren Verlauf des Artikel weggelassen worden. Es handelt sich nicht um einen Mitarbeiter der Universitäten in Aachen oder Düsseldorf.

    Weitere Infos

    DGUV: Dokumentation des Berufskrankheiten-Geschehens in Deutschland, Daten und Fakten zu Berufskrankheiten

    http://www.dguv.de/medien/inhalt/zahlen/documents/datenfakten2008.pdf

    Berufskrankheiten-Verordnung vom 31.10.1997 (BGBl. I S. 2623), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 11.06.2009 (BGBl. I, S. 1273)

    http://www.gesetze-im-internet.de/bkv/index.html

    ArbMedVV vom 18.12.2008, zuletzt geändert 31.10.2013

    http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Arbeitsschutz/2013-10-30-arb-med-vv-text.pdf?__blob=publicationFile

    Autor

    Dr. med. Burkhard Rieke DTM&H (Liv.)

    Tropenmedizinische Praxis und Gelbfieberimpfstelle

    Oststraße 115

    40210 Düsseldorf

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