Einleitung
Der Wandel in der Arbeitswelt, der durch Umstrukturierungen, neue Arbeitsformen sowie die demografische Entwicklung gekennzeichnet ist, macht es notwendig, sich mit den veränderten psychischen Belastungen der Erwerbstätigen zu beschäftigen. Der Stressreport Deutschland 2012 zeigt im Rahmen seiner regelmäßig stattfindenden Erwerbstätigenbefragungen, dass sich die Belastungswerte nach einer erheblichen Stei-gerung Ende der 1990er Jahre und Anfang der 2000er Jahre auf einem relativ hohen Niveau eingependelt haben. Als Ursachen werden Termin- und Leistungsdruck sowie verschiedene Arbeiten gleichzeitig erledigen zu müssen angeführt. Im Sozial- und Gesundheitswesen kommen v. a. der Pausen-ausfall, das Arbeiten an der Belastungsgrenze sowie Nachtschichten, Sonn- und Feiertagsarbeit hinzu (Lohmann-Haislah 2012). In einer Studie mit dem Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ) stellten sich als kritische Aspekte in der stationären Altenpflege der geringe Einfluss bei der Arbeit, die Unsicherheit des Arbeits-platzes sowie der allgemeine Gesundheits-zustand heraus. Die Beschäftigten der am-bulanten Pflege schätzten im Vergleich dazu ihre Arbeitsbedingungen besser ein – mit Ausnahme des Aspekts der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz. Positive Aspekte in der Pflege im Vergleich zum Durchschnitt aller anderen Berufe waren z. B. die Bedeutung der Arbeit, die Führungsqualität und die so-ziale Unterstützung (Nübling et al. 2010).
Betriebliche Vorbereitung auf die Analyse
Die genannten Studien zeigen allgemeine Tendenzen auf. Um das psychische Belastungsniveau in der einzelnen Einrichtung zu bestimmen, muss jedes einzelne Unter-nehmen aktiv werden – mit oder ohne externe Unterstützung.
Bei der Planung der Analyse sind im Vorfeld einige Punkte zu beachten, z. B. die Bildung eines Steuerkreises unter Einbezug der betrieblichen Interessenvertretung, eine klare Zielformulierung für die Analyse sowie die fachliche Beschäftigung mit dem Thema psychische Belastung im Steuergremium, um nur einige zu nennen. Als Steuerkreis bietet es sich an, eine bereits bestehende Arbeitsgruppe wie den Arbeitssicherheitsausschuss (ASA) zu wählen, da hier alle Vertreter des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bereits zusammenarbeiten. Bei der fachlichen Einarbeitung können externe Referenten eingeladen werden oder es kann von den ASA-Mitgliedern ein Seminar zum Thema besucht werden. Die Unfallversiche-rungsträger bieten hierzu passende Seminare in ihren Akademien an.
Analyseinstrumente
Zur Erhebung der psychischen Belastungen gibt es unterschiedliche Methoden: Das Beobachtungsverfahren, das Beobachtungsinterview, die Mitarbeiterbefragung oder den Analyseworkshop. Um den Pflegeeinrichtungen einen leichteren Einstieg in das Thema psychische Belastung, deren Erhebung und Beurteilung am Arbeitsplatz zu ermöglichen, hat die BGW drei Instrumente entwickelt, die jeweils an unterschiedlichen Bedarfen der Einrichtungen ansetzten:
BGW Mitarbeiterbefragung
Die BGW Mitarbeiterbefragung ist ein wis-senschaftlich fundiertes Erhebungsverfah-ren, welches das Ausmaß psychischer Belastungen und Beanspruchungen in den Pflegeeinrichtungen vor Ort erfasst und die Möglichkeit zur selbstständigen Auswertung erlaubt. Diese Mitarbeiterbefragung ist sowohl für den Einsatz auf einzelnen Stationen als auch für die gesamte Einrichtung geeignet.
Das theoretische Grundlagenmodell ist das modifizierte Belastungs-Beanspruchungs-konzept. Die 2002 entwickelte und validierte Befragung wurde 2010/11 aktualisiert.
Mithilfe der Befragung können in kurzer Zeit die psychischen Belastungen und Beanspruchungen der Beschäftigten ermittelt, beurteilt sowie konkrete Maßnahmen abgeleitet werden. Es gibt zwei unterschiedliche Fragebögen. Der Belastungs-Fragebogen er-hebt, was von außen aus der Arbeitswelt auf eine Person einwirkt. Erfasst werden hier die quantitativen und qualitativen Arbeitsbelas-tungen, die Arbeitsorganisation, das soziale Arbeitsumfeld wie auch die außerberufliche Situation aus der Perspektive der Beschäftigten.
Der Beanspruchungs-Fragebogen erhebt hingegen die individuellen Einschätzungen des eigenen körperlichen und psychischen Befindens. Da es sich hierbei um persön-liche Angaben der Beschäftigten handelt, ist besonders auf die Gewährleistung der Anonymität zu achten. Daher ist es wichtig, die Befragungen von einer Vertrauensperson, wie z. B. der Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt auswerten zu lassen. Aus Gründen des Datenschutzes müssen mindestens 10 Beschäftigte befragt werden, sieben ausgefüllte Fragebögen sollten später zur Auswertung vorliegen. Nach der Eingabe der Fragebögen in eine Auswertungssoftware erhält die durchführende Person drei Ergebnisgrafiken:
- (1)Ein Belastungsprofil, das Bereiche mit geringer von durchschnittlicher oder hoher Belastung unterscheidet sowie das Belastungsprofil der aktuellen Einrichtung abbildet.
- (2)Eine Vergleichsdarstellung aus den Einzelfragen des Belastungs-Fragebogens, geordnet nach den Dimensionen wie et-wa qualitative Arbeitsbelastung, denen die Vergleichswerte aus der Studie zur Neuvalidierung des Instruments gegenüber gestellt wird.
- (3)Ein „Beanspruchungsthermometer“, das nach geringem, durchschnittlichem und hohem Beanspruchungsbereich differen-ziert und den Wert der aktuellen Einrich-tung markiert.
Zur Interpretation der Befragungsergebnisse und einer möglichen Ableitungen von Maßnahmen kann die dazugehörige Broschüre genutzt werden. Wenn im Steuerkreis die Ergebnisinterpretation für einen Arbeitsbereich nicht eindeutig sein sollte, kann es sinnvoll sein, einen Workshop zur Feinanalyse anzuschließen.
Alle Materialen für die Mitarbeiterbefragung sind kostenfrei auf der BGW Online-Seite erhältlich (s. auch Infokasten).
BGW Betriebsbarometer
Das BGW Betriebsbarometer ist ein modular aufgebautes Befragungsinstrument für Ein-richtungen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege mit mehr als 50 Beschäftig-ten. Diese Mitarbeiterbefragung kann intern organisiert werden, die Auswertung erfolgt über ein externes Institut. Das BGW Betriebs-barometer basiert auf Konzepten der betriebs- und personalwissenschaftlichen sowie der arbeitswissenschaftlichen Forschung zu den Themenkomplexen: Arbeitsaufgabe, Arbeitszufriedenheit, Vorgesetztenverhalten und Betriebsklima, Arbeitssicherheit und Ge-sundheitsschutz sowie Work-Life-Balance. Die BGW sichert die Qualität der Befragung durch zwei Beratungstage ab. So erfolgt eine Beratung vor Einführung der Befragung und eine Präsentation der Ergebnisse nach ihrer Durchführung.
Das BGW Betriebsbarometer wurde 2001 entwickelt und 2007 überarbeitet. Im Zeitraum von 2007–2014 wurden 37 000 Beschäftigte in 236 Betrieben mit diesem In-strument befragt. Die aktuellen Daten dienen dabei jeweils als Benchmark für die einzelnen Ergebnisberichte, differenziert nach den unterschiedlichen Branchen. Eine teilnehmende Einrichtung erhält sechs Wochen nach der Befragung einen umfangreichen Ergebnisbericht. Durch die externe Auswer-tung und die Beratungsleistung ist dieses Instrument kostenpflichtig und eignet sich vor allem für größere Einrichtungen. Auch bei diesem Instrument kann es sinnvoll sein, eine Feinanalyse z. B. in Form eines moderierten Workshops im Anschluss an die Befragung in ausgewählten Bereichen durchzuführen.
Neben dem branchenspezifischen Bench-mark profitieren die Einrichtungen von Vergleichen etwa zwischen verschiedenen Funk-tionsbereichen. Zusätzliche Sonderauswer-tungen und selbst formulierte Fragen lassen sich in die Befragung integrieren. Wiederholte Befragungen zeigen den Fortschritt an, der durch die Maßnahmen erreicht wurde.
BGW Arbeitssituationsanalyse
Während es sich bei den oben beschriebenen Instrumenten zur Erfassung der psychischen Belastungen um standardisierte Mitarbeiter-befragungen handelt, so ist die BGW Arbeits-situationsanalyse ein offenes und qualitatives Gruppendiskussionsverfahren, das nur zwei bis drei Stunden in Anspruch nimmt. Es handelt sich um einen strukturierten Workshop auf Teamebene. Unter Anleitung qualifizierter Moderatoren ermitteln die Beschäftigten in Gruppendiskussionen sowohl Anforderungen als auch Ressourcen in ihrer Arbeitstätigkeit. Im Kern geht es bei diesem moderierten Verfahren um die fünf Bereiche Arbeitsumgebung, Arbeitstätigkeit, Arbeitsorganisation, Zusammenarbeit im Team sowie die Zusammenarbeit mit Vorgesetzten. Das Ergebnis dieser Gruppendiskussion ist eine umfassende Analyse der Ist-Situation. Wichtig bei dieser Art der Analyse ist die Ab-sprache zur Verschwiegenheit innerhalb der Gruppe.
Idealerweise erarbeiten die Beteiligten an-schließend zusammen mit ihren Führungs-kräften einen Maßnahmen- und Umsetzungs-plan. Er legt Zuständigkeiten und Fristen fest und erleichtert so das Gelingen.
Die BGW Arbeitssituationsanalyse enthält auch einen Benchmark zur Verortung der eigenen Ergebnisse innerhalb der Branche. So können Betriebe vergleichen, in welchen Bereichen sich im Vergleich zu anderen Betrieben Handlungsbedarfe zeigen.
Geeignet für die Gefährdungs-beurteilung psychischer Belastung
Die Analyse ist nur ein Schritt beim Umgang mit psychischen Belastungen in der Einrichtung (s. auch Tabelle 1). Für alle Formen der Erhebung der psychischen Belastungen gilt: Nach der Erhebung der Belastungen und der Beurteilung im Steuerkreis erfolgt eine Rückmeldung an die Beschäftigten. Informa-tionen, wie eine solche Rückmeldung aus-sehen kann, finden sich in den Broschüren zu den Mitarbeiterbefragungen.
Auf der Grundlage der sieben Schritte der Gefährdungsbeurteilung müssen Maßnahmen festgelegt, durchgeführt, in ihrer Wirksamkeit überprüft werden und schließlich die Gefährdungsbeurteilung verfasst oder falls bereits vorhanden, diese fortgeschrieben werden. So hat eine Einrichtung, welche die psychischen Belastungen erhebt, bereits den ersten Schritt zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung unternommen.
Alle drei hier vorgestellten Instrumente eignen sich zur Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung.
Literatur
Lohmann-Heislah A: Stressreport Deutschland 2012 – Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Dortmund/Berlin/Dresden: Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin, 2012.
Nübling M et al.: Psychosocial work load and stress in the geriatric care. BMC Public Health 2010; 10: 428.
Info
Materialien BGW Mitarbeiterbefragung
www.bgw-online.de, Suchfeldeingabe: miab
- Belastungs- und Beanspruchungs-Fragebögen aus vier Branchen (ambulante und stationäre Altenpflege, stationäre Krankenpflege sowie der stationären Behindertenhilfe): Manual zur Durchführung der Befragung
- Fragebögen
- Auswertungssoftware samt Handbuch
- Wissenschaftlicher Bericht zur Neu-validierung der Befragung
Weitere Infos
BGW Arbeitssituationsanalyse
BGW Betriebsbarometer
BGW Mitarbeiterbefragung
Für die Autoren
Maren Kersten
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
FB Gesundheitsschutz/Psychologie
Pappelallee 33/35/37
22089 Hamburg