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Interdisziplinäre Zusammenarbeit der Akteure im Arbeitsschutz und in der Arbeitsmedizin ist ein Erfolgsgarant

Neuer Aufschwung durch einen destruktiven Impuls

Als zu Beginn des Jahrtausends diverse „Deregulierungspapiere“, vor allem aus Bayern und Baden-Württemberg, die Runde gemacht hatten und mit „Stammtischparolen“ die Forderung nach Abschaffung der gesetzlich geforderten und regulierten betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz – Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit – gestellt wurde, setzte ein neuer Prozess in der Arbeitsschutzlandschaft ein. Auch wenn hier so manche Kraftreserven in den überflüssigen politischen Diskussionen verbraucht wurden, dieser Prozess hatte ein Gutes: Als betrieblicher Akteur des Arbeitsschutzes musste man wieder seine eigene Rolle reflektieren und seine Aufmerksamkeit auch darauf lenken, wie werde ich wahrgenommen und wie kann ich den Unternehmer (und die Arbeitnehmer bzw. deren Vertretungen) überzeugen, dass ich für ihn ein „guter Kumpel“ bin. Der Prozess führte aber auch zu einem näheren Zusammenrücken zwischen den beiden Fachdisziplinen des medizinischen und technischen Arbeitsschutzes. Die ein oder anderen gegenseitigen Ressentiments wurden ein Stück weit abgetragen.

Nutzenargumente

Bereits Werner von Siemens sagte 1880: „Die Verhütung von Unfällen ist nicht eine Frage gesetzlicher Vorschriften, sondern unternehmerischer Verantwortung und zudem ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft“. Dieser Satz beinhaltet schon zentrale Erkenntnisse. Der Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit (VDSI) hat in Folge der Deregulierungsdebatte, also vor etwas mehr als 12 Jahren, begonnen, unterstützende Informationen für die einzelnen Mitglieder zusammenzustellen. Im Wesentlichen waren es fünf Kernargumente für den betrieblichen Nutzen der Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die detaillierter beschrieben wurden:

  • Kosteneinsparung Arbeitsschutz hilft Kosten sparen. Etliche Studien, die jüngste stammt vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) aus Dresden, konnten einen Return of Invest errechnen, der zwischen 1,6 bis über 10 Euro pro investierten Euro lag. Ein klarer Wirtschaftlichkeitsfaktor. Die eigentlichen Kostenfresser sind dabei nicht die großen und schweren Unfälle, sondern die vielen kleinen Ausfälle und Unterbrechungen im Sachschadens, Bagatell- und Kleinunfallbereich sowie den kurzen krankheitsbedingten Fehltagen aufgrund kurz- oder langfristiger Beanspruchungsüberschreitungen. Gelingt es diese zu reduzieren, verringert sich – rein statistisch gesehen – auch die Zahl schwerer Ereignisse, Unfälle wie Berufskrankheiten.
  • Prozesssicherheit Ein unfallfreier Prozess ist auch ein störungsarmer Prozess. Meist wirken sich die präventiven Maßnahmen zur Vermeidung arbeitsbedingter Erkrankungen und Unfällen aber nicht nur auf die Störung durch das Ereignis aus. Nimmt man beispielsweise die vorbeugende Instandhaltung, so reduziert sich nicht nur die Unfallwahrscheinlichkeit, die Maschinenzuverlässigkeit erhöht sich gleichzeitig.Fachkräfte für Arbeitssicherheit haben es gelernt, Abläufe und Prozesse in ihre Einzelbestandteile zu zerlegen und nach möglichen Verbesserungspotenzialen zu suchen. Arbeits- und Organisationspsychologen ergänzen diese Analyse, in dem sie Arbeitsaufgaben und Arbeitsabläufe mit den menschlichen Verhaltensfähigkeiten vergleichen und passende Strukturen vorschlagen können. Ähnlich setzen auch die Betriebsärzte am Menschen und ihren Fähigkeiten an und können so besser die möglichen Folgen einer äußeren Belastung, sei es nun eine chemische Noxe oder eine physische Belastung, abschätzen.
  • Rechtssicherheit In der Regel will keine Führungskraft sich rechtswidrig verhalten. Allerdings sind viele Vorgesetzte in Zeiten allgemeiner Schutzzielformulierungen unsicher und zum Teil auch überfordert bei der Abschätzung, was zwingend getan werden muss und was sich eher im Bereich des „nice to have“ abspielt. Juristen könnten zwar die rechtlichen Fragestellungen beantworten, die Symbiose aus rechtlicher Notwendigkeit und fachlicher sicherheitstechnischer bzw. arbeitsmedizinischer Standards gelingt allerdings am ehesten den beiden Akteuren des Arbeitssicherheitsgesetzes. Dort können die Führungskräfte die Antworten finden, die sie dringend benötigen. Wichtig ist allerdings, dass Betriebsarzt und Sicherheitsingenieur einen gemeinsam abgestimmten Grundtenor von sich geben und sich nicht (!) gegenseitig widersprechen.
  • Imagegewinn Der Imagefaktor im Arbeitsschutz ist ein nicht zu unterschätzender Wert. Mitarbeiter sind Imageträger des Unternehmens. Wenn diese ein hohes Identifikationsniveau mit dem Unternehmen zeigen, tragen sie das positive Bild nach außen. Zu dieser Identifikation trägt natürlich auch ein sicherer (im doppelten Wortsinn) und gesunder Arbeitsplatz bei. Das ist dann letztendlich nicht nur werbewirksam, sondern wirkt sich auch positiv auf die weitere Nachwuchsgewinnung und Anwerbung von Fachkräften aus. Das führt uns dann auch zum weiteren nun folgenden Argument.
  • Neue Herausforderungen in Form des demografischen Wandels Die Altersstruktur der Bevölkerung ändert sich, das ist hinreichend bekannt. Für die Unternehmen bedeutet dies, auf drei Feldern besonders aktiv zu werden:
    • Neue, junge Mitarbeiter, insbesondere solche, die noch in Ausbildung sind, müssen erfolgreich in die älter werdende Belegschaft integriert werden.
    • Die Arbeitsplatzgestaltung muss so sein, dass die Mitarbeiter schon möglichst früh in Maßnahmen eines gesunden Arbeitsplatzes integriert werden. Falls es dennoch nicht gelungen ist, die arbeitsbedingte Erkrankung zu vermeiden, so muss der Arbeitsplatz so viel Flexibilität in Bezug auf die Einrichtung und den Arbeitsablauf bieten, dass die Ausfallzeiten möglichst gering bleiben. Davon profitieren beide.
    • Diese beiden Konzepte müssen nach außen so kommuniziert werden, dass bei der Mitarbeitergewinnung neben dem Gehalt auch andere Faktoren, wie z. B. ein sozial verträglicher und gesunder Arbeitsplatz, bei der Fachkräftegewinnung in die Waagschale geworfen werden können.

Mit der politischen Auseinandersetzung im Rahmen der Deregulierungsdebatten einhergehend – und das macht bereits der letzte der genannten „Nutzenargumente“ deutlich – ist natürlich auch die Notwendigkeit gewesen, eine Horizonterweiterung durchzuführen. Trotz zum Teil starker Kritik aus den eigenen Reihen konnte deutlich gemacht werden, dass nicht nur rein technische Themenfelder oder reine Eins-zu-eins-Anwendungen von Unfallverhütungsvorschriften den aktuellen Anforderungen im betrieblichen Arbeitsschutz gerecht werden. Dieser Punkt darf dabei aber auch nicht vernachlässigt werden. Das Aufgabenfeld ist also insgesamt breiter geworden. Der Arbeitskreis „Fachkräfte für Arbeitssicherheit“1 hat damals als Konsequenz das Rollenbild eines „Managers für Sicherheit und Gesundheit“ entwickelt – ein Bild, das übrigens im internationalen Rahmen weit verbreitet ist (EHS-Manager).

Jede Fachdisziplin hat ihre Stärken

Der oben genannte VDSI-Arbeitskreis wollte nicht zum Ausdruck bringen, dass die Fachkraft für Arbeitssicherheit jetzt auf einmal alles zu leisten hat bzw. alles im Arbeits- und Gesundheitsschutz können muss. Das kann die Fachkraft gar nicht leisten, soll sie auch nicht und muss sie auch nicht. Insgesamt wird man sich als Fachkraft für Arbeitssicherheit mit zunehmend mehr Dingen beschäftigen müssen. Klar ist aber auch die Notwendigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen, wie z.B. dem Umweltschutz, der Arbeitsmedizin, der Arbeits- und Organisationspsychologie, der Security, der Rechtswissenschaft etc. Fachkräfte für Arbeitssicherheit stehen in den Betrieben meist am unmittelbaren Geschehen und müssen das Gespür entwickeln und eine Moderationsrolle übernehmen können, wann wer mit einzubinden ist. Auch in diesem Sinne ist das Bild eines Managers gerechtfertigt.

Einen ähnlichen Prozess wie bei den Fachkräften für Arbeitssicherheit werden auch die Betriebsärzte durchlaufen müssen. Dabei wird es immer Aufgaben geben, insbesondere solche, die einer Approbation bedürfen, die beim Arzt verbleiben. Aber bei der ergonomischen Beurteilung eines Arbeitsplatzes z.B. vor dem Hintergrund einer Leistungsminderung, ist auch die Zusammenarbeit mit der technischen Fraktion sinnvoll und denkbar.

Aus dem „Verband Deutscher Sicherheitsingenieure“ wird der „VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit“

Der Prozess des Wandels von der Fachkraft für Arbeitssicherheit zum Manager für Sicherheit und Gesundheit ist ein Prozess von mehreren, der letztendlich auch dazu geführt hat, dass sich der VDSI umbenennen wollte bzw. konsequenterweise auch musste. Neben den Sicherheitsmeistern und -technikern, denen man deutlich machen wollte, dass der VDSI ebenfalls ihre Heimat ist 2, stellte sich zunehmend heraus, dass auch Experten und betriebliche Arbeitsschutzakteure mit anderem fachlichen Hintergrund als der reinen Sicherheitstechnik sich über den VDSI vernetzen wollen. Neben Gesundheitsexperten, Arbeits- und Organisationspsychologen, Immissionsschutz-, Störfall-, Gewässerschutz-, Gefahrgut- oder Abfallbeauftragten sind sogar Juristen Mitglied im VDSI.

Auf der fachlichen Ebene zeigte sich dies an der Entwicklung der Arbeitskreise und Fachgruppen (heute: Fachbereiche) des VDSI. Neben klassischen Aufgabengebieten, wie z. B. Gefahrstoffe, Betriebssicherheitsverordnung, Rettungsdienst oder der Austausch der Sicherheitsingenieure der Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen, gibt es seit einigen Jahren übergreifende Themenstellungen, wie z. B. Büroarbeit (Stichwort Ergonomie), Umweltschutz oder Betriebssicherheitsmanagement, und Fachbereiche, die sich mit Themen beschäftigen, die man bei einem klassischen Ingenieurverband nicht vermuten würde. Beispielhaft sind hier zu nennen: Demografie, Gesundheitsmanagement oder Psyche.

Der VDSI hat also durch die Interdisziplinarität seiner Mitglieder stillschweigend eine Portfolioerweiterung im Laufe der Jahre erhalten. Dies sollte sich auch im Verbandsnamen widerspiegeln. Aus dem „Verband Deutscher Sicherheitsingenieure“ wird der „VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit“. Im Zweiten Schritt, der vor kurzem erst vollzogen wurde, wurde auch eine Umstrukturierung des Vorstands beschlossen. Aus einem ehemaligen Ressort „nationale Zusammenarbeit“, einem Ressort „Projektmanagement“ und einem Ressort „Arbeitskreise und Fachgruppen“ wurden drei neue Ressorts: Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz. Somit kann die mittlerweile vorhandene Aufgabenvielfalt der betrieblichen Arbeitsschutzakteure besser in einem Fachverband wie dem VDSI abgebildet werden.

Vernetzung auf der Verbandsebene

Hinzu kommt die Vernetzung mit anderen Fachverbänden, beispielsweise mit der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) oder auch dem Fachverband Psychologie für Arbeitssicherheit und Gesundheit (PASIG). Sich gegenseitig ergänzen zu können, um gemeinsam die Unternehmer und Arbeitgeber effizient zu unterstützen und auf der Ebene der Forschung auch Wissen im Arbeits-, Gesundheits- und betrieblichen Umweltschutz zu erweitern und weiterzuentwickeln, befruchtet jeden, der mitmacht. Jeder profitiert so von den Stärken der anderen, ohne in irgendein Konkurrenzdenken verfallen zu müssen.

Ein gutes Beispiel, wie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit klappt, ist das Nordbayerische Forum „Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit“, das im Jahr 2016 bereits zum 14. Mal in Erlangen stattgefunden hat. 2015 war das Schwerpunktthema die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Das Thema wurde damals von allen Seiten und aus allen Perspektiven beleuchtet. Die Behördenvertreter (BAuA, Gewerbeaufsicht, Unfallversicherungsträger) kamen ebenso zu Wort wie die Fachdisziplinen Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Arbeitspsychologie. So konnte auf umfangreiche Art und Weise jeweils von der anderen Sicht der Dinge profitiert werden und zwischen den einzelnen Vortragsblöcken untereinander ausgetauscht werden. 2016 war das Schwerpunktthema die natürliche und künstliche UV-Belastung am Arbeitsplatz. Hintergrund war die gerade aufgenommene Berufskrankheit (Plattenepithelkarzinom) durch natürliches UV-Licht. Abermals kamen die unterschiedlichen Fachdisziplinen zusammen und es konnten auf verschiedene Weise der Stand der Forschung, die Erkennung, die Bewertung des Arbeitsplatzes und die möglichen Präventionsmaßnahmen ausgetauscht werden.

Die Nordbayerischen Foren „Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit“ sind ursprünglich auf eine Initiative des damaligen Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz unter Mitwirkung des Landesverbands Bayern-Nord des VDBW entstanden. Herrn Dr. Otto vom Ministerium und Herrn Dr. Schwemmle, damals Vorsitzender des VDBW-Bayern-Nord, ist zu danken, dass diese bereits sehr früh erkannt haben, wie wichtig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist. Gleich bei der ersten Veranstaltung, damals noch in Hof, holten sie die Bezirksgruppe Nordbayern des VDSI mit ins Boot. Dass daraus ein Erfolgsmodell für eine regionale Vernetzung wurde, mit 120 bis 220 Teilnehmern, liegt sicher auch daran, dass die Teilnehmer erkannt haben, welche Vorteile, bei aller fachlich-notwendigen Tiefe im eigenen Themengebiet, die Kommunikation mit den anderen Fachdisziplinen im Arbeits- und Gesundheitsschutz geworden ist.

Mit der ausgelaufenen Amtszeit von Herrn Dr. Schwemmle, hat der Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsmedizin und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin, Herr Prof. Dr. Drexler, den medizinischen Part in der wissenschaftlichen Leitung übernommen. So konnte die gemeinsame Kommunikation weiter fortgesetzt werden. Das 15. Forum wird am 4. und 5. Mai 2017 wieder in Erlangen stattfinden.

Der Blick in die Zukunft

Der Fachbereich „Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ des VDSI ist dabei, die oben genannten Nutzenargumente weiter zu entwickeln. Ausgangspunkt ist, dass wir derzeit drei Veränderungsprozesse erleben. Der erste ist so bedeutsam, dass man in dessen Zusammenhang von der 4. industriellen Revolution spricht, das Synonym lautet dazu „Industrie 4.0“. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung sprechen hingegen lieber von Arbeiten 4.0 bzw. Arbeit 4.0. Letzteres trifft den Kern viel besser, ist doch nicht nur die industrielle Produktion von den gigantischen Veränderungsprozessen durch die fortdauernde Digitalisierung, dem World Wide Web und der Mensch-Maschine-Interaktion betroffen. Das macht auch vor dem Handwerksbetrieb nicht Halt und wirkt sogar bis ins private (z. B. Fahrerassistenzsysteme in Kraftfahrzeugen).

Die Verschmelzung der Mensch-Maschine-Interaktion, der Arbeits- und Privatwelt, die Sammlung und Nutzung von Daten des Menschen und der Prozesse, die damit verbundenen Assistenzmöglichkeiten als auch Risiken in Form eines Ausgeliefertseins und der Überwachung sind zum Teil vollkommen neue Herausforderungen. Andererseits entstehen auch Ängste, gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen oder bei älteren Mitarbeitern. Was heißt das für die Führungskräfte? Wie kann den Ängsten wirksam begegnet werden?

Eine monokausale Denkweise, die sich nur auf die Programmiertechnik, die Datensicherheit oder die technischen Potenziale beschränken würde, ist zu kurz gegriffen. Es geht um die Gestaltung der künftigen Arbeitswelt, ein Thema, das die Psychologie genauso beschäftigt, wie die Arbeitsmedizin, die Sicherheitstechnik und auch die Betriebswirtschaftslehre.

Der zweite Veränderungsprozess ist vielleicht nicht ganz so spektakulär und hängt auch sehr eng mit dem Thema Demografie zusammen. Zunehmend sind Aktivitäten der betrieblichen Gesundheitsförderung und des Gesundheitsmanagements von Bedeutung. Auch hier wird man nicht monodisziplinär denken können. Managementprozesse gilt es ebenso zu durchleuchten, wie Motivationsmaßnahmen und die Anwendung evidenzbasierter medizinischer Förderungskonzepte.

Gerade mittelständische und kleine Unternehmen sind gegenüber den großen Playern im Nachteil. Sie verfügen weder über die Strukturen noch über die Ressourcen, vernünftige eigene Konzepte zu entwickeln. Die überbetriebliche betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung kann die Lücke schließen indem sie sich gut kombiniert und gegenseitig ergänzt. So können Beratungskapazitäten im Rahmen der betriebsspezifischen Betreuung besser genutzt werden. Eine Win-win-Situation. Die Berater können dabei ebenso einen Erfolg erkennen wie das Unternehmen einen positiven Effekt für die Mitarbeiter gewinnen kann.

Allerdings, auch das muss gesagt werden, es wird kein Konzept „von der Stange“ geben können. Jedes Unternehmen, jeder Arbeitgeber aber auch jeder Mitarbeiter tickt ein Stück weit anders. Insofern sollten Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit den Betrieb gut kennen, um ihn dann zielgerichtet gemeinsam beraten zu können.

Unsere Gesellschaft und unsere Arbeitsbedingungen entwickeln sich weiter. Über die sich verändernden soziologischen Strukturen, Stichwort Migration, wird man noch viel forschen müssen (dritter Veränderungsprozess). Ein Beispiel dazu, das auch wieder die Interdisziplinarität unterstreicht: Zur Sofortmaßnahme bei Personenbränden oder bei Chemikalien-Kontamination werden in den Betrieben Notduschen installiert. Gerade bei Chemikalien-Kontamination ist es zwingend wichtig, so schnell wie möglich, die verschmutzte Kleidung abzulegen. Nur: wer zieht sich schon gerne an einem offen einsehbaren Platz im Betrieb (sonst könnte die Notdusche im Ernstfall nicht gefunden werden) komplett aus? Und das wird erst recht schwierig, wenn ein anderer kultureller Hintergrund ein verstärktes Schamgefühl erzeugt hat. Wie wird sich also ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin im Notfall verhalten: Schutz des eigenen Körpers oder Inkaufnahme eines Körperschadens, nur um sich nicht zu blamieren?

Das Beispiel zeigt, dass neben der Sicherheitstechnik (Notdusche), der Wirkung der Chemikalie auf die Haut (Medizin), die Soziologie (kulturelle Unterschiede) und die Psychologie (Verhalten des Mitarbeiters) eine Rolle spielen können. In anderen Fragestellungen müssen vielleicht noch andere Disziplinen wie die Ergonomie und die Rechtswissenschaft vernetzt werden. Bei den Lösungsansätzen müssen wir ähnlich auf allen Teilgebieten auf die Suche machen, stets miteinander kombiniert und verdrahtet.

Weitere Aktivitäten auf dem Gebiet des Wandels in der Arbeitswelt werden noch folgen müssen. Ein interdisziplinärer Forschungsansatz ist dazu der am besten geeignete Weg. Ganz im Sinne von Henry Ford: Zusammenkommen ist ein Beginn, zusammenbleiben ist ein Fortschritt, zusammenarbeiten ist ein Erfolg.

Literatur

Arbeitskreis „Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ des VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit (Hrsg.): Von der Fachkraft zum Manager für Sicherheit und Gesundheit. VDSI-Information 01/2008. Wiesbaden: VDSI, 2008.

Fischer J, Verhoeks C: Qualitätsanforderungen des Managers für Sicherheit und Gesundheit, Leistungen – Kompetenzen – Messbarkeit, Gemeinsamer Bericht der VDSI-Arbeitskreise „Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ und „Kennzahlen“ für den VDSI-Vorstand, Wiesbaden, Bottrop, Frankfurt, Nürnberg, 16.12.2009.

Schoeller A: Bürokratieabbau beim Arbeitsschutz. Über das Ziel hinausgeschossen. Deutsches Ärzteblatt, 2005; 102: A186–189.

VDSI: „Prävention 4.0“ – die neue Arbeitswelt präventiv gestalten. Presseinformation vom 23.02.2016.

VDSI: VDSI benennt sich um. Presseinformation vom 30. April 2014.

Weber A: Ein Vieles kann mehr als viel Eines – Ein Plädoyer gegen Einzelkämpfertum. In: Wieland R, Sailer K, Hammes M (Hrsg.): Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit, Dialog statt Monolog. 19. Workshop 2016 (Tagungsband). Kröning: Asanger, 2016, S. 28–32.

Weber A: Sicherheit und Gesundheitsschutz in technischen Anlagen – eine Managementaufgabe. BPUVZ, Zeitschrift für betriebliche Prävention und Unfallversicherung 2012; 07/08: 346–348.

Weber A: Von der Fachkraft zum Manager für Sicherheit und Gesundheit. In: Trimpop, R, Gericke G, Lau J (Hrsg.): Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit, Sicher bei der Arbeit und unterwegs – wirksame Ansätze und neue Wege, 16. Workshop 2010 (Tagungsband). Kröning: Asanger, 2010; S. 511–514.

Weber U, Lambotte S, Döbbeling E-P. Security goes Safety – Wächst zusammen, was zusammengehört? DSD – Der Sicherheitsdienst 2010; 1: 19–21.

Fußnoten

1 Der Arbeitskreis wurde mit der letzten Satzungsänderung umbenannt und heißt heute Fachbereich „Fachkräfte für Arbeitssicherheit“

2 Bereits im Jahr 1980 ist der Verband der Sicherheitstechniker und Sicherheitsmeister (VSTM) geschlossen dem VDSI beigetreten, eine Tatsache, die allerdings mittlerweile kaum mehr jemanden bewusst war.

    Info

    Ausgewählte Beispiele von guter Kooperation zwischen Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit

    • Zusammenarbeit bei Schulungsveranstaltungen:
      • während stichsichere Kanülensysteme ein technisches Thema sind, so führen die aus der falschen Verwendung entstandenen Kontaminationen und Infektionen zu medizinischen Problemen
      • medizinisches Fachwissen über die Wirbelsäule kann durch den Betriebsarzt glaubwürdiger vermittelt werden als durch medizinische Laien. Den richtigen Umgang mit Lasthilfsmitteln, sei es jetzt der Vakuumheber, der Handhubwagen oder der Tragegurt, lassen sich wiederum von der Fachkraft für Arbeitssicherheit oder gar vom örtlichen Meister oder Sicherheitsbeauftragten gut erklären
    • Kooperation im Arbeitsschutzausschuss:
      • Bei der Abgabe des jährlichen Berichtes kann man sich gegenseitig inhaltlich abstimmen oder gar ggf. einen gemeinsamen Bericht abgeben.
      • Ebenso kann man sich in der Diskussion mit den anderen ASA-Mitgliedern gegenseitig die Bälle zuschieben, wenn es darum geht, die Arbeitssysteme sicher und gesund zu gestalten
    • Kurzer Draht bei der Gefährdungsbeurteilung: Informationen über festgestellte Lärmexpositionen oberhalb eines der Auslösewerte müssen umgehend an den Betriebsarzt weitergeleitet werden, damit dieser bei den nächsten Vorsorgeterminen den Sachverhalt mitberücksichtigen kann. Umgekehrt sind allgemeine Erkenntnisse aus der Vorsorge (z.B. Auffälligkeiten bei den Gehörtests) wiederum wichtig, wenn dies bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen noch nicht erkannt worden ist.
    • Auch bei dem sehr komplexen Thema „Sucht“ lohnt es sich, gemeinsam aufzutreten und sich die einzelnen Aufgaben zu teilen. Hier kommt auch die Kooperation mit (externen) Suchtberatern ins Spiel
    • Zuletzt darf man auch nicht die Zusammenarbeit bei der Unfallanalyse und der Untersuchung arbeitsbedingter Erkrankungen unterschätzen. Technische Ursachen und medizinische Folgen stehen im unmittelbaren Zusammenhang – das bedingt auch die notwendige Kooperation zwischen Arzt und Ingenieur

    Autor

    Prof. Dr. rer. nat. Arno Weber

    Arbeits- und Gesundheitsschutz

    Hochschule Furtwangen

    Fakultät Gesundheit, Sicherheit, Gesellschaft

    Robert-Gerwig-Platz 1

    78120 Furtwangen

    weba@hs-furtwangen.de

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