Die Kooperation von DGAUM und BARMER gründet auf dem in ( Abb. 1) dargestellten Selbstverständnis einer strukturierten Gesundheitsförderung und Prävention.
Ziel und Handlungsfelder des Modellvorhabens
Ziel des Modellvorhabens ist es, die Gesundheitsförderung und Prävention im betrieblichen Umfeld in Thüringen zu optimieren. Dabei sind folgende Handlungsfelder wesentlich:
- Erhebung und Analyse des Ist-Zustandes der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) und des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in Thüringen aus Sicht insbesondere von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Sozialversicherungsträgern, Betriebsärzten und kurativ tätigen Ärzten bzw. klinischen Psychologen und Psychotherapeuten, Fachkräften für Arbeitssicherheit (Sifa) sowie Anbietern von BGF-/BGM-Maßnahmen.
- Verbesserung der Qualität, Effizienz und Akzeptanz von BGF-/BGM-Maßnahmen in Thüringen.
- Vernetzung von betrieblichem Arbeitsschutz und Betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) mit anschließender Erarbeitung von Modellen und Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der beiden Handlungsfelder.
- Verbesserung der Vernetzung zwischen betrieblicher Versorgung und kurativ-medizinischer Versorgung in der Region zur Gestaltung eines ganzheitlichen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM).
- Entwicklung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Feld der Arbeitsmedizin (u.a. kontinuierliche Fortbildungsangebote für Arbeitsmediziner und Betriebsärzte).
- Transfer der Ergebnisse und der erarbeiteten Strukturen des Modellvorhabens auf andere ländliche Regionen in Deutschland, insbesondere unter Berücksichtigung der Zielgruppe der Klein- und mittleren Unternehmen (KMU).
- Verbesserung der Schnittstelle zwischen dem betrieblichen Gesundheitsschutz (ASiG, ArbSchG) und der arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) sowie Maßnahmen (Gesundheitsförderung, Primär- und Sekundärprävention) nach dem Präventionsgesetz (SGB V; DGAUM 2015, s. „Weitere Infos“).
Die genannten Handlungsfelder zeigt ( Abb. 2) nochmals im Überblick.
Leitfragen zum Modellvorhaben
- Wie ist die aktuelle Situation der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) und des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in Thüringen?
- Welche Akteure sind bei der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) und dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) in Thüringen involviert?
- Welche Defizite bestehen und welche Best-Practice-Beispiele existieren?
- Wie können diese Defizite eliminiert und die BGF-/BGM-Maßnahmen optimiert werden?
- Wie können die Informations- und Kommunikationsstrukturen zur BGF und zum BGM in Thüringen verbessert werden?
- Wie können die Qualität, Effizienz und Akzeptanz von BGF-/BGM-Maßnahmen in Thüringen optimiert werden?
- Wie kann die Qualitätssicherung von BGF-/BGM-Maßnahmen verbessert werden?
- Wie können die im Präventionsgesetz (§20b SGB V „Betriebliche Gesundheitsförderung“ sowie § 20 c SGB V: „Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren“) gesteckten Ziele im Modellvorhaben umgesetzt werden?
- Wie definiert sich die Schnittstelle zwischen betrieblichem Arbeits- und Gesundheitsschutz und der Betrieblichen Gesundheitsförderung? Wo bestehen Ansätze, dass die Zusammenarbeit verbessert werden könnte?
- Welche präventivmedizinischen Angebote sind im betrieblichen Umfeld inhaltlich und wirtschaftlich sinnvoll?
- Welche Screening-Angebote eignen sich zur Sensibilisierung von Arbeitnehmer/innen z.B. auf Gesundheitstagen?
- Welche Möglichkeiten zur besseren Vernetzung und Kooperation bieten telemedizinische Ansätze und Methoden (Letzel et al. 2016)?
- Wie können neben den Pflichtaufgaben, entsprechend ASiG und ArbSchG sowie den damit verbundenen Verordnungen und Vorschriften, ergänzende Maßnahmen nach dem PrävG durch die Betriebsärzte erbracht werden?
- Welche Möglichkeiten zur besseren Kooperation gibt es für Arbeitsmediziner und Betriebsärzte mit niedergelassenen, kurativ tätigen Allgemein- und Fachärzten bzw. ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten (Rieger et al. 2016)?
Rahmenbedingungen zur Umsetzung des Modellvorhabens
- Die Umsetzung des Modellvorhabens wird in einem Zeitraum von insgesamt fünf Jahren erfolgen, beginnend am 1. Januar 2017, Ende am 31.12.2021.
- Das Modellvorhaben wird im Bundesland Thüringen stattfinden und unter dem Titel „Gesund arbeiten in Thüringen“ nach außen und nach innen kommuniziert.
- Zur Realisierung des Projekts wird die DGAUM auf bestehende Strukturen der BARMER zurückgreifen (Geschäftsstellen, bestehende regionale Kontakte etc.).
- Die adäquate Finanzierung erfolgt durch die BARMER und einen Eigenanteil der DGAUM. Die wissenschaftliche Umsetzung inkl. der Evaluierung wird durch die DGAUM sichergestellt.
- Konsens besteht außerdem darin, dass die Evaluation kontinuierlich und projektbegleitend durch die DGAUM erfolgen soll. Wichtige Grundlagen dafür sind die Analyse- und Befragungstools innerhalb dieses Projekts.
- Das Modellvorhaben wird im Rahmen der bestehenden Kooperation DGAUM und BARMER kontinuierlich von der AG 1 „Modellvorhaben“ begleitet. Es finden regelmäßige Treffen der AG-Mitglieder mit dem/den Leiter/n der Wissenschaftler statt.
- Das Modellvorhaben ist so gestaltet, dass die dort gewonnen Erkenntnisse auf andere Regionen in Deutschland übertragen werden können.
Umsetzung des Modellvorhabens im Detail
Generell orientiert sich die Umsetzung dieses Modellvorhabens an Vorstellungen, die der US-amerikanische Physiker Walter Andrew Shewhart im so genannten Demingkreis formuliert hat. Inhalt ist ein iterativer drei- bzw. vierphasiger Prozess zur Optimierung von Lernvorgängen und deren Verbesserung. Gemeinhin wird der Demingkreis als „PDCA-Zyklus“ (Plan – Do – Check – Act) dargestellt ( Abb. 3; Letzel u. Nowak 2007):
Planungsphase (Plan-Phase), 1. Jahr
- Erhebung des Ist-Zustands bzw. entsprechender Kennzahlen der präventivmedizinischen und gesundheitsfördernden Versorgung im betrieblichen Umfeld im Bundesland Thüringen: Auswertung von vorhandenen Daten (z.B. der BARMER, des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie [TMASGFF], der Landesärztekammer).
- Erhebung des Ist-Zustands bzw. entsprechender Kennzahlen hinsichtlich der Vernetzung und Kooperation von Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten sowohl mit den Akteuren der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) als auch mit niedergelassenen, kurativ tätigen Allgemein- und Fachärzten bzw. ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten.
- Erhebung des Ist-Zustands mit Blick auf die Maßnahmen der präventiv-medizinischen Qualitätssicherung im betrieblichen Umfeld.
- Durchführung von qualitativen Interviews zum aktuellen präventiv-medizinischen Angebot und zu Optimierungsbedarfen mit Akteuren in ausgewählten Unternehmen und Betrieben (Schwerpunkt: KMU) sowie Industrie- und Handelskammern (IHK), Handwerkskammern (HK), regionalen Unfallversicherungsträgern (UVT), Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden (Gewerkschaften), Ärztekammern, kassenärztlichen Vereinigungen sowie (arbeits-)medizinischen Fort- und Weiterbildungsträgern etc.; ggf. ergänzend, darauf aufbauend: Durchführung von standardisierten quantitativen Befragungen.
- Sichtung und inhaltliche Bewertung der von der BARMER der DGAUM zur Verfügung gestellten Screening-Module aus dem aktuellen BGF-Portfolio der BARMER: Welche Module werden als notwendig bzw. besonders geeignet angesehen bzw. wie sind diese aus arbeitsmedizinischer Sicht an die Gegebenheiten des betrieblichen Umfelds – insbesondere von KMU – anzupassen?
- Sichtung und inhaltliche Bewertung von für die Arbeitsmedizin geeigneten telemedizinischen Ansätzen und Verfahren im Feld der arbeitsmedizinischen Prävention und Betrieblichen Gesundheitsförderung.
- Entwicklung eines Konzepts für eine optimierte präventivmedizinische und gesundheitsförderliche Versorgung im betrieblichen Umfeld in Thüringen.
- Kommunikative Begleitung und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, um bei den unterschiedlichen Öffentlichkeiten bzw. Akteuren in der Gesundheits- und Sozialpolitik sowie darüber hinaus Aufmerksamkeit für das Modellvorhaben unter dem Markennahmen „Gesund arbeiten in Thüringen“ zu erlagen. Ziel: große, medienrelevante Auftaktveranstaltung mit Ministerin Werner (TMASGFF) und anderen relevanten Akteuren aus Gesundheits- und Sozialpolitik.
Umsetzungsphase 1 (Do-Phase), 2./3. Jahr
- Identifizierung von am Modellvorhaben zu beteiligenden Unternehmen und Betrieben (KMU) sowie von Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten, ggf. auch von niedergelassenen, kurativ tätigen Allgemein- und Fachärzten bzw. ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten bis hin in den Reha-Bereich.
- Umsetzung des während der Plan-Phase entwickelten Konzepts für eine optimierte präventivmedizinische und gesundheitsfördernde Versorgung im betrieblichen Umfeld in Thüringen: Optimierung der Versorgungsstrukturen für KMU (Strukturqualität).
- Optimierung der präventivmedizinischen und gesundheitsfördernden Versorgungsstrukturen und -wege im betrieblichen Umfeld (Prozessqualität).
- Optimierung präventivmedizinischer und gesundheitsfördernder Versorgungsstrukturen und -wege an der Schnittstelle Arbeitsmedizin/kurative Medizin (Ergebnisqualität).
- Entwicklung leistungsfähiger telemedizinischer Ansätze und Methoden im Wege einer Adaption und Weiterentwicklung bestehender Systeme aus dem Bereich der kurativen Medizin (Letzel et al. 2016) zum Austausch der Arbeitsmediziner und Betriebsärzte untereinander sowie im Kontakt mit anderen, kurativ tätigen Ärzten und Therapeuten: gegebenenfalls Nutzung vorhandenen Know-hows der BARMER für die Arbeitsmedizin.
- (Tele-)medizinisches Beratungsangebot durch arbeitsmedizinische Experten des DGAUM-Vorstands für BARMER.
- Kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung der einzelnen Maßnahmen durch eine unabhängige Evaluationsgruppe der DGAUM.
- Kontinuierliche Begleitung durch arbeitsmedizinische Fortbildungsangebote (DGAUM) und Austausch mit kurativ tätigen Ärzten und Therapeuten (u.a. LÄK Thüringen; LPtK Thüringen) in der Modellregion.
- Kontinuierliche kommunikative Begleitung und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, um bei den unterschiedlichen Öffentlichkeiten bzw. Akteuren in der Gesundheits- und Sozialpolitik sowie darüber hinaus Aufmerksamkeit für das Modellvorhaben unter dem Markennahmen „Gesund arbeiten in Thüringen“ zu erlagen.
Evaluierungsphase (Check-Phase), 4. Jahr
- Qualitative Interviews mit repräsentativ ausgewählten Akteuren aus KMU, Akteure BGF, kurative Medizin etc. zu den Erfahrungen mit dem Modellprojekt.
- Quantitative Befragung per Fragebogen an alle KMU in Thüringen.
- Ergänzend: Quantitative Interviews per Fragebogen an Akteure BGF, kurative Medizin.
- Überarbeitung des in der Do-Phase angewendeten Konzepts für eine optimierte präventivmedizinische und gesundheitsfördernde Versorgung im betrieblichen Umfeld in Thüringen.
- Überarbeitung des in der Do-Phase angewendeten telemedizinischen Konzepts.
- Kommunikation: Vorstellung der Evaluationsergebnisse in den diversen Öffentlichkeiten.
Umsetzungsphase 2 (Act-Phase), 5. Jahr
- Entwicklung und Anwendung von Empfehlungen für eine optimierte präventivmedizinische und gesundheitsfördernde Versorgung im betrieblichen Umfeld in Thüringen.
- Darauf aufbauend: Entwicklung von Empfehlungen für eine optimierte präventivmedizinische und gesundheitsfördernde Versorgung im betrieblichen Umfeld für andere Regionen in Deutschland.
- Final: Prüfung, ob, entsprechend §20g SGB V, mit dem Modellvorhaben die Qualität, Effektivität und die Effizienz der Versorgung mit Leistungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung nachhaltig verbessert werden kann.
- Wissenschaftliche Publikationen zum und über das Modellvorhaben und die damit gewonnenen Erkenntnisse in Verantwortung der DGAUM in einschlägigen wissenschaftlichen Publikationsorganen.
Literatur
Nesseler T: Das neue Präventionsgesetz aktiv gestalten. Kooperation DGAUM und BARMER GEK zur Verbesserung der betrieblichen Gesundheitsförderung. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: 409–411.
Rieger MA, Hildenbrand S, Nesseler T, Letzel S, Nowak D (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung an der Schnittstelle zwischen kurativer Medizin und Arbeitsmedizin. Ein Kompendium für das Betriebliche Gesundheitsmanagement. 1. Aufl. Landsberg: ecomed, 2016.
Letzel S, Schöne K, Nesseler T, Rose D-M: Telemedizin – eine zukunftsorientierte Methode für die Arbeitsmedizin. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: 266–273.
Letzel S, Nowak D: Einführung in die Prävention und Gesundheitsförderung. In: Handbuch der Arbeitsmedizin. 2. Erg. Lfg. 3/07. Landsberg: ecomed, 2007.
Info
Die DGAUM wird sowohl im Rahmen der kommenden Jahrestagungen sowie bei den Dialogforen Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit als auch in der Zeitschrift ASU kontinuierlich über den Fortgang dieses Projekts berichten. Bei der DGAUM-Jahrestagung 2017 an der Universität Hamburg wird am Freitag, dem 17. März 2017, von 10:30 bis 12:45 Uhr „Das neue Präventionsgesetz in der Praxis“ im Mittelpunkt des Interesses stehen. In diesem Kontext wird es noch mehr Informationen zum Modellvorhaben von DGAUM und BARMER in Thüringen geben.
Weitere Infos
Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM): Arbeitsmedizin 4.0 – Thesen der Arbeitsmedizin zum Stand und Entwicklungsbedarf der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland. 2015
www.dgaum.de/fileadmin/PDF/Stellungnahmen_Positionspapiere/Arbeitsmedizin_4.0_Broschüre_final.pdf
AOK-Kinderarzt-Vertrag bietet telemedizinisches Experten-Konsil. In: Deutsches Ärzteblatt Online, 27.07.2016 (Stand: 05.08.2016)
www.aerzteblatt.de/nachrichten/69719
Demingkreis
Für die Autoren
Dr. phil. Thomas Nesseler
Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) e.V.
Schwanthaler Straße 73 b
80336 München