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Prävention psychischer Belastungen von Berufsmusikern

Musikergesundheit

In das Thema der psychischen Belastungen und psychosomatischen Störungen im Bereich der Musikergesundheit und Musikermedizin sollten wir nicht einsteigen, ohne uns eingangs vor Augen zu führen, dass Musizieren zuallererst einen Quell der Freude und somit eine kostbare Ressource für unsere Gesundheit darstellt.

Singen und Musizieren können durch die besondere Verbindung von Emotion und Körper, durch die ästhetische Sinnerfüllung und durch das soziale und kommunikative Erleben Balsam für unsere Seele sein. Dementsprechend kann Musizieren als Modell für gelungene Psychosomatik verstanden werden.

Treten nun Störungen im psychischen und psychosomatischen Befinden bei Musikern auf, handelt es sich so gesehen um Dysbalancen einer Aktivität mit grundsätzlich hohem Gesundheitspotenzial. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, die Ressourcen, die im Musizieren selbst liegen, aufzugreifen und für Prävention und Therapie nutzbar zu machen (Spahn 2009).

Anforderungen an professionelle Musiker

Die Tätigkeit eines Musikers kann in vieler-lei Hinsicht als Höchstleistung beschrieben werden. Die sensomotorischen und feinmotorischen Anforderungen, die außerordentliche Gedächtnisleistung und die körperlichen Anforderungen durch wiederholte Bewegungsabläufe während mehrerer Stun-den am Tag werden begleitet und flankiert durch komplexe psychische und soziale Anforderungen. In epidemiologischen Untersuchungen bei Orchestermusikern machen demzufolge Störungen des Bewegungssys-tems und psychische Belastungen insgesamt etwa 80 % der gesundheitlichen Probleme aus. Sie bilden zwei etwa gleich große Entitäten (Fishbein et al. 1988; Gembris u. Heye 2012).

Eine besondere Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass sich Musiker in ihrem Beruf regelmäßig vor anderen Menschen exponieren. Auch wenn sie im Umgang mit dieser Situation eine besondere Expertise entwickeln und der Großteil der Musiker Auftritte als positive Höhepunkte erlebt, kann diese Anforderung dann zum Problem werden, wenn weitere innere und äußere Stressoren hinzutreten. Lampenfieber, das als angemessene Reaktion in Auftrittssituationen anzusehen ist (Spahn 2012), kann sich dann in Auftrittsangst umwandeln.

Konflikte im Orchester und eigene Ängste können zu dauerhaften Stress- zuständen führen

Gerade im Orchester arbeiten Musiker unter spezifischen psychosozialen Bedingungen. Unter präventiver Perspektive wird in den letzten Jahren zunehmend darüber nachgedacht, wie sich moderne Konzepte der Teamorientierung und der Führungs- und Kommunikationskompetenz in die derzeitige Orchesterkultur implementieren lassen. Auslöser für diese Überlegungen sind Empfehlungen des Orchestermanagements sowie die Äußerungen der Orchestermusiker selbst, die zunehmend unzufrieden mit ihrer Kommunikationskultur am Arbeitsplatz sind. In der musikermedizinischen Sprechstunde finden sich auch bei primär als körperlich mitgeteilten Beschwerden sehr häufig wesentliche psychische Mit-faktoren (Spahn 2001, 2011). Diese psychosomatischen Symptombildungen sind in der Regel gut verstehbar und werden im geschützten Rahmen der ärztlichen Sprechstunde von den Musikerpatienten selbst thematisiert.

Als psychosoziale Stressoren werden hier häufig Konflikte im Orchester genannt, die als unlösbar erlebt werden, oder auch Ängste, die eigenen Leistungsansprüche und die der Kollegen sowie des Dirigenten nicht erfüllen zu können. Die unterschiedlichen psychosozialen Auslöser können zu anhaltenden Stresszuständen mit erhöhter vegetativer Aktivierung und Muskelanspannung führen. Sind unter diesen Bedingungen die geforderten körperlichen Höchstleistungen zu vollbringen, so besteht – noch verstärkt in Probe- und Konzertphasen mit besonders großer Spielbelastung – ein ho-hes Risiko für die Entstehung von Überlas-tungsbeschwerden und Schmerzsyndromen. Hieraus kann sich ein negativer Kreislauf dahingehend entwickeln, dass der betroffene Musiker sich durch die körperlichen Beschwerden derart in seiner musikalischen Leistungsfähigkeit eingeschränkt erlebt, dass es mittel- und langfristig zu einem übergreifenden Gefühl der Überforderung kommt. Findet in dieser Phase keine ad-äquate Behandlung statt, können sich unter-schiedliche Folgeprobleme wie Substanzmissbrauch oder ein Burnout-Syndrom ent-wickeln.

In psychisch stark belasteten Zuständen kann gerade professionell hervorragend ausgebildeten Musikern ihre ursprüngliche Freude am Musizieren im beruflichen Kontext verloren gehen. Hierzu trägt auch bei, dass der Stellenwert der klassischen Musik-kultur gesellschaftlich unter einen zunehmenden Rechtfertigungsdruck gerät, unter dem Berufsmusiker zu leiden haben. Dies betrifft die zunehmend harte Konkurrenz um Arbeitsstellen – vor allem im Orchester-bereich – und die gleichzeitig steigenden musikalischen Leistungserwartungen bei überwiegend schlechter Bezahlung und so-zialer Unsicherheit.

Häufige psychische Krankheits-bilder in der Musikermedizin

Auftrittsangst

Auftrittsangst ist als pathologische Form von Lampenfieber abzugrenzen und zählt zum Formenkreis der sozialen Phobien (ICD-10 F40.1, WHO 2014). Lampenfieber stellt dagegen eine adäquate Reaktion auf die Exposition vor anderen Menschen dar. Lampenfieber und Auftrittsangst befinden sich auf einem Kontinuum, auf dem das Lampenfieber in unterschiedliche Bereiche wie leistungssteigerndes, leistungsbeeinträchtigendes und leistungsverhinderndes Lampenfieber eingeteilt werden kann. Die letztgenannte Form entspricht der Diagnose Auftrittsangst (Spahn 2012).

Die Prävention der Auftrittsangst sollte bereits im frühen Instrumental- und Gesangsunterricht bei Kindern und Jugendlichen beginnen, da insbesondere während der Pubertät vulnerable Phasen mit einem erhöhten Risiko für negative Auftrittserfahrungen bestehen. Diese können die weitere Auftrittskarriere beeinträchtigen und manifestieren sich häufig später im Erwachsenen-alter als Auftrittsangst. Neben dieser im Be-reich der Pädagogik angesiedelten Prävention ist es bei der Betreuung berufstätiger Musiker auch im Rahmen der Arbeitsmedi-zin wichtig, Fragen der Einstellung zum Be-ruf, insbesondere hinsichtlich des eigenen Leistungs- und Perfektionsanspruchs, zu besprechen. Auftrittsangst entwickelt sich häufig schleichend aus einer Kombination von überhöhten musikalischen Leistungsansprüchen, Erschöpfung und mangelnder positiver innerer Distanz. Diese Erlebens- und Verhaltensmuster fanden sich in eini-gen Untersuchungen bei Musikern als Risiko-konstellation – vor allem auch für Burnout (Voltmer et al. 2008).

Die Behandlung der Auftrittsangst ist von großer Bedeutung, da eine chronische, nicht behandelte Auftrittsangst für jeden Musiker eine enorme Belastung darstellt und das Risiko beinhaltet, aus dem Arbeits-prozess herauszufallen (Piperek 1981). Nicht bearbeitete Ängste vor dem Auftritt können außerdem zu Substanzmissbrauch von Alkohol, Beta-Rezeptoren-Blockern oder Tranquilizern führen (Spahn 2011).

Das Ziel der Behandlung von Auftrittsangst besteht nicht darin, den Zustand er-höhten Arousals auf der Bühne grundsätz-lich zu unterdrücken, sondern einen für die Leistung optimalen Grad an Aufregung zu erreichen. Das therapeutische Behandlungs-modell sollte multimodal und individuumszentriert sein, d. h. aus unterschiedlichen psychotherapeutischen und körpertherapeutischen Zugängen auf die musikerspezifische individuelle Situation des einzelnen Musikers zugeschnitten sein. Hierzu gehört auch unbedingt die psychotherapeutische Arbeit im Bühnensetting, beispielsweise mittels Einsatz von Video-Feedback, unter Berücksichtigung musikalischer und spieltechnischer Fragen beim Instrument oder der Stimme. Die Behandlung sollte in den Händen musikermedizinisch erfahrener Fachärzte für Psychosomatische Medizin oder Psychologischer Psychotherapeuten liegen. Medikamentöse Therapie spielt eine nachrangige Rolle (Spahn 2011, 2012).

Psychosomatische Faktoren bei Überlastungs- und Schmerz-syndromen

Prävention und Gesundheitsförderung für Musiker beinhalten in erster Linie, das Bewusstsein dafür herzustellen, dass beim Musizieren physiologische und psychologische Aspekte eine entscheidende Rolle spielen und eine aktive Selbstfürsorge des Musikers für seine körperliche und seelische Gesundheit die Voraussetzung für ein erfolgreiches Berufsleben bildet (Spahn 2011). Die Vorbereitung auf den Beruf erfolgt in diesem Sinne heute durch die Lehrangebote des Fachs Musikphysiologie und Musikermedizin an den meisten Musikhochschulen in Deutschland.

Gesundheit von Musikern im berufli-chen Kontext erfordert sowohl Verhaltens- als auch Verhältnisprävention. So ist es gerade für die Prävention und Therapie von Überlastungsbeschwerden einerseits entscheidend, dass der individuelle Musiker sinnvolle Maßnahmen ergreift, um sich fit zu halten (geeignete Sportarten, spezifische Körpermethoden, sinnvolle Übegestaltung, Einhalten von Pausen und Regenerationszeiten), andererseits sollten jedoch auch die Arbeitsbedingungen entsprechend gesundheitsorientiert gestaltet sein (ergonomische Arbeitsplatzgestaltung im Orchester, Spiel- und Dienstplangestaltung etc.).

Psychologische Einflüsse spielen bei der Entstehung von Überlastungsbeschwerden im Zusammenspiel mit den genannten anderen Faktoren in der Regel eine wichtige Rolle und sollten deshalb im Gespräch mit dem Musikerpatienten immer berücksichtigt werden (Spahn 2013).

Burnout-Syndrom

Der wichtigste Ansatz beim Burnout-Syndrom ist die Prävention. Wie bereits angesprochen, ist es gerade für Berufsmusiker wichtig, darauf zu achten, dass mit dem professionellen Anspruch die ursprüngliche Freude am Musizieren erhalten bleibt. Außerdem hat sich die Fähigkeit, innerlich Abstand zur musikalischen Tätigkeit einnehmen und sich erholen zu können, bei der Erstellung von Risikoprofilen für das Burnout-Syndrom als wichtiger Schutzfaktor erwiesen. Hier stehen gerade Musiker, die grundsätzlich persönlich sehr mit ihrem Beruf identifiziert sind, in der Gefahr, sich zu überfordern und eigene Grenzen nicht wahrhaben zu wollen. Für eine psychische Balance im Alltag steht eine Reihe von Techniken zur Stressregulation wie Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation sowie mentale Techniken zur Verfügung (Spahn 2011). 

Literatur

Fishbein M, Middlestadt E, Ottati V, Straus S, Ellis A: Medical problems among ICSOM musicians: overview of a national survey. Med Probl Perform Art 1988; 3: 1–8.

Gembris H, Heye A: Älter werden im Orchester. Eine empirische Untersuchung (Schriften des Instituts für Begabungsforschung in der Musik, IBFM) Bd. 5. Berlin: LIT Verlag, 2012.

Piperek M: Psychological stress and strain factors in the work of symphony orchestra musi-cians. In: Brau-müller W (ed.): Stress and Music: Medical, psycho-logical, sociological and legal strain factors in a sym-phony orchestra musicians’s profession. Wien: Uni-versitätsverlag, 1981.

Spahn C, Ell N, Seidenglanz K: Psychosomatic find-ings in musician patients at a department of hand surgery. Med Probl Perform Art 2001; 16: 144–151.

Spahn C, Richter B, Altenmüller E (Hrsg.): Musiker-Medizin. Diagnostik, Therapie und Prävention von musikerspezifischen Erkrankungen. Stuttgart: Schattauer, 2011.

Spahn C: Das klinget so herrlich … – Gesundheits-förderliche Strategien von Musikern. Das Orchester 2009; 9: 14–15.

Spahn C: Lampenfieber: Handbuch für den erfolg-reichen Auftritt. Grundlagen, Analyse, Maßnahmen, Henschel Verlag, Leipzig, 2012

Spahn C: Überlastungsbeschwerden im Orchester, Möglichkeiten der Prävention. Das Orchester 2013; 7/8: 20–22.

Voltmer E, Schauer I, Schröder H, Spahn C: Musi-cians and Physicians – A comparison of psychosocial strain patterns and recources. Med Probl Perform Art 2008; 23: 164–168.

WHO: International Classification of Diseases (ICD). 2014 (http://www.who.int/classifications/icd/en).

    Weitere Infos

    Rezension zu Spahn C: Lampen-fieber: Handbuch für den erfolgreichen Auftritt. 2012

    http://www.dasorchester.de/de_DE/journal/issues/showarticle,34947.html

    Fishbein et al.: Medical problems among ICSOM musicians: overview of a national survey

    https://www.icsom.org/senza/issues/senza256.pdf

    Autorin

    Prof. Dr. med. Claudia Spahn

    Leiterin des Freiburger Instituts für Musikermedizin

    Hochschule für Musik und Universitätsklinikum Freiburg

    Breisacher Straße 60

    79106 Freiburg

    claudia.spahn@uniklinik-freiburg.de

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