Sabine Herpertz und Johannes Kruse berichten über das Berliner Symposium am 9. Juli 2016 „Psychische Gesundheit und gelingende Integration – Wie schaffen wir das?“ In diesem Symposium wurden erste Erkenntnisse, die im Rahmen einer psychosozialen und -therapeutischen Unterstützung von Flüchtlingen und Asylanten gemacht wurden, dargelegt und diskutiert. Der Bedarf nach psychosozialer Versorgung ist weiterhin hoch. Für eine gelingende Integration ist es von größter Bedeutung, welche Rolle die Psychosoziale Medizin in einem funktionstüchtigen, multiprofessionellem Versorgungsnetz übernehmen kann, um der Vielschichtigkeit der gesundheitlichen Versorgung von Flüchtlingen gerecht werden. Neben dem Schicksal der Flüchtlinge sollte der Blick auch auf die Helfer gerichtet werden, die aus verschiedenen Berufsgruppen kommend sich an der psychosozialen Versorgung von traumatisierten Flüchtlingen beteiligen und bei der schrittweisen Integration Unterstützung leisten. Sie sind ebenfalls erheblich gefährdet, selbst eine posttraumatische Störung zu entwickeln.
Über den Einsatz von Dolmetschern in der medizinisch psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten berichtet Ferdinand Haenel. Unter dem Namen Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH bündeln das Behandlungszentrum für Folteropfer und das Zentrum für Flüchtlingshilfen und Migrationsdienste seit 2016 ihre Kompetenzen. Gemeinsam bieten die vier Partnerorganisationen umfassende Hilfe zur Rehabilitation und Integration für traumatisierte Opfer von Gewalt und für Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten. Bei jeder Reflexion des therapeutischen Prozesses muss nicht nur die Beziehung zwischen Therapeut und Patient, sondern auch zum Dolmetscher im Blick bleiben. Das gesamte Beziehungssystem aller drei Beteiligten muss Berücksichtigung finden.
Gundolf Berg berichtet über eine Sozialpsychiatrievereinbarung, die es ermöglicht differenzierte Einschätzungen und Versorgungsangebote für psychisch kranke minderjährige Flüchtlinge zu tätigen. Jugendliche als Flüchtlinge haben oft viele Belastungen auf sich genommen, um nach Deutschland zu kommen. Es bräuchte nicht die auf den oft monatelangen Fluchtwegen erlebten Schwierigkeiten oder die auch in Deutschland für viele bestehenden Belastungen, um in dieser Krisensituation psychisch krank zu werden und Verhaltensauffälligkeiten zu zeigen. Nicht jeder Jugendliche benötigt dann aber eine intensive Traumatherapie, nicht jeder Jugendliche entwickelt eine posttraumatische Belastungsstörung. Gundolf Berg geht der Frage nach, wie diese Jugendliche wirksam unterstützt werden können.
Victor Oehm interviewt Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg und Menschenrechtsbeauftragter der Bundesärztekammer. Thema ist das erprobte Versorgungsmodell „Care-net-Management als integrierte Versorgung für Flüchtlinge“. Ulrich Clever betont, dass weiter für eine deutschlandweite Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge gekämpft werden muss, wie es auch der Deutsche Ärztetag schon aus sachlichen Erwägungen lange fordert. Keineswegs sollte aus Gründen ideologischer Abschreckungskonzepte davon zurückgewichen werden, ein sinnvolles System nicht flächendeckend einzuführen.
Heribert Stich, Siegfried Ippisch und Bodo Königstein informieren über die medizinische Versorgung von Flüchtlingen aus Sicht des Gesundheitsamtes. Sie weisen darauf hin, dass das bundesdeutsche Gesundheitssystem in den letzten Jahren aufgrund des aktuellen Migrationsgeschehens vor besondere Herausforderungen gestellt wurde. Aufgrund mangelnder Kenntnisse zu Lebensumständen und dürftiger Anamnese ist das körperliche Erstscreening von Migranten häufig problematisch. Im Rahmen dieses Erstscreenings stehen primär bevölkerungsmedizinische Aspekte im Vordergrund. Der öffentliche Gesundheitsdienst übernimmt diese wichtige Aufgabe.
Jürgen Rissland und Ute Teichert beantworten in ihrem Beitrag die Frage, ob es typische Infektionskrankheiten bei Geflüchteten gibt. Die medizinische Versorgung von Geflüchteten ist bundesweit das dominierende Thema unter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen deutschen Gesundheitsämtern. Unter den gesundheitlichen Problemen spielen dabei die Prävention und Kontrolle von Infektionskrankheiten eine wichtige Rolle. Zum einen, weil die Geflüchteten als Folge der Migration unter teilweise extrem belastenden Bedingungen und eines möglicherweise fehlenden oder unvollständigen Impfschutzes vulnerabler gegenüber Infektionen sind. Zum anderen bedingt die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und die damit einhergehende räumliche Enge eine Möglichkeit der schnellen Weiterverbreitung primär unter den Geflüchteten.
Andreas Bahemann berichtet abschließend informativ über die diesjährige Veranstaltung „Heidelberger Gespräch“, die am 28. und 29.09.16 in Heidelberg stattfand und vom Alfons W. Gentner Verlag, Stuttgart, veranstaltet wurde. In dieser Veranstaltung stand die sozialmedizinische Betrachtung von medizinischen und psychotherapeutischen Begutachtungen von Menschen nach Flucht und Migration im Vordergrund. Zudem wurde auf die Begutachtung durch ärztliche und psychologische Psychotherapeuten eingegangen: Wer begutachtet was? Ferner wurden Neuregelungen in der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit und in der Begutachtung im Beamtenrecht vorgestellt.
Autorin
Dr. med. Annegret Schoeller
Bereichsleiterin im Dezernat 1
– Bevölkerungsmedizin –
Bundesärztekammer
Herbert-Lewin-Platz 1
10623 Berlin