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RTW aus Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung

“Return to Work“ — Bindeglied zwischen Prävention und Rehabilitation

Beschäftigte mit komplexen Verletzungen beziehungsweise Erkrankungen müssen früh betriebsnah, professionell und individuell betreut werden, damit ihre Beschäftigungsfähigkeit nachhaltig erhalten und wieder hergestellt wird. Diese Ausgangslage beschränkt sich nicht nur auf Deutschland, sondern spiegelt das Interesse vieler entwickelter Länder wider.

In vielen Ländern, so wie in Deutschland, gelingt das am besten, wenn sowohl Betriebe als auch Sozialversicherungen die Leistungen zur Prävention und Rehabilitation finanzieren und zusammenwirken, um das vorgenannte Ziel zu erreichen. Die Triebfeder für eine solche strategische Partnerschaft liegt darin, die jeweiligen Interessen klar zu definieren, damit jeder von der Zielerreichung profitieren kann.

Die Arbeitgeber profitieren von der Produktivität der Beschäftigten, die Beschäftigten bleiben fit bis zum Renteneintritt, die Sozialversicherer vermeiden Entgeltersatz und der Staat mindert die Folgen des demo-grafischen Wandels. Dafür sind die Maßnahmen zur Prävention und Teilhabe wichtig. Der internationale Oberbegriff hierfür ist „Return to Work“ (RTW), was die Erhaltung und die Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit umfasst.

Der Begriff der Prävention beinhaltet in diesem Zusammenhang alle Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, zur betrieblichen Gesundheitsförderung und zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Gerade in der BEM-Phase agieren auch die Träger der Sozialversicherung, indem sie Leistungen zur Teilhabe gewähren, also Leistungen, die über die Akutversorgung hinausgehen.

Allein die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (UV-Träger) können die Betriebe mit einer Maßnahmenkette von Prävention und Teilhabe unterstützen, be-schränkt indes auf Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Sie haben den gesetzlichen Auftrag, alles Geeignete zu tun, um die Unfallverletzten und Berufserkrankten, deren Leiden im Wesentlichen im Arbeitsleben verursacht sind, wieder in das Berufs-leben zurückzuführen (Schadensersatz-Prin-zip).

Gerade wegen dieses hohen Leistungsanspruchs, der sich mit den Interessen der Betriebe deckt, strebt die Unfallversicherung danach, die „Return to Work Guidelines“ (2013) der Internationalen Vereinigung für soziale Sicherheit (IVSS) zu erfüllen. Daran sollten sich alle Sozialversicherungen, die wesentliche Lebensrisiken wie Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfälle absichern, orientieren, egal ob sie sich aus Steuermitteln finanzieren, aus Pflichtbeiträgen der Sozialpartner oder durch freiwillige Beiträge.

Früherkennung

In entwickelten Ländern mit guten Leistungen zur sozialen Sicherheit, insbesondere zur Gesundheit, benötigen nur 5–10 % aller Beschäftigten eine besondere Unterstützung nach Unfällen oder bei chronischen Krankheiten. Diese sog. komplexen Fälle früh zu identifizieren und im Sinne einer rechtzeitigen Intervention individuelle Angebote zu machen, gehört zur erfolgreichen Strategie sowohl der Betriebe als auch der Träger der sozialen Sicherheit.

Das BEM gehört zu diesem Frühwarnsystem. Aber in vielen Fällen ist die bis zu sechswöchige ununterbrochene Erkrankung, die Voraussetzung für das BEM ist, zu lang. Denn nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit reduziert sich der Erfolg von betriebli-cher Eingliederung um die Hälfte. Die ge-setzliche Unfallversicherung in Deutschland erhält Anzeigen über Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, sowohl von den Betrie-ben als auch von den Ärzten und startet be-reits nach kurzer Zeit ein Reha-Management, das meist zeitgleich oder parallel mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement läuft.

Betriebsnähe

Es besteht in Deutschland und in vielen anderen Ländern Konsens, dass schon wäh-rend der Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation, die am besten schon während der Akutversorgung einsetzt, Leistun-gen zur beruflichen Teilhabe angeboten werden. Einem Dachdecker, der sich bei einem Sturz vom Dach schwer verletzt hat, kann es beispielsweise helfen, zum geeigneten Zeitpunkt bereits während des Klinik-aufenthalts mittels einer modellweise aufgebauten Dachkonstruktion seine Angst, den Arbeitsplatz wieder zu betreten, zu über-winden.

Überhaupt müssen die Angebote zur medizinischen Rehabilitation auf die betrieblichen Belange ausgerichtet sein. Die Therapeuten brauchen Kenntnisse über die Arbeitsplätze ihrer Patienten und direkte Kontakte zu den betrieblichen Akteuren. Nachhaltige berufliche Teilhabe gelingt nur, wenn die Arbeitsanforderungen an die Leistungspotenziale von Menschen angepasst werden. Dazu bedarf es eines Dialogs zwischen den Experten außerhalb und innerhalb der Betriebe, insbesondere der Kooperation der Haus- und Fachärzte mit den Betriebsärzten.

Lotsen

Betriebe und Betroffene sind oft überfordert, einerseits das Dickicht der Vorschriften und Zuständigkeiten in der Sozialversicherung zu durchdringen und andererseits die betrieblichen Belange angemessen zu berücksichtigen. Alle Beteiligten wollen die Wiederherstellung und die Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit in Komplexfällen. Nur 5 % der Fälle verursachen 90 % der Kosten. Nicht nur bei den Leistungsträgern, etwa durch Vermeidung von Entgeltfortzahlung oder Renten, sondern auch bei den Betrieben verursachen wenige BEM-Fälle sehr lange und die meisten Ausfallzeiten in einem Betrieb.

Für diese RTW-Fälle brauchen Betriebe und Sozialversicherungen Lotsen, also BEM-Beauftragte oder Reha-Manager oder, wie sich international durchgesetzt hat, „Disability Manager“. Die DGUV hat auf der Grundlage eines international anerkannten Qualifizierungsprogramms über tausend „Disability Manager“ zertifiziert (CDMP), die meist als Dienstleister für kleine und mittelständische Betriebe tätig sind. Vierzig Prozent sind in größeren Unternehmen tätig, insbesondere im Personalbereich, unter den Betriebsärzten oder als Schwerbehindertenvertretung. Das Bildungsprogramm beruht auf einem Konsens in der internationalen Arbeitsorganisation in Genf.

Individualisierung

Der Erfolg von RTW-Maßnahmen hängt immer von der Überzeugung der Beschäftigten selbst ab, dass es sich lohnt, wieder zu arbeiten. Ungeachtet dessen, dass diese Haltung aus einem übergreifenden gesellschaftlichen Konsens abhängt, muss jede Strategie und Methode des „Return to Work“ die Partizipation der Menschen in den Mittelpunkt rücken und damit deren Selbstbestimmung. Jede Unterstützung, egal, ob innerhalb oder außerhalb des Betriebs, läuft ins Leere, wenn kein Vertrauen zu den Ärzten oder in das Handeln des Betriebs besteht. Nur wenn die Führung eines Betriebs es ernst meint, die Mitarbeiter in ihrer Gesundheit zu unterstützen, wird BEM akzeptiert.

Als Gemeinschaft stiftendes Thema kann eine Inklusionsstrategie im Betrieb und bei den Sozialversicherungen behilflich sein. So hilft es, sich an der UN-Behindertenrechts-Konvention (UN-BRK) zu orientieren und einen eigenen Aktionsplan für einen Betrieb oder einen Träger der Sozialversicherung aufzustellen. Insoweit fällt es leicht, den Artikel 27 UN-BRK als Menschenrecht umzusetzen, wonach Programme für die berufliche Rehabilitation, den Erhalt des Arbeitsplatzes und den beruflichen Wiedereinstieg von Menschen mit Behinderungen zu fördern ist (Abs. 1k).

Erfolgsfaktoren

Im Folgenden werden thesenhaft zehn Erfolgsfaktoren formuliert, die für Deutschland gelten, aber auch für andere Länder, und die sich an der Zusammenarbeit der Akteure in der Prävention und Rehabilitation orientieren:

  1. 1.„Return to Work“ als Pflicht der Arbeitgeber und als Aufgabe der Sozialversicherung kann nur gelingen, wenn „Gesundheit und Arbeit“ unter den Beteiligten als gemeinsame Aufgabe in der Gesellschaft akzeptiert werden, also insbesondere den Sozialpartnern und der Sozialversicherung sowie in der Bevölkerung. Voraussetzung ist ein vorbildhaftes Zusammenwirken mit dem Ministerium für Gesundheit und Arbeit und Soziales.
  2. 2.Ohne eine Kooperation zwischen den Betrieben und den Sozialversicherern werden Ressourcen für einen Erfolg von Maßnahmen zur Rehabilitation beziehungsweise Teilhabe verschwendet. Die deutschen Sozialversicherer, die von der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite (Sozialpartner) selbst bezahlt und verwaltet werden, können auch selbst eine effiziente „soziale Unternehmensberatung“ beeinflussen.
  3. 3.Auf der regionalen Ebene müssen gute Beispiele von Kooperationen zwischen Betrieben und mehreren Sozialversicherern geübt und flächendeckend etabliert werden, um insbesondere klein- und mittelständische Betriebe zu unterstützen. Dazu gehört auch eine Vernetzung mit der medizinischen, ortsnahen Versorgung.
  4. 4.Die Experten im Arbeitsschutz, in der Gesundheitsförderung und im BEM müssen gemeinsam mit den Teilhabe-Managern der Sozialversicherung ein ganzheitliches Beratungskonzept für die Betriebe anstreben. Denn die Betriebe wünschen nicht mehrere Personen mit unterschiedlicher Zuständigkeit in ihrem Betrieb.
  5. 5.Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation und zur beruflichen Teilhabe müssen nicht nur die Arbeitsbedingun-gen berücksichtigen, sondern diese müs-sen ggf. auch angepasst werden. Betriebe und Sozialversicherungen müssen gemeinsam vermeiden, dass nach einer Maßnahme zur Rehabilitation krankmachende Verhältnisse am Arbeits-platz dazu führen, dass die gesundheitlichen Beschwerden nach kurzer Zeit wieder auftreten.
  6. 6.Experten in der Prävention und Rehabilitation müssen kommunizieren. Denn ein erfolgreicher Fall im BEM/Teilhabe kann viele andere Mitarbeitende vor Gesundheitsschäden im Betrieb bewahren. So führt die Erkenntnis, dass ein Rückengeschädigter durch eine Tragehilfe seine Tätigkeit wieder aufnehmen kann, dazu, dass Rückenprobleme bei anderen Mitarbeitern, die die gleiche Arbeitsleistung erbringen, durch vergleichbare Tragehilfen vermieden werden.
  7. 7.Die gesamte Ärzteschaft, also nicht nur die Arbeitsmediziner, muss ihr Handeln auf die Belastung ihrer Patienten am Arbeitsplatz ausrichten. Dadurch erhalten die Betriebe und Sozialversicherer treffsicherere Bescheinigungen (Arbeitsunfähigkeit) oder es lassen sich geeignete Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung initiieren.
  8. 8.Betriebe und Sozialversicherer sollten in einer konzentrierten Aktion Experten in der Prävention und Rehabilitation gemeinsam im „Return to Work“ aus- und fortbilden. Dabei sollten die vorhandenen Kompetenzzentren und die internationalen Erfahrungen im „Return to Work“ (ISSA-Guidelines) genutzt werden.
  9. 9.Die Ausgleichsabgabe der Betriebe und damit auch der Ausgleichsfonds im BMAS muss weiterentwickelt werden als Anreiz für Betriebe, die sich erfolgreich bemühen, Schwerbehinderungen und damit die Beschäftigungsunfähigkeit zu vermeiden. Betriebe und Sozialversicherungen, die gemeinsam „Return to Work“ als Bindeglied zwischen Prävention und Rehabilitation praktizieren, müssen belohnt werden.
  10. 10.„Return to Work“ ist ein weltweites Thema und deswegen sollten auch an-dere Länder gefragt werden, wie Anreize im Rechtssystem der sozialen Sicherheit wirken. Auch wenn in Deutsch-land schon vieles gut ist, so kann die Weiterentwicklung der sozialen Sicher-heit von einem Dialog mit anderen Ländern profitieren. Denn das Thema „Menschen und Gesundheit“ ist grenzenlos.

Projekt „UV-Unterstützung BEM“

Der Vorstand der DGUV, also die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in der gesetzlichen Unfallversicherung, hat bereits 2012 beschlossen, sich stärker auf den Dialog zwischen Versicherung und den Betrieben im Kontext zur Prävention und Rehabilitation zu positionieren. Derzeit wird ein Maßnahmenkatalog auf der Grundlage von fünf Zielen ausgearbeitet, der in den nächsten drei Jahren (2016–2018) in Form eines Großprojekts, also über alle Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und Gestaltungsbereiche hinweg, umgesetzt werden soll.

Damit wollen die UV-Träger ihre Beratung auf die Interessen der Betriebe aus-richten, damit diese ihren BEM-Verpflichtungen nachkommen können. Die UV-Träger wollen außerdem die Kooperation zwischen ihren eigenen Fachleuten in der Prävention und Rehabilitation in Bezug auf BEM fördern, um dadurch den Interessen der Betriebe nachzukommen, alles aus einer Hand von ihren UV-Trägern zu erhalten. Und zudem wollen die UV-Träger auf der Ebene der DGUV Kriterien für die Kooperation mit anderen Trägern in der sozialen Sicherheit erstellen, etwa mit denen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversiche-rung, den Integrationsämtern oder den Betriebsärztinnen und -ärzten.

Literatur

Mehrhoff F: BRK in der sozialen Sicherheit – Pflicht oder Kür? Soziale Sicherheit (Wien) 2014; 2: 82–87.

 

Lesen Sie einen weiteren Beitrag zum Thema:
Das Return To Work-Forum war ein voller Erfolg
 

    Weitere Infos

    Kurzfassung der „Richtlinien“ (nähere Auskünfte dazu auch beim Autor)

    www.issa.int

    AUVA, SUVA, DGUV: Erfolgsmerkmale eines effizienten Reha-Managements“ (2013)

    publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/grundsaetze_rehamanagement_dguv-suva_auva.pdf

    Beispiele für „Return to Work“

    www.unternehmensforum.org

    und

    www.disability-manager.de

    Autor

    Dr. jur. Friedrich Mehrhoff

    Deutsche Gesetzliche Unfall-versicherung (DGUV)

    Stabsbereich für Rehabilitationsstrategien und -grundsätze

    Glinkastraße 40 – 10117 Berlin

    friedrich.mehrhoff@dguv.de

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