Stufenweise Reform 2017–2023
Nach der Verkündigung des BTHG am 29. Dezember 2016 tritt das neue Reha- und Teilhaberecht bis zum 1. Januar 2023 stufenweise in Kraft und wird zu einem novellierten SGB IX mit neuen Inhalten und einer neuen Struktur führen. Ein längerer Umstellungsprozess ist notwendig, um die umfangreichen Regelungen nach und nach in die Praxis umzusetzen ( Abb. 1).
Die neuen Leistungs- und Verfahrensregelungen sind komplex. Vorgestellt werden daher ausgewählte Aspekte. Die Erläuterungen zu diesen Änderungen folgen dem dreiteiligen Aufbau des Gesetzes.
Teil 1: Allgemeiner Teil
Die bisherigen Grundsätze für alle Rehabilitationsträger werden reformiert mit der Absicht, ihre Zusammenarbeit in einem weiterhin gegliederten Sozialleistungssystem zu stärken. Zentrale Kapitel regeln die Bedarfserkennung und -ermittlung, die Zuständigkeitsklärung und Koordinierung der Leistungen mit einer gestiegenen Verantwortung des leistenden Reha-Trägers sowie die Teilhabeplanung mit dem Menschen mit Behinderung. Ab 01.01.2018 fokussiert der Gesetzgeber stärker als bisher auf die Verantwortung eines leistenden Rehabilitationsträgers gegenüber dem Menschen mit Behinderung. Die Regelungen des Allgemeinen Teils beziehen sich auf die Kapitel 1–14 mit den §§ 1–89 SGB IX-neu und gelten grundsätzlich für alle Rehabilitationsträger.
Die zentralen Änderungen/Regelungen im Einzelnen:
Neuer Behinderungsbegriff
Einige der Änderungen im SGB IX-neu orientieren sich an der UN-BRK. So legt der neue Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX-neu einen deutlicheren Schwerpunkt auf die Wechselwirkungen zwischen Person und Umwelt: „Menschen mit Behinderung sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“ Die Neudefinition gründet in ihrem Verständnis auf das biopsychosoziale Modell, das auch der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) zugrunde liegt.
Neue Leistungsgruppe „Teilhabe an Bildung“
Neu in einer eigenen Leistungsgruppe sind die Leistungen zur Teilhabe an Bildung. Sie ergänzen die Teilhabeleistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zu unterhaltssichernden und anderen ergänzenden Leistungen sowie Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Leistungen zur Teilhabe an Bildung sollen Menschen mit Behinderung einen gleichberechtigten Zugang zum allgemeinen Bildungssystem gewährleisten. Wie schon bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft handelt es sich dabei um kommunikative, technische oder andere Hilfsmittel.
Leistungen zur sozialen Teilhabe
Neu ist auch: die Leistungsgruppe „Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft“ wird in „Leistungen zur sozialen Teilhabe“ umbenannt. Dadurch wird der Leistungskatalog nicht erweitert oder eingeschränkt, sondern neu formuliert und benannt, z. B. sind Assistenzleistungen und Leistungen zur Mobilität nun wörtlich im Leistungskatalog zu finden ( Tabelle 1).
Verhältnis zu den Leistungsgesetzen
Durch das SGB IX-neu werden die allgemeinen Regelungen zur Zusammenarbeit aller Reha-Träger verbindlicher gestaltet. Bislang galt die Regel: „Das SGB IX ist verpflichtend, solange die jeweiligen Leistungsgesetze nichts anderes regeln“. Neu ist in § 7, dass die Kapitel 2–4 den jeweiligen Leistungsgesetzen (z. B. SGB V, VI, VII) immer vorgehen. Das sind die Regelungen zur Bedarfsermittlung, zum Teilhabeplanverfahren und zur Zuständigkeitsklärung.
Modellvorhaben zur Stärkung der Rehabilitation
Um chronische Erkrankungen und (drohende) Behinderungen zu vermeiden und die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, sind präventive und rehabilitative Maßnahmen notwendig. Dazu bekommen die Jobcenter (SGB II) und die Rentenversicherung (SGB VI) jeweils pro Jahr 100 Mio. Euro über einen Zeitraum von 5 Jahren zur Verfügung gestellt. Die Mittel fließen in die Erprobung von neuen Organisationsmodellen, Methoden und Maßnahmen, durch die einer (drohenden) Behinderung oder einer drohenden Erwerbsminderung so frühzeitig wie möglich entgegen gewirkt werden kann.
Frühzeitige Bedarfserkennung
Für eine erfolgreiche Rehabilitation müssen die Reha-Träger den Bedarf einer Person so früh wie möglich erkennen. Neben den allgemeinen Aufklärungs- und Beratungspflichten der Reha-Träger enthält der § 12 SGB IX-neu Regelungen, die die frühzeitige Bedarfserkennung und Antragstellung der Leistungsberechtigten unterstützen. So genannte Ansprechstellen sollen dazu Informationsangebote vermitteln.
Instrumente zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs
Zentral für passgenaue und abgestimmte Teilhabeleistungen ist eine vorherige Bedarfsermittlung mit dafür geeigneten Instrumenten nach § 13 SGB IX-neu. Dazu gehören systematische Arbeitsprozesse wie z. B. Erhebungen, Analysen und Dokumentationen und standardisierte Arbeitsmittel wie z. B. funktionelle Prüfungen (Sehtest, Intelligenztest, Hörtest), Fragebögen und IT-Anwendungen. Die Konzentration auf die Person und ihre Bedarfe setzt viel stärker als bisher voraus, dass die Instrumente zur Ermittlung des individuellen Bedarfs bei allen Reha-Trägern auf einheitlichen trägerübergreifenden Grundsätzen beruhen und ein verbindliches und effektives Teilhabeplanverfahren ermöglichen. Darüber vereinbaren die Rehabilitationsträger derzeit eine entsprechende gemeinsame Empfehlung auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation.
Der leistende Rehabilitationsträger in seiner neuen Rolle
Antragsverfahren – Zuständigkeit – Teilhabeplanverfahren. Ein Kernbereich des novellierten Gesetzes ist das Antrags- und Teilhabe- bzw. Gesamtplanverfahren. Künftig reicht ein einziger Antrag aus, um alle benötigten Leistungen von verschiedenen Reha-Trägern zu erhalten. Ab 01.01.2018 wird es nach § 14 SGB IX-neu einen „leistenden Rehabilitationsträger“ geben, der für die Koordination der Leistungen und gegenüber dem Antragsteller verantwortlich ist. Diese Verantwortlichkeit wurde insgesamt deutlich erhöht. Wenn auch weitere Reha-Träger zum Teil zuständig sind, muss der leistende Reha-Träger sie nun einbeziehen und ein verbindliches Teilhabeplanverfahren (§§ 19–23 SGB IX-neu) durchführen. Er muss dann leisten, wenn sich die anderen Träger – obwohl zuständig – nicht einbringen. Mögliche Ansprüche an diese kann er später geltend machen. Dem leistenden Rehabilitationsträger kommt damit eine Schlüsselfunktion zu. Für den Antragsteller soll dadurch das Verfahren von der Bedarfsermittlung bis zur Leistungserbringung beschleunigt werden.
Das Prozedere. Nach wie vor gilt: Wenn der erstangegangene Reha-Träger für die gesamte beantragte Leistung zuständig ist, wird er zwei Wochen nach Antragseingang zum leistenden Rehabilitationsträger. Ist er insgesamt nicht zuständig, leitet er den Antrag innerhalb von zwei Wochen an einen zweiten Reha-Träger weiter, der bei Zuständigkeit zum leistenden Reha-Träger wird. Wenn auch der zweite Reha-Träger insgesamt nicht zuständig ist, kann er den Antrag in Absprache und Einvernehmen an einen dritten Reha-Träger weiterleiten („Turbo-Klärung“). Damit ist dieser – und das ist neu – leistender Reha-Träger, auch bei Nichtzuständigkeit. Der leistende Reha-Träger hat in der Regel binnen drei Wochen nach Antragseingang bei ihm zu entscheiden. Ausnahmen gelten insbesondere bei der Turbo-Klärung, bei Einholung eines Gutachtens und bei der Beteiligung anderer Reha-Träger.
Neu ist: der leistende Reha-Träger hat die Möglichkeit den Antrag zu „splitten“ und damit teilweise weiterzuleiten, wenn er für einen Teil der erforderlichen Leistungen nicht Reha-Träger sein kann (z. B. Bundesagentur für Arbeit für medizinische Rehabilitation). Die Reha-Träger entscheiden dann jeweils über ihren Teil der Leistungen und informieren den Antragsteller. Damit eine effektive und reibungslose Leistungserbringung gewährleistet werden kann, bleibt die Verantwortlichkeit gegenüber dem Antragsteller auch bei mehreren beteiligten Reha-Trägern in einer Hand (§ 15 Abs. 2 SGB IX-neu). Benötigt der leistende Reha-Träger zum Beispiel für die Bedarfsfeststellung die Mitwirkung weiterer Reha-Träger, so fordert er von diesen entsprechende Feststellungen an (§ 15 Abs. 2 SGB IX-neu). Diese erwartet er binnen zwei Wochen (Ausnahme: Gutachten). Bringen sich die Reha-Träger nicht innerhalb der vorgegebenen Fristen ein, dann muss der leistende Reha-Träger den Bedarf ermitteln und leisten. Der Antragsteller bekommt abschließend einen Bescheid, in dem alle Leistungen zusammengefasst sind (Leistungen wie aus einer Hand). Die Frist zur Entscheidung beträgt bei Beteiligung mehrerer Reha-Träger grundsätzlich sechs Wochen ab Antragseingang.
Turbo-Klärung: Ist der Antrag bis zu einem dritten Reha-Träger weitergeleitet worden, muss er in der Drei-Wochen-Frist über den Antrag entscheiden, die bereits beim zweiten Reha-Träger begonnen hat. Hier gibt es keine Fristverlängerung (§ 14 Abs. 3 SGB IX-neu).
Teilhabeplanverfahren. Der leistende Rehabilitationsträger verantwortet auch das Teilhabeplanverfahren. Das bedeutet: Erstellung eines Teilhabeplans und die Durchführung einer Teilhabeplankonferenz. Bereits nach altem Recht war der leistende Rehabilitationsträger dafür verantwortlich, dass bei mehreren Leistungen oder Leistungsträgern die Leistungen schriftlich zusammengestellt und aufeinander abgestimmt werden. Dieser Vorgang wird jetzt explizit im Gesetz als Teilhabeplan benannt (§ 19 SGB IX-neu). Er muss regelmäßig angefertigt werden (Genaueres in § 19 Abs. 1 SGB IX-neu) und ist Teil eines standardisierten Verwaltungsverfahrens. Inhalte eines Teilhabeplans sind z. B. die Feststellungen über den individuellen Rehabilitationsbedarf auf Grundlage der Bedarfsermittlung (§ 13 SGB IX-neu), die eingesetzten Instrumente oder die Ergebnisse der Teilhabeplankonferenz. Der Teilhabeplan wird im weiteren Verlauf des Reha-Prozesses den Bedürfnissen des Leistungsberechtigten angepasst. Besonders bei komplexen Leistungsfällen kann eine Teilhabeplankonferenz als Teil des Verfahrens einberufen werden. Reha-Träger, Leistungsberechtigte und weitere Beteiligte nutzen diesen „runden Tisch“, um gemeinsam den Bedarf, die Maßnahmen und geeignete Ziele festzulegen (§ 20 SGB IX-neu). Die Durchführung einer solchen Konferenz kann von den Leistungsberechtigten, den beteiligten Rehabilitationsträgern und den Jobcentern vorgeschlagen werden. Der leistende Reha-Träger kann den Vorschlag jedoch ablehnen, wenn der Sachverhalt seiner Meinung nach auch ohne großen Aufwand schriftlich ermittelt werden kann.
Teil 2: Recht der Eingliederungshilfe
Die Eingliederungshilfe wird aus dem Fürsorgesystem des SGB XII (Sozialhilferecht) herausgelöst und ab 2020 als neuer zweiter Teil in das SGB IX-neu aufgenommen. Die Weiterentwicklung zielt auf ein modernes, personenzentriertes Teilhaberecht, das sich am individuellen Bedarf einer Person ausrichtet und dem Träger der Eingliederungshilfe mehr Steuerungsmöglichkeiten bietet. Strukturelle und leistungsrechtliche Neuerungen machen auch hier längere Übergangszeiträume notwendig. Wichtig ist, dass in Zukunft Einkommen und Vermögen in deutlich geringerem Umfang herangezogen werden.
Personenzentrierung statt Einrichtungszentrierung
Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden von überwiegend einrichtungszentrierten zu personenzentrierten Leistungen ausgerichtet. Die Unterstützung der Menschen mit Behinderung orientiert sich künftig nicht mehr an einer bestimmten Wohnform, sondern ausschließlich am notwendigen individuellen Bedarf. Die Unterscheidung von Leistungen in ambulante, teilstationäre und stationäre Maßnahmen der Eingliederungshilfe wird aufgehoben. Sonderwohnformen sollen schrittweise, soweit möglich, reduziert werden.
Trennung von Fach- und Existenzsichernden Leistungen
Die Eingliederungshilfe konzentriert sich ab 2020 auf die reinen Fachleistungen, die Menschen aufgrund ihrer Beeinträchtigung benötigen, wie z. B. Assistenzleistungen, Leistungen zur Mobilität oder Hilfsmittel. Die Leistungen zum Lebensunterhalt und den Kosten der Unterkunft wie z. B. Heizung, Lebensmittelversorgung oder Bekleidung werden wie bei Menschen ohne Behinderung durch die Sozialhilfe (SGB XII) oder durch die Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) finanziert.
Leistungsberechtigter Personenkreis
Nach wie vor bekommt man Eingliederungshilfe, wenn man durch eine Behinderung wesentlich in der Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht ist. Bis 2023 sollen die Voraussetzungen für den Leistungszugang jedoch gesetzlich überarbeitet und vorher wissenschaftlich untersucht sowie modellhaft erprobt werden.
Einkommen und Vermögen
Die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Bezug von Eingliederungshilfe wird in den Reformstufen 1 und 3 verbessert. Einkommen und Vermögen der Ehe- und Lebenspartner/-innen zählt bei der Bedarfsfeststellung ab 2020 nicht mehr. Bislang galten Partner als Teil einer „Bedarfsgemeinschaft“, bei der das Einkommen und Vermögen beider Partner herangezogen wurde, bevor Leistungen erbracht wurden.
- Einkommen: Seit 01.01.2017 gibt es für berufstätige Menschen mit Behinderung einen Einkommensfreibetrag. Er liegt bei 40 % des Nettoeinkommens, darf aber nicht mehr als 65 % des Regelbedarfs (2017: 409 € für Alleinstehende) betragen.Ab 01.01.2020 ändert sich das Verfahren. Es gibt einen Einkommensfreibetrag, der jährlich angepasst wird. Der Leistungsberechtigte muss einen Eigenbeitrag leisten, wenn sein Verdienst darüber liegt.
- Vermögen: Auch der Vermögensfreibetrag wurde deutlich erhöht. Ab 01.01.2017 sind das 27 600 € gegenüber bisher 2600 €. Ab 2020 wird dieser Betrag noch einmal auf über 50 000 € angehoben (s. auch Infokasten). Dieser Betrag bezieht sich lediglich auf Personen, die nur Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen und nicht gleichzeitig auf Leistungen zum Lebensunterhalt oder auf Hilfen zur Pflege angewiesen sind. Bei diesen Leistungen können andere und zum Teil deutlich niedrigere Grenzen gelten. Nicht zum Vermögen zählen z. B. Altersvorsorge (Riester-Rente), gespartes Geld zur Beschaffung oder Erhaltung eines angemessenen Hausgrundstücks oder einer Eigentumswohnung.
Gesamtplanung
Wie auch bei den anderen Rehabilitationsträgern wird im Bereich der Eingliederungshilfe ein verbindliches und personenzentriertes Vorgehen zur Koordinierung der Leistungen vorgeschrieben. Ab 01.01.2018 wird es ein Gesamtplanverfahren (ab 01.01.2020 in §§ 117 ff. SGB IX-neu) geben, das in vielen Regelungen dem Teilhabeplanverfahren gleicht. Die Träger der Eingliederungshilfe müssen aber in jedem Einzelfall einen Gesamtplan erstellen, unabhängig davon, ob er sich auf eine oder mehrere Leistungen bezieht.
Gesamtplankonferenz
Die Gesamtplankonferenz ist wie auch die Teilhabeplankonferenz als Möglichkeit ausgestaltet worden, die nicht zwingend zur Erstellung eines Gesamtplans eingesetzt werden muss. Ihre Regelungen laufen zu einem großen Teil parallel zu denen der Teilhabeplankonferenz, umfassen aber konkretere Vorgaben zu den Inhalten, die in § 119 Abs. 2 SGB XI-neu geregelt sind. Wenn es in einem Verfahren sowohl eine Gesamtplanung durch die Träger der Eingliederungshilfe als auch eine Teilhabeplanung durch einen anderen Reha-Träger gibt, muss beides miteinander verknüpft werden.
Teil 3: Schwerbehindertenrecht
Durch die Reformstufe 2 wird das Schwerbehindertenrecht in den §§ 151–241 des SGB IX-neu zu finden sein und bildet somit den 3. Teil des SGB IX-neu. Seit dem 30.12.2016 gelten jedoch bereits die folgenden inhaltlichen Änderungen:
Neuregelungen für Menschen mit Behinderung
Rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderung. Nach altem Recht galt der Schwerbehindertenausweis ab Antrag auf Feststellung des Grades der Behinderung. Nach neuem Recht kann die Feststellung über den Grad der Behinderung auch auf ein früheres Datum festgelegt werden, wenn eine Behinderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat. Relevant kann dies bei der Gewährung von Nachteilsausgleichen (z. B. Rundfunkgebühren, KfZ-Steuer, Kündigung etc.) werden.
Merkzeichen „Taubblind“. Das neue Merkzeichen „TBl“ für taubblind wird im Schwerbehindertenausweis vermerkt, wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 70 durch eine Störung der Hörfunktion vorliegt und durch eine Störung des Sehvermögens ein Grad der Behinderung von 100 anerkannt ist.
Nutzung von Parkplätzen für Menschen mit Behinderung. Bisher war es nur Menschen mit einem Grad der Behinderung von 80 und dem Merkzeichen „aG“ (außergewöhnlich gehbehindert) sowie blinden Menschen erlaubt, auf einem Behindertenparkplatz zu parken. Durch die Änderungen bleiben die Grundregeln (GdB von 80 und Merkzeichen „aG“) zwar bestehen, jedoch wurde der Personenkreis um Menschen mit schwersten Erkrankungen erweitert.
Von Integrationsprojekten zu Inklusionsbetrieben (ab 01.01.2018). Die bisherigen Integrationsprojekte heißen nun Inklusionsbetriebe. Dabei handelt es sich nach wie vor um Unternehmen, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Maßgebend ist, dass sie von ihrer Behinderung besonders betroffen sind. Sie sind Teil des allgemeinen Arbeitsmarkts, stellen jedoch eine Brücke zwischen den Werkstätten für Menschen mit Behinderung und dem allgemeinen Arbeitsmarkt dar. Sie können, wie auch Werkstätten für Menschen mit Behinderung, von Arbeitgebern der öffentlichen Hand bevorzugt beauftragt werden (§ 224 Abs. 2 SGB IX-neu). Ein Unternehmen darf sich zukünftig jedoch erst „Inklusionsbetrieb“ nennen, wenn es mindestens 30 % (vorher 25 %) und in der Regel höchstens 50 % schwerbehinderte Menschen beschäftigt. Neu ist außerdem der herabgesetzte Schwellenwert von 15 auf 12 Arbeitsstunden pro Woche, um begleitende Hilfen am Arbeitsleben in Anspruch zu nehmen (§ 185 Abs. 2 S. 3 SGB SGB IX-neu).
Von Beauftragten des Arbeitgeber zu Inklusionsbeauftragten. Um die Inklusion von Menschen mit Behinderung zu verdeutlichen, heißt die Stellenbezeichnung des/der Beauftragten des Arbeitgebers nun Inklusionsbeauftragte/r (§ 181 SGB IX-neu). Diese/r kann vom Arbeitgeber bestellt werden, um ihn in Angelegenheiten mit schwerbehinderten Menschen zu vertreten und sollte wenn möglich selbst ein schwerbehinderter Mensch sein.
Rückkehrrecht. In § 220 Abs. 3 SGB IX-neu ist das so genannte „Rückkehrrecht“ konkreter formuliert worden. Leistungsberechtigte Menschen mit Behinderung behalten ihren Anspruch auf einen Platz in der Werkstatt, wenn:
- sie aus einer Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gewechselt sind,
- sie mit Hilfe des Budget für Arbeit am Arbeitsleben teilgenommen haben und
- sie Leistungen eines anderen Leistungsanbieters in Anspruch haben.
Neuregelungen für Interessenvertretungen
Frauenbeauftragte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. In Werkstätten für Menschen mit Behinderung soll es in Zukunft Frauenbeauftragte geben, die durch eine Wahl bestimmt werden. Je nach Anzahl wahlberechtigter Frauen können bis zu drei Frauenbeauftragte gewählt werden.
Stärkung der Schwerbehindertenvertretung. Bisher konnte die Schwerbehindertenvertretung in Betrieben, in denen mehr als 200 schwerbehinderte Menschen beschäftigt waren, auf Wunsch von ihrer Tätigkeit freigestellt werden. In Zukunft ist die Freistellung bereits ab 100 schwerbehinderten Menschen in einem Betrieb möglich. Zu bestimmten Aufgaben kann dann auch eine Stellvertretung hinzugezogen werden, ab 200 schwerbehinderten Beschäftigten eine zweite usw. Zusätzlich steht der Vertrauensperson nun eine Bürokraft zur Verfügung. Für Schulungs- und Bildungsveranstaltungen werden die Vertrauensperson und die erste Stellvertretung in Zukunft freigestellt.
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Exkurs
Neue Beratungsstrukturen
Mit dem Bundesteilhabegesetz werden die „Gemeinsamen Servicestellen“ spätestens zum 31.12.2018 abgeschafft. Mit dem Bundesteilhabegesetz verlieren die „Gemeinsamen Servicestellen“ zum 31.12.2018 ihre Rechtsgrundlage. Die Verbreitung von Informationsangeboten wird in Zukunft von „Ansprechstellen“ bei jedem Reha-Träger sichergestellt.
Ansprechstellen
Die Aufgabe von Ansprechstellen ist die Vermittlung von Informationsangeboten an Leistungsberechtigte, Arbeitgeber und andere Rehabilitationsträger. Sie sollen über Inhalte, Ziele und Verfahren zu Leistungen zur Teilhabe, über das persönliche Budget und andere Beratungsangebote informieren. Dafür ist ein Austausch zwischen den Akteuren unumgänglich.
Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung
Mit der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung wird ab 2018 ein weiteres Informations- und Beratungsangebot eingeführt, das die Beratung der Reha-Träger ergänzt. Es soll bereits im Vorfeld der Beantragung von Leistungen zur Verfügung stehen und über Teilhabeleistungen nach dem SGB IX informieren und beraten. Das Peer-to-Peer Counseling (Betroffene beraten Betroffene) wird bei der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung besonders berücksichtigt. So werden Menschen mit Behinderung zu Experten „in eigener Sache“ und unterstützen Ratsuchende dabei, ihre Fähigkeiten und Ressourcen für eine selbstbestimmte Teilhabe zu nutzen. Finanziell fördert der Bund diese Beratungsform über fünf Jahre mit jährlich 58 Mio. € ab 2018.
Info
- 01.01.2017: Menschen mit Behinderung, die Eingliederungshilfe beziehen, dürfen nun statt 2600 € bis zu 27 600 € ansparen. Neuer Freibetrag für Erwerbseinkommen in Höhe von 265,85 €
- 01.01.2020: Die Grenze des Schonvermögens wird weiter auf über 50 000 € angehoben.
Weitere Infos
Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch: Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Bundesteilhabegesetz)
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/
BAR-Homepage: Ausführliche Materialien wie z. B. das „BTHG-kompakt“ mit weiteren Informationen sowie aktuelle Berichte
Autorin
Maike Lux
Sozialjuristin, LL.M.
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V.
Solmsstraße 18
60486 Frankfurt/M.