In der Industrie werden zunehmend Arbeitsplätze eingerichtet, bei denen Beschäftigte eng mit Robotern zusammenarbeiten – die so genannte Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK). Menschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten werden mit den präzisen Funktionen eines Roboters kombiniert. Letztendlich kann der Einsatz von MRK neben ökonomischen auch ergonomische Vorteile mit sich bringen, indem Beschäftigte zum Beispiel von Kraftaufwendungen entlastet werden. Sicherheit und Gesundheit müssen jedoch durch geeignete Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Roboters gewährleistet sein. Dabei lassen sich Kollisionen zwischen Mensch und Roboter nicht immer ausschließen – denn bei kollaborierenden Robotern sind keine trennenden Schutzeinrichtungen, wie zum Beispiel Schutzzäune, mehr vorhanden ( Abb. 1).
In den frühen 2000er Jahren gab es noch keine Sicherheitsanforderungen für kollaborierende Roboter. Es galt also, für erste Pilotanwendungen den Arbeitsschutz zu regeln. Das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) hat zusammen mit dem damaligen Fachausschuss Maschinenbau, Fertigungssysteme und Stahlbau (heute: Sachgebiet Maschinen, Anlagen und Fertigungsautomation im Fachbereich Holz und Metall der DGUV) Empfehlungen (Ottersbach et al. 2011, s. „Weitere Informationen“) für solche Anwendungen entwickelt. In ihnen wurden Grenzwerte für belastende Kräfte und Drücke bei Kontakt zwischen Mensch und Roboter bzw. Umgebung angegeben. Die damaligen Empfehlungen sind inzwischen in die Normen für Industrieroboter eingearbeitet. Speziell die aktuell erschienene DIN ISO/TS 15066 (2017) beschreibt Anforderungen an die Konstruktion von kollaborierenden Robotern und welche Grenzwerte für Kraft und Druck für einen sicheren Betrieb einzuhalten sind. Der dort definierte „kollaborierende Roboter“ schließt auch die Roboterwerkzeuge sowie die damit bewegten Gegenstände ein.
Der kollaborierende Roboter aus Normensicht
Kollaborierende Roboter für den Einsatz in Produktion und Logistik sind typischerweise kleine leichte Roboter, die in einem festgelegten Kollaborationsraum wirken. Nach DIN ISO/TS 15066 kann für die sichere Kollaboration eines der folgenden Verfahren zur Anwendung kommen:
- sicherheitsbewerteter überwachter Halt,
- Handführung,
- Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung,
- Leistungs- und Kraftbegrenzung.
Die beiden letzten Verfahren sind für die Industrie, aber auch aus Sicht des Arbeitsschutzes von besonderem Interesse, da mit der Umsetzung Neuland betreten wurde.
Bei der Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung ist eine gleichzeitige Bewegung des Menschen und des Roboters im Kollaborationsraum möglich – aber keine enge Zusammenarbeit. Das Risiko ist dadurch reduziert, dass permanent ein Sicherheitsabstand zwischen dem Menschen und dem sich autonom bewegenden Roboter realisiert wird. Dieser Abstand darf, je nach Geschwindigkeit des Roboters, auch variieren. Bei Annäherung des Menschen muss der Roboter stoppen, sich langsamer bewegen oder dem Menschen ausweichen. Die Positionen aller Personen im Kollaborationsraum und des Roboters sind daher sicher zu erfassen, zum Beispiel durch den Einsatz berührungslos wirkender Sensoren wie Kameras, Ultraschallsysteme, kapazitive Sensoren oder Radar. Zu solchen Sensoren gibt es in Erwartung des zukünftigen Bedarfs viele Forschungsarbeiten, mit aktuellem Stand finden sich auf dem Markt bisher keine universell einsetzbaren Produkte, die den hohen Erwartungen der Anwender entsprechen.
Bei der Leistungs- und Kraftbegrenzung arbeiten Mensch und autonomer Roboter gleichzeitig zusammen – so eng, dass es auch zu Kollisionen kommen kann. Das Risiko wird dadurch reduziert, dass die bei einer Kollision einwirkende Kraft und der Druck in der Kollisionsfläche durch den Roboter sicher begrenzt sind. Dies impliziert in der Regel eine sichere Robotersteuerung inklusive sicherer Geschwindigkeitsüberwachung. Wie bei anderen Maschinen müssen die Gefährdungen innerhalb der Grenzen des Robotersystems identifiziert und Risiken bewertet werden. Da Kollisionen nicht ausgeschlossen sind, müssen mechanische Gefährdungen wie Stoßen, Quetschen, Klemmen, Scheren angenommen werden.
Für den kollaborierenden Roboter gelten natürlich auch die Anforderungen der Norm für Industrieroboter DIN EN ISO 10218-1 (2012), die für die Ausführung von Sicherheitsfunktionen eine entsprechende sicherheitsbezogene Leistungsfähigkeit des Steuerungssystems fordert. Die Hardware zur Realisierung der oben genannten Funktionen ist demgemäß im Normalfall redundant (d.h. zweifach) auszuführen.
Biomechanische Anforderungen
Ausgangspunkt der biomechanischen Anforderungen ist, dass mechanische Belastungen an unterschiedlichen Körperteilen zu unterschiedlichen Beanspruchungen führen. Bei Kollisionen zwischen dem Roboter und einer Person kommt es zu elastisch-plastischen Verformungen bestimmter Körperbereiche, während die kollidierende Roboterstruktur kaum verformt wird. Dabei entsteht am Körper eine sich dynamisch ändernde, dreidimensionale Kollisionsfläche, in der partielle dynamische Kräfte und Drücke übertragen werden. Sie bestimmen gemeinsam das Beanspruchungspotenzial. Daher werden in DIN ISO/TS 15066 Grenzwerte für die Beanspruchungskriterien „Kraft“ (als Klemm-/Quetsch- oder Stoßkraft) und „Druck/Flächenpressung“ festgelegt. Die dort in Tabelle A.2 angegebenen Werte beschreiben Grenzwerte für den quasistatischen und transienten Kontakt und beziehen sich auf einzelne Punkte aus einem Körpermodell: Tabelle 1 zeigt Beispiele.
Die Grenzwerte stammen aus verschiedenen Quellen, die Kraftwerte zum Beispiel aus einer Literaturstudie des IFA. Die für den Spitzendruck angegebenen Werte wurden im Rahmen einer von der DGUV geförderten Studie durch die Universität Mainz ermittelt (s. „Weitere Infos“. Dazu wurde vom IFA die Versuchseinrichtung „Druckalgometer“ entwickelt und gefertigt.
Einhaltung der biomechanischen Grenzwerte in der Anwendung
Die sichere Steuerung des kollaborierenden Roboters muss die Einhaltung der Grenzwerte ermöglichen und im Betrieb sicherstellen. Vor dem Inverkehrbringen des Robotersystems, d. h. der Integration des Roboters, muss eine arbeitsplatzspezifische Risikobeurteilung erstellt werden. Kontaktsituationen zwischen Mensch und Robotersystem sind auf ein Minimum zu begrenzen. Die Risikobeurteilung muss insbesondere die unmittelbare Nähe von Mensch und Robotersystem berücksichtigen und das Risiko möglicher Kollisionssituationen festlegen sowie resultierende Grenzwerte beschreiben. Als kritisch identifizierte Kollisionsvorgänge werden dann zum Beispiel durch Messung bewertet. Dies kann in der betrieblichen Praxis mit einem vom IFA entwickelten Kraft-Druck-Messgerät (KDMG-KOLROBOT) erfolgen 1. Es berücksichtigt die wesentlichen biomechanischen Körpereigenschaften. Die in der Kollisionsfläche auftretenden Gesamtkräfte und lokale Druckmaxima werden gemessen, visualisiert und dokumentiert. Abbildung 2 zeigt den schematischen Aufbau der Sensorik des Messgerätes.
Abbildung 3 zeigt das Ergebnis einer Kraftmessung mit dem KDMG für eine angenommene Kollision zwischen der Stirn und einem Roboterarm. Der erlaubte transiente Grenzwert von 130 N ist in diesem Beispiel mit 293 N bei weitem überschritten. Der Zeitraum der Kollision, in dem eine Kollisionskraft über einen Zeitraum von mindestens 500 ms kontinuierlich und mit nur geringen Schwankungen ansteht, wird als statischer Messwert angesehen. Als Klemmkraft wurden 88 N ermittelt.
Die Visualisierung einer Druckverteilung kann sowohl als 2D-Darstellung mit Farbabstufung als auch als 3D-Darstellung mit Farbabstufung und Amplitude dargestellt werden ( Abb. 4).
Können Kollisionen im Kopfbereich nicht ausgeschlossen werden, so stellen die Grenzwerte für diese Körperregion oft die größten Einschränkungen dar. Zu beachten ist auch, dass es für besonders empfindliche Körperteile, wie beispielsweise Augen oder Kehlkopf, keine Grenzwerte gibt. Ein solcher Kontakt muss in der Applikation generell ausgeschlossen sein.
Wichtig ist, dass ein kollaborierender Roboter einschließlich Werkzeug und Werkstück betrachtet wird. Je kleiner die Flächen, d.h. je scharfkantiger zum Beispiel ein Werkzeug ist, desto höhere Drücke sind zu erwarten. Sind Grenzwerte überschritten, bedarf es der Entschärfung solcher Stellen. Die Reduzierung der maximalen Verfahrgeschwindigkeit ist nach Erfahrung des IFA in manchen Applikationen die – zwar von den Betreibern ungeliebte – aber einzig schnelle Maßnahme, um Kollisionskräfte zu verringern. Die Standardsteuerung des Roboters darf die Messergebnisse nicht beeinflussen; auch dafür gab es im Rahmen der Arbeiten des IFA schon ein Beispiel. Nicht als Sicherheitsfunktion implementierte Limitierungen von Kraft, Geschwindigkeit usw. dürfen bei Messungen von Kraft und Kraft nicht berücksichtigt werden.
Die Prüf- und Zertifizierungsstelle Maschinen und Fertigungsautomation im DGUV-Test hat bereits mehrere Roboterapplikationen zertifiziert. Um die Sicherheit kollaborierender Robotersysteme zu fördern, hat der Fachbereich Holz und Metall der DGUV eine DGUV-Information zu kollaborierenden Robotersysteme erarbeitet, die die Planung von Anlagen mit der Funktion „Leistungs- und Kraftbegrenzung“ thematisiert (s. „Weitere Infos“).
Die Forschung auf dem Gebiet biomechanischer Grenzwerte ist noch nicht abgeschlossen. Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, werden die Korrekturwerte für den transienten Kontakt mit Ausnahme des Kopfbereichs, der als kritische Zone gilt, bisher einheitlich mit dem Faktor 2 angenommen. Auch die Tatsache, dass heutige Messaufbauten den freien Stoß nicht nachbilden, macht weitere Forschung zur Berücksichtigung von Trägheit und Haltung betroffener Körperteile und die Implementierung der Ergebnisse in der DIN ISO/TS 15066 notwendig. Auf dem Bereich von Servicerobotik für den Einsatz im nichtindustriellen Bereich ergibt sich die Notwendigkeit, auch die Anwesenheit von Kindern zu berücksichtigen. Die aktuellen Druckgrenzwerte der DIN ISO/TS 15066 sind jedoch mit gesunden erwachsenen Versuchspersonen ermittelt worden.
Literatur
DIN ISO/TS 15066:2017-04: Roboter und Robotikgeräte – Kollaborierende Roboter. Berlin: Beuth, 2017.
DIN EN ISO 10218-1:2012-01: Industrieroboter – Sicherheitsanforderungen – Teil 1: Roboter. Berlin: Beuth, 2012.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Info
Das im August 2017 erschienene Informationsblatt FB HM-080 fasst die aus Sicht des Arbeitsschutzes wichtigsten Sicherheitsaspekte für kollaborierende Robotersysteme auf aktuellem Stand zusammen.
Weitere Informationen bietet das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) online auf den Fachinformationsseiten „Kollaborierende Roboter“ und „Virtuelle Realität“ unter: www.dguv.de (Webcodes d130086 und d108396) und das Sachgebiet Maschinen, Anlagen und Fertigungsautomation (SG MAF) zum Themenfeld Robotik unter: www.dguv.de (Webcode d545168).
Weitere Infos
Ottersbach HJ et al.: BG/BGIA-Empfehlungen zur Gestaltung von Arbeitsplätzen mit kollaborierenden Robotern. Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA), Sankt Augustin, 2011
publikationen.dguv.deSuchbegriff: „10732“
Wissenschaftlicher Schlussbericht zum Vorhaben FP-0317: „Kollaborierende Roboter – Ermittlung der Schmerzempfindlichkeit an der Mensch-Maschine-Schnittstelle“. Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Mainz
www.dguv.de/ifa/forschung/projektverzeichnis/ff-fp0317.jsp
DGUV-Information Kollaborierende Robotersysteme, Planung von Anlagen mit der Funktion „Leistungs- und Kraftbegrenzung“
https://www.bghm.de/de/arbeitsschuetzer/praxishilfen/dguv-informationen/dguv-information-deutsch/
Für die Autoren
Thomas Bömer
Leiter des Referates Schutz- und Steuereinrichtungen
Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA)
Alte Heerstraße 111
53757 Sankt Augustin