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Telematik in der Prävention — berufsrechtliche Gesichtspunkte

Die Entwicklungen der letzten Jahre haben ärztliches Handeln verändert. Der Einsatz von IT im Gesundheitswesen hat hier nicht nur instrumentellen Charakter, um diese Veränderungen handhabbar zu machen. Vielmehr verändert der zunehmende Einsatz telematischer Instrumente und Methoden wiederum auch die ärztliche Berufsausübung. Zielgenaue Bereitstellung von entscheidungsrelevanten Informationen haben auch Auswirkungen auf bzw. bilden die Grundlage für die Steuerungskompetenz im Gesundheitswesen.

Ziel des Dezernats Telemedizin und Telematik der Bundesärztekammer ist es, Ärztinnen und Ärzte auf diese Veränderung vorzubereiten und diese Veränderungen möglichst im Sinne einer Verbesserung des Arzt-Patienten-Verhältnisses, der Verbesserung der Qualität der Behandlung und der Erhöhung der Berufszufriedenheit von Ärztinnen und Ärzten zu gestalten. Dazu ist die Stärkung des Einflusses der Ärztekammern und der Bundesärztekammer auf die Entwicklung der Telematik und Telemedizin im Gesundheitswesen notwendig.

Begriffliche Verortung der Telematik

Der Begriff „Telemedizin“ weist im allgemeinen Sprachgebrauch eine erhebliche Unschärfe auf. Nach der Definition der WHO von 2005 bezeichnet der Begriff eHealth (electronic Health) den kostengünstigen und sicheren Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), um die allgemeine Gesundheit und gesundheitsbezogene Bereiche (Gesundheitssysteme, Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsförderung sowie Allgemeinwissen und Forschung) zu fördern.

Auf dieser Grundlage kann „Telemedizin“ als Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen oder zeitlichen Versatz hinweg erbracht werden, verstanden werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt. Die nähere Einordnung des Begriffs Telemedizin in das gesamte Spektrum so genannter eHealth-Methoden ist durch die AG Telemedizin der Bundesärztekammer in dem Dokument „Telemedizinische Methoden in der Patientenversorgung – Begriffliche Verortung“ erstellt worden (siehe „Weitere Infos“).

Telemedizinische Patientenversorgung

Telemedizinische Methoden finden einen zunehmend breiteren Einsatz in der Patientenversorgung in Deutschland. Das Spektrum dieser modernen Versorgungsformen umfasst mittlerweile nahezu alle medizinischen Fachgebiete. In vielen medizinischen Fachgebieten werden telemedizinische Verfahren wissenschaftlich untersucht oder pilothaft erprobt. Einen Überblick über die vielfältigen Projekte bietet das „Deutsche Telemedizin-Portal“ (siehe „Weitere Infos“) im Rahmen der eHealth-Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit unter enger Mitarbeit der Bundesärztekammer.

Einsatzgebiete für Telemedizin

Der 113. Deutsche Ärztetag 2010 in Dresden hat sich in einer grundsätzlichen Entschließung mit telemedizinischer Patientenversorgung auseinander gesetzt und einen 12-Punkte-Katalog „Voraussetzungen für gute Telemedizin“ definiert (siehe „Weitere Infos). In dieser Entschließung werden unter anderem in Leitsätzen grundsätzliche Aussagen zur telemedizinischen Patientenversorgung festgehalten:

  • Telemedizinische Anwendungen stellen in vielen Bereichen einen Mehrwert für Patienten dar.
  • Telemedizinische Anwendungen sind unterstützender Anteil ärztlichen Handelns und sollen ärztliches Handeln nicht ersetzen.
  • Die Telematikinfrastruktur wird dabei helfen, einen Teil der Umsetzungsbarrieren für telemedizinische Methoden abzubauen.
  • Telemedizin ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für die Ärzteschaft und muss aktiv gestaltet werden, da in diesem Bereich ureigene ärztliche Prinzipien berührt werden.

Darüber hinaus hat der 118. Deutsche Ärztetag 2015 in Frankfurt in der Entschließung „Ärztliche Positionen zu Einsatzgebieten telemedizinischer Patientenversorgung“ Versorgungsszenarien benannt, in denen telemedizinische Methoden aus der ärztlichen Perspektive heraus relevanten Nutzen in der Patientenversorgung stiften können (siehe „Weitere Infos“).

Berufspolitische Aspekte zur Fernbehandlung: § 7 Absatz 4 MBO-Ä

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Einsatzes telemedizinischer Methoden in der Patientenversorgung hat die Bundesärztekammer Hinweise und Erläuterungen zu „§ 7 Absatz 4 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä“ zur Fernbehandlung veröffentlicht und auszugsweise dargestellt (siehe „Weitere Infos“). Die(Muster-)Berufsordnung regelt die Rechte und Pflichten der Ärzte gegenüber den Patienten, den Berufskollegen und der (Landes-)Ärztekammer. Normiert werden u. a. Behandlungsgrundsätze sowie Verhaltensregeln und in diesem Kontext in § 7 Abs. 4 MBO-Ä, wie eine individuelle ärztliche Beratung und Behandlung unter Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien nicht durchgeführt werden darf. Danach ist eine ärztliche Beratung und Behandlung eines Patienten unter Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien nicht grundsätzlich unzulässig; lediglich die ausschließliche Fernbehandlung ist nach § 7 Abs. 4 MBO-Ä berufsrechtlich untersagt.

Die nachfolgenden Ausführungen der Bundesärztekammer geben einen Überblick über die rechtlich zulässigen und unzulässigen Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten, fokussiert auf § 7 Abs. 4 MBO-Ä. Deshalb wird auf die weiteren Pflichten aus der Berufsordnung und dem Behandlungsvertrag, beispielsweise die Sorgfaltspflichten, nicht gesondert eingegangen. Diese sind auch bei telemedizinischen Verfahren zu beachten.

I. Die Norm und der Regelungszweck

§ 7 Abs. 4 MBO-Ä lautet wie folgt: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“

Sinn und Zweck der Regelung in § 7 Abs. 4 MBO-Ä ist, dass sich der Arzt von dem jeweiligen Patienten ein unmittelbares Bild durch die eigene Wahrnehmung verschafft und sich nicht allein auf Schilderungen des Patienten oder Informationen Dritter verlassen soll. Das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung und die damit korrespondierende grundsätzliche Pflicht des Arztes zur persönlichen Leistungserbringung verfolgen den Zweck, nicht durch eine fehlende persönliche Untersuchung die Behandlungsqualität einzubüßen und damit die Patientensicherheit zu gefährden. Eine zulässige Fernbehandlung hat genauso wie jede andere ärztliche „traditionelle“ Behandlung den Facharztstandard zu gewährleisten.

II. Auslegung der Norm

Bei den in der Norm hervorgehobenen Tatbestandsmerkmalen handelt es sich um rechtlich auslegungsbedürftige Begrifflichkeiten. Diese sollen im Folgenden näher erläutert werden, um eine berufsrechtskonforme Anwendung zum besseren Verständnis der Norm zu gewährleisten.

1. „Individuell“

Der Anwendungsbereich der Norm ist lediglich bei individueller Behandlung eröffnet. Eine individuelle ärztliche Beratung oder Behandlung liegt dann vor, wenn sie auf einen bestimmten Patienten bezogen ist und seine geschilderten Symptome der Anlass sind, in seiner konkreten Situation eine Diagnose und Therapieempfehlung zu erteilen.

Infolgedessen ist es berufsrechtswidrig, den einzelnen Patienten konkret zu behandeln, ohne persönlichen physischen Kontakt mit dem Patienten gehabt zu haben. Dies gilt insbesondere, wenn im Rahmen der Behandlung konkrete Ratschläge oder Empfehlungen ausgesprochen werden, die regelmäßig lege artis nur durch einen physischen Patientenkontakt und/oder unter Zuhilfenahme von Befunden etc. erfolgen können.

Allgemeine Erörterungen einer medizinischen Frage ohne Bezug auf einen bestimmten Patienten und sein geschildertes Krankheitsbild werden von der Norm hingegen nicht erfasst und sind daher zulässig. Das betrifft z. B. Begutachtungen von Therapievorschlägen eines Arztes ohne erneute Untersuchung des Patienten oder allgemeine Erläuterungen zu einer von einem anderen Arzt gestellten Diagnose.

Eine Abgrenzung zwischen allgemeinen Hinweisen und einer konkreten ärztlichen Beratung oder Behandlung kann im Einzelfall schwierig sein und bedarf daher stets einer konkreten Prüfung in der Verantwortung des Arztes. In jedem Fall kann eine berufsrechtlich unzulässige ärztliche Beratung oder Behandlung nach § 7 Abs. 4 MBO-Ä nicht durch einen mündlichen oder schriftlichen Hinweis, sich im Zweifelsfall persönlich an den behandelnden Arzt zu wenden oder „die Antwort“ sei nur als allgemeine Information zu verstehen, geheilt oder umgangen werden. Ein solcher Hinweis beseitigt nicht den berufsrechtlichen Verstoß und die damit verbundene Gefahr, dass der Patient die Äußerungen als ernst gemeinte seriöse ärztliche Beratung oder Behandlung auf sein konkret geschildertes Unwohlempfinden auffasst. Ein solcher Hinweis würde insofern eine Umgehung des Schutzzweckes des § 7 Abs. 4 MBO-Ä darstellen.

2. „Nicht ausschließlich“

Berufsrechtlich ist die Fernbehandlung lediglich als ausschließliche Form der ärztlichen Beratung und Behandlung unzulässig. Als Ergänzung einer „herkömmlichen“ Behandlung durch den Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien unter physischer Präsenz des Arztes beim Patienten ist sie rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Beratung oder eine Behandlung kann daher zu einem bestimmten Anteil unter Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien erfolgen, wenn in erforderlichem Maß der persönliche Kontakt zwischen Patient und Arzt sichergestellt ist. Das setzt grundsätzlich voraus, dass sich der Patient bei einem Arzt persönlich zu Beginn der eingeleiteten Behandlung vorgestellt hat. Im Rahmen eines bestehenden Behandlungsverhältnisses muss es im weiteren Behandlungsverlauf nicht immer zu einem persönlichen Arzt-Patient-Kontakt kommen. Es ist als ausreichend anzusehen, wenn die Fortsetzung der Behandlung auf telemedizinische Anwendungen (zumindest zeitweise) beschränkt bleibt.

Es ist daher beispielsweise ohne den persönlichen Kontakt zum Patienten möglich, unter Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien einen konsiliarischen Rat einzuholen oder zu geben. Der Konsiliarius wird dabei grundsätzlich nicht zum (mit-)behandelnden Arzt. Die Diagnose bzw. die Anweisung des Konsiliararztes wird durch denjenigen Arzt vermittelt, der mit dem Patienten in unmittelbarem Kontakt steht.

Ebenfalls ist es zulässig, teleradiologische Untersuchungen ohne unmittelbaren Patientenkontakt durchführen zu lassen oder durchzuführen. Die Zulässigkeit des Betriebs einer Röntgeneinrichtung zur Teleradiologie ist gesetzlich in der Röntgenverordnung (RöV) geregelt und bedarf einer Genehmigung (§ 3 RöV). Der Begriff der „Teleradiologie“ ist in § 2 Nr. 24 RöV definiert. Darunter ist die Untersuchung eines Menschen mit Röntgenstrahlen unter der Verantwortung eines Arztes gem. § 24 Abs. 1 Nr. 1 RöV zu verstehen, der sich nicht am Ort der technischen Durchführung befindet und der mit Hilfe elektronischer Datenübertragung und Telekommunikation, insbesondere zur rechtfertigenden Indikation und Befundung, unmittelbar mit den Personen vor Ort der technischen Durchführung in Verbindung steht. Eine Ausnahme ist darüber hinaus bei Notfällen, auch bei erster Kontaktaufnahme, anerkannt. Bei Zwischenfällen, z. B. auf hoher See, darf ausschließlich über Funk oder andere Kommunikationsmittel behandelt werden.

3. „Eine Ärztin oder ein Arzt“ (…) „unmittelbar“

Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 MBO-Ä ist zu gewährleisten, dass auch bei telemedizinischen Verfahren ein Arzt den Patienten unmittelbar behandelt. Als „unmittelbar“ wird in diesem Zusammenhang verstanden, wenn die Erkennung oder Behandlung von krankhaften Zuständen oder Beschwerden auf eigenen, unmittelbaren Wahrnehmungen des Arztes, regelmäßig durch eine persönliche körperliche Untersuchung des Patienten, beruht. Dabei ist die Wahrnehmung durch alle fünf Sinne gemeint. Dies setzt die gleichzeitige Anwesenheit von Arzt und Patient voraus. Eine Beschränkung, etwa auf die akustischen und verbalen Eindrücke, wird den Anforderungen an die gebotene ärztliche Sorgfaltspflicht nicht gerecht.

Für die Zulässigkeit nach § 7 Abs. 4 MBO-Ä genügt es, dass bei der „individuellen ärztlichen Behandlung“ unter Einsatz von telemedizinischen Diensten mindestens ein unmittelbar behandelnder Arzt beteiligt ist. Das bedeutet, dass mehrere Ärzte in die Behandlung eingebunden sein können, ohne dass bei diesen ein unmittelbarer Patientenkontakt gegeben sein muss.

III § 9 Heilmittelwerbegesetz

Anknüpfend an § 7 Abs. 4 MBO-Ä regelt § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG), dass eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht (Fernbehandlung), unzulässig ist.

Verboten wird mit der Vorschrift die Werbung für eine Fernbehandlung und nicht die Fernbehandlung als solche. Es genügt hierfür beispielsweise die Aufforderung, eigene Krankheiten schriftlich mit der Ankündigung einer Beratung auf dieser Grundlage mitzuteilen. Unzulässig sind telefonische Beratungen in konkreten Krankheitsfragen und allgemeine Angebote medizinischer Auskünfte am Telefon, weil der Gesprächspartner dies als Werbung für eine Fernbehandlung verstehen wird, sowie Behandlungs- und Beratungsangebote in Internetforen. Da eine Behandlung einen individuellen Krankheitsfall voraussetzt, genügt die bloße Empfehlung eines bestimmten Mittels für eine abstrakt benannte Krankheit nicht.

Die Fernberatung bei der Verhütung von oder Vorbeugung gegen Krankheiten wird nicht von § 9 HWG erfasst.

IV Anwendung auf Modelle telemedizinischer Patientenversorgung

Die telemedizinischenVersorgungsmodelle werden in  Abb. 1 bis Abb. 3 erläuter. Die Modelle wurden von der Arbeitsgruppe Telemedizin der Bundesärztekammer erarbeitet und beschreiben schematisch unterschiedliche Gruppen telemedizinischer Methoden. Unterscheidungsmerkmale der Modelle sind die handelnden Akteure, die Art der Interaktion zwischen diesen im Hinblick auf die medizinische Versorgung der Patienten und die räumliche Trennung der Akteure untereinander.

Den beschriebenen Modellen liegt die folgende Definition des Begriffs Telemedizin zugrunde: Telemedizin ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt.

Literatur

Bartmann FJ, Blettner, M, Heuschmann U (Hrsg.): Telemedizinische Methoden in der Patientenversorgung. In: Fuchs C, Kurth BM, Scriba PC (Reihen-Hrsg.): Report Versorgungsforschung. Köln: Deutscher Ärzteverlag

    Info

    Unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen im Themengebiet kann der Begriff eHealth folgendermaßen gegliedert werden:

    Weitere Infos

    Aufbereitet von

    Dr. med. Annegret Schoeller

    Bereichsleiterin im Dezernat 1

    Versorgung und Bevölkerungsmedizin

    Bundesärztekammer

    Herbert-Lewin-Platz 1

    10623 Berlin

    annegret.schoeller@baek.de

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