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Verhütung von Unfällen im Heim- und Freizeitbereich

Einführung in das Thema

Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2016) sind 10,6 % aller Arbeitsunfähigkeitstage von Unternehmen auf verletzungsbedingte, also durch Unfälle verursachte Abwesenheit, zurückzuführen. Ein Großteil dieser Unfälle ereignet sich außerhalb der Arbeit. Hierbei stellt sich die Frage, ob Unternehmen ihre Präventionsmaßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen auch auf den Privatbereich der Mitarbeiter erweitern könnten und wie dabei vorzugehen ist.

Statistische Erkenntnisse zu Unfällen

Jährlich sterben in Deutschland etwa 2700 Personen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren durch Heim- und Freizeitunfälle, 2300 Personen durch Verkehrsunfälle und 300 Personen durch Arbeitsunfälle. Anhand dieser Zahlen lässt sich Folgendes ableiten: Wenn ein Mensch im arbeitsfähigen Alter unfallbedingt verstirbt, ist dies am wahrscheinlichsten außerhalb der Arbeit geschehen ( Abb. 1).

Unabhängig von den Verletzungen, die tödlich enden, haben auch nichttödliche Unfälle einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitsunfähigkeit. Vor verletzungsbedingten Ausfällen (10,6 %) sind entsprechend den Auswertungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2016) lediglich psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen (11,6 %), Krankheiten des Atmungssystems (13,1 %) und Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes (23,1 %) für mehr Arbeitsunfähigkeitstage verantwortlich. Betrachtet man die verlorenen Erwerbsjahre durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und vorzeitigem Tod, werden die Folgen von Unfällen noch deutlicher und die Notwendigkeit geeigneter Maßnahmen ersichtlich ( Abb. 2). Mit über 800 000 verlorenen Erwerbsjahren pro Jahr in Deutschland stehen Unfälle auf dem undankbaren Platz eins dieser Statistik. Bedenkt man, dass sich der Großteil der Unfälle außerhalb der Arbeit ereignet, wird auch ein betriebliches Interesse zur Heim- und Freizeitunfallverhütung deutlich.

Gesetzeslage

In Deutschland haben gemäß § 14 Sozialgesetzbuch VII, die Unfallversicherungsträger als „Partner“ der Unternehmen den Auftrag, Arbeitsunfällen präventiv entgegenzuwirken. Die Grenze der Verantwortung wird bei den Unfällen auf dem Weg zur Arbeit gezogen, wobei man diese bereits als eine Verbindung zwischen Privat- und Arbeitsbereich ansehen kann. Durch den § 20a im Sozialgesetzbuch V „Betriebliche Gesundheitsförderung“ haben speziell Krankenkassen die Aufgabe, Leistungen zur Gesundheitsförderung zu erbringen. Eine Organisation, die gesetzlich dazu beauftragt wurde, fokussiert Privatunfällen entgegenzuwirken, gibt es in Deutschland nicht.

Die Europäische Union (2007) verweist in der Empfehlung des Rates zur Prävention von Verletzungen und zur Förderung der Sicherheit (2007/C 164/01) darauf, dass die bisher wenig berücksichtigten Bereiche Heim-, Freizeit- und Sportunfälle in Zukunft mehr Aufmerksamkeit finden sollten. Die in den anderen sicherheitsrelevanten Bereichen erzielten Fortschritte im Straßenverkehr und am Arbeitsplatz, sind unabhängig davon weiterzuführen.

Praxiserprobung der betrieblichen Privatunfallverhütung

Die betriebliche Privatunfallverhütung wurde als Pilotprojekt an einem deutschen Standort von Volkswagen erprobt und evaluiert. Dabei wurde folgendermaßen vorgegangen:

Neben bereits vorhandenem Wissen zur betrieblichen Privatunfallverhütung war es ein Ziel, auch nicht systematisch erfasste Erkenntnisse zu integrieren. Dazu wurden im europäischen Raum elf Interviews mit Experten auf dem Gebiet der Heim- und Freizeitunfallverhütung geführt. Experteninterviews haben nach Keuneke (2005) den Vorteil, dass durch die qualitative Datenerfassung mit sehr vielfältigen Antworten gerechnet werden kann, wodurch wiederum reichhaltige Erklärungen auf die verschiedenen Fragestellungen gefunden werden konnten. Bei dieser qualitativen Erhebung hat sich herausgestellt, dass es acht Umsetzungsschritte für eine Etablierung der betrieblichen Privatunfallverhütung gibt, die wie folgt umgesetzt wurden:

  1. Die Unterstützung der Unternehmensleitung wurde eingeholt.
  2. Verantwortlichkeiten wurden festlegt und Ressourcen zur Verfügung gestellt.
  3. Führungskräfte und Betriebsrat wurden einbezogen.
  4. Interne Partner (Arbeitssicherheit/Gesundheitswesen) und externe Partner (z. B. Krankenkassen) wurden einbezogen.
  5. Die Mitwirkung wurde ermöglicht (Gesprächsrunden/Mitarbeiterbefragung).
  6. Innerbetriebliche Schwerpunkte wurden anhand interner und externer Statistiken definiert.
  7. Eine Verbindung zu vorhandenen Strukturen wurden hergestellt (Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements und Arbeitsschutzes).
  8. Ein systematischer Maßnahmen- und Kommunikationsplan wurde aufgestellt.

Die Zuständigkeit kann je nach Unternehmensorganisation individuell festgelegt werden. Beispielsweise könnten die Aufgaben von Abteilungen, die den Arbeitsschutz oder das Gesundheitsmanagement koordinieren, erweitert werden. In großen Unternehmen sind auch eigene Abteilungen für das Thema vorstellbar. Am evaluierten Standort von Volkswagen erfolgte die Umsetzung der Privatunfallverhütung durch die Abteilung Arbeitssicherheit.

Zur Evaluierung des Forschungsthemas wurden unter anderem eine Erst- und eine Zweitbefragung durchgeführt. Zwischen den beiden Befragungen gab es verschiedene Maßnahmen gegen Privatunfälle.

Maßnahmen gegen Privatunfälle

Versucht man im klassischen Arbeitsschutz Gefährdungen primär an der Quelle zu beseitigen, ist dies im Freizeitbereich der Mitarbeiter nur eingeschränkt möglich, da keine Überprüfungs- oder Kontrollmöglichkeit in der Privatsphäre der Mitarbeiter besteht. Trotzdem lässt sich die fünfstufige Maßnahmenhierarchie des Arbeitsschutzes auch auf die Privatunfallprävention anwenden. Der Infokasten zeigt exemplarische Beispiele auf.

Ein Fokus bei der Findung von Schwerpunktthemen wurde neben der statistischen Relevanz des Themas darauf gelegt, dass sich Unfälle in vielen Lebensbereichen ereignen können. Stürze können beispielsweise auf der Arbeit, im Straßenverkehr und im Heim- und Freizeitbereich geschehen. Diese Kombinationen sind eine ideale Basis, um wirkungsvolle Kampagnen als Unternehmen durchzuführen ( Abb. 3).

Zwischen der Arbeits- und Privatunfallverhütung bestehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Es existieren ähnliche Gefährdungen und Schutzmaßnahmen, sicherheitsbewusste und sicherheitswidrige Einstellungen wirken sich auf alle Lebensbereiche aus, Unfälle haben ähnliche Folgen (z. B. plötzlicher Mitarbeiterausfall) und die Bereiche verschmelzen zunehmend miteinander (z. B. Home-Office). Im Gegensatz dazu sind die Vorschriften im Arbeitsschutz viel ausgeprägter als im Privatbereich (z. B. Prüfung von Leitern). Zuhause wird seltener persönliche Schutzausrüstung verwendet als in Unternehmen und eine weitere Reduzierung von Arbeitsunfällen ist schwer möglich, bei Privatunfällen besteht ein großes Potenzial.

Neben der Nutzung der Maßnahmenhierarchie des Arbeitsschutzes und der Fokussierung auf die Schnittmengen der Arbeits- und Privatunfälle wurde eine Zielgruppenorientierung angestrebt. So ist es beispielsweise nicht sinnvoll, in einem Unternehmen, in dem nur ältere Frauen arbeiten, über Fußballunfälle zu kommunizieren, selbst wenn beim Fußball die häufigsten Sportunfälle der Allgemeinbevölkerung geschehen. Die vorhandenen Statistiken sind insbesondere bei Unternehmen genauer zu hinterfragen, wo die Mitarbeiter von der Standardbevölkerung abweichen. Auch eine Anpassung der Art der Kommunikation ist empfehlenswert. Bei Volkswagen wurden die Informationen zur Unfallverhütung tendenziell stärker auf Männer ausgerichtet, da diese üblicherweise im Automobilsektor die Mehrheit der Belegschaft stellen.

Als relevanzsteigernder Faktor wurden individuelle Unternehmensspezifika einbezogen. Neben den belegschaftsbezogenen Daten wurden mittels einer Mitarbeiterbefragung die Interessen abgefragt. Informationen zur Verhütung von Privatunfällen der folgenden Bereiche waren für die Mitarbeiter besonders interessant: Sport und Freizeit, Verkehr, Garten, Fahrrad, Handwerken und Elektrounfälle.

Weiterhin wurden bei der Festlegung von Maßnahmen die Lebensumstände der Belegschaft einbezogen. Wenn ein Unternehmen beispielsweise im Niedriglohnsektor tätig ist, ist es nur bedingt zweckmäßig, Empfehlungen für gute und teure private Maschinen (z. B. Haushaltsgeräte, Werkzeuge) auszusprechen, denn den Mitarbeitern fehlt gegebenenfalls das Geld, um sich diese leisten zu können. Auch ob die Belegschaft aus dem ländlichen oder städtischen Bereich kommt, lässt sich den Lebensumständen zuordnen.

Ein weiterer Punkt, um die Relevanz zu steigern, bestand darin, zeitpunktabhängig abzuwägen, welche Informationen zur Jahreszeit oder auch zu bestimmten Veranstaltungen passen. Als Auswahl wurden im Winter Unfälle beim Wintersport, im Frühling Unfälle beim Frühjahrsputz, im Sommer Fahrradunfälle und im Herbst der Einfluss der Sichtbarkeit auf das Unfallgeschehen als Schwerpunktthemen angesetzt.

Nachhaltigkeit konnte dadurch erreicht werden, dass die Kampagnen regelmäßig angeboten, langfristig geplant und regelmäßig variiert wurden. Für die Dauer, wie lange Einzelkampagnen bei der betrieblichen Privatunfallverhütung durchgeführt werden sollten, existieren keine empirisch hinterfragten Empfehlungen. Themen könnten monatlich, quartalsweise oder jährlich variiert werden. Bei Volkswagen hat sich die monatliche Variation der Themen als gut geeignet herausgestellt.

Bei langfristigen Einzelkampagnen ist wichtig, dass immer wieder neuer Input gegeben wird, da die Hinweise stetig ins Bewusstsein zurück gerufen werden. Die Risikokommunikation sollte dabei nach Fischhoff (2011) und Wiedemann (2014) sachlich richtig und objektiv sein, also auf wissenschaftlichen Belegen fundiert sein. Informationen sind so zu gestalten, dass sie die Nutzer erreichen, die die Inhalte verstehen können und relevante Informationen für zukünftige Entscheidungen vermittelt bekommen. Problematisch bei der Risikokommunikation ist, dass laut einer Studie von Pelikan et al. (2012) etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung Probleme damit hat, Gesundheitsschutz- und Unfallpräventionsinformationen zu erhalten, zu interpretieren und zu nutzen. Ein weiteres Problem bei der Risikokommunikation ist nach Ruddat et al. (2007), dass Personen zwar interessiert an Informationen zur Risikoreduzierung sind, die Bereitschaft, sich damit zu beschäftigen, allerdings eher gering ist. Je höher jedoch die Risikokompetenz ist, desto größer ist die Bereitschaft, sich mit Risikominimierung auseinanderzusetzen. Hier ergibt sich eine besondere Möglichkeit für Unternehmen, da diese belegschaftsbezogene Informationen so aufbereiten können, dass die Informationen verstanden werden und somit die Risikokompetenz nach und nach gestärkt wird.

Kampagnengestaltung

Bei Volkswagen wurde wie folgt über die Unfallgefahren im Privatbereich berichtet. Als Erstes wurde allgemein über die Gefahren der Heim- und Freizeitunfälle informiert, wobei folgende Kommunikationsmedien verwendet wurden:

  • Durch die Auslage und Verteilung eines allgemeinen Informationsblattes per E-Mail an alle Mitarbeiter wurde gewährleistet, dass jeder einzelne Mitarbeiter von den Kampagnen erfährt. Die Informationsblätter bestanden aus einer Schilderung, wie gefährlich Heim- und Freizeitunfälle sind. Bei den nachfolgenden Schwerpunktthemen wurde die Schilderung um eine Checkliste ergänzt, wie man sich verhalten kann, damit es nicht zu Unfällen kommt.
  • Per Intranetartikel wurden weiterführende Links zu vertiefenden Quellen angegeben.
  • Der Film „Napo in … Sicherheit bei und außerhalb der Arbeit“ von Via Storia (2009) wurde an zentralen Monitoren als Blickfang für das Thema abgespielt. Durch dies wurde zusätzlich die Ähnlichkeit zwischen Arbeits- und Privatunfällen aufgezeigt.
  • Durch die Auslage der Broschüre „Mit Sicherheit den Alltag meistern“ von der Aktion DAS SICHERE HAUS e. V. und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2010) hatten interessierte Mitarbeiter die Möglichkeit, sich näher mit den Unfallschwerpunkten zu beschäftigen. Gleichzeitig wurde bei jedem Schwerpunktthema analysiert, wie viele Broschüren entnommen wurden, um das Interesse für bestimmte Themen ableiten zu können.

Im Folgemonat wurde das Thema allgemeine Verkehrsunfälle aufgegriffen. Hierbei wurden gleichartige Kommunikationsmedien genutzt. Als Besonderheit hatten die Mitarbeiter die Möglichkeit, an einem Gewinnspiel des Deutschen Verkehrssicherheitsrats e. V. teilzunehmen. Zu Beginn der Wintermonate wurde aufgrund des erhöhten Risikos von Unfällen durch Glätte das Thema „Sturz- und Stolperunfälle“ aufgegriffen. Als spezielle Aktion wurde mittels eines Stolperparcours, der verschiedene Sturzschwerpunkte greifbar aufzeigt, jedem Mitarbeiter das Thema anschaulich nahe gelegt. Bei dem Thema ließen sich sehr gut die Gemeinsamkeiten von Arbeits- und Privatunfällen aufzeigen. In der Weihnachtszeit wurden die Brandgefahren thematisiert. Vor den Winterferien wurde auf die Gefahren beim Wintersport hingewiesen. Im Frühjahr wurden die Unfälle beim Frühjahrsputz aufgegriffen. Zu Beginn der Fahrradsaison wurden die Gefahren beim Radfahren aufgezeigt, insbesondre durch e-Bikes. Nachfolgend wurde über die Verletzungsgefahren durch Terroranschläge informiert, gefolgt von Unfällen durch Ablenkung und durch ungenügende Sichtbarkeit.

Bei den Schwerpunktthemen wurden jeweils gleichartige Kommunikationsmedien genutzt und es wurde versucht, die Verbindung von Arbeits-, Verkehrs- und Heim-/Freizeitunfällen herzustellen. Die Standardkommunikation erfolgte mittels folgender Medien: das Verteilen eines Informationsblattes, die Kommunikation per Intranet, das Abspielen eines Videos und das Auslegen von Broschüren. Bei einzelnen Themen wurden spezielle Aktionen durchgeführt. Beispielsweise wurde ein Gewinnspiel veranstaltet oder ein Stolperparcours genutzt.

Wirksamkeitsmessung

Eine Messung, inwiefern einzelne Maßnahmen dafür sorgen, dass sich weniger Unfälle ereignen, ist nur begrenzt möglich, da es aus Datenschutzgründen für Unternehmen nicht möglich ist, die individuellen Ursachen von krankheitsbedingter Abwesenheit zu erfahren. Trotzdem existieren Methoden, um die allgemeine Wirksamkeit der Privatunfallverhütung durch Unternehmen zu messen. Bei Volkswagen wurden folgende Methoden angewendet: Auswertung von Unfall- und Krankenstatistiken, Mitarbeiterbefragungen, Feedbacks aus Einzelkampagnen, Beteiligungen an Aktionen und entnommenes Informationsmaterial.

Vor Durchführung der Kampagnen und ein Jahr nach dem Start der Kampagnen wurden jeweils Befragungen durchgeführt. Kernfragen waren, wie gut sich die Mitarbeiter mit Informationen zur Verhütung von Unfällen außerhalb der Arbeit versorgt fühlen, wie die Mitarbeiter es finden würden, wenn ihr Unternehmen ihnen Informationen zur Verhütung von Unfällen außerhalb der Arbeit zur Verfügung stellen würde und ob die bisherigen Informationen ihres Unternehmens dabei helfen, auch außerhalb der Arbeit weniger Unfälle zu erleiden. Die Mitarbeiter fühlten sich zum Zeitpunkt der Zweitbefragung signifikant besser mit Informationen zur Verhütung von Unfällen außerhalb der Arbeit versorgt. Die Zahl der noch zur Erstbefragung vorhanden Skeptiker, die die Informationsbereitstellung durch Volkswagen sehr schlecht und schlecht fanden, konnte von 8 auf 5 Prozent gesenkt werden. Die Zahl, von Mitarbeitern, die der Informationskommunikation durch das Unternehmen aufgeschlossen gegenüberstanden, konnte von 11 auf 25 Prozent gesteigert werden. Dies zeigt, dass mögliche vorher noch vorhandene Vorbehalte der Mitarbeiter in Interesse umgewandelt werden konnten. Von ehemals 34 Prozent gingen zur Zweitbefragung nur noch 17 Prozent der Befragten davon aus, dass die Informationen schlecht oder sehr schlecht helfen, außerhalb der Arbeit weniger Unfälle zu erleiden. Der Anteil der Mitarbeiter, die sich gut bis sehr gut informiert fühlen, ist nur wenig gestiegen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass, je länger Kampagnen andauern und je mehr Unfallverhütungsinformationen zu den unterschiedlichen Fachthemen geboten werden, sich auch diese Statistik noch weiter verbessert. Schweiger und Fahr (2013) beschreiben, dass es ein langfristiger schleichender Prozess ist, bis Kampagnen die erwünschte Wirksamkeit erzielen. Je länger und stetiger die Medienkommunikation erfolgt, desto besser messbar sind die Effekte.

Neben der qualitativen Erhebung wurden auch die Gesundheitsberichte der Krankenkassen ausgewertet. Verglichen wurde dabei der verletzungsbedingte Krankenstand im Evaluierungszeitraum mit dem Zeitraum, bevor Mitarbeiter von Informationen über die Verhütung der Privatunfälle erhalten haben. Die verletzungsbedingten Arbeitsunfähigkeitstage konnten nahezu halbiert werden.

Beweggründe und Hemmnisse für Unternehmen

Eine Grundlage für die Art der Durchführung der Privatunfallverhütung am ausgewählten Standort bei Volkswagen waren die Ergebnisse von elf Experteninterviews. Die zusammengefassten Hauptergebnisse aus diesen werden nachfolgend dargestellt, um zu zeigen, welche Beweggründe Unternehmen für eine betriebliche Heim- und Freizeitverhütung haben:

  • Warum sollten Unternehmen Heim- und Freizeitunfallverhütung betreiben?

Die Umsetzbarkeit wird für Unternehmen mit funktionierenden Arbeits- und Gesundheitsschutzstrukturen als unkompliziert angesehen. Das Potenzial zur Reduzierung der Arbeitsunfähigkeit wird im Vergleich zu den anderen Krankheitsursachen als groß angesehen.

  • Welche organisatorischen Voraussetzungen sind notwendig?

Die Anwendung der betrieblichen Privatunfallverhütung ist nach Einschätzung der Experten nicht für jedes Unternehmen gleich gut geeignet. Zum einen sind gewisse organisatorische Grundlagen vorteilhaft, zum anderen besteht die Gefahr, dass Maßnahmen wirkungslos sind. Unternehmen sollten ein langfristiges Interesse an der Privatunfallverhütung haben. Bei ständig wechselnden Ansprechpersonen, vielen Umstrukturierungen oder wirtschaftlichen Notständen ist dies ein Hemmnis.

  • Welche Risiken der Wirkungslosigkeit bestehen?

Wirkungslos könnten Maßnahmen trotz alledem noch sein, wenn der Einfluss in die Privatsphäre zu gravierend ist und dadurch eine Abneigung der Mitarbeiter entsteht. Eine unzureichende Datenlage kann dazu führen, dass Themen aufgegriffen werden, die nicht sonderlich relevant sind. Die Kampagnen könnten im Vergleich zum klassischen Arbeitsschutz nicht so wirkungsvoll sein, da durch die Freiwilligkeit arbeitsrechtliche Konsequenzen ausgeschlossen sind.

Neben den fehlenden organisatorischen Voraussetzungen und den Risiken der Wirkungslosigkeit sehen die Experten den Hauptgrund darin, warum Unternehmen keine Privatunfallverhütung betreiben, in der fehlenden rechtlichen Verantwortung. Auch die Ungewissheit über die Wirksamkeit ist hinderlich. Vielen Unternehmen sind die betrieblichen Auswirkungen durch Unfälle nicht bewusst oder sie empfinden das Thema als zu komplex.

Fazit

Privatunfallprävention wird bisher in Deutschland selten durchgeführt, obwohl verschiedene Statistiken zeigen, dass Unternehmen ein erheblicher Schaden durch verletzungsbedingt fehlende Mitarbeiter entsteht. Trotz, dass grundlegende, organisatorische Verantwortlichkeiten im Vergleich zur Arbeitsunfallprävention nicht gesetzlich festgelegt sind, ist es aus rein wirtschaftlicher Sicht sinnvoll Mitarbeiterunfällen außerhalb der Arbeit entgegenzuwirken. An der Evaluierungsstudie bei Volkswagen ist zu erkennen, dass durch geeignete Maßnahmen das Verletzungsgeschehen im Privatbereich der Mitarbeiter gesenkt werden kann. Wichtig ist strukturiert und nachhaltig vorzugehen und Maßnahmen zu priorisieren, die über alle Lebensbereiche hinweg den größten Nutzen erzielen.

Interessenkonflikt: Der Autor promoviert zurzeit in der Industrie als Doktorand der Volkswagen Sachsen GmbH. Er wird wissenschaftlich betreut von Prof. Martin Schmauder von der TU Dresden (Doktorvater).

Literatur

Amtsblatt der Europäischen Union: Empfehlung des Rates zur Prävention von Verletzungen und zur Förderung der Sicherheit (2007/C 164/01). Brüssel: Europäische Union, 2007.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – baua (Hrsg.): Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2015. Dortmund, Berlin, Dresden: baua, 2016.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – baua (Hrsg.): Unfalltote und Unfallverletzte 2015 in Deutschland. Dortmund: baua, 2017.
Statistisches Bundesamt - Destatis: Todesursachenstatistik 2015. Wiesbaden: Destatis, 2017.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und der Aktion DAS SICHERE HAUS e. V. (2010): Mit Sicherheit den Alltag meistern. Dortmund: Aktion DAS SICHERE HAUS, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
Fischhoff, B. (2011): Communicating risks and benefits: an evidence-based user's guide. New Hampshire: US Department of Health and Human Services.
Keuneke, S. (2005): Qualitatives Interview. In C. Mikos, & C. Wegener, Qualitative Medienforschung: Ein Handbuch (S. 254- 267). Konstanz: UVK.
Pelikan, Jürgen M.; Röthlin, Florian; Ganahl, Kristin (2012): Comparative report on health literacy in eight EU member states. The European Health Literacy Project 2009–2012. HLS-EU Consortium.
Ruddat, M., Sautter, A., & Renn, O. (2007): Operationalisierung des Leitbildes Risikomündigkeit unter Berücksichtigung von Lebensstil und Wertorientierung als Grundlage für die Risikokommunikation im Strahlenschutz. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Schweiger, W., & Fahr, A. (2013): Handbuch Medienwirkungsforschung. Wiesbaden: Springer. Via Storia (2008): Napo in ... Sicherheit bei und außerhalb der Arbeit (https://www.napofilm.net/de/napos-films/napo-safety-in%E2%80%A6-and-outside-work).
Wiedemann, P. (2014): Differentielle Risikokommunikation - Es kommt nicht nur auf das Risiko an. Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie, S. 309-314.

    Info

    Maßnahmen zur Unfallprävention im Privatbereich

    • Gefahrenquelle vermeiden oder beseitigen: Angebot eines Fahrzeug- und Fahrradchecks, Einstellung der Skibindungen
    • Sicherheitstechnische Maßnahmen: Präsente mit Sicherheitsfunktionen verschenken (z. B. Brandmelder, Fahrradhelm, Kindersicherheitsset)
    • Organisatorische Maßnahmen: Verleih von Werkzeugen und Hebehilfen (z. B. für Umzüge), Beratungsangebote
    • Nutzung persönlicher Schutzausrüstung: Verkauf von persönlicher Schutzausrüstung
    • Verhaltensbezogene Maßnahmen: Informationsmaterial über Unfallpräventionsmöglichkeiten bereitstellen, Unterweisungen erweitern, Schulungen anbieten, Sicherheitstage veranstalten

    Weitere Infos

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA (Hrsg.): Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2015. Dortmund, Berlin, Dresden: BAuA, 2016

    https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2015.pdf?__blob=publicationFile&v=3

    Statistisches Bundesamt – Destatis: Todesursachenstatistik 2015. Wiesbaden: Destatis, 2017

    https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Todesursachen/Todesursachen2120400157004.pdf;jsessionid=D5F5C9E184A5C9DD81DEBD9887E9A18A.cae1?__blob=publicationFile

    Autor

    Lars Klein

    Sicherheitsingenieur/Doktorand

    Volkswagen Sachsen GmbH

    lars.klein@volkswagen.de

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