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Werks- und Betriebsärzte entdecken Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherung (WeB-Reha)

Die Ausgangslage

Werksärzte berichteten in der Vergangenheit, dass Beschäftigte mit einer entsprechenden Bescheinigung nach einem Hausarztbesuch oder auch nach Durchführung einer Reha-Leistung bei ihnen vorsprachen, um über den Werksarzt einen leidensgerechten Arbeitsplatz einzufordern. Nicht nur dass der Werksarzt häufig überrascht davon war, dass der Beschäftigte ohne sein Wissen eine Reha-Leistung durchgeführt hatte, ihm waren durch die betrieblichen Rahmenbedingungen auch häufig die Hände gebunden, wenn es um die Erfüllung entsprechender Wünsche ging.

Ein Durchschnittsalter von über 45 Jah-ren und Anteile der „Über-50-Jährigen“ mehr als 30 % sind in gewachsenen deutschen Be-trieben keine Seltenheit. Der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit unter dem Gesichts-punkt einer Win-win-Situation für Mitarbei-ter, Unternehmen und Rentenversicherung ist daher zunehmend eine Herausforderung. Aber auch altersunabhängige Leistungswandlung, verminderte Produktivität durch Chronifizierung von Erkrankungen und Ver-lust von Know-how durch vorzeitiges Ausscheiden oder Berentungen beeinflussen ent-scheidend die Kostensituation und Wettbewerbsfähigkeit.

Das Potenzial der Arbeitsmedizin, das in seiner besonderen Stellung im Betrieb, den Kenntnissen über die Anforderungen des Arbeitsplatzes, der vertrauensbasierten Beziehung und Bindung zu Beschäftigten und Führungskräften besteht (vgl. Hess-Gräfenberg 2015), macht die Werks- und Betriebsärzte zu einem bedeutenden Part-ner für die Rentenversicherung.

Die Leistungen der Rentenversicherung erweisen sich zunehmend als effektives Mittel zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Da-bei steht nicht mehr ausschließlich die Vermeidung einer vorzeitigen Berentung im Vordergrund. Vielmehr richten sich die Leistungen der Rentenversicherung daran aus, Beschäftigte zu befähigen, für sich und ihre Familien selbst zu sorgen. Und zwar auch solche mit vorhandenen Leistungsminderungen. Ein vorhandener Arbeitsplatz und die Aussicht, dessen Anforderungen auch in den nächsten Jahren noch gewachsen zu sein, stellen hierbei maßgebliche Voraussetzungen dar. Die enge Verzahnung zwischen Unternehmen und der Deutschen Rentenversicherung mit ihrem Leistungsspektrum beweist sich dabei als ein wesentliches Element.

Akute oder chronische Erkrankungen sind häufig die Ursache dafür, dass Beschäftigte den Belastungen an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr gewachsen sind. Vor einer beruflichen Neuorientierung bietet eine medizinische Rehabilitation häufig die Möglichkeit, ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern.

Die arbeitsplatzspezifische Rehabilita-tion will die Beschäftigten dabei in besonde-rer Weise darin unterstützen, die speziellen Anforderungen ihres Arbeitsplatzes besser bewältigen zu können. Hierzu ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass die am Reha-Prozess Beteiligten eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.

Um Informationsdefizite in Bezug auf die Arbeitspatzanforderungen und die Fähigkeiten des Beschäftigten im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe zu überwinden, hat die Deutsche Rentenversicherung Rheinland gemeinsam mit der Ärztekammer Nord-rhein das Projekt WeB-Reha initiiert. WeB-Reha steht dabei sowohl für „Werks- und Betriebsärzte in Kooperation mit der Deutschen Rentenversicherung Rheinland als Reha-Leistungsträger“ als auch für eine vernetzte Zusammenarbeit zwischen den Betroffenen. Von dieser intensiven Zusam-menarbeit zwischen den Beschäftigten, den Werks- und Betriebsärzten der Unterneh-men, dem Behandlungsteam in den Reha-Kliniken und der Deutschen Rentenversiche-rung Rheinland profitieren alle Beteiligten. Das Ziel ist es, eine möglichst dauerhafte Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten des Menschen zu erreichen.

Grundlagen der Zusammenarbeit

„Werks- und Betriebsärzte sowie Rehabilitationsträger sollen bei der Einleitung und Durchführung von Rehabilitations-Leistun-gen eng zusammenarbeiten.“ Das ist eine der wesentlichen Zielsetzungen der „Gemeinsamen Empfehlung zur Erkennung und Feststellung des Teilhabebedarfs, zur Teilhabeplanung und zu Anforderungen an die Durchführung von Leistungen zur Teilhabe (Reha-Prozess) gemäß §§ 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 13 Abs. 2 Nr. 2, 3, 5, 8 und 9 SGBIX vom 1. August 2014, die auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) erarbeitet wurde.

„Die danach gewünschte Einbindung kann und muss in beide Richtungen gehen; einerseits müssen die genannten Ärzte die Rehabilitationsträger vor allem über not-wendige Leistungen zur Teilhabe unterrichten; andererseits haben die Rehabilitationsträger ein Interesse daran, die genannten Ärzte durch Weitergabe der verfügbaren In-formationen und Hinweise bei ihren Aufgaben zu unterstützen“ (Dau et al. 2014).

Diese Empfehlung schafft die Grundlage dafür, dass die Rehabilitationsträger und Betriebs- und Werksärzte ihre Zusam-menarbeit bei der Einleitung und Ausführung von Leistungen zur Teilhabe intensivieren.

Entsprechend der Verpflichtung aus § 13 Abs. 2 Nr. 8 SGBIX binden die Rehabili-tationsträger die Betriebsärzte in die Ein-leitung von Leistungen zur Teilhabe ein (s. auch „Weitere Infos“: Gemeinsame Empfehlung „Reha-Prozess“).

Die Vermittlung leistungsadäquater Arbeitsplätze für Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Einschränkungen gehört zu den wichtigsten Schwerpunkten der betriebsärztlichen Tätigkeit. Aus gesetzlicher Perspektive heraus betrachtet ist der Betriebs-arzt bereits seit 1973 gemäß § 3 ASIG verpflichtet, den Arbeitgeber in Fragen des Arbeitsplatzwechsels sowie der Eingliederung und Wiedereingliederung Leistungsgeminderter in den Arbeitsprozess zu beraten. Wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration ist die Entsprechung von verbleibenden Fähigkeiten der Beschäftig-ten und den Anforderungen ihrer Arbeitsplätze. Eine bessere Verzahnung von Gesundheitsdienstleistungen (der Rentenver-sicherung) und dem betrieblichen Geschehen lassen eine höhere persönliche Zufriedenheit bei den Beschäftigten und eine verbesserte berufliche Wiedereingliederung sowie darüber hinaus Qualitätssicherung und Kostenreduzierung erwarten.

Ein unbefriedigender Informationsfluss zwischen Betriebsarzt, Hausarzt, Reha-Arzt und Kostenträger der Rehabilitationsleistung führt nicht selten zu ungezielten Rehabilita-tionsleistungen mit nachfolgendem Fehleinsatz am Arbeitsplatz oder nicht durchgeführten notwendigen Veränderungen des Arbeitsplatzes, zu kostenintensiver Umschulung statt betriebsinterner Umsetzung und zu Berentungen trotz Durchführung aufwändiger Rehabilitationsleistungen. Um diesen Fehlentwicklungen vorzubeugen, wurde das WeB-Reha-Verfahren entwickelt.

Inhalte der Zusammenarbeit

Die Werks- und Betriebsärzte sind nicht allein durch die im § 3 des ASIG definierten Aufgaben, sondern auch durch ihre arbeitsmedizinische Orientierung und ihre Kenntnisse über die konkreten Arbeitsplatzbedingungen für die Rentenversicherungsträger wichtige Partner im Rehabilitationsprozess. Durch arbeitsmedizinische Vorsorge, Begehungen von Arbeitsplätzen, Gesundheits-berichte, betriebliche Screenings sowie die Einbeziehung in das betriebliche Fehlzeiten- und Integrationsmanagement stehen ihnen eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, aus deren Nutzung und Interpretation sich Reha-Bedarf für die Beschäftigen ableiten lässt.

Bei entsprechendem Interesse des Beschäftigten bespricht der Werks-/Betriebs-arzt mit dem Beschäftigten die Möglichkei-ten und Chancen einer arbeitsplatzbezoge-nen Rehabilitation. Stimmt der Beschäftigte zu und erklärt sich mit einer engen Koope-ration zwischen Werks-/Betriebsarzt und der Reha-Einrichtung einverstanden, so stellt er gemeinsam mit dem Werks-/Betriebsarzt einen Reha-Antrag. Hierzu werden neben dem allgemeinen Antragsformular ein spezieller Befundberichtsvordruck wie auch ein Einverständnisformular genutzt. Der vom Werks-/Betriebsarzt zu erstellende Befundbericht enthält neben Angaben zu den gesundheitlichen Problemen ebenfalls eine Abfrage zu den speziellen Arbeitsplatzan-forderungen. Verfügt der Werks-/Betriebsarzt über Anforderungsprofile der einzelnen Arbeitsplätze oder nutzt er Assessmentinstrumente (IMBA, WAI, EFL etc.), so fügt er die Informationen hieraus den Antragsunterlagen bei. Seitens des Beschäftigten ist ein Selbsteinschätzungsbogen beizufügen, in dem Fragen beantwortet werden, die einen Eindruck darüber geben, wie sich Gesundheitsstörungen oder Beschwerden im Alltag und im Berufsleben auswirken.

Auf der Grundlage dieser Unterlagen ent-scheidet die Deutsche Rentenversicherung Rheinland für ihre Versicherten über die Reha-Leistung. Über das Ergebnis wird der Beschäftigte und der Werks-/Betriebsarzt informiert. Die ausgewählte Reha-Einrichtung erhält die Angaben zu dem Gesundheits-status und zu den Arbeitsplatzanforderungen des Beschäftigen.

Die arbeitsplatzspezifische Reha wird in einer stationären oder ganztägig ambulanten Reha-Einrichtung durchgeführt. Hier-bei wird das Reha-Team der Reha-Klinik bei Rückfragen zu den Arbeitsplatzanforderungen oder zu den Eingliederungsmöglichkeiten im Betrieb, z. B. im Rahmen einer stufenweise Wiedereingliederung, Kontakt mit dem Werks-/Betriebsarzt aufnehmen. Dies soll jedoch keine Info-Einbahnstraße darstellen: aktive Kontaktaufnahmen durch die Werks- und Betriebsärzte – legitimiert durch die Einverständniserklärung des Beschäftigten – sind im Verfahren durchaus erwünscht.

Nach der Rehabilitation wird der Werks-/Betriebsarzt von der Reha-Einrichtung über den Verlauf und die Ergebnisse informiert. Er unterstützt den Beschäftigten im Rahmen seiner Möglichkeiten bei der betrieblichen Wiedereingliederung. Sind weitere Leistungen am Arbeitsplatz oder im Hinblick auf eine berufliche Neuorientierung notwendig, schaltet sich – teilweise auch noch während des Reha-Aufenthaltes – der Reha-Fachberater der Deutschen Rentenversicherung Rheinland ein.

Ein halbes Jahr nach der Reha-Leistung erkundigt sich die Reha-Einrichtung beim Werks-/Betriebsarzt, ob mit der Reha ein nachhaltiger Erfolg verbunden war.

Erfahrungen

Über das Verfahren wurden bisher in etwa 2000 Anträge auf medizinische Reha-Leistungen von Werks- und Betriebsärzten in Zusammenarbeit mit den Beschäftigten gestellt. Die Ablehnungsquote liegt bei unter 10 %. In 89 % der Fälle erfolgt innerhalb von weniger als 21 Tagen eine Entscheidung über den Antrag. Bei den Indikationen haben die Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates mit einem Anteil von über 50 % den höchsten Anteil. Lagen psychosomatische Erkrankungen vor zwei Jahren noch bei einem Anteil von rund 22 %, liegen sie mittlerweile bei 27 %. Hier ist weiterhin eine steigende Tendenz zu beobachten.

Die Auswertung eines großen Unternehmens der Automobilindustrie zeigte auf, dass in den Fällen, in denen eine Leistung über das WeB-Reha-Verfahren initi-iert worden ist, der Zeitraum zwischen Ende der Leistung und der vollschichtigen Arbeitsaufnahme im Durchschnitt ca. 17 Tage betrug. Im Vergleich hierzu betrug dieser Zeitraum in den Fällen, in denen der Werks- und Betriebsarzt nicht in das Verfahren einbezogen wurde rund 52 Tage. Diese we-sentliche Verkürzung begründen die Betei-ligten damit, dass die Versicherten über das WeB-Reha-Verfahren wesentlich besser vor-bereitet in die Reha-Leistung gehen, aufgrund der Kenntnis über die Arbeitsplatz-anforderungen eine gezieltere Rehabilitation möglich ist und ein gemeinsames Verständ-nis von Reha-Klinikern und Arbeitsmedizinern zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung vorhanden ist.

Die Vorteile und der Nutzen der Zusammen-arbeit lassen sich aus Sicht der Beteiligten wie folgt zusammenfassen:

  • frühzeitige Identifikation von Bedarfen (Prävention/Rehabilitation),
  • gute medizinische Sachaufklärung,
  • Möglichkeit des Abgleichens von Anforderungs- und Fähigkeitsprofilen,
  • gemeinsames Verständnis von sozialmedizinischen Anforderungen,
  • Therapieschwerpunkte durch Austausch zwischen Werks-/Betriebsarzt und Reha-Arzt,
  • Möglichkeit der Rückmeldungen zum positiven Leistungsvermögen in Kenntnis der betrieblichen Rahmenbedingungen durch Reha-Ärzte,
  • Nachhaltige, fähigkeitsgerichtete (Wieder-)Eingliederung (auch unter evtl. Nut-zung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben),
  • Feedback der Werks-/Betriebsärzte zum Reha-Erfolg an die Reha-Einrichtungen (hiermit Möglichkeit eines kontinuier-lichen Verbesserungsprozesses).

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Initiativen begonnen, in denen Rehabilitation und Arbeitswelt näher zusammenrücken. So bestehen z. B. zahlreiche Kooperatio-nen zwischen Rentenversicherung, Arbeitsschutzbehörden, Arbeitgeberverbänden so-wie Klein-, Mittel- und Großbetrieben – und hier insbesondere ihren Werks- und Betriebsärzten sowie betrieblichen Sozialdiensten – bei der Identifikation, Behandlung und Eingliederung von Versicherten mit psychischen Erkrankungen.

Das WeB-Reha-Verfahren ist für alle Ver-sicherten in Nordrhein-Westfalen anwend-bar. Ähnliche bzw. vergleichbare Verfahren wurden beispielsweise auch von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württem-berg (B.Ä.R.) und Braunschweig-Hannover (JobReha) initiiert.

Weitere WeB-Reha-Informationen sowie entsprechende Unterlagen für die Antragsstellung sind sowohl über das Internet ( www.web-reha.de ) als auch die Telefon-Hotline (0 18 02 / 93 27 32) erhältlich.

Zum Verfahren ist ebenfalls eine Informationsbroschüre der Deutschen Rentenversicherung Rheinland und der Deutschen Rentenversicherung Westfalen erschienen, die über die Autoren angefordert werden kann. 

Abkürzungen

IMBA Integration von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt

ELF Evaluation der funktionellen Leistungsdiagnostik

WAI Work Ability Index

Literatur

Dau DH, Düwell F, Joussen J: Sozialgesetzbuch IX. Lehr- und Praxiskommentar. 4. Aufl. Baden-Baden: Nomos, 2014.

Hess-Gräfenberg R: Anregungen zur Etablierung eines Reha-Managements in der Betriebsarztpraxis – Vom „law in the books“ zur gelebten Praxis. In: Weber A, Peschkes L, de Boer WEL (Hrsg.): Return to Work – Arbeit für alle. 1. Aufl. Stuttgart: Gentner, 2015.

    Beispiel

    „Wegen seiner Erkrankung ist der Patient nicht in der Lage, Arbeiten auszuführen, die mit Heben und Tragen von Lasten sowie mit Zwangshaltungen wie Stehen, Bücken oder Knien verbunden sind.“

    Weitere Infos

    Für die Autoren

    Ulrich Theißen

    Deutsche Rentenversicherung Rheinland

    Abteilung Betriebswirtschaftliche Steuerung

    Fachbereich Reha-Management

    Königsallee 71 – 40215 Düsseldorf

    ulrich.theissen@drv-rheinland.de

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