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Restrukturierung in einem Chemieunternehmen

Hintergrund und Ziel der Studie

Das Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) hat im Jahr 2009/2010 im Auftrag der damaligen BG der chemischen Industrie (heute: BG RCI) eine Studie zur Restrukturierung der Laboranalytik in einem Chemieunternehmen durchgeführt. An einem Standort des Unternehmens fand im Bereich der Laboranalytik des betrachteten Unternehmens eine Umstrukturierung statt. Die Geschäftsführung des Standorts hatte aufgrund eines unternehmensweit durchgeführten Benchmarkings beschlossen, den Bereich Analytik zu optimieren bzw. effek-tiver aufzustellen und Kosten zu reduzieren. Die Mitarbeiterzahl wurde um etwa ein Drittel gekürzt.

In organisatorischer Hinsicht wurden durch Maßnahmen der Reorganisation Auf-gabenfelder und Arbeitsmethoden gebündelt, um so effektivere Arbeitsstrukturen zu schaffen und das eingesparte Personal zu kompensieren. Während die Laboranalytik früher Teil des jeweiligen betrieblichen Bereichs bzw. den Produktionsanlagen zugeordnet war, wurde sie nun zum zentralen Dienstleister weiterentwickelt. Aus vormals 18 Laboren der Analytik wurden fünf Teams gebildet, die als Dienstleister jeweils bestimmte Produktionsbereiche bzw. Produk-tionsanlagen zu betreuen haben. Hierzu wurden die Labore bzw. Arbeitsfelder, die sich ähnelten, gebündelt und in ein Cluster bzw. Team zusammengefasst.

Eine Mitarbeiterbefragung zeigte allerdings, dass sich etwa ein Viertel der Beschäftigten im Bereich Analytik durch die Bedingungen an ihrem Arbeitsplatz gesund-heitlich stark bis sehr stark belastet und 45 % der Beschäftigten im Bereich der Ana-lytik sich in der letzten Zeit gestresst fühlten. Ausgehend von den Ergebnissen der Mitarbeiterbefragung sollten im Rahmen einer Interviewstudie die Ursachen für das gestiegene Stresserleben und die Gesundheitsbelastungen, aber auch das Erleben des Restrukturierungsprozesses aus Sicht der Beschäftigten näher untersucht werden.

Ziel der Studie war es, tiefer gehende Informationen über die derzeitige Arbeitssituation und das damit verbundene Stress-erleben der Beschäftigten zu erhalten. Es wurden 12 teilstandardisierte Interviews durchgeführt, neun mit Laboranten aus den verschiedenen Teams sowie drei mit den Teamleitungen. Die Interviews erfolgten auf freiwilliger Basis. Sie hatten eine Dauer von etwa 90 Minuten bis zwei Stunden.

Ergebnisse

Mangelnde Beteiligung der Beschäftigten am Restrukturierungsprozess

Viele der interviewten Laboranten beklagen eine mangelnde Einbeziehung in die Planungen des Restrukturierungsprozesses bzw. in die damit verbundenen Entscheidungen. Das bedeutet, dass sie auf ihre späteren Arbeitsbedingungen in den Laboren, insbesondere auf die Arbeitsplatzgestaltung und Anordnung der Arbeitsplätze (Ablauforganisation) sowie auf die Gestaltung des Schichtsystems keinen Einfluss hatten. Viele Befragte geben an, dass sie aufgrund der Anordnung der Arbeitsplätze lange Laufwege zurücklegen müssen. In zwei Labors sind nach Meinung der Mitarbeiter beengte Arbeitsplatzverhältnisse vorzufinden.

Mit der Restrukturierung der Laboranalytik wurde in zwei Teams auch ein neues Schichtsystem eingeführt. Dabei handelt es sich um ein flexibles Schichtsystem (pro Woche ein Tag Frühschicht, zwei Tage Spätschicht und drei Tage Nachtschicht). Das flexible Tagschichtsystem wird von den interviewten Laboranten unterschiedlich bewertet. Einige Laboranten schätzen es aufgrund der Abschaffung der sieben Tage Nachtschicht positiv. Andere sehen das neue Schichtsystem als nicht gesundheits-förderlich an, da die Erholungszeit beeinträchtigt und der kurzfristige Wechsel zwi-schen den Schichten in einer Woche als belastend erlebt wird. Es wird zudem von einer stärkeren Ermüdung berichtet. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen aller-dings, dass ein schnell rotierendes Schichtsystem mit nur wenigen Tagen in der gleichen Schicht besser zu bewältigen ist als ein Schichtwechsel im Wochenrhythmus. Arbeitswissenschaftler plädieren daher dafür, die Anzahl der aufeinanderfolgenden Nachtschichten möglichst gering zu halten (s. Weitere Infos). Allerdings führt gerade das alte rückwärtsrotierende Schichtsystem (d. h. jeweils sieben Tage Nachtschicht, Spätschicht und Frühschicht) bei manchen Laboranten zu Schlaf- und Kreislaufstörungen, da der natürliche Biorhythmus gestört wird.

Stressfaktoren im Zusammenhang mit der Restrukturierung

Es wurden verschiedene Stressfaktoren in der Arbeit der Laboranten ermittelt, die im Zusammenhang mit der Restrukturierung zu sehen sind.  Tabelle 1 zeigt zentrale Stressoren im Überblick.

Erweiterung des Aufgabenspektrums bei knap-per Personalbemessung: Durch die Zusammenlegung der verschiedenen Labore in den neu gebildeten Teams hat sich das Aufgabenspektrum der Laboranten erheblich erweitert. Der Aufgabenumfang, der von den einzelnen Laboranten zu bewältigen ist, wurde um drei bis vier Aufgabenfelder erweitert. Viele der interviewten Laboranten gaben an, dass die Arbeit für sie nach der Restrukturierung aufgrund von Zeitdruck stressiger geworden sei. Die Ursache des Zeitdrucks wird in der erhöhten Anzahl an zu bearbeitenden Proben in Verbindung mit einer knappen Personalbemessung gesehen.

Fehlende Zeit für das gegenseitige Anlernen: Die im Zuge der Umstrukturierung erforderlichen Qualifizierungen erfolgten in der Regel im Rahmen des gegenseitigen Anlernens durch Teamkollegen während der Arbeit in Verbindung mit dem Rotationsprinzip, d. h. dem planmäßigen Wechsel zwischen den verschiedenen Arbeitsplätzen eines Teams (durch die Rotation haben die Laboranten die Möglichkeit, die neu erlernten Tätigkeiten im regelmäßigen Rhythmus auszuüben). Das Anlernen neben der eigentlichen Arbeit ist für beide – für die anlernende Kollegin sowie für die Angelernte – ein Stressfaktor, wenn keine ausreichende Zeit dafür gegeben ist bzw. Zeitdruck existiert. Die Folge ist eine teilweise oberflächliche Wissensvermittlung, so dass manche Aufgaben trotz Einarbeitung nicht richtig beherrscht werden. Das mag unter anderem darin begründet liegen, dass auch Kollegen angelernt haben, die selbst gerade erst eingearbeitet wurden. Auch die Einarbeitung in die Bedienung technischer Geräte erfolgte nicht immer sorgfältig bzw. systematisch.

Arbeitsplatzrotation bei mangelnder Qualifikation: Die Arbeitsplatzrotation bedeutet für manche Kollegen Stress, wenn sie bestimmte Aufgaben noch nicht ausreichend beherrschen und Angst davor haben, Fehler zu begehen, die für die Produktion weitreichende Folgen haben können. Unsicherheit, die ggf. mit Überforderungen der Beschäftigten einhergehen kann, zeigt sich beispielsweise dann, wenn

  • Hintergrundwissen (z. B. Verständnis für die chemischen Reaktionen, Ziele von Analysen, Verstehen von Analysewerten) zur Durchführung von Analysen in neuen Aufgabengebieten fehlt,
  • Kenntnisse im Umgang mit neuen technischen Geräten und SAP nicht ausreichend vorhanden sind,
  • Defizite im Umgang mit dem Fehlermanagement (z. B. Werte stimmen nicht) und technischen Störungen bestehen und
  • mangelnde Kenntnisse von Produktions-prozessen bzw. neu zu betreuender Anlagen vorliegen.

Alleinarbeit an den Wochenenden und in der Nacht: Es wird in den Teams in der Nacht und am Wochenende auch Alleinarbeit geleistet (s. Infokasten links). Dabei wird jeweils nur eine Person pro Labor eingesetzt. In zwei Teams liegen die Arbeitsbereiche relativ weit auseinander, d. h., die Laboranten arbeiten ohne Sichtkontakt zueinander. Die Alleinarbeit stellt für manche Laboranten eine psychische Belastung dar, die auch mit Stress einhergehen kann, wenn sich Kollegen in bestimmten neu erlernten Aufgabenfeldern nicht so gut auskennen bzw. Probleme bei den Analysen (Werte stimmen beispielsweise nicht) oder technische Störungen auftreten und sie niemanden fragen können. Das geht mit Äng-sten und Schlafstörungen vor dem Einsatz einher. Darüber hinaus stellt Allein-arbeit aus Sicht mancher Laborantin auch ein Sicherheitsproblem dar, da bei even-tuell auftretenden Unfällen unter Umständen niemand zur Stelle ist.

Soziale Spannungen im Team: Mit der Restrukturierung bzw. Zusammenlegung von Laboren haben sich die personellen Zusammensetzungen und damit die sozialen Beziehungen innerhalb der jeweiligen Teams verändert. Die Teams untergliedern sich wiederum in kleinere Gruppen, die jeweils in der Tag-, Spät- und Nachtschicht zusammenarbeiten. In einem Team gibt es auffällige soziale Spannungen. Diese zeigen sich darin, dass die Kollegen kaum miteinander sprechen und eine mangelnde Bereitschaft vorhanden ist, Informationen und Wissen an Kollegen weiterzugeben. (Die Beschäftig-ten sind hier anscheinend der Auffassung, dass besseres Arbeitswissen vor einer Kündigung schützt.)

Häufiger Wechsel der Teamzusammensetzung: Die Laboranten berichten, dass Kollegen, die in kleineren Teams miteinander harmonieren, häufig auseinandergerissen werden, was nicht selten dazu führt, dass Kollegen miteinander arbeiten, die sich nicht gut verstehen. Das geht für die Betroffenen mit Stress einher. Die Schichtplanung und die personelle Zusammensetzung einer Schicht sind für viele der interviewten Laboranten des betroffenen Teams nicht nachvollziehbar.

Die Situation der Teamleitung

Die Teamleiter sind unter anderem für die Sicherstellung der betrieblichen Abläufe, d. h. für die Durchführung der dafür erforderlichen Analysen und Aktualisierung der Prüfpläne, die Planung des Personaleinsatzes sowie des erforderlichen Labormaterials zuständig.

Ein Teil der Führungskräfte gibt an, dass ihnen in manchen Bereichen fachliches bzw. methodisches Wissen fehlt. Das fehlende Wissen ist darauf zurückzuführen, dass es vor Übernahme der Führungsaufgaben keine Einarbeitungspläne gab und es versäumt wurde, eine ihren Aufgaben entsprechende Qualifizierung durchzuführen. So äußern manche Führungskräfte, dass sie in Bezug auf ihre neuen Führungsaufgaben „ins kalte Wasser geworfen“ wurden. Die Führungskräfte wünschen sich fachliche Unterstützung in den Themengebieten Projektmanagement, Kostenmanagement, Kostenplanung- und Kostenberichterstellung oder Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen. Die Führungskräfte wünschen sich zudem konkretere Anweisungen von ihrem Vorgesetzten und mehr Kontakt zu ihm. Auch wird es als wichtig eingeschätzt, sich in bestimmten Zeitabständen mit ihrem Vorgesetzten zusammenzusetzen, um über ihre Arbeit und ggf. über Probleme und deren Lösungen zu sprechen.

Kommunikationsdefizite und mangelnde Planbarkeit der Arbeit

Heute sind die Labore aufgrund ihrer neuen Rolle als zentraler Dienstleister nicht mehr Teil der Anlagen. Teilweise kennen die Laboranten die neu zu betreuenden Anlagen und die dort tätigen Kollegen nicht. Die Laboranten besaßen früher, als sie noch zur Anlage gehörten, mehr arbeitsnotwendige Informationen (z. B. bis wann Analysen fertig zu stellen sind, Kenntnisse über neue Produkte oder wann welche Maschine anläuft). So fehlen den Laboranten heute teilweise Hintergrundinformationen, um Laborwerte zu interpretieren und ggf. Problemlösungen anbieten zu können. Auch wissen die Laboranten nicht immer, welche Proben vorrangig zu analysieren sind. Um diese Angaben zu erhalten, müssen die Beschäftigten zeitaufwändig nachfragen.

Empfehlungen zur Restrukturierung

Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse, wer-den im Folgenden einige Empfehlungen zur Vermeidung von Stress bei Restrukturierungsprozessen gegeben.

Kommunikation und Beteiligung der Mitarbeiter am Restrukturierungsprozess

Die Unternehmensleitung sollte eine transparente Kommunikation über die geplante Restrukturierung gewährleisten. So sollten den Beschäftigten die Gründe für den geplanten Wandel und die Erwartungen an sie erläutert werden (vgl. Kieselbach 2009, S. 129). Dabei sollten die Beschäftigten auch die Möglichkeit erhalten, dem Management Fragen zu stellen und ihre Zweifel zu äußern (ebd., S. 103). Während der Planung und Implementierung von Veränderungen ist die Einbeziehung der Beschäftigten von zentraler Bedeutung. Die Mitarbeiter sollten an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen (Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsabläufe, Schichtsystem usw.) beteiligt werden, da sie Experten an ihren Arbeitsplätzen sind und ihr Engagement und ihre Bindung an das Unternehmen aufrechterhalten wird (ebd., S. 102f.).

Eine effiziente Kommunikation sollte drei Modi enthalten:

  •  1. eine „open door“ Politik, bei der die Beschäftigten direkten Zugang zu den Managern bzw. Führungskräften haben und ihre Fragen äußern können,
  •  2. die persönliche Anwesenheit der Manager an den Arbeitsplätzen, an denen Veränderungen durchgeführt werden, so dass die Beschäftigten die Führungskräfte ansprechen können,
  •  3. die Organisation von Treffen mit dem Management zu allgemeinen und spezifischen Themen (Qyum et al. 2006, zitiert nach Kieselbach 2009, S. 104).

Alle mit der Restrukturierung verbundenen Gefahren, die nicht nur im Veränderungsprozess selbst, sondern auch in den Veränderungen der psychosozialen Arbeitsbedingungen (z. B. Arbeitsintensivierung, veränderte kollegiale Beziehungsstrukturen) begründet liegen können, sollten ermittelt werden (Kieselbach 2009, S. 99). Auf dieser Grundlage können die negativen gesund-heitlichen Auswirkungen der Restrukturierung erfasst und präventive Maßnahmen bzw. gesundheitsbezogene Interventionen vor und während und ggf. nach dem Restrukturierungsprozess eingeleitet werden (ebd., S. 136, s. auch Infokasten oben).

Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsablauforganisation

Umstrukturierungen, vor allem bei einer räumlichen Neugestaltung von Arbeitsplätzen, wie sie im Bereich der Analytik durchgeführt wurden, machen eine systemati-sche Planung in Bezug auf die räumliche Situation, die Arbeitsablauforganisation und Arbeitsplatzgestaltung – unter Berücksichtigung ergonomischer Gesichtspunkte – durch Einbeziehung von Experten erforderlich. Hier kann das Unternehmen ggf. auch Unterstützung von Experten der zuständigen Berufsgenossenschaft (z. B. Aufsichtspersonen, Arbeitshygieniker, Experten in Fragen der Arbeitsplatzergonomie) in Anspruch nehmen. Durch eine Arbeitsplatz-studie kann geprüft werden, durch welche Maßnahmen einerseits die zeitaufwändi-gen langen Laufwege reduziert, der Arbeits-fluss verbessert sowie ein effektiveres Arbeiten ermöglicht wird und andererseits die evtl. beengten Arbeitsplatzverhältnisse in den Laboren beseitigt werden können. Gerade im Laborbereich sind ausreichende Bewegungsfreiräume zu gewährleisten, da teilweise auch mit giftigen Stoffen gearbeitet wird.

Personalbemessung auf Basis von Arbeitszeitstudien

Durch eine Arbeitszeitstudie kann, insbesondere vor dem Hintergrund neu gestalteter Aufgabenstrukturen und einer veränderten Arbeitsablauforganisation, überprüft werden, ob die in den Schichten aufkommende Arbeitsmenge bei Normalleistung zu bewältigen ist (s. Infokasten unten). Dazu sollten auf der Basis von Zeitaufnahmen für die einzelnen Arbeitsaufgaben, Zeitvorgaben festgesetzt werden. In die Zeitaufnahmen müssten die Wegezeiten, Transportzeiten und Erholungszeiten einbezogen werden, damit das Arbeitspensum auch bei Normalleistung zu schaffen ist. Die Bestimmung der Normaleistung im Bereich der Laboranalytik sollte durch einen Experten erfolgen. Arbeit bei Normalleistung bedeutet für die Mitarbeiter, dass sie ohne Zeitdruck ihre Aufgaben bearbeiten können. Durch möglichst genaue Vorgabezeiten kann das Arbeitspensum besser geplant werden, ohne Mitarbeiter gesundheitlich auf Dauer zu überfordern.

Anforderungen an die Qualifizierung der Laboranten

Zum Erlernen neuer Aufgaben sollten für die Qualifizierung am Arbeitsplatz genügend Zeit und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Eine Einarbeitung in neue Aufgaben bzw. in die technischen Geräte – auch außerhalb der Arbeitszeit in entspannter Atmosphäre – sowie frühzeitig, also vor Aufnahme der neuen Aufgaben, erfolgen. Schulungen an komplexen, technischen Geräten sollten sorgfältig erfolgen und nicht „nebenbei“. Die Einarbeitung in neue technische Geräte durch den Gerätehersteller wird von den Mitarbeitern positiv bewertet, da dadurch ein gutes Hintergrundwissen zur Bedienung der technischen Geräte erworben und auch alle Fragen beantwortet werden können.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, ein differenziertes Fortbildungsangebot in unterschiedlichen Fachgebieten der „Analytik“ anzubieten, um interessierten Laboranten die Möglichkeit zu geben, tiefergehende Fachkenntnisse in für sie neuen Aufgaben-gebieten zu erwerben. Der Erwerb von Hintergrundwissen in bestimmten Arbeitsgebieten der Analytik kann durch Nutzung des betriebsinternen Fachwissens innerhalb der Analytik (z. B. durch Vorträge entsprechend qualifizierter Kollegen) oder durch die Teilnahme der Laboranten an Seminaren, ermöglicht werden. Es sollten auch schriftliche Anleitungen für die einzuarbeitenden Laboranten erstellt werden, so dass sie die Arbeitsabläufe noch einmal nachlesen können. Zudem sollten aufgetretene Fehler und deren Behebung schriftlich dokumentiert werden. Es ist ebenfalls sinnvoll, dass die Laboranten die für sie neuen Produktionsabläufe bzw. Anlagen kennen lernen, um mehr Wissen für die Analysen zu haben.

Gestaltung des Rotationssystems

Die Rotation setzt voraus, dass die Laboranten für die durchzuführenden Arbeiten ausreichend qualifiziert sind, um Stress zu vermeiden und Arbeitseffizienz zu gewährleisten, oder es sollte gewährleistet sein, dass eine erfahrene Kollegin bei Problemen immer gefragt werden kann. Es ist weiterhin zu hinterfragen, ob Mitarbeiter in Aufgabengebiete eingearbeitet werden sollten, die ihnen nicht liegen oder für die sie zu viel neues Fach- und Erfahrungswissen erwerben müssen, um selbständig arbeiten zu können. Mitarbeiter, die erhebliche Schwierigkeiten haben, kompliziertere Analyseaufgaben zu erlernen, sollten hinsichtlich der auszuführenden Aufgaben ggf. in begrenztem Maße an der Rotation teilnehmen, um Überforderungen zu vermeiden. Der zeitliche Rhythmus der Rotation ist an die Komplexität und den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben sowie an die Qualifizierungsbedürfnisse der Mitarbeiter anzupassen.

Alleinarbeit im Labor am Wochenende und in der Nacht

Für Alleinarbeit am Wochenende oder in der Nacht sollten nur Mitarbeiter eingesetzt werden, die für die durchzuführenden Arbeiten ausreichend qualifiziert sind. Sie sollten nicht schon bei kleineren Störungen überfordert sein, was zu Stress führen kann. Eine weitere Kollegin mit Erfahrung im jeweiligen Fachgebiet könnte unterstützend eingesetzt werden (Abkehr von Alleinarbeit). Es sollten zudem ausreichende Sicherheitsvorkehrungen für Alleinarbeitsplätze mit geeigneten Melde- und Rückmeldesystemen getroffen werden, z. B. durch eine Druckalarmtaste.

Vermittlung sozialer Kompetenzen und Förderung eines guten Arbeitsklimas

Bei der Bildung bzw. Neuzusammensetzung von Teams im Rahmen des Restrukturierungsprozesses sind Maßnahmen der Team-entwicklung sinnvoll. Eine Teamentwicklung zielt darauf, neu gebildete Teams schnellstmöglich zu hoher Leistungskraft zu bringen oder bestehende Teams in ihrer Effizienz zu optimieren (vgl. Cornelli 1995, zitiert nach Kauffeld 2001, S. 32). Hauptziele von Team-entwicklungsmaßnahmen sind z. B.

  • Verbesserung des Verständnisses für die Rolle eines jeden Teammitgliedes in der Arbeitsgruppe,
  • Verbesserung der Kommunikation zwischen den Teammitgliedern, insbesondere mit Blick auf die Effektivität der Gruppe,
  • Stärkung der gegenseitigen Unterstützung unter den Gruppenmitgliedern,
  • Entwickeln der Fähigkeit, Konflikte positiv, statt destruktiv zu nutzen,
  • Stärkung des Bewusstseins des gegenseitigen „Aufeinander-Angewiesen-Seins“ innerhalb des Teams (Cornelli 1995, zitiert nach Kauffeld 2001, S. 33).

Es ist in der Regel erforderlich, den Teammitgliedern grundlegende soziale Kompe-tenzen im Rahmen von Workshops bzw. Trainings zu vermitteln. Dazu gehört der Erwerb von kommunikativen Fähigkeiten und Fähigkeiten zur Kooperation.

Die Förderung eines guten Arbeitsklimas ist eine der zentralen Aufgaben der Teamleitung. Diese kann durch folgende Maßnahmen zur Förderung eines guten Arbeitsklimas beitragen:

  • Vorbildfunktion der Führungskraft (z. B. Wertschätzung von Mitarbeitern, Loyalität gegenüber Mitarbeitern, Ehrlichkeit, Fairness, Zuverlässigkeit),
  • offenes Ohr für die Probleme der Mitarbeiter,
  • auf Probleme und Bedürfnisse der Mitarbeitern eingehen,
  • gerechte und faire Behandlung aller Kollegen,
  • gleichmäßige Information aller Kollegen über alle Schichten hinweg.

Vorhersehbare Schichtplanung

Schichtpläne sollten vorhersehbar sein, das heißt, sie sollten langfristig geplant werden (Ausnahme: Krankheit von Kollegen). Die Schichten sollten personell so zusammengestellt werden, dass die Kollegen gut miteinander harmonieren. Die personelle Zusammensetzung der Schichtteams sollte möglichst über einen längeren Zeitraum bestehen, da die Kollegen dann eher Hand in Hand arbeiten bzw. sich gegenseitig unterstützen.

Überprüfung des derzeitigen Schichtsystems/Auswahl eines gesundheits-verträglichen Schichtsystems

Da einige Laboranten mit dem derzeitigen Schichtsystem unzufrieden sind, sollte es überprüft werden. Schichtarbeit kann zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen füh-ren. Daher ist es besonders wichtig, ein für die Gesundheit möglichst verträgliches Schichtsystem auszuwählen, wobei auch den persönlichen Bedürfnissen der Beschäftigten Rechnung zu tragen ist. Ein Workshop zum Thema Schichtarbeit unter Beteiligung eines Experten (z. B. Betriebsarzt, externer Arbeitszeitberater) zwecks eines teamübergreifenden Erfahrungsaustauschs ist empfehlenswert. Den Mitarbeitern sollten verschiedene Schichtsysteme vorgestellt werden, wobei die Vor- und Nachteile der einzelnen Systeme unter Einbeziehung des Experten diskutiert werden sollten.

Optimierung der abteilungs-übergreifenden Kommunikation

Schon bei der Planung von Umstrukturierungen sind die veränderten kommunikativen Beziehungen zwischen den Laboren und den Anlagen zu berücksichtigen. Es ist zu empfehlen, Workshops mit den Mitarbeitern aus den Laboren und Anlagen mit dem Ziel der Optimierung der Kommunikation und Zusammenarbeit durchzuführen. Dabei besteht für die Laboranten auch die Möglichkeit, die neuen Kollegen aus der Anlage kennen zu lernen. Es sollte überprüft werden, durch welche Maßnahmen eine bessere und schnellere Kommunikation zwischen Labor und Anlage ermöglicht wird, so dass sich die Laboranten beispielsweise die Arbeit besser einteilen und auch Werte besser interpretieren können. Durch eine bessere und rechtzeitige Abstimmung zwischen Labor und Anlage bzw. durch die Kenntnis der Laboranten über die Aktivitäten der Anlage, kann die Arbeit (z. B. auch Sonderproben) besser geplant und ggf. auch die Personalplanung entsprechend der vorliegenden Arbeit optimiert werden, um Stress und Überforderung der Beschäftigten zu vermeiden. Sonderproben sollten mit ausreichenden, arbeitsnotwendigen Angaben, inklusive terminlicher Anforderungen, von Seiten der Anlage versehen sein, um zeitaufwendiges und uneffektives Nachfragen der Laboranten bei den Anlagen zu vermeiden.

Vorbereitung der Führungskräfte auf die Restrukturierung

Berufliche Anforderungsprofile stellen nicht nur eine wichtige Grundlage für die Auswahl der Führungskräfte dar, sondern ermöglichen auch eine gezielte Qualifizierung der Führungskräfte vor Übernahme der Führungsaufgabe. Die grundlegende Vorbereitung von Führungskräften im Hinblick auf ihre fachlichen Aufgaben (z. B. Sicherheitsarbeit, Personalplanung, Kostenmanagement, Projektmanagement) und auf die Mitarbeiterführung (Wissen in Bezug auf Kommunikation, Mitarbeiter- und Teamführung, Teamentwicklung, Konfliktlösung usw.) schafft Handlungssicherheit. Grundsätzlich ist die Qualifizierung bzw. die Ausbildung der Führungskräfte im gesundheitsförderlichen Führen von zentraler Bedeutung (s. Infokasten unten). Die Teamleitung muss dafür Sorge tragen, dass die Mitarbeiter in ihrer Arbeit nicht überfordert werden und hinreichend Unterstützung erfahren.

Darüber hinaus ist ggf. ein Coaching für die neu ernannten Führungskräfte hilfreich, um Probleme im Zusammenhang mit dem Führen von Mitarbeitern bzw. Teams zu besprechen sowie entsprechende Strategien zu planen und passende Handlungsmuster einzuüben. Zusätzlich ist zu empfehlen, dass die Führungskräfte mit ihren Vorgesetzten Gespräche zu folgenden Aspekten führen:

  • Welche aktuellen Probleme oder Schwierigkeiten sehen die Führungskräfte in ihrer Arbeit?
  • Welcher Qualifizierungsbedarf besteht?
  • Wo kann der Vorgesetzte der Führungskraft Unterstützung geben?

Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) zur Begleitung des Restrukturierungsprozesses

Während des gesamten Restrukturierungsprozesses können u. a. Techniken der Stress-bewältigung und Entspannung sowie Maßnahmen sozialer Unterstützung sowohl den Mitarbeitern als auch Führungskräften dabei helfen, ihre psychische und körperliche Gesundheit zu erhalten und mit dem Wandel umzugehen. Auch folgende Aspekte tragen zum Erhalt und zur Förderung der Gesundheit der Beschäftigten bei:

  • Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Unternehmensorientierung, die auf die Verbesserung der Gesundheit der Beschäftigten abzielt,
  • Versorgung der Beschäftigten mit geeigneten Informationen sowie Schaffung einer umfassenden Kommunikationsstruktur,
  • Einbeziehung der Beschäftigten in Entscheidungsprozesse,
  • Entwicklung einer Organisationskultur, die auf Partnerschaftlichkeit beruht,
  • Organisation von Arbeitsaufgaben und Prozessen, die die Gesundheit fördern,
  • Implementierung von Richtlinien und Maßnahmen, die die Gesundheit der Beschäftigten verbessern,
  • Erkenntnis, dass Unternehmen einen zentralen Einfluss auf Menschen bzw. auf deren Gesundheit und Wohlbefinden haben (Kieselbach 2009, S. 112).

Begleitend zum Restrukturierungsprozess ist es sinnvoll, die Gesundheit der Beschäftigten kontinuierlich zu erfassen. Dazu eig-nen sich verschiedene Instrumente, wie z. B. der IAG-Standard (Klotz 2012). 

Literatur

Cornelli G: Qualifikation für Gruppenarbeit: Team-entwicklungstraining. In: von Rosenstiel L, Regnet E, Domsch M (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern. Hand-buch für erfolgreiches Personalmanagement. Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 1995.

Hackenberg P: Alleinarbeit. Sicherheit & Gesundheit 2009; 6: 16–20.

Hurtz A: Qualifzierung für Gruppenarbeit. Theoreti-sche Konzepte und ihre Umsetzung in der betrieblichen Praxis. In: Antoni CH (Hrsg.): Gruppenarbeit in Unternehmen. Konzepte, Erfahrungen, Perspek-tiven. 2. Aufl., Weinheim: Beltz Psychologie-Verl.-Union, 1996, S. 81–99.

Kauffeld S: Teamdiagnose, Göttingen: Hogrefe, 2001.

Kieselbach T: Gesundheit und Restrukturierung. Inno-vative Ansätze und Politikempfehlungen. München: Rainer Hampp Verlag, 2009.

Kivimäki M, Hokonen T, Wahlbeck K et al.: Organi-zational downsizing and increased use of psychotropic drugs among employees who remain in employment. J Epidemiol Community Health 2007; 61: 154–158.

REFA-Verband für Arbeitsstudien: Methodenlehre des Arbeitsstudiums, Teil 2. München: Hanser, 1972.

Varney GH: Organization development for managers. Reading: Addison Wesley, 1977.

Wilde B, Dunkel W, Hinrichs S, Menz W: Gesundheit als Führungsaufgabe in ergebnisorientiert ge-steuerten Arbeitssystemen. In: Badura B, Schröder H, Klose J, Macco K (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2009. Arbeit und Psyche: Belastungen reduzieren – Wohlbefinden fördern. Heidelberg: Springer, 2009.

    Info

    Ein Alleinarbeitsplatz liegt vor, wenn eine Person ohne Sichtverbindung und außer Rufweite zu anderen Personen arbeitet. Bei so genannten gefährlichen Arbeiten, kann es aufgrund des Arbeitsverfahrens, der Art der Tätigkeit, der eingesetzten Stoffe (Gefahrstoffe) oder der Umgebung, in der gearbeitet wird, zu einer erhöhten, kriti-schen Gefährdung kommen (vgl. Hacken-berg 2009). Zu den gefährlichen Arbeiten zählen auch Arbeiten im Labor (ebd.).

    Eine Sicherheitsvorkehrung besteht z. B. darin, dass sich die Laboranten alle halbe Stunden anrufen und sich nach ca. 4 Stun-den gegenseitig besuchen sollen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.

    Info

    Als Basis für die Ermittlung von Gesundheits-gefahren im Zusammenhang mit dem Re-strukturierungsprozess kann auf das ANACT-Modell (Frankreich) des organisatorischen Wandels zur Stressprävention Bezug genom-men werden. Dem Modell zufolge sind fol-gende Aspekte im Rahmen der Restrukturie-rung zu überwachen: Arbeitsanforderungen (z. B. Veränderung der Arbeitsmenge), in-dividuelle Erwartungen der Beschäftigten (Veränderungen des psychologischen Kontraktes aufgrund neuer Aufgaben, Wahrneh-mung der Arbeitsplatzsicherheit), Beziehun-gen (neue Kollegen und Vorgesetzte), Wandel (Wahrnehmung des Veränderungsprozesses im Hinblick auf Kommunikation oder Beteili-gung der Beschäftigten).

    Info

    Die Normalleistung ist ein Leistungsbereich, der zwischen 95 % und 105 % liegt. Sie wird bei Zeitaufnahmen durch Arbeits- und Zeitstudienfachleute ermittelt. Die Normal-leistung kann von jedem in erforderlichem Maße geeigneten, geübten und voll einge-arbeiteten Arbeitnehmer auf Dauer erbracht werden, sofern er die für die persönlichen Bedürfnisse und auch Erholung vorgegebe-nen Zeiten einhält und die freie Entfaltung seiner Fähigkeiten nicht behindert wird (REFA Verband für Arbeitsstudien 1972, S. 136)

    Info

    Gesundheitsförderliches Führen zeichnet sich durch folgende Prinzipien aus: einen mitarbeiterorientierter Führungsstil, eine gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeitstätigkeiten, wozu u. a. soziale Unter-stützung in der Arbeit, Partizipations- und Entwicklungsmöglichkeiten, Feedback, Tätigkeitsspielräume, Informationszugang, Zeitpuffer usw. gehören. Ebenso zeigt sich gesundheitsförderliches Führen in der Unterstützung der betrieblicher Gesund-heitsförderung (z. B. Thematisierung von Gesundheit, Erfragen von Gesundheitsge-fährdungen am Arbeitsplatz, Unterstützung der Teilnahme der Mitarbeiter an Gesund-heitsangeboten, Vorschläge zu gesundheits-förderlicher Gestaltung der Arbeitsbedin-gungen; vgl. Wilde et al. 2009, S. 150).

    Weitere Infos

    Klotz M: IAG-Standard für Mit-arbeiterbefragungen im Rahmen des BGM. Aus der Arbeit des IAG 2012, Nr. 3049, Ausgabe 7

    http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/iag3049.pdf

    Holm M, Geray M: Integration der psychischen Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung – Handlungshilfe

    https://www.inqa.de/DE/wissen/diversity/diversitaetsmanagement/integration-gefluechtete-betrieb.html?__blob=publicationFile

    Autorin

    Dr. med. Nicola Schmidt

    Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG)

    Abt. Forschung und Beratung

    Königsbrücker Landstraße 2

    01109 Dresden

    nicola.schmidt@dguv.de

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