Das Positionspapier des Wirtschaftsrates beschreibt die Situation der Arbeitsmedizin sowohl in Sachsen als auch in ganz Deutschland überaus zutreffend. Die konkreten Vorschläge zeigen geeignete Lösungswege zur Sicherung der betriebsärztlichen Versorgung für die ganze Bundesrepublik auf. Die Analyse erfolgt mit klaren Formulierungen, die konkreten politischen Forderungen und Vorschläge sind von einem tiefen Verständnis für die Möglichkeiten aber auch für die Herausforderung der Arbeitsmedizin gekennzeichnet. Und sie sind von einer hohen Wertschätzung für die Arbeit der Betriebsärzte geprägt.
Der Verband begrüßt und unterstützt diese Forderungen und vorgeschlagenen Maßnahmen ausdrücklich.
Aus sächsischen Wirtschaftsunternehmen werden zunehmend Schwierigkeiten in der Gewährleistung der betriebsärztlichen Versorgung berichtet. Niedergelassene Arbeitsmediziner oder Fachärzte mit Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin stehen nicht ausreichend zur Verfügung. Auf dieses Problem war bereits in einer Veröffentlichung im Ärzteblatt Sachsens 1/2001 bei der analysierten Alters- und Beschäftigungsstruktur der Arbeits- und Betriebsmediziner in Sachsen und der zu erwartenden demografischen Entwicklung aufmerksam gemacht worden. Darin hieß es konkret, 50 % der vollbeschäftigten Arbeitsmediziner gehen bis 2005 in Rente, bis zum Jahre 2010 ist mit einem Abgang von 60,1 % der zur arbeitsmedizinischen Versorgung ermächtigten Ärzte zu rechnen. Die Prognosen sind nunmehr eingetreten. Die überregionalen arbeitsmedizinischen Dienste können offenbar die entstehenden Lücken nicht schließen. Vielmehr sind hier Aktivitäten zur Veränderung der bestehenden Verträge zu beobachten. Durch Überalterung der Fachgruppe und fehlenden Nachwuchs in dem Bereich wurde diese schwierige Situation verursacht.
Zum 01. 01. 2011 hat die DGUV-Vorschrift 2 zu einer Ausweitung bzw. Umverteilung der Einsatzzeiten in den Firmen geführt hat, so dass z. B. eine Sicherheitsfachkraft (Si Fa) bis zu 80 % der Einsatzzeiten übernehmen kann.
Eine aktuelle, valide Analyse der Bedarfssituation ist durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im Rahmen des Forschungsprojektes „Gegenwärtiger und zukünftiger arbeitsmedizinischer Betreuungsbedarf“ bundesweit beauftragt, aber derzeitig noch nicht verfügbar. Diese ist aber für eine erfolgreiche prospektive Veränderung der aktuellen Situation dringlich notwendig.
Es besteht aus Sicht der LFK Gesundheitspolitik des Wirtschaftsrates Sachsen ein zunehmendes Versorgungsproblem Sachsens mit Arbeits- und Betriebsmedizinern und damit dringlicher Handlungsbedarf.
Forderungen und Alternativvorschläge
Kurzfristige Schaffung von Möglichkeiten für Kollegen im Ruhestand bei weiterem Interesse an einer Tätigkeit in der betriebsärztlichen Versorgung. Dies gilt für Fachärzte für Arbeitsmedizin oder Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin, die dann als Honorararzt tätig sein könnten.
Fachliche Refresher-Maßnahmen, wenn der Arzt länger als 12 Monate nicht mehr betriebsärztlich tätig gewesen ist, sind als Voraussetzung zu empfehlen. Diese Akutmaßnahmen sind mittel- bis langfristig keine ausreichende Alternative, um die Qualität der arbeitsmedizinischen Versorgung und selbst die generelle Versorgung mit diesen Leistungen im Land Sachsen zu sichern. Fehlende ausreichende arbeitsmedizinische Betreuung der Firmen und Arbeitnehmer gefährden den prospektiven Arbeits- und Gesundheitsschutz und auch den Gesundheitsstatus der älter werdenden Belegschaften. Hier wirkt sich die demografische Entwicklung gleich doppelt als Hemmnis aus.
Als LFK Gesundheitspolitik des Wirtschaftsrates Sachsen schlagen wir weitere konkrete Maßnahmen vor:
- Die Attraktivität und das Image der Arbeitsmedizin in der Gesellschaft, als auch im Gesundheitswesen von der Ausbildung bis zum Einsatz in Firmen sind weiter zu entwickeln. Hier sind auch gemeinsame Initiativen der Ärzte (Ärztekammer, Fachgesellschaft) und dem Verband der Betriebs- und Werksärzte (VDBW) anzustreben.
- Schaffung von nachhaltigen Anreizen und entsprechenden Rahmenbedingungen für niedergelassene Ärzte für Betriebs- und Arbeitsmedizin in Sachsen. Es sollte eine betriebsmedizinische Tätigkeit der qualifizierten Ärzte neben der KV-Tätigkeit flexibel und attraktiv gestaltet werden können und mit einer leistungsgerechten, stimulierenden Honorierung unterfüttert sein. Unter Beibehaltung von notwendigen Qualitätsstandards muss der Zugang erleichtert, die Basis für die Weiterbildung erweitert und ausreichende Schulungsmöglichkeiten geschaffen werden.Die Finanzierung des in der Weiterbildungsordnung der BÄK Kursus im Rahmen der Ausbildung Arbeitsmedizin/Betriebsmedizin, der auch an der SLÄK angeboten wird, sollte finanziell unterstützt werden.
- Um aber auch langfristig eine stabile und ausreichende Versorgungssituation des Landes mit arbeitsmedizinischer Kompetenz zu gewährleisten, sind als Basisvoraussetzung, verbesserte universitäre Voraussetzungen für die studentische Ausbildung in der Arbeitsmedizin zu schaffen. Die Rolle der Arbeitsmedizin innerhalb des Medizinstudiums muss präsenter werden. Eine fehlende Solitärstellung des Lehrstuhls im Fachgebiet Arbeitsmedizin an der Universität Leipzig durch Integration in ein anderes Institut ist nicht länger zu akzeptieren. Die Arbeitsmedizin sollte ein integraler gleichberechtigter Bestandteil des Medizinstudiums in Sachsens sein.
- Es fehlt außerdem eine ausreichende Versorgung von zur Weiterbildung ermächtigter Ärzte in Sachsen.
- Es ist im Rahmen einer Expertenrunde zu prüfen, ob die Weiterbildungsordnung nachzujustieren ist, um den Forderungen Rechnung zu tragen.Zudem ist seit dem 24. 12 2008 die Arbeitsmedizinische Vorsorgeverordnung und seit dem 01. 01. 2011die DGUV-Vorschrift 2 in Kraft getreten, die das Aufgabenfeld des Betriebsarztes in der zu betreuenden Firma konkretisieren und entsprechend der Anforderungen erweitern, um die Versorgung kontinuierlich, qualitativ zu gestalten. Fokus ist hier nicht mehr nur auf die gesetzlichen Verpflichtungen zu richten, sondern auch auf die erweiterten Aufgaben des Betriebsarztes im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Die aktualisierte Weiterentwicklung der Aus- und Weiterbildungsinhalte wird gefordert.
- Auch die Rolle des Arbeitsmediziners im gesamten Versorgungssystem ist den heutigen Erfordernissen anzupassen. Die Kooperationsverträge zwischen den regionalen Verbänden der Betriebs- und Werksärzte und der Deutschen Rentenversicherung sind ein erster wichtiger Schritt, aber nicht ausreichend. Vielmehr kann dem Arbeitsmediziner, auch unter Berücksichtigung der regional teilweise immer schwieriger zu gewährleistenden haus- und fachärztlichen Versorgung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung im Kontext Prävention, Früherkennung, Gesundheitsförderung eine wichtige Lotsenfunktion zukommen. Die Voraussetzungen dafür sind derzeitig noch nicht gegeben.
In keinem Fall jedoch dürfen die vorgeschlagenen Entwicklungen dazu führen, dass gesetzliche Regularien getroffen werden, die betriebsärztliche Betreuung durch nichtärztliche Fachkompetenzen sukzessive zu ersetzen und langfristig als überflüssig anzusehen. So würde möglicherweise das vorhandene, qualitativ noch hochstehende Niveau der betriebsärztlichen Versorgung zugunsten nichtärztlich ausgerichteter Betreuungsformen aufgegeben. Dies wäre angesichts einer sich ständig ändernden Arbeitswelt mit neuen Gesundheitsrisiken eine problematische Fehlentwicklung.
Im Namen der Landesfachkommission (LFK) Gesundheitspolitik im Wirtschaftsrat Sachsen:
Simone Hartmann, Landesvorsitzende, Wirtschaftsrat Deutschland, Landesverband Sachsen
Dr. med. René Toussaint, Vorsitzender LFK Gesundheitspolitik, Wirtschaftsrat Deutschland, Landesverband Sachsen
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