Reporting of occupational diseases by physicians in Austria based on the example of mesothelioma
Background: Physicians and employers in Austria have a duty to report the well-founded suspicion of the existence of an occupational disease to the responsible accident insurance institution. In particular, an occupational disease report must be made as a matter of principle in the case of mesothelioma, which is highly likely to be caused by job-related exposure to asbestos.
Methods: In the pilot study, the available data on mesothelioma cases from Statistics Austria (StatAT) were compared with the corresponding cases of the General Accident Insurance Institution (AUVA) that were recognised as an occupational disease during the period from 2004 to 2016.
Results: The results show that during the period under observation only about 40% of the mesothelioma cases registered by StatAT were recognised by AUVA as an occupational disease. There are some significant differences in the recognition rate if the cases of disease are differentiated according to the individual federal states of Austria where the enterprises are located in which the mesothelioma cases have occurred.
Conclusions: The reasons for the relatively low recognition rate of mesothelioma cases in Austria can be complex. It is most likely that the relatively low recognition rate is related to poor reporting practice on the part of physicians. In order to improve this situation, appropriate information campaigns should be carried out among physicians in Austria.
Keywords: occupational disease – cancer – mesothelioma – occupational disease report
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 55: 34-37
Ärztliches Meldeverhalten von Berufskrankheiten in Österreich am Beispiel Mesotheliom
Hintergrund: Sowohl ärztliches Fachpersonal als auch Unternehmen haben in Österreich die Pflicht, den begründeten Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit dem zuständigen Unfallversicherungsträger zu melden. Insbesondere beim Mesotheliom, das mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine meist berufliche Asbestexposition verursacht wird, ist grundsätzlich eine Berufskrankheitenanzeige zu erstatten.
Methode: Im Rahmen einer Pilotstudie wurden die vorliegenden Daten der Statistik Austria (StatAT) bezüglich der Mesotheliomfälle mit den entsprechenden als Berufskrankheit anerkannten Fällen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) aus dem Zeitraum 2004 bis 2016 miteinander verglichen.
Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass im Beobachtungszeitraum insgesamt nur ca. 40% der von der StatAT registrierten Mesotheliomfälle von der AUVA als Berufskrankheit anerkannt wurden. Bei einer Differenzierung der Erkrankungsfälle nach den einzelnen Bundesländern der Betriebe, in denen die Mesotheliomfälle aufgetreten sind, zeigen sich zum Teil erhebliche Unterschiede der Anerkennungsrate.
Schlussfolgerungen: Ursache der relativ geringen Anerkennungsquote der Mesotheliomfälle in Österreich können vielschichtig sein. Am wahrscheinlichsten dürfte die relativ geringe Anerkennungsquote mit einem schlechten ärztlichen Meldeverhalten zusammenhängen. Um dies zu verbessern, sollten entsprechende Informationskampagnen bei Ärztinnen und Ärzten in Österreich durchgeführt werden.
Schlüsselwörter: Berufskrankheit – Krebs – Mesotheliom – Berufskrankheitenanzeige
Einleitung
Berufskrankheiten werden in Österreich im §177 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) wie folgt definiert: „Als Berufskrankheiten gelten die in der Anlage 1 zu diesem Bundesgesetz bezeichneten Krankheiten unter den dort aufgeführten Voraussetzungen, wenn sie in Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind. …“ In Anlage 1 ASVG werden derzeit für Österreich n=53 Berufskrankheiten gelistet. Unter der laufenden Nummer 27 sind die durch Asbest bedingten Berufskrankheiten aufgeführt (➥ Tabelle 1), Einschränkungen bezüglich der speziellen Unternehmen bestehen bei dieser Berufskrankheitennummer nicht.
Ähnlich wie zum Beispiel in Deutschland, besteht auch in Österreich, sowohl für Arbeitgebende als auch für Ärztinnen und Ärzte, die Pflicht, den begründeten Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit beim zuständigen Unfallversicherungsträger zu melden. Die Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte wird in §363 ASVG wie folgt präzisiert: „Der Arzt/Die Ärztin, der/die bei einer versicherten Person Krankheitserscheinungen feststellt, die den begründeten Verdacht einer Berufskrankheit rechtfertigen, hat diese Feststellung dem zuständigen Unfallversicherungsträger binnen fünf Tagen auf einem von diesem aufzulegenden Vordruck zu melden. …“
Da Mesotheliome überwiegend asbestassoziiert sind (s. unter anderem Neumann et al. 2013; Neuberger 2011), besteht bei dieser Erkrankung prinzipiell der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit. Die Prognose für Erkrankte mit einem Mesotheliom sind mit einer mittleren Überlebenszeiten von 4 bis 12 Monaten sehr ungünstig. Nur 12% der Erkrankten überleben das erste Jahr nach Diagnosestellung (Neumann et al. 2013).
Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) weist darauf hin, dass im Interesse der Versicherten daher jedes Mesotheliom als Berufskrankheit dem Unfallversicherungsträger gemeldet werden sollte. Nur so könne sichergestellt werden, dass zustehende Versicherungsleistungen auch erbracht werden können. Die AUVA hat hierfür ein spezielles Meldeformular für Mestotheliome erstellt (s. Literatur). Da dieser Zusammenhang wissenschaftlich eindeutig gesichert ist und der Tabakkonsum keine wesentliche Rolle für die Entstehung eines Mesothelioms spielt, wird diese Erkrankung bei positiver Berufsanamnese und entsprechender Latenzzeit immer entschädigt (Neumann et al. 2013).
Nach Machan (o.J.) ist die AUVA sehr darum bemüht, alle Verdachtsfälle so rasch wie möglich zu bearbeiten. Wenn eine Anerkennung als Berufskrankheit erfolgt, so stehen der versicherten Person Leistungen aus der Unfallversicherung zu, die neben Rentenzahlungen unter anderem Unterstützungen im häuslichen Leben mit Hilfsmitteln, Kostenübernahmen für Sauerstofflangzeittherapien und medizinische Rehabilitationsangebote umfassen. Sollte die versicherte Person am Mesotheliom versterben, gibt es auch Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen. Schon aus diesem Grund ist die Meldung der Berufskrankheit an den zuständigen Unfallversicherungsträger von besonderer Wichtigkeit.
Mit umfangreichen Aktivitäten wird aktuell von der AUVA in Österreich auf Krebs als Berufskrankheit aufmerksam gemacht. Im Rahmen dieser Kampagne ist unter anderem auch das Meldeverhalten von Berufskrebserkrankungen in Österreich von Interesse.
Methode
Im Rahmen einer Pilotstudie wurden unter anderem die in der Statistik Austria (StatAT) registrierten beruflich relevanten Krebserkrankungen aus dem Zeitraum 2004 bis 2016 in Österreich mit den als Berufskrebserkrankungen anerkannten Fällen der AUVA verglichen und das Anzeigeverhalten für die einzelnen österreichischen Bundesländern errechnet. Als Grundlage für das entsprechende Bundesland wurde bei den AUVA-Fällen der Betriebsstandort und nicht der Wohnort der Erkrankten berücksichtigt, da für den Wohnort zu viele Angaben fehlen. Ein orientierender Vergleich der Betriebsstandorte mit den Wohnorten zeigt bei den vorhandenen Angaben keine wesentlichen Verzerrungen durch die Auswahl des Betriebsstandortes gegenüber dem Wohnort. In die hier vorgestellte Auswertung wurden ausschließlich die Mesotheliome (ICD-10 C 45 bzw. BK lfd. Nr. 27) einbezogen, da in diesen Fällen generell der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit besteht. Die Datenauswertung erfolgte deskriptiv. Diagnosespezifische Daten der Statistik Austria liegen einerseits im Todesursachenregister vor, andererseits in der Krebsstatistik. In der hier vorliegenden Darstellung wird primär auf die Krebsstatistik Bezug genommen, in die Fälle mit dem Jahr der Erstdiagnose aufgenommen werden. Grundsätzlich sind alle Krebsfälle meldepflichtig. Die weitgehende Einhaltung der Meldepflicht kann gerade beim Mesotheliom leicht durch den Vergleich mit dem Sterberegister verglichen werden, das über die Jahre tatsächlich eine annähernd gleich große jährliche Fallzahl in Österreich aufweist. Bei anderen Krebsarten ist die Meldung leider nicht immer vergleichsweise vollständig.
Ergebnisse
Nach den Zahlen der Krebsstatistik der Statistik Austria (StatAT) sind in Österreich im Zeitraum 2004 bis 2016 insgesamt n=1356 Personen an einem Mesotheliom (ICD-10 C 45) erkrankt (Erstdiagnose). Im Beobachtungszeitraum wurden die meisten Mesotheliomfälle (n=123) im Jahr 2012 und die wenigsten im (n=85) im Jahr 2014 in Österreich beobachtet. Im selben Zeitraum wurden n=543 Fälle beziehungsweise ca. 40% der Zahlen der StatAT von der AUVA als Berufskrankheit anerkannt (➥ Abb. 1). Die anerkannten Fälle der AUVA waren wie folgt kategorisiert: Mesotheliom der Pleura: n=311, Mesotheliom des Peritoneums: n=7, Mesotheliom, nicht näher bezeichnet: n=225.
Bei einer Differenzierung der Mesotheliomfälle nach den einzelnen Bundesländern (➥ Abb. 2) zeigen sich bei den Daten der StatAT die häufigsten Fälle im Bundesland Wien (n=272), gefolgt von Oberösterreich (n=251) und Niederösterreich (n=232), die wenigsten Fälle im Bundesland Salzburg (n=53), gefolgt von Vorarlberg (n=56) und Burgenland (n=63).
Betrachtet man die prozentuale Bevölkerungsverteilung in Österreich und die bei der StatAT registrierten Mesotheliomfälle (➥ Tabelle 2) zeigen sich nur geringe Abweichungen. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Österreich wurden etwas mehr Mesotheliomfälle in Oberösterreich, Steiermark, Kärnten und Burgenland beobachtet, etwas weniger in Wien, Niederösterreich, Tirol, Salzburg und Vorarlberg.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass insgesamt n=78 bzw. 14,4% der Mesotheliomfälle der AUVA (Betriebsstandort) keinem Bundesland zugeteilt werden konnten, fällt bei einer Anerkennungsrate von ca. 40% auf, dass in Oberösterreich (3,4%) und Kärnten (1,2%) etwas mehr Fälle anerkannt wurden und insbesondere in Niederösterreich (5,7%) und Tirol (3,2%) die Anerkennungsrat deutlich schlechter ausgeprägt war (s. Tabelle 2).
Diskussion
Limitiert werden die Ergebnisse der Untersuchung dadurch, dass es sich zum einen um die Auswertung von Sekundärdaten handelt und zum anderen die Daten der AUVA zum Teil unvollständig waren.
Prinzipiell verwundert die geringe Anerkennungsquote der Mesotheliomfälle der AUVA mit ca. 40%. In Deutschland, mit einem mit Österreich vergleichbaren Sozialversicherungsrecht bei Berufskrankheiten, wurden im Vergleich dazu im Jahr 2016 ohne Berücksichtigung der Zahlen weiterer Unfallversicherungsträger von den Unfallversicherungsträgern der gewerblichen Wirtschaft und der öffentlichen Hand (n=1031) (DGUV, o.J.) sowie der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (n=11) (pers. Mitteilung) von den Neuerkrankungen eines Mesothelioms (n=1620) (Robert Koch-Institut, o.J.) ca. 65% als Berufskrankheit anerkannt.
Bei der Bewertung der Zahlen ist selbstverständlich zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsaufwand der Anerkennung einer Berufskrankheit einschließlich der Ermittlungsarbeit einige Zeit in Anspruch nimmt und nicht immer die Anerkennung als Berufskrankheit im Jahre des Auftretens erfolgen kann, sondern in einem der Folgejahre. Über den in der Studie einbezogenen Beobachtungszeitraum von 2004 bis 2016 müsste sich jedoch dieser Einflussfaktor weitgehend aufheben.
Gegebenenfalls existieren auch in Österreich weitere Unfallversicherungsträger, deren Mesotheliomzahlen nicht in die Auswertung mit einbezogen wurden. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass dies einen relevanten Anteil an anerkannten Erkrankungsfällen ausmacht. Zudem könnte bei einzelnen Erkrankungsfällen keine Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit vorgelegen haben, da die Erkrankung nicht in Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung entstanden ist. Auch die Anzahl hiervon betroffener Fälle erscheint gering.
Am wahrscheinlichsten beruht die relativ geringe Anerkennung des Mesothelioms als Berufskrankheit in Österreich an einem schlechten Anzeigeverhalten der hierzu verpflichteten Ärztinnen und Ärzte. Eigentlich müsste bei jedem Mesotheliomfall eine Berufskrankheitenanzeige erfolgen. Gründe für die Ablehnung eines Mesothelioms als Berufskrankheit könnte eigentlich nur sein, dass keine Asbestexposition retrospektiv mehr ermittelt werden kann beziehungsweise dass die Asbestexposition des/der Erkrankten außerhalb eines die Unfallversicherung begründenden Beschäftigungsverhältnisses bestanden hat. Dies erklärt aber nicht die große Diskrepanz an aufgetretenen und anerkannten Fällen.
Auf der Grundlage der Ergebnisse ist zu empfehlen, dass in Österreich alle Ärztinnen und Ärzte in einer Kampagne über ihre Verpflichtung, Berufskrankheiten anzuzeigen, informiert werden. Hierzu bedarf es jedoch neben allgemeinem Wissen zum Berufskrankheitenrecht arbeitsmedizinischer Grundkenntnisse. Es ist daher dringend zu empfehlen, bereits im Medizinstudium grundlegende arbeitsmedizinische Kenntnisse zu vermitteln. Hierzu bedarf es aber auch geeigneter Einrichtungen an den jeweiligen medizinischen Fakultäten in Österreich, die jedoch derzeit weitgehend fehlen.
Zudem wäre vielleicht zu prüfen, ob nicht bei einzelnen Krebserkrankungen, deren berufliche Verursachung sehr wahrscheinlich ist, wie zum Beispiel beim Mesotheliom, die Zusammenarbeit der Krankenkassen mit der AUVA optimiert werden kann. In Deutschland können beispielsweise auch die Krankenkassen den Verdacht einer Berufskrankheit beim zuständigen Unfallversicherungsträger anzeigen.
Danksagung: Die Untersuchung wurde von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) finanziell unterstützt.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Literatur
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) § 177.
https://www.jusline.at/gesetz/asvg/paragraf/177
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) § 363.
https://www.jusline.at/gesetz/asvg/paragraf/363
ASVG: Lister der österreichischen Berufskrankheiten. https://www.jusline.at/gesetz/asvg/paragraf/anlage1
AUVA: Mesotheliom-Information. https://www.auva.at/cdscontent/?contentid=10007.672068&portal=auvaportal&viewmode=content
AUVA: Ärztliche Meldung eines Mesothelioms. https://www.auva.at/cdscontent/load?contentid=10008.542585&version=1568271829
AUVA: Krebserkrankung und Beruf. https://www.auva.at/cdscontent/?contentid=10007.814050&viewmode=content
DGUV: Anerkannte Berufskrankheiten – UV der gewerblichen Wirtschaft und der öffentlichen Hand. https://www.dguv.de/de/zahlen-fakten/bk-geschehen/anerkannte-bken/index.jsp
Machan B: Berufskrankheit Pleuramesotheliom. Austrian Mesothelioma Interst Group (amig). http://amig.at/berufskrankheit-pleuramesotheliom
Neuberger M: Pneumokoniosen in Österreich. Atemw Lungenkr 2011; 37: 1–3.
Neumann V, Löseke S, Nowak D, Herth FJF, Tannapfel A: Malignant pleural mesothelioma—incidence, etiology, diagnosis, treatment and occupational health. Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 319–326.
Robert Koch Institut: Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016. https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebsgeschehen/Krebsgeschehen_download.pdf?__blob=publicationFile
Statista: Bevölkerung von Österreich nach Bundesländern am Jahresbeginn 2019. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/75396/umfrage/entwicklung-der-bevoelkerung-in-oesterreich-nach-bundesland-seit-1996/
Für die Autorenschaft
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