What content should a university module on “Climate Change and Health” convey? Results of a qualitative content analysis of expert interviews
Objectives: The earth is in the midst of a climate change that has already led to worrying deteriorations in the social and environmental determinants of health. There is therefore an urgent need for action to familiarize teachers and learners with the effects of climate change on human health in the sense of planetary health. But what content should a university module on climate change and health convey?
Methods: In order to find answers to this question, expert interviews were conducted in the summer of 2022 and subjected to a qualitative content analysis.
Results: The interviews revealed considerable consistency of content between the topics mentioned by the experts. There were differences in how the health impacts of climate change were classified. Basic terms were not always defined consistently. There were also problems in applying the concept of prevention to the health impacts of climate change. The following structure of the module was proposed: (1) Basics: physical principles, climatic and ecological consequences of climate change, possible influence of climate change on physiology/epigenetics in humans, global concepts for considering health consequences caused by climate change, ethical aspects, topic-related methods, (2) primary, secondary and tertiary health consequences of climate change, (3) possibilities for prevention and adaptation. On this basis, a module description was finally developed.
Conclusions: This description of a university module on climate change and health can form the basis for the development of further modules and courses in this subject area at German-speaking universities (especially in the health sector). This is intended to ensure not only that the knowledge acquired is applied and passed on, but also that the learners later use their knowledge to promote a climate-friendly, healthier environment and a fairer, healthier society.
Keywords: climate change – health – planetary health – university studies – module description
doi:10.17147/asu-1-295583
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2022; 58: 520–529
Welche Inhalte soll ein Hochschulmodul „Klimawandel und Gesundheit“ vermitteln? Ergebnisse einer qualitativen Inhaltsanalyse von Experteninterviews
Zielstellung: Die Erde befindet sich mitten in einem Klimawandel, der bereits zu besorgniserregenden Verschlechterungen bei den sozialen und ökologischen Determinanten von Gesundheit geführt hat. Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, Lehrende und Lernende mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit im Sinne einer Planetary Health vertraut zu machen. Doch welche Inhalte soll zum Beispiel ein Hochschulmodul „Klimawandel und Gesundheit“ vermitteln?
Methoden: Um Antworten hierauf zu finden, wurden im Sommer 2022 Experteninterviews durchgeführt und einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen.
Ergebnisse: In den Interviews zeigte sich eine große inhaltliche Übereinstimmung zwischen den von den Expertinnen und Experten genannten Einzelthemen. Unterschiede gab es bei der Art der Einteilung der Gesundheitsfolgen des Klimawandels. Grundlegende Begriffe wurden nicht immer einheitlich definiert. Probleme gab es zudem bei der Anwendung des Präventionsbegriffs auf die Gesundheitsfolgen des Klimawandels. Vorgeschlagen wurde folgende Gliederung des Moduls: (1) Grundlagen: physikalische Grundlagen, klimatische und ökologische Folgen des Klimawandels, Einflussmöglichkeiten des Klimawandels auf Physiologie/Epigenetik beim Menschen, globale Konzepte zur Betrachtung klimawandelbedingter Gesundheitsfolgen, ethische Aspekte, themenrelevante Methoden, (2) primäre, sekundäre und tertiäre Gesundheitsfolgen des Klimawandels, (3) Möglichkeiten der Prävention und der Anpassung. Auf dieser Basis wurde schließlich eine Modulbeschreibung erarbeitet.
Schlussfolgerungen: Diese Modulbeschreibung für ein Hochschulmodul „Klimawandel und Gesundheit“ kann das Fundament für die Entwicklung weiterer Module und Studiengänge in diesem Themenbereich an den deutschsprachigen Hochschulen (v. a. im Gesundheitsbereich) bilden. Hiermit soll erreicht werden, dass das erworbene Wissen nicht nur angewandt und weitergegeben wird, sondern dass sich die Lernenden später mit ihrem Wissen auch für eine klimagerechte, gesündere Umwelt und eine gerechtere, gesündere Gesellschaft einsetzen.
Schlüsselwörter: Klimawandel – Gesundheit – Planetary Health – Hochschulstudium – Modulbeschreibung
Einleitung
Seit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurden erhebliche Mengen an Kohle und Erdöl zur Energiegewinnung genutzt. Hierdurch gelangte immer mehr Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Atmosphäre, das inzwischen zusammen mit weiteren anthropogenen Treibhausgasen global zu einem deutlichen Anstieg der Durchschnittstemperaturen geführt hat (➥ Abb. 1). Folgen der Temperaturerhöhung sind das Abschmelzen der Eisschilde und Gletscher, ein Anstieg der Meeresspiegel, das Auftauen der Permafrostböden sowie regional unterschiedliche Veränderungen der Niederschlagsmengen. Extremereignisse wie Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen und Stürme nehmen deutlich zu.
Seit einigen Jahren ist es nicht mehr zu übersehen, dass wir uns mitten in einem Klimawandel befinden, der bereits zu besorgniserregenden Verschlechterungen bei den sozialen und ökologischen Determinanten von Gesundheit geführt hat (Watts et al. 2021). So waren 2019 weltweit 1,7 Mio. vorzeitige Todesfälle auf extreme Hitze und Kälte zurückzuführen (The Lancet 2021). Dass Hitzewellen an Häufigkeit und Intensität zunehmen, zeigte eine massive Hitzewelle in Indien und Pakistan, die bereits im Frühjahr 2022 die Temperaturen um drei bis acht Grad über dem langjährigen Mittel dieser Jahreszeit ansteigen ließ und bei der Höchsttemperaturen um 50 °C erreicht wurden. Auf die durch die Hitze verursachte Dürre folgte ab Mitte Juni ein extremer Monsunregen, der in einigen Provinzen Pakistans etwa das Fünffache des 30-Jahres-Durchschnitts an Niederschlägen brachte, ein Drittel des Landes überschwemmte, überall zu massiven Erdrutschen führte, die Ernten auf 3,6 Mio. Hektar Land zerstörte und mehr als 750.000 Nutztiere tötete. Ein Großteil der Infrastruktur wurde beschädigt oder vernichtet. Von den Überschwemmungen waren 33 Mio. Menschen betroffen, etwa 7,6 Mio. mussten vor den Wassermassen fliehen. Anfang September 2022 ging man von 1265 Toten aus. Voraussichtlich wird die Zahl der Todesopfer aufgrund der ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Flut diese Zahl jedoch um ein Vielfaches übertreffen (Bhutta et al. 2022; Devi 2022; Otto et al. 2022). Auch in Europa gibt es immer häufiger Dürren und große Überschwemmungen. So starben etwa in Deutschland im Juli 2021 bei dem sogenannten Jahrhunderthochwasser insgesamt 186 Menschen. Allein im Ahrtal gab es neben massiven Infrastrukturschäden 134 Tote und 766 Verletzte (BpB – Bundeszentrale für politische Bildung 2021). In der Regel haben vulnerable Gruppen unter den Auswirkungen des Klimawandels besonders stark zu leiden (DBfK – Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2020).
All diese Ereignisse in verschiedenen Teilen der Erde weisen immer deutlicher darauf hin, dass mittlerweile nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern mittel- bis langfristig sogar die weitere Existenz des Menschen auf der Erde gefährdet ist (IPBES u. IPCC 2021; The Lancet Public Health 2021; Kemp et al. 2022). Der Lancet Countdown on Health and Climate Change-Report 2022 betont, dass sich die Erde an einem kritischen Punkt befindet (Romanello et al. 2022). Die fortlaufenden Berichte des Weltklimarats (IPCC; Berichte unter https://www.ipcc.ch/) fassen den aktuellen Forschungsstand zu den Ursachen, Risiken und Folgen des Klimawandels, auch in gesundheitlicher Hinsicht, zusammen. Das IPCC trägt darüber hinaus auch Informationen zu den Minderungs- und Anpassungsstrategien zusammen und bewertet alles aus wissenschaftlicher Sicht. Bereits 2014 zeigte der Fünfte IPCC-Sachstandsbericht (Smith et al. 2014), dass in vielen Regionen der Erde erhebliche Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit zu erwarten sind. ➥ Abbildung 2 zeigt die direkten und indirekten Einwirkungen der Umwelt – einschließlich des Klimawandels – auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen. Wie stark Menschen von diesen Einwirkungen betroffen sind, hängt unter anderem auch von ihrem sozialen Umfeld, ihrem Alter, Geschlecht, Gesundheitsstatus und sozioökonomischen Status ab.
Die bereits jetzt sichtbaren Gesundheitsfolgen des Klimawandels führten dazu, dass im Oktober 2021 der Lancet Countdown on Health and Climate Change Policy Brief für Deutschland veröffentlicht wurde, der dringenden Handlungsbedarf darin sieht, Lehrende und Lernende mit den Grundlagen der Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit im Sinne einer Planetary Health (Myers et al. 2021) vertraut zu machen. Diese sollen insbesondere verpflichtender Teil von Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Prüfungsordnungen aller Gesundheitsberufe werden (The Lancet Countdown Deutschland 2021).
Fragestellung und Zielsetzung
Allerdings fehlt es in Deutschland noch immer an gut ausgebildeten, interdisziplinär arbeitenden Fachleuten, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. Erst langsam finden sich in der Hochschullehre einzelne Curricula, die sich mit dem Thema „Klimawandel und Gesundheit“ auseinandersetzen. Die meisten umwelt- und gesundheitsbezogenen Studiengänge gehen bisher gar nicht oder nur am Rande auf das Thema ein. Außeruniversitär wurden inzwischen zum Beispiel die Curriculare Fortbildung Klimawandel und Gesundheit der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und der Qualifizierungslehrgang für Medizinische Fachangestellte Klimawandel und Gesundheit der Carl-Oelemann-Schule (COS) der Landesärztekammer Hessen und der Deutschen Akademie für Prävention und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter e. V. (DAPG) entwickelt, die sich jedoch vorrangig an Personen aus dem medizinischen Bereich wenden und sich somit inhaltlich auf medizinische Aspekte fokussieren.
Ziel dieser Untersuchung war es daher, ein Hochschulmodul zum Thema „Klimawandel und Gesundheit“ zu entwickeln, das die grundlegenden Kenntnisse in diesem Wissenschaftsbereich vermitteln soll. Dieses Modul soll Teil eines Studienganges „Umwelt und Gesundheit“ sein, der sich vorrangig an Studierende mit einem ersten Hochschulabschluss in den Bereichen Public Health, Human-/Veterinärmedizin, Biologie, Psychologie, Soziologie, Pflege, Erziehung, Umweltwissenschaften, Technik und anderen Wissenschaftsbereichen wendet. Die Lernenden sollen hierdurch jedoch nicht nur beim Aufbau neuer Fach- und Methodenkompetenzen unterstützt werden, sie sollen zudem über eine praxisnahe und transformative Vermittlung zu einem verantwortungsvollen Handeln motiviert werden (The Lancet Countdown Deutschland 2021). Im Sinne des UNESCO-Ansatzes „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) soll das Gelernte dann auch im jeweiligen Lebens- und Arbeitsbereich gelebt werden. Die Lernenden sollen sich später dort also mit ihrem Wissen für eine klimagerechte, gesündere Umwelt und eine gerechtere, gesündere Gesellschaft einsetzen (UNESCO 2017; ➥ Abb. 3). Dies gelingt besonders gut in Lerngruppen, in denen sich die Teilnehmenden hinsichtlich ihres Vorwissens und ihrer Erfahrungswelt deutlich unterscheiden. Auch die Studierenden im Hochschulmodul „Klimawandel und Gesundheit“ sollen verschiedenste Voraussetzungen mitbringen, so dass sie entsprechend ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit ihren Mitstudierenden teilen können.
Um die Frage zu beantworten, welche Inhalte ein solches Modul vermitteln soll, werden Expertinnen und Experten, das heißt Forschende und Lehrende aus diesem Bereich, im Rahmen von Experteninterviews befragt. Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse dieser Interviews bilden gemeinsam mit den Ergebnissen einer Vorarbeit zur hochschuldidaktischen Gestaltung eines Fern-Lehrgangs „Umwelt und Gesundheit“ (bei der Autorin erhältlich) und einer parallel durchgeführten Lehrbuchanalyse die Basis für eine detaillierte Modulbeschreibung. Letztere ist Teil einer Masterarbeit, die einschließlich der im Verlauf der Studiendurchführung erarbeiteten Materialien (z. B. Leitfaden Experteninterview, Kodierleitfaden, Kategorienerstellung etc.) auf dem Server der Fernuniversität in Hagen abgerufen werden kann (Habermann-Horstmeier 2022).
Methode: Experteninterviews
Zur Identifizierung der Inhalte, die ein solches Modul „Klimawandel und Gesundheit“ vermitteln soll, wurden im Rahmen einer qualitativen empirischen Untersuchung explorative Experteninterviews als teilstandardisierte Leitfadeninterviews durchgeführt. Hierüber sollte das aktuelle, gegebenenfalls über das bisherige Lehrbuchwissen hinausgehende, jedoch bereits allgemein akzeptierte Expertenwissen zum Thema ermittelt werden (Blöbaum et al. 2015, S. 4). Da das Modul nicht nur Fach- und Methodenkompetenzen vermitteln, sondern auch interdisziplinäres Denken fördern, für kritisches Denken sensibilisieren und die Lernenden motivieren soll, die erworbenen Kompetenzen dann auch sinnvoll und verantwortungsbewusst in ihren Arbeits- und Lebensbereichen anzuwenden, wurden die Expertinnen und Experten darüber hinaus dazu befragt, anhand welcher Themenbereiche dies ihrer Ansicht nach am besten möglich ist.
In Experteninterviews geht es darum, die besondere Expertise der Teilnehmenden als Sonderwissen anzusprechen (Helfferich 2019, S. 681). Sie sind daher besonders gut geeignet, Antworten auf die oben genannte Forschungsfrage zu finden. Die Interviewform bietet zudem Raum für freie Antworten. Gleichzeitig erlaubt die grobe Strukturierung eine bessere Vergleichbarkeit der durchgeführten Interviews. Vorstrukturierte Interviews sind in der Bearbeitung zudem im Vergleich zu rein narrativen Interviews weniger zeitaufwendig (Meuser u. Nagel 1991).
Expertenauswahl, Größe und Zusammensetzung des Samples
Als Kriterien für die Expertenauswahl wurden (a) Ausbildungshintergrund, (b) aktuelle berufliche Tätigkeit mit Schwerpunkt „Klimawandel und Gesundheit“ sowie (c) Forschungs- beziehungsweise (d) Hochschullehrerfahrung festgelegt. Auf diese Weise sollten möglichst viele Aspekte im Bereich der direkten und indirekten gesundheitlichen Klimawandelauswirkungen sichtbar gemacht werden. Um eine derart zusammengesetzte Auswahl an Expertinnen und Experten zu gewinnen, wurden zwei Hochschulprofessorinnen aus Deutschland und der Schweiz gebeten, Expertinnen und Experten aus dem deutschsprachigen Raum im Schneeballverfahren vorzuschlagen, die seit längerem im Bereich „Klimawandel und Gesundheit“ in Forschung und/oder Hochschullehre tätig sind. Die Kontaktaufnahme zu den empfohlenen Personen geschah per E-Mail. Fast alle Angeschriebenen waren mit der Interviewteilnahme einverstanden. Bei den Interviewten handelte es sich um sieben Frauen und einen Mann, die fast alle über eine naturwissenschaftliche Hochschulausbildung (in Humanbiologie, Biologie, Mikrobiologie, Geografie, Meteorologie, Pharmazie) verfügten und zudem meist ein Studium im Gesundheitsbereich (Medizin, Public Health, Epidemiologie) absolviert hatten. Eine Expertin bildete sich zur Zeit des Interviews in Medical Education fort. Eine weitere Expertin war Professorin, fast alle hatten promoviert, verfügten über eine umfangreiche Forschungs- und eine breitgefächerte Lehrerfahrung und arbeiteten schon über viele Jahre an renommierten Institutionen in Deutschland und der Schweiz, die sich mit dem Thema Klimawandel und Gesundheit beschäftigen1. Personen aus den Bereichen Sozialwissenschaften und Psychologie, die zusätzlich angefragt wurden, konnten leider nicht für die Untersuchung gewonnen werden. Eine Beschreibung der teilnehmenden Expertinnen und Experten findet sich in ➥ Tabelle 1.
Erstellung eines Leitfadens für die teilstandardisierten Interviews
Leitfadeninterviews sind insbesondere dann sinnvoll, wenn es wie beim Expertengespräch um relativ eng umgrenzte Fragestellungen geht und es darauf ankommt, dass bestimmte Bereiche in jedem Fall angesprochen werden (Przyborski u. Wohlrabe-Sahr 2021, S. 165). Der erstellte Leitfaden enthielt neben einer Einleitung und einigen Fragen zur Person eine allgemein gehaltene Einstiegsfrage in die Thematik (Mayring 2002, S. 70). Anschließend wurden verschiedene inhaltliche Themenbereiche angesprochen, die ebenfalls zuvor mit einer offenen Frage eingeleitet wurden, so dass die Befragten möglichst von allein die interessierenden Aspekte thematisierten und den Sachverhalt selbst strukturiert darstellten (Przyborski u. Wohlrabe-Sahr 2021, S. 160, 168). Es folgten gegebenenfalls Nachfragen, falls Themengebiete noch nicht angesprochen wurden. Während des Interviews waren auch spontane Ad-hoc-Fragen möglich (Mayring 2002, S. 70). Zur konkreten Formulierung der (Nach-)Fragen mit Hilfe der SPSS-Formel2 (Helfferich 2019, S. 677 f.) wurden die für die parallel stattfindende Literaturanalyse ausgewählten Buchkapitel zum Thema „Klimawandel und Gesundheit“ unterstützend herangezogen (Habermann-Horstmeier 2022). Nach den ersten beiden Interviews wurde eine Frage aufgrund von Verständnisproblemen umformuliert und einige zusätzliche, von den Expertinnen und Experten erwähnte Aspekte in den Katalog der Nachfragen aufgenommen.
Durchführung, Transkription und Dokumentation der Interviews
Im Sommer 2022 konnten dann sechs Interviews mit acht Teilnehmenden durchgeführt werden. An zwei der Interviews nahmen jeweils zwei Expertinnen teil. Die Interviews wurden als Video-Telefongespräche über die Plattform Zoom geführt und dauerten zwischen 42 Minuten und einer Stunde und elf Minuten. Sie wurden mit dem Einverständnis der Studienteilnehmenden aufgezeichnet und später manuell transkribiert. Die transkribierten Interviews wurden mit den entsprechenden Hintergrundinformationen zum Interview (Datum, Zeit, Dauer, ID der Teilnehmenden) versehen. Relevante personenbezogene Daten wurden anonymisiert. Abschließend wurden alle Transkripte nochmals mit den Interviews abgeglichen.
Qualitative Inhaltsanalyse mit Sicherstellung der Gütekriterien
Anschließend wurden die Interviews einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring unterzogen (Mayring 2014, S. 39). Dabei wurde eine deduktive Vorgehensweise gewählt, bei der das Kategoriensystem vor der Kodierung des Textes festgelegt wird (Mayring 2014, S. 95 ff.). Mit Hilfe des Kodierleitfadens wurden anschließend die in den Interviews geäußerten Aussagen den genannten Kategorien zugeordnet. Die entwickelten Kategorien wurden schließlich in einer Rückkopplungsschleife überarbeitet und einer Reliabilitätsprüfung unterzogen. Bei der Rücküberprüfung wurde das Kategoriensystem nochmals mit dem Ausgangstext abgeglichen (Mayring 2000, S. 4 ff.). Da die klassischen Gütekriterien aus der quantitativen Forschung (Objektivität, Reliabilität, Validität) hier nicht anwendbar sind, wurde stattdessen nach Transparenz und Intersubjektivität als häufig angegebene Gütekriterien der qualitativen Forschung geschaut (vgl. Wirtz u. Petrucci 2007). Darüber hinaus wurden die von Mayring (2002, S. 145 f.) genannten Gütekriterien Gegenstandsangemessenheit und Regelgeleitetheit des Vorgehens berücksichtigt.
Ergebnisse
Die den einzelnen Kategorien zugeordneten Aussagen der Expertinnen und Experten wurden nun im Rahmen einer zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse der Reihe nach betrachtet (Mayring 2015, S. 65 ff.). Im Folgenden werden die für die Modulentwicklung relevanten Ergebnisse der Experteninterviewanalyse zusammengefasst. Anschließend werden auf der Basis dieser Zusammenfassung die aus Sicht der Befragten zentralen Inhalte für das geplante Modul „Klimawandel und Gesundheit“ identifiziert. Eine ausführliche Darstellung des Vorgehens findet sich in Habermann-Horstmeier (2022).
Grundlagen
Als wichtige Themen für den Grundlagenblock des geplanten Moduls nannten die Expertinnen und Experten die Definition des Begriffs Klimawandel, die Ursachen des Klimawandels und die Unterscheidung zwischen natürlichem und anthropogenem Klimawandel. Hinsichtlich der den Klimawandel beeinflussenden Faktoren gaben sie die wichtigsten Treibhausgase, deren Ursprungsquellen sowie ihr jeweiliger Beitrag zum Treibhauseffekt global und in den einzelnen Staaten an. Sie hielten den Vergleich der aktuellen Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre mit der Menge früherer Jahrzehnte für wichtig, ebenso wie die erdgeschichtliche Einordnung der heutigen atmosphärischen CO2-Konzentration und der globalen Durchschnittstemperaturen seit Beginn der Industrialisierung. Zudem solle das Kohlenstoffbudget3 als Basis des Klimaschutzes erläutert werden.
Darüber hinaus sollten die Einflussmöglichkeiten der Umwelt auf Pathophysiologie und Epigenetik des Menschen angesprochen werden. Betont wurde auch die Einbindung des Themas „Klimawandel und Gesundheit“ in ein übergreifendes Planetary-Health-Konzept, in dem die Planetary Boundaries4 erläutert und ein Planetary-Health-Konzept formuliert wird, das die menschliche Gesundheit als untrennbar mit der Gesundheit der Ökosysteme verbunden sieht. In diesem Zusammenhang sollte auch das verwandte One-Health-Konzept5 erläutert werden.
Fast alle Expertinnen und Experten gingen auch auf ethische Aspekte ein, zum Beispiel auf die Abhängigkeit der Menschen von der Natur und dem Erhalt der Lebensgrundlagen, aber auch auf die Themen Klima- und Umweltgerechtigkeit. Hier wurden vor allem vulnerable und wirtschaftlich benachteiligte Gruppen beziehungsweise Länder genannt sowie die Notwendigkeit eines politischen und gesellschaftlichen Wertewandels.
Im Grundlagenblock sollte zudem ein grundsätzliches Verständnis für die Methoden der Klimaforschung und der Erdsystemanalyse sowie für die Entwicklung von Klimamodellen und anderen Zukunftsprojektionen vermittelt werden. Wichtig seien beispielsweise auch spezifische Methodenkenntnisse aus dem Gesundheitsbereich, wie etwa die Berechnung der Übersterblichkeit.
Gesundheitsfolgen des Klimawandels
Für den Gesundheitsfolgenblock wurden verschiedenste Gliederungsmöglichkeiten vorgeschlagen, unter anderem auch die Einteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Gesundheitsfolgen, die hier beibehalten werden soll. Dabei wurde mehrfach betont, dass bestimmte Krankheiten – wie etwa psychische Störungen – in mehreren Kategorien vorkommen können. Als Beispiele für primäre Gesundheitsfolgen des Klimawandels wurden die Folgen von Hitze, Feuer und Stürmen, zum Beispiel kardiovaskuläre und pulmonale Erkrankungen, Frühgeburtlichkeit und Verletzungen genannt. Dabei wurde betont, dass bestimmte Gruppen eine höhere Vulnerabilität aufwiesen als andere. Sekundäre Gesundheitsfolgen seien Gesundheitsfolgen aufgrund ökologischer Veränderungen. Die Befragten zählten hierzu vor allem vektor-, lebensmittel- und wasserübertragene Krankheiten sowie Allergien und psychische Beeinträchtigungen, wobei Letztere nicht nur eine sekundäre, sondern auch eine primäre oder tertiäre Gesundheitsfolge sein könne. Tertiäre Gesundheitsfolgen entstünden aufgrund sozialer Instabilität. Als typische Beispiele wurden die gesundheitlichen Folgen von kriegerischen Konflikten und Migration (z. B. aufgrund von hitze- bzw. dürrebedingt geringerer Nahrungsmittelproduktion) wie etwa Stress und psychische Störungen genannt.
Prävention, Mitigation und Adaptation
Zu Beginn des Blocks Prävention, Mitigation und Adaptation sollten die genannten Begriffe definiert werden, wobei unter Mitigation alle Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen zu verstehen seien, die ein weiteres Voranschreiten des Klimawandels verhindern sollen. Adaptationsmaßnahmen seien alle Maßnahmen zur Anpassung an bereits bestehende Klimawandelfolgen. Eine klare Definition des Präventionsbegriffs im Zusammenhang mit den Gesundheitsfolgen des Klimawandels wurde nicht genannt. Präventionsmaßnahmen seien zum Beispiel alle Maßnahmen, die eine weitere Erhitzung der Erde verhindern sollen (Mitigation), aber auch Maßnahmen im Kontext von Verhaltens- und Verhältnisprävention, die dem Bereich Adaptation zugeordnet werden können. Als wichtige Adaptationsmaßnahmen nannten die Expertinnen und Experten die Erstellung und Umsetzung von Hitzeaktionsplänen, die Begrünung der Städte und Häuser, die klimagerechte Anpassung des Gesundheitssektors, aber auch den Katastrophenschutz und die Einrichtung von Überwachungssystemen (z. B. bei der Ausbreitung von Vektoren). Wichtig sei dabei die Erläuterung des Health-In-All-Policies-Konzepts6 sowie ein struktureller Wandel in Gesellschaft, Politik und Ökonomie, einhergehend mit der Verringerung sozialer Ungleichheit. Näheres zur Therapie der Gesundheitsfolgen des Klimawandels sollte zielgruppenabhängig nur bei Medizinstudierenden angesprochen werden.
Verknüpfung inhaltlicher und didaktischer Aspekte
Zur Verknüpfung inhaltlicher und didaktischer Aspekte im Rahmen des geplanten Moduls gaben die Befragten beispielsweise an, dass anhand von konkreten Beispielen sowohl mitteleuropäische als auch internationale Aspekte betont werden sollten. Mitteleuropäische Aspekte seien von Bedeutung, um die persönlichen Erfahrungen der Studierenden mit einzubeziehen und Betroffenheit bei ihnen zu erzeugen. Globale Aspekte sollten angesprochen werden, weil der globale Süden stärker von den gesundheitlichen Klimawandelfolgen betroffen sei. Grundsätzlich sei anzustreben, auch durch die Auswahl der Inhalte das interdisziplinäre, kritische Denken der Studierenden zu fördern. Im Bereich „Klimawandel und Gesundheit“ müssten verschiedenste Sektoren zusammenarbeiten, um Lösungen im Sinne der planetaren Gesundheit zu erarbeiten. Wichtig sei es zudem, über Inhalte die direkten, persönlichen Gesundheitsfolgen des Klimawandels spürbar werden zu lassen und dabei die persönlichen Ressourcen der Studierenden (wie etwa die gegenwärtige bzw. angestrebte berufliche Rolle) anzusprechen und zu aktivieren. Hierüber solle dann auch die spätere Anwendung im eigenen Lebens- und Arbeitsbereich gefördert werden. Die Studierenden sollten zu Change-Agents werden. Dies sei besonders wichtig für die im Gesundheitsbereich tätigen Personen.
Entwicklung einer Modulbeschreibung
Die hier entwickelten Lerninhalte wurden nun mit den Ergebnissen der parallel dazu durchgeführten Lehrbuchanalyse (Habermann-Horstmeier 2022) abgeglichen und in eine darauf basierende Modulbeschreibung übernommen. Dabei wurden auch die Ergebnisse der vorgeschalteten Hausarbeit zur hochschuldidaktischen Gestaltung eines Fern-Lehrgangs „Umwelt und Gesundheit“ berücksichtigt (über die Verfasserin erhältlich; ➥ Tabelle 2).
Zusammenfassende Diskussion
Hierauf basierend können folgende Ergebnisse festgehalten werden:
und tertiären Gesundheitsfolgen des Klimawandels definieren und regionale beziehungsweise globale Beispiele hierzu diskutieren.
Zu den Limitationen dieser Arbeit gehört, dass leider keine Expertinnen und Experten aus den Bereichen Sozialwissenschaften und Psychologie für ein Interview gewonnen werden konnten. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass insbesondere Experte E4 während seines Interviews an vielen Stellen auf soziale, psychologische und ethische Aspekte im Zusammenhang mit dem Klimawandel
hinwies.
Schlussfolgerung und Ausblick
Die vor allem auf der Basis der Experteninterviews erarbeitete Modulbeschreibung für ein Hochschulmodul „Klimawandel und Gesundheit“ kann das Fundament für die Entwicklung weiterer Module und Studiengänge in diesem Themenbereich an den deutschsprachigen Hochschulen bilden. Wichtig ist insbesondere eine entsprechende Aus- und Fortbildung im Rahmen von Umwelt- und Gesundheitsstudiengängen. Aber auch in der Pädagogik, Psychologie, Soziologie oder im Verwaltungsbereich werden zunehmend Fachleute benötigt, die dieses Wissen anwenden und weitergeben – also überall dort, wo mit den gesundheitlichen Folgen des voranschreitenden Klimawandels umgegangen werden muss. Die auf diese Weise erfolgreich ausgebildeten Studierenden können aber auch in anderen Bereichen für mehr gesundheitsbezogenes Wissen im Hinblick auf den Klimawandel sorgen und sich sowohl im Alltags- als auch im Arbeitsbereich für eine breitere Anwendung von klimawandelbezogenen Gesundheitsmaßnahmen einsetzen.
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Danksagung: Die Autorin bedankt sich herzlich bei allen interviewten Expertinnen und Experten für die Teilnahme an der Studie.
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Kontakt
Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier,MPH, MSc
Leiterin des Villingen Institute of PublicHealth (VIPH)
Klosterring 5
78050 Villingen-Schwenningen
Habermann-Horstmeier@viph-public-health.de
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