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„Mal in Ruhe lesen“: Wirkungen von Lärm auf das Lesen – Ergebnisse einer Laborstudie mit Beschäftigten

H. Sukowski

doi:10.17147/asu-1-392255

(eingegangen am 25.07.2024, angenommen am 09.09.2024)

“Reading in peace”: Effects of noise on reading – results from a laboratory study with employees

Background: It is a regular day-to-day requirement in many occupations to retrieve information from written material by reading. Therefore, a proofreading task was applied as one of two tasks in this study, in which the effects of different realistic sounds on cognitive performance were investigated.

Method: Seventy participants worked on a self-developed reading task, once in a silent condition and once in a condition with one of three background sounds. The sounds, which were kindly provided for this study by other institutions, were recordings from a checkout at a fashion retailer, a multi-space office and a construction site. Thus, the sample for this study consisted of three sound groups. In addition, all participants gave subjective assessments referring to the processing of the tasks with respect to four different aspects.

Results: For the entire group, the analysis showed the tendency of a lower number of correctly finished items in the sound condition than in the silent condition. The results were different in the separate sound groups. The subjective assessments showed higher experienced effort and disturbance as well as lower self-assessed concentration in the sound condition than in the silent condition.

Conclusions: Adverse effects of background sounds on reading performance were detectable, and they were different in the three sound groups. However, clearer effects were identified for the subjective assessments, i.e., when persons were questioned about their impressions. This underlines the importance of asking people affected by noise, in order to get an insight how the interfering effects are experienced. More detailed survey tools would be required to find out more about the sound characteristics which are responsible for particular effects.

Keywords: noise – cognitive performance – proofreading – subjective assessments – workplace

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2023; 59: 646–656

„Mal in Ruhe lesen“: Wirkungen von Lärm auf das Lesen – Ergebnisse einer Laborstudie mit Beschäftigten

Hintergrund: Informationen aus geschriebenem Material zu entnehmen, also etwas zu lesen, gehört in vielen Berufen zu den selbstverständlichen und alltäglichen Anforderungen. Eine Korrekturleseaufgabe wurde daher als eine von zwei Aufgaben in den Mittelpunkt einer Studie gestellt, in der die Wirkung verschiedener realitätsnaher Geräusche auf kognitive Leistungen untersucht wurde.

Methode: In dieser Studie haben 70 Personen eine selbst entwickelte Leseaufgabe bearbeitet, und zwar einmal in einer Ruhebedingung und einmal in einer von drei Geräuschbedingungen. Die für diese Studie von anderen Institutionen freundlicherweise zur Verfügung gestellten Geräusche waren Aufnahmen von einem Kassenarbeitsplatz im Textileinzelhandel, einem Multi-Space-Büro und einer Baustelle. Die Stichprobe bestand somit aus drei Geräuschgruppen. Alle Teilnehmenden haben zudem subjektive Einschätzungen zu vier verschiedenen Aspekten bezogen auf die Bearbeitung der Aufgaben abgegeben.

Ergebnisse: In der Gesamtgruppe hat sich ein tendenzieller Effekt mit einer geringeren Anzahl richtig bearbeiteter Items in der Geräuschbedingung im Vergleich zur Ruhebedingung gezeigt. In den einzelnen Geräuschgruppen fielen die Ergebnisse unterschiedlich aus. Die subjektiven Einschätzungen ergaben in der Geräuschbedingung größere erlebte Anstrengung und Störung sowie geringere selbst eingeschätzte Konzentration als in der Ruhebedingung.

Schlussfolgerungen: Nachteilige Effekte von Hintergrundgeräuschen auf die Leseleistung sind zwar nachweisbar und sie variieren in den verschiedenen Geräuschgruppen. Die deutlicheren Effekte wurden jedoch bei den subjektiven Einschätzungen ermittelt, also dort, wo Personen zu ihren Eindrücken befragt wurden. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, die Betroffenen auch zu fragen, um einen Einblick zu erhalten, wie die Störwirkung erlebt wird. Um zu erfahren, welche Geräuscheigenschaften für die jeweilige Wirkung verantwortlich sind, wäre der Einsatz detaillierterer Befragungsinstrumente erforderlich.

Schlüsselwörter: Lärm – kognitive Leistungen – Korrekturlesen – subjektive Einschätzungen – Arbeitsplatz

Einleitung

„Mal in Ruhe lesen, wer kann das schon?“, das war der Titel eines Informationsblattes zu einer Studie, die im Rahmen eines BAuA-Forschungsprojekts durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt des Projekts standen Untersuchungen zum Einfluss der akustischen Arbeitsumgebung auf kognitive Leistungen ([https://www.baua.de/DE/Forschung/Forschungsprojekte/f2427). Die Mehrdeutigkeit des Ausspruchs „Mal in Ruhe lesen“ liegt auf der Hand: Der Titel sollte neugierig machen und Interessierte ermuntern, sich das Informationsblatt wirklich aufmerksam anzuschauen. In dieser Aussage steckt aber auch das Wissen, dass die meisten Menschen doch gerne „in Ruhe“ lesen, wenn sie etwas gründlich lesen wollen. „Ruhe“ kann zwar auch in einem nicht-akustischen Sinne gemeint sein, also sich einfach Zeit zu nehmen. Aber für die meisten Menschen trifft wahrscheinlich zu, dass sie eine Umgebung ohne störende Geräusche bevorzugen, wenn sie etwas konzentriert und aufmerksam lesen wollen.

Der Titel des Informationsblattes wurde für die Studie, über die in diesem Beitrag berichtet wird, in „Mal in Ruhe arbeiten …“ erweitert, weil in der aktuellen Studie zusätzlich zur Leseaufgabe noch eine andere kognitive Aufgabe eingesetzt wurde (s. u.). Ein zentraler Inhalt des gesamten Projekts war aber die Untersuchung des Einflusses der akustischen Arbeitsumgebung auf das Lesen, und die Leseleistung steht auch im Fokus dieses Beitrags.

Mit dem Lesen wurde eine kognitive Fertigkeit in den Mittelpunkt gestellt, die bei sehr vielen beruflichen Tätigkeiten alltäglich gebraucht wird. In Büroberufen oder im Bildungsbereich ist die Anforderung, etwas lesen zu müssen, von zentraler Bedeutung. Eine Information aus geschriebenem Material schnell und sicher zu erfassen und zu verarbeiten kann aber auch in vielen anderen Berufen ein wichtiger Bestandteil der Tätigkeit sein, auch wenn diese Anforderung nur punktuell im Arbeitstag vorkommt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn bei einer Lieferung die Angaben auf dem Lieferschein schnell erfasst werden müssen oder wenn aus einem medizinischen Bericht die richtigen Informationen für weitere Behandlungen oder Medikationen abzuleiten sind.

Wird beim Überfliegen einer schriftlichen Information etwas nicht richtig aufgenommen, dann ist das in vielen alltäglichen Situationen zwar nicht immer mit nachhaltigen negativen Effekten verbunden. Aber gerade dort, wo im beruflichen Kontext die erfassten Informationen für weitere Handlungen leitend sind, können Fehler beim Lesen kurz- und sogar langfristige Folgen haben, die für die Betroffenen zumindest ärgerlich sind oder zusätzlichen Aufwand erfordern.

Unabhängig von diesen sehr praxisbezogenen Überlegungen ist es aus der Forschungsperspektive auch von Bedeutung, dass Fehler beim Lesen, auch in Form des Übersehens von Fehlern oder falschen Informationen, in experimentellen Lärmwirkungsstudien ein wichtiger Indikator für eine Störung sind, wenn diese Fehler nur in Bedingungen mit Hintergrundgeräuschen auftreten. Es gibt also mehrere Gründe, die dafür sprechen, das Lesen in den Mittelpunkt einer Lärmwirkungsstudie im Arbeitskontext zu stellen.

Studien, die sich mit der Wirkung von Lärm oder unerwünschten Geräuschen auf das Lesen beschäftigen, gibt es seit Langem. So hat beispielsweise Weinstein (1974) die Wirkung eines Fernschreibergeräuschs auf das Korrekturlesen bei Erwachsenen untersucht. In dieser Studie wurde ein nachteiliger Einfluss des Störgeräuschs auf das Entdecken der kontextabhängigen Fehler, aber nicht der kontextunabhängigen Fehler ermittelt. Weinstein (1974) hat in seiner Auswertung verschiedene Erklärungsansätze betrachtet und auch den Aspekt der Bewältigungsstrategien angesprochen. Schwabe (1982) hat in einer Laborstudie untersucht, ob Verkehrslärm Effekte auf eine Korrekturleseaufgabe hat. In dieser Studie wurde kein Effekt der verschiedenen Geräuschbedingungen ermittelt. Banbury und Berry (1998) haben in einem ihrer Experimente die Wirkung von verständlicher Sprache und von Bürolärm mit Sprachanteilen und ohne Sprachanteile auf eine Lesebehaltensaufgabe sowie eine Rechenaufgabe untersucht und dabei eine stärkere Störwirkung der Geräusche mit Sprachanteilen auf die Genauigkeit bei der Wiedergabe des Gelesenen nachgewiesen.

Dass Sprache oder sprachhaltige Geräusche eine besonders störende Wirkung haben können oder auch Geräusche, die in ihrer Struktur sprachähnlich sind, ist ein Ergebnis, das sich in Studien zur Wirkung von Lärm auf kognitive Leistungen immer wieder findet (z. B. Jahncke et al. 2013) und dementsprechend auch in Reviews zusammenfassend dargestellt wird (Liebl u. Kittel 2016; Marsh et al. 2023). Besonders eindeutig sind die Ergebnisse zur Wirkung auf das Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis (siehe z. B. Salamé u. Baddeley 1987; Schlittmeier et al. 2008). Bezüglich der Wirkung auf die Leseleistung werden zwar nicht in allen Studien nachteilige Effekte von sprachlichen Hintergrundgeräuschen ermittelt, beziehungsweise es werden manchmal lediglich Effekte auf einzelne abhängige Variablen nachgewiesen, aber trotzdem ist hier ebenfalls Sprache als störendes Geräusch von besonderer Bedeutung. Einige Studien zeigen, dass – vor allem beim Leseverstehen – die Verständlichkeit der Sprache die Beeinträchtigung noch verstärkt, auch wenn die Hintergrundsprache irrelevant für die Bearbeitung der konkreten Leseaufgabe ist (vgl. z. B. Oswald et al. 2000; Martin et al. 1988). Vasilev et al. (2018) kommen in ihrer Metaanalyse zu dem Schluss: “The present results suggest that intelligible speech is likely to impair performance on office tasks that require reading for comprehension, proofreading, or processing the meaning of written information” (S. 586).

Obwohl es eine Reihe von Studien gibt, die sich mit den Wirkungen von Lärm auf die Leseleistung beschäftigen, ist die Zahl der Studien, die die Wirkung der akustischen Arbeitsumgebung auf das Lesen explizit im beruflichen Kontext untersuchen und dabei Beschäftigte in die Studien einbeziehen, doch eher gering. Manchmal sind die Teilnehmenden überwiegend junge Studierende, manchmal sind die Geräusche wenig repräsentativ für den Arbeitsalltag oder die Bearbeitungszeiten sind im Verhältnis zu einem Arbeitstag eher kurz.

In der Studie, die als Laborstudie geplant wurde und die nachfolgend beschrieben wird, war es ein wesentliches Anliegen, möglichst viele Elemente mit einer gewissen Nähe zu beruflichen Situationen zu gestalten.

Realisiert werden sollte dies durch die folgenden Punkte:

  • Das zu lesende Material sollte auch Inhalte enthalten, die dem Arbeitskontext zugeschrieben werden können.
  • Die Stichprobe sollte aus Beschäftigten im Alter zwischen ca. 30 und 60 Jahren bestehen.
  • Das Geräuschmaterial sollte möglichst realistisch für Arbeitssituationen sein.
  • Wie die oben zitierten Studien bereits angedeutet haben, sind bei der Gestaltung von Leseaufgaben grundsätzlich viele Variationen möglich. Es gibt Aufgaben, bei denen das Verstehen des Gelesenen im Mittelpunkt steht (z. B. Martin et al. 1988; Liu et al. 2017), oder Aufgaben, bei denen das Gelesene über ein definiertes Zeitfenster im Gedächtnis behalten und dann wiedergegeben werden muss (z. B. Banbury u. Berry 1998), oder Aufgaben, bei denen Fehler zu finden und evtl. zu korrigieren sind (z. B. Venetjoki et al. 2006; Smith-Jackson u. Klein 2009). Innerhalb der verschiedenen Aufgabenkategorien finden sich zudem vielfältige Möglichkeiten der Gestaltung.

    In der hier berichteten Studie wurde als Leseaufgabe eine Korrekturleseaufgabe beziehungsweise eine Fehlersuchaufgabe eingesetzt. Auch innerhalb dieser Aufgabenkategorie sind grundsätzlich viele Variationen möglich, so z. B. hinsichtlich des Inhalts, Umfangs oder der Darbietung des Lesematerials. Die Aufgaben können sich auch dahingehend unterscheiden, welche Fehlerarten eingesetzt werden, ob die Bearbeitung mit oder ohne Zeitbegrenzung erfolgt und auf welche abhängigen Variablen (z. B. Arbeitsgenauigkeit oder Arbeitsgeschwindigkeit) geschaut wird (weitere Informationen zu unterschiedlichen Gestaltungen, s. auch Sukowski u. Romanus 2017a). Nachfolgend wird beschrieben, welche Ausgestaltung für die hier eingesetzte Leseaufgabe gewählt wurde.

    Die Leseaufgabe

    Ein wesentliches Ziel bei der Gestaltung der Leseaufgabe war es, eine Aufgabe zu entwickeln, die zwar anspruchsvoll ist, die aber dennoch von vielen Personen mit normaler Lesefähigkeit bewältigt werden kann. Basierend auf den Erkenntnissen aus der Literatur und aufgrund der eigenen Erfahrung mit dieser Thematik ist die Leseaufgabe in der nachfolgenden Form gestaltet:

  • Am Bildschirm werden nacheinander Items dargeboten, die aus ein oder zwei Sätzen bestehen.
  • Die Items haben unterschiedliche Länge und Komplexität. Die Inhalte der Items stehen nicht in einem Zusammenhang.
  • Jedes Item enthält entweder einen oder keinen Fehler.
  • Die Fehler sind unterschiedlicher Art. Sie sind in unterschiedlichen Wörtern realisiert und befinden sich an unterschiedlichen Stellen in den Items.
  • Für die Bearbeitung jedes Items steht nur eine kurze Zeit zur Verfügung. Diese Darbietungszeit variiert mit der Länge und Komplexität des Items. Die letzten fünf Sekunden der verfügbaren Bearbeitungszeit werden den Teilnehmenden direkt unterhalb der Items am Bildschirm durch einen kleiner werdenden Zeitbalken angezeigt.
  • Die Teilnehmenden werden gebeten, jedes Item sorgfältig zu lesen und zu entscheiden, ob das Item einen Fehler enthält oder nicht. Falls das Item einen Fehler enthält, soll das Wort, das den Fehler enthält oder den Satz zu einem fehlerhaften Satz macht, durch Anklicken markiert werden.
  • Ein Zurückspringen auf ein vorheriges Item ist nicht möglich.
  • Auf die Zeichensetzung muss nicht geachtet werden.
  • Die aktuelle Aufgabe liegt derzeit in zwei Versionen vor (A und B), die hinsichtlich der Fehlergestaltung parallel sind. Jede Version besteht aus 52 Items, von denen 40 Items einen Fehler haben und 12 ohne Fehler sind. Bevor ein Testdurchgang beginnt, kann die Aufgabe in zwei Übungsdurchgängen ausprobiert werden (s. u.).

    Nachfolgend werden zwei Beispielitems aus der Übungsphase gegeben. Beide Items haben jeweils einen Fehler:

    1. Beispiel:

    Im Anhang übersenden wir Ihnen das gewünschte Formular zur Erstattung Ihrer Beiträge. Bitte füllen Sie das Formular in Großbuchtaben aus.

    2. Beispiel:

    Um die Komplexität des Projektes hinreichend zu berücksichtigen, hat die Projektleitung für die Vorstellung der einzelne Beiträge und für die Diskussion zusätzlich noch ein Zeitfenster am dritten Tag des Projekttreffens vorgesehen.

    Eine vorherige Version der Aufgabe war bereits in einer Pilotstudie eingesetzt worden (Sukowski u. Romanus 2017b). In einer vorherigen Studie des oben genannten Projekts war die Aufgabe entweder zweimal in Ruhe oder zweimal in einer Geräuschbedingung bearbeitet worden. Die Ergebnisse der Leistungsdaten wurden in Sukowski (2019) veröffentlicht. Es hatte sich in beiden Gruppen ein Übungseffekt von einem Durchgang zum nächsten gezeigt. Zudem waren subjektive Einschätzungen zur Bearbeitung der Aufgabe erfragt worden. Diese Ergebnisse sind in Sukowski (2022a) zusammengefasst.

    In diesem Beitrag steht eine weitere empirische Studie des Projekts und dabei speziell die Leseaufgabe im Mittelpunkt. Es werden sowohl die Leistungsdaten als auch die Ergebnisse der subjektiven Einschätzungen betrachtet. Die wesentlichen Ziele der aktuellen Studie waren, zu untersuchen, ob verschiedene realitätsnahe Störgeräuschbedingungen Effekte auf die Bearbeitung der Leseaufgabe haben, ob bei zweimaliger Bearbeitung der Aufgabe ein Trainings­effekt vorliegt und ob sich mögliche Geräuscheffekte in den Gruppen mit verschiedenen Störgeräuschbedingungen unterscheiden. Zudem sollte für die subjektiven Einschätzungen ermittelt werden, ob Unterschiede zwischen den Ergebnissen in der Ruhebedingung und der Störgeräuschbedingung vorliegen (detailliertere Fragestellung: siehe Ende des Methodenteils). Erste Ergebnisse aus der hier berichteten Studie wurden bei der Internoise 2022 (Sukowski 2022b; subjektive Einschätzungen) und beim Forum Acusticum 2023 (Sukowski 2023; nur KLT-R) präsentiert.

    Methode

    In der aktuellen Studie wurde die Wirkung von insgesamt drei Geräuschen auf eine Leseaufgabe und einen Konzentrationstest untersucht. Die Studie war in einem Messwiederholungsdesign konzipiert, mit einem Abstand von 7–10 Tagen zwischen beiden Messzeitpunkten. Die Teilnehmenden bearbeiteten jede Aufgabe jeweils einmal in Ruhe und einmal in einer der drei Geräuschbedingungen. Nachfolgend werden die einzelnen Aspekte der Methodik erläutert, die im Zusammenhang mit der Durchführung der Leseaufgabe relevant sind. Da der Versuchsaufbau in vielen Punkten ähnlich ist zu dem, der im Beitrag Sukowski (2022a) beschrieben wurde, und detaillierte Informationen zu den Geräuschen bereits in einem Beitrag mit Ergebnissen zum Konzentrationstest veröffentlicht sind (Sukowski 2023), wird an einigen Stellen auf diese Beiträge verwiesen.

    Teilnehmerinnen und Teilnehmer

    Die Leseaufgabe wurde von insgesamt 70 Personen bearbeitet (Konzentrationstest n = 68). Es wurden jedoch aus unterschiedlichen Gründen (u. a. Ausreißerwert; an einem Messzeitpunkt nicht wohl gefühlt) die Daten von acht Personen nicht in die Analysen einbezogen. Alle Teilnehmenden waren Beschäftigte der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, die sich freiwillig bereiterklärt hatten, an der Studie teilzunehmen. Das Alter der verbliebenen 62 Teilnehmenden (32 Frauen, 30 Männer) lag zwischen 29 und 65 Jahren (Mittelwert = 42,7 Jahre; Median = 38,5 Jahre).

    Die kognitiven Tests

    In dieser Studie wurde die oben beschriebene Leseaufgabe eingesetzt, sowie der Konzentrations-Leistungs-Test – Revidierte Fassung (KLT-R; Düker u. Lienert. Revidierte Fassung: Lukesch u. Mayrhofer 2001). Der KLT-R besteht aus insgesamt 180 Rechenaufgaben (Additionen und Subtraktionen). Die Bearbeitung der Aufgaben ist anspruchsvoll, da sowohl Zwischenergebnisse im Gedächtnis behalten werden müssen als auch die Instruktion, wie mit den Zwischenergebnissen weiter zu verfahren ist.

    Die Leseaufgabe wurde immer als erste Aufgabe im Testablauf bearbeitet, der KLT-R immer im zweiten Teil der Testsitzung nach einer Pause. Bevor die Leseaufgabe durchgeführt wurde, erhielten die Teilnehmenden sowohl schriftlich als auch mündlich eine Instruktion zur Bearbeitung der Aufgabe. Jede Person konnte sich in zwei Übungsdurchgängen mit der Aufgabe vertraut machen und Fragen zum Ablauf stellen. Im ersten Übungsdurchgang wurden drei Beispielitems in Interaktion mit der Versuchsleitung bearbeitet. Ein Zeitlimit gab es dabei nicht. In einem zweiten Übungsdurchgang bearbeiteten die Teilnehmenden maximal 10 Items (adaptives Verfahren) wie unter den realen Testbedingungen, also ohne zusätzliche Erläuterungen durch die Versuchsleitung und mit einem Zeitlimit für jedes Item.

    Subjektive Einschätzungen

    Die Teilnehmenden wurden gebeten, jeweils direkt nach der Bearbeitung der Aufgabe eine subjektive Einschätzung zu den vier Aspekten erlebte Anstrengung („Anstrengung“), selbst eingeschätzte Konzentration („Konzentration“), selbst eingeschätzte Leistung („Leistung“) und erlebte Störung („Störung“) abzugeben. Details zu den Fragen und Beschriftungen der Skalen sowie zur Instruktion siehe in Sukowski (2022a,b). Die Skalen wurden nacheinander am Bildschirm eingeblendet und hier im Sinne visueller Analogskalen eingesetzt. Sie waren wie ein kleines Lineal gestaltet (0–100) und nur an den Polen verbal beschriftet.

    Akustische Bedingungen

    Die Basis für die Geräuschbedingungen waren drei Aufnahmen von realen Arbeitsplatzsituationen. Die Geräusche wurden von Kollegen des Instituts für Arbeitsschutz (IFA) der DGUV und des Institut National des Sciences Appliquées de Lyon (INSA Lyon) für diese Studie zur Verfügung gestellt. Für die Studie wurden jeweils Ausschnitte aus den Geräuschszenen ausgewählt. Die Geräuschszenen sind: (1) Geräusch von einem Kassenarbeitsplatz im Textileinzelhandel (Stimmen, Musik, Kassiervorgang, Durchsage, andere Arbeitsprozesse) (Selzer et al. 2019); (2) Geräusch aus einem Multi-Space-Büro (Stimmen, Schritte, Türen) (Selzer u. Schelle 2021), in dem bereits raumakustische Maßnahmen umgesetzt waren; (3) Baustellengeräusch (Maschinen, Baustellenfahrzeuge, nahezu kein Sprachgeräusch; bereitgestellt vom INSA Lyon). Die Geräusche werden im Folgenden als „Textil-Kasse“, „Büro“ und „Baustelle“ bezeichnet. Sie wurden über geschlossene, ohraufliegende Kopfhörer (Sennheiser HD 25) präsentiert. Die Geräusche (1) und (2) lagen als Kunstkopfaufnahme vor (HEAD acoustics HSU III.2 + HEAD acoustics SQobold) und konnten durch Entzerrung zur Kompensation der Kopfhörerübertragungsfunktion gehörgerecht dargeboten werden. Das bedeutet, obwohl die Geräusche über Kopfhörer präsentiert wurden, hatten sie einen recht natürlichen Klang und der räumliche Eindruck blieb erhalten, zum Beispiel, wenn in der ursprünglichen Situation eine sprechende Person durch den Raum ging. Die Messungen der Kopfhörersignale im Versuchsaufbau ergaben die folgenden Schalldruckpegel (Leq in dB(A)) für den linken (L) und den rechten (R) Kanal:

  • Textil-Kasse: L: 62 dB(A), R: 60 dB(A)
  • Büro: L: 50 dB(A), R: 47 dB(A)
  • Baustelle: L: 65 dB(A), R: 65 dB(A)
  • Labor und Studiendesign

    Die Studie wurde in einem großen schallgedämmten Labor durchgeführt (L: 8,4 m; B: 6,4 m; H: 4,2 m). Aufgrund der COVID-19-Pandemie konnte in jeder Testsitzung jeweils nur eine Person teilnehmen. Eine gleichzeitige Testung von zwei Personen, wie sie eigentlich geplant war, konnte nicht realisiert werden. Das Messwiederholungsdesign umfasste zwei Messzeitpunkte, die in zwei Testsitzungen lagen. Zwischen dem ersten Messzeitpunkt beziehungsweise der ersten Testsitzung (T1) und der zweiten Testsitzung (T2) lag ein Zeitraum von 7 bis 10 Tagen, in wenigen Fällen etwas darüber. Die Leseaufgabe wurde von jeder Person in einer Testsitzung in Ruhe und in der anderen Testsitzung in einer der drei Geräuschbedingungen bearbeitet. Die Abfolge der akustischen Bedingungen (Ruhe-Geräusch; Geräusch-Ruhe) war ausbalanciert. Jede teilnehmende Person hat nur eine Geräuschbedingung kennengelernt. Es gab somit drei Gruppen, die sich darin unterschieden, welches Geräusch in der Störgeräuschbedingung eingespielt wurde. Diese Gruppen werden nachfolgend als „Geräuschgruppen“ bezeichnet und sind nach dem jeweiligen Störgeräusch benannt, das in der Geräuschbedingung eingespielt wurde (Textil-Kasse: n = 20, Büro: n = 21, Baustelle: n = 21).

    Ablauf der Testsitzungen

    Der Ablauf der Testsitzungen entsprach in etwa dem Ablauf, wie er im Beitrag Sukowski (2022a) dargestellt ist. Da in der aktuellen Studie noch ein weiterer Test (KLT-R) durchgeführt wurde, war die Gesamttestzeit mit ca. 2 Stunden jedoch deutlich länger. Auf die Bearbeitung der Leseaufgabe folgte zunächst eine Pause und dann wurde der zweite Test, der Konzentrationstest, durchgeführt. Zudem war es phasenweise erforderlich, dass vor dem eigentlichen Versuchsdurchlauf ein COVID-19-Test durchgeführt wurde. Der gesamte Testablauf bestand somit aus den Elementen: Begrüßung, Information zu Corona-Schutzmaßnahmen und COVID-19-Test, Information zur Studie und Einverständniserklärung, kurzer Fragebogen, Fragen zur Stimmung und Müdigkeit, Leseaufgabe, subjektive Einschätzungen zur vorausgehenden Bearbeitung der Leseaufgabe, Fragen zur Stimmung und Müdigkeit, Pause, Konzentrationstest, subjektive Einschätzungen zur vorausgehenden Bearbeitung des Konzentrationstests, Fragen zur Stimmung und Müdigkeit, Feedback-Möglichkeit, Verabschiedung.

    Wie oben erwähnt, stehen in diesem Beitrag die Auswertungen zur Leseaufgabe im Mittelpunkt (Leistungsdaten und subjektive Einschätzungen). Ergebnisse zu den Fragen zur Stimmung und Müdigkeit sowie zum Konzentrationstest werden in diesem Beitrag nicht berichtet, sie sind aber in anderen Beiträgen zusammengefasst (Stimmung und Müdigkeit: Sukowski 2024; Konzentrationstest:
    Sukowski 2023).

    Fragestellungen

    Leseaufgabe

  • Unterscheiden sich die Ergebnisse zwischen dem ersten und zweiten Testdurchgang, das heißt, gibt es einen Trainingseffekt? Gibt es Unterschiede beim Trainingseffekt in Abhängigkeit von der Abfolge der akustischen Bedingungen?
  • Gibt es Unterschiede zwischen den Ergebnissen in der Ruhebedingung und der Geräuschbedingung? Hat die Geräuschbedingung einen nachteiligen Effekt auf die Bearbeitung der Leseaufgabe? Unterscheiden sich die Ergebnismuster in den verschiedenen Geräuschgruppen?
  • Subjektive Einschätzungen

  • Gibt es Unterschiede und/oder Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen in der Ruhebedingung und der Geräuschbedingung? Führt eine Geräuschbedingung zu höherer Anstrengung oder Störung und zu geringerer selbst eingeschätzter Konzentration? Unterscheiden sich die Ergebnismuster in den verschiedenen Geräuschgruppen?
  • Welche Zusammenhänge gibt es zwischen den Einschätzungen zu den vier unterschiedlichen erfragten Aspekten?
  • Ergebnisse

    Die Auswertung der Daten wurde mit SPSS (IBM SPSS Statistics 29) durchgeführt. Ergebnisse mit p < 0,05 werden als signifikant bezeichnet; Ergebnisse mit 0,05 ≤ p < 0,1 als tendenziell beziehungsweise als tendenzielle Effekte. Bei den Leistungsdaten werden die Effekte auf die abhängige Variable „Anzahl richtig bearbeiteter Items“ betrachtet, bei den subjektiven Einschätzungen werden die Werte, die von den Teilnehmenden auf den Skalen markiert wurden, zugrunde gelegt. Werden Mittelwerte im Fließtext oder in Tabellen berichtet, so sind dies jeweils arithmetische Mittelwerte (M). In Abbildungen, die Verteilungen anhand von Boxplots zeigen, entspricht die schwarze horizontale Linie innerhalb der Box jeweils dem Median. Die Begriffe Testsitzung und Messzeitpunkt werden im folgenden Text synonym verwendet.

    Tabelle 1:  Minimale und maximale Anzahl sowie die Spannweite der richtig bearbeiteten Items in der Gesamtgruppe und den drei unterschiedlichen GeräuschgruppenTable 1: Minimum and maximum number as well as the range of correctly finished items in the entire group and the three different sound groups

    Tabelle 1: Minimale und maximale Anzahl sowie die Spannweite der richtig bearbeiteten Items in der Gesamtgruppe und den drei unterschiedlichen Geräuschgruppen
    Table 1: Minimum and maximum number as well as the range of correctly finished items in the entire group and the three different sound groups

    Leistungsdaten in der Leseaufgabe

    Spannweite der Ergebnisse

    Zunächst wurde die Spannweite der Ergebnisse für die Gesamtgruppe und die drei Geräuschgruppen ermittelt. ➥ Tabelle 1 zeigt die Minima, Maxima sowie die Spannweite für die Anzahl richtig bearbeiteter Items in der Gesamtgruppe sowie getrennt für die drei Geräuschgruppen. Dabei gehen die Ergebnisse von beiden Messzeitpunkten und somit auch von beiden akustischen Bedingungen ein.

    Die Werte in Tabelle 1 verdeutlichen, dass in allen drei Geräuschgruppen ähnliche Minima, Maxima und auch ähnliche Spannweiten für die Anzahl richtig bearbeiteter Items vorlagen.

    Vergleich der Ergebnisse in der ersten (T1) und zweiten ­Testsitzung (T2)

    Ein t-Test für gepaarte Stichproben (einseitig) zeigte einen signifikanten Unterschied der Mittelwerte in T1 und T2 mit einer höheren Anzahl richtig bearbeiteter Items in der zweiten Testsitzung ([t(61) = –4,913, p < 0,001]; MT1 = 32,85; MT2 = 35,60). Eine Va­rianzanalyse mit Messwiederholung in der zusätzlich zum Inner-Subjekt-Faktor „Testsitzung“ auch der Zwischen-Subjekt-Faktor „Geräuschgruppe“ berücksichtigt wurde, ergab den erwarteten signifikanten Haupteffekt für den Faktor „Testsitzung“ [F(1/59) = 25,232, p < 0,001], aber keinen Haupteffekt für den Faktor „Geräuschgruppe“ [F(2/59) = 2,034, p = 0,140]. Eine signifikante Interaktion lag (knapp) nicht vor [F(2/59) = 3,126, p = 0,051]. Im Mittel wurden somit am zweiten Messzeitpunkt mehr Items richtig bearbeitet als am ersten
    Messzeitpunkt. Eine solche Verbesserung wird hier analog zu bisherigen Veröffentlichungen als Trainingseffekt bezeichnet. Die Ergebnisse der anschließenden Posthoc-Tests, bei denen in jeder Geräuschgruppe die Ergebnisse am ersten und zweiten Messzeitpunkt miteinander verglichen wurden, ergaben bei einseitiger Testung mit t-Tests für gepaarte Stichproben signifikante Unterschiede in den Geräuschgruppen „Büro“ und „Baustelle“ (p < 0,05) mit jeweils einer höheren Anzahl richtig bearbeiteter Items in der zweiten Testsitzung. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied der Mittelwerte in der Geräuschgruppe „Textil-Kasse“ (p > 0,05). Die Mittelwerte in den einzelnen Geräuschgruppen sind in einem Interaktionsdiagramm in ➥ Abb. 1 dargestellt.

    Vergleich der Ergebnisse in der Ruhebedingung und der Geräuschbedingung

    Auch für diesen Vergleich der Mittelwerte wurde zunächst ein t-Test für gepaarte Stichproben (einseitig) durchgeführt. Ein signifikanter Effekt wurde knapp verfehlt. Es zeigte sich ein tendenzieller Effekt ([t(61) = 1,650, p = 0,052] mit einer im Mittel geringeren Anzahl richtig bearbeiteter Items in der Geräuschbedingung als in der Ruhebedingung (MRuhe = 34,76; MGeräusch = 33,69). In einer Varianz­analyse mit Messwiederholung wurde zum Inner-Subjekt-Faktor „akustische Bedingung“ ebenfalls der Zwischen-Subjekt-Faktor „Geräuschgruppe“ hinzugenommen. Diese Analyse zeigte für den Faktor „akustische Bedingung“ weiterhin einen tendenziellen Effekt [F(2/59) = 2,835, p = 0,097], aber ebenfalls keinen Haupteffekt für den Faktor „Geräuschgruppe“ [F(2/59) = 2,034, p = 0,140]. Eine signifikante Interaktion beider Faktoren lag nicht vor [F(2/59) = 1,587, p = 0,213]. Die Geräuschbedingung hatte somit einen nachteiligen Effekt auf die Bearbeitung der Leseaufgabe. Die Ergebnisse der Posthoc-Tests, die zum Vergleich der Mittelwerte in der Ruhebedingung und der Geräuschbedingung in jeder Geräuschgruppe durchgeführt wurden, sind in ➥ Tabelle 2 zusammengefasst. Bei einseitiger Testung mit t-Tests für gepaarte Stichproben wurde für die Gruppe „Textil-Kasse“ ein signifikanter Effekt und für die Gruppe „Büro“ ein tendenzieller Effekt ermittelt. In der Gruppe „Baustelle“ war kein Effekt nachweisbar. ➥ Abbildung 2 zeigt zudem die Verteilung der Werte für die beiden akustischen Bedingungen in den drei unterschiedlichen Geräuschgruppen.

    Tabelle 2:  Mittelwerte der Anzahl richtig bearbeiteter Items in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung sowie Ergebnisse der Unterschiedsanalysen (t-Tests) für die drei verschiedenen GeräuschgruppenTable 2: Mean values of the number of correctly finished items in the silent condition and the sound condition as well as results from the analysis of differences (t-tests) for the three different sound groups

    Tabelle 2: Mittelwerte der Anzahl richtig bearbeiteter Items in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung sowie Ergebnisse der Unterschiedsanalysen (t-Tests) für die drei verschiedenen Geräuschgruppen
    Table 2: Mean values of the number of correctly finished items in the silent condition and the sound condition as well as results from the analysis of differences (t-tests) for the three different sound groups

    Abb. 2: Verteilung der Anzahl der richtig bearbeiteten Items in den drei unterschiedlichen Geräuschgruppen, jeweils getrennt für die Ergebnisse in der Ruhebedingung (blau) und in der Geräuschbedingung (rot)
    Fig. 2: Distribution of the number of correctly finished items in each of the three different sound groups, in each case separately for the results in the silent condition (blue) and the sound condition (red)

    Genauere Betrachtung des Trainingseffekts

    Um die Größe des oben berichteten Trainingseffekts genauer zu analysieren, wurde für alle Personen die Differenz zwischen dem Ergebnis in der ersten und zweiten Testsitzung ermittelt (Ergebnis T2 minus Ergebnis T1). Die Differenzwerte der beiden Gruppen mit unterschiedlicher Abfolge der akustischen Bedingungen (Ruhe-Geräusch, Geräusch-Ruhe) wurden dann mit einem t-Test für unabhängige Stichproben verglichen. Der Test (einseitig) ergab einen tendenziellen Effekt ([t(60) = –1,615, p = 0,056]; MRuhe-Geräusch = 1,79; MGeräusch-Ruhe = 3,58). Das heißt, der Trainingseffekt war in der Gruppe, die zunächst in der Geräuschbedingung und dann in der Ruhebedingung gearbeitet hat, größer als in der Gruppe mit der umgekehrten Abfolge.

    Subjektive Einschätzungen

    Die Teilnehmenden hatten zu den vier Aspekten „Anstrengung“, „Konzentration“, „Leistung“ und „Störung“ an beiden Messzeitpunkten jeweils einmal ihr Urteil bezogen auf die Bearbeitung der Leseaufgabe abgegeben. Für jeden Aspekt wurde mit einem t-Test für gepaarte Stichproben ermittelt, ob Unterschiede zwischen den Einschätzungen in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung vorlagen. Diese Berechnungen wurden zunächst für die Gesamtstichprobe durchgeführt und anschließend separat für die drei unterschiedlichen Geräuschgruppen. ➥ Abbildung 3 zeigt die Mittelwerte für die Gesamtgruppe bei den vier verschiedenen Aspekten als Säulendiagramm. In ➥ Tabelle 3 sind die Mittelwerte und die Ergebnisse der t-Tests zusammengefasst, die für die einzelnen Geräuschgruppen ermittelt wurden. Da bei den Aspekten Anstrengung, Konzentration und Störung eine Annahme über die Richtung des Effekts besteht (höhere Anstrengung, größere Störung, geringere Konzentration in der Geräuschbedingung) wird dazu das Ergebnis der einseitigen Testung berichtet, während beim Aspekt „Leistung“ das Ergebnis der zweiseitigen Testung angegeben wird.

    Abbildung 3 zeigt, dass bei drei Aspekten ein signifikanter Unterschied (p jeweils < 0,05) zwischen den Einschätzungen in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung vorlag. In den Geräuschbedingungen wurde im Mittel signifikant höhere Anstrengung, geringere Konzentration und größere Störung erlebt als in der Ruhebedingung. Für die Variable „selbst eingeschätzte Leistung“ wurde bei zweiseitiger Testung kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Bedingungen ermittelt (p = 0,057; zweiseitig).

    Aus Tabelle 3 geht hervor, dass außer beim Aspekt „selbst eingeschätzte Leistung“ bei allen anderen Aspekten in allen Geräuschgruppen signifikante oder tendenzielle Unterschiede zwischen den Einschätzungen in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung in der oben beschriebenen Richtung vorlagen. Die größten Unterschiede zwischen den mittleren Einschätzungen in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung wurden bei der selbst eingeschätzten Konzentration und der erlebten Störung ermittelt.

    Zusätzlich zu den Unterschiedsanalysen wurden auch Zusammenhangsanalysen für die Werte in Ruhe und in den Geräuschbedingungen bei den Aspekten „Anstrengung“, „Konzentration“ und „Leistung“ durchgeführt (Berechnung von Korrelationskoeffizienten nach Pearson). Da beim Aspekt „Störung“ in der Ruhebedingung ca. zwei Drittel der Teilnehmenden (43 Personen) einen Wert von 0 angegeben hatten, wurde für diesen Aspekt keine Korrelation berechnet. Die Korrelationskoeffizienten betrugen r = 0,19 für „Anstrengung“, r = 0,018 für „Konzentration“, r = 0,303 für „Leistung“. ➥ Abbildung 4 zeigt für die Aspekte Anstrengung und Konzentration den Zusammenhang zwischen den Ergebnissen in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung in Streudiagrammen. Dabei wird ersichtlich, dass hier tatsächlich Punktewolken anstatt Punkte entlang einer Linie vorliegen. Es ist kein Anstieg der Anstrengung beziehungsweise keine Verringerung der Konzentration um einen festen Betrag feststellbar. Die Veränderungen der Einschätzungen aufgrund der unterschiedlichen akustischen Bedingungen variieren individuell sehr stark. Es zeigt sich aber auch, dass die oben beschriebene, höhere erlebte Anstrengung und geringere selbst eingeschätzte Konzentration in der Geräuschbedingung jeweils für den größten Teil der Teilnehmenden zutrifft und nur bei einem kleineren Teil ein umgekehrtes Muster vorliegt. Besonders deutlich ist dies bei der selbst eingeschätzten Konzentration.

    Tabelle 3:  Mittelwerte der subjektiven Einschätzungen in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung bei jedem der vier erfragten Aspekte sowie die Ergebnisse der Unterschiedsanalysen (t-Tests) für jede der drei Geräuschgruppen. *Erläuterung siehe TextTable 3: Mean values of subjective assessments in the silent condition and the sound condition for each of the four aspects of subjective assessments as well as the results from the analysis of differences (t-tests) for each of the three different sound groups. *Commentary see text

    Tabelle 3: Mittelwerte der subjektiven Einschätzungen in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung bei jedem der vier erfragten Aspekte sowie die Ergebnisse der Unterschiedsanalysen (t-Tests) für jede der drei Geräuschgruppen. *Erläuterung siehe Text
    Table 3: Mean values of subjective assessments in the silent condition and the sound condition for each of the four aspects of subjective assessments as well as the results from the analysis of differences (t-tests) for each of the three different sound groups. *Commentary see text

    Abb. 3: Mittelwerte der subjektiven Einschätzungen auf einer Skala von 0 bis 100 bei jedem der vier erfragten Aspekte in der Ruhebedingung (blau) und in der Geräuschbedingung (rot). Signifikante Unterschiede zwischen den Mittelwerten sind mit einem Stern gekennzeichnet
    Fig. 3: Mean values for subjective assessments on a scale from 0 to 100 for each of the four aspects in the silent condition (blue) and the sound condition (red). Significant differences between mean values are marked with an asterisk

    Zusammenhang der subjektiven Einschätzungen zu verschiedenen Aspekten

    Mit weiteren Korrelationsberechnungen wurde auch der Zusammenhang zwischen den verschiedenen subjektiven Einschätzungen untereinander in der Geräuschbedingung ermittelt. Es wurde also betrachtet, ob beispielsweise eine höhere erlebte Anstrengung mit geringerer oder höherer selbst eingeschätzter Konzentration verbunden ist. ➥ Tabelle 4 zeigt die Korrelationskoeffizienten, die bei diesen Berechnungen ermittelt wurden.

    Die Ergebnisse in Tabelle 4 verdeutlichen, dass bei fünf der insgesamt sechs Berechnungen eine signifikante Korrelation ermittelt wurde. Die Ergebnisse besagen, dass eine höhere erlebte Störung mit höherer erlebter Anstrengung, geringerer selbst eingeschätzter Konzentration und geringerer selbst eingeschätzter Leistung verbunden war. In ➥ Abb. 5 sind diese Zusammenhänge in Streudiagrammen visualisiert. Zudem zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen selbst eingeschätzter Leistung und Konzentration sowie ein negativer Zusammenhang zwischen Anstrengung und Konzentration. Dieser Zusammenhang besagt, dass hohe Anstrengung eher mit geringerer selbst eingeschätzter Konzentration verbunden war und geringe Anstrengung mit höherer selbst eingeschätzter Konzentration.

    Diskussion und Schlussfolgerungen

    Die Ergebnisse der berichteten Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Anzahl richtig bearbeiteter Items zeigt eine große Spannweite. Mit besseren Ergebnissen am zweiten Messtermin als am ersten Messtermin liegt sowohl in der Gesamtgruppe als auch in den Geräuschgruppen „Büro“ und „Baustelle“ ein Trainingseffekt vor. Ein Geräuscheffekt mit einer geringeren Anzahl richtig bearbeiteter Items in der Geräuschbedingung konnte ebenfalls ermittelt werden. Dieser Unterschied ist bei der Betrachtung der einzelnen Gruppen jedoch lediglich in zwei (Textil-Kasse und Büro) der drei Geräuschbedingungen nachweisbar. Die Auswertung der subjektiven Einschätzungen hat eine größere erlebte Anstrengung und Störung sowie eine geringere selbst eingeschätzte Konzentration in der Geräuschbedingung im Vergleich zur Ruhebedingung ergeben.

    Tabelle 4:  Korrelationskoeffizienten für die Zusammenhänge zwischen den vier Aspekten der subjektiven Einschätzungen in der GeräuschbedingungTable 4: Correlation coefficients for the interrelations between the four aspects of subjective assessments in the sound condition

    Tabelle 4: Korrelationskoeffizienten für die Zusammenhänge zwischen den vier Aspekten der subjektiven Einschätzungen in der Geräuschbedingung
    Table 4: Correlation coefficients for the interrelations between the four aspects of subjective assessments in the sound condition

    Die selbst entwickelte Leseaufgabe

    In dem hier gewählten Messwiederholungsdesign, in dem jede Testversion (A, B) gleich häufig in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung eingesetzt wurde sowie gleich häufig an den verschiedenen Messterminen, konnte mit dieser Aufgabe ein Geräuscheffekt nachgewiesen werden. Es liegt jedoch weiterhin ein deutlicher Übungseffekt vor.

    Da sich bei der Anwendung der Aufgabe in der vorherigen Studie sowohl bei zweimaliger Bearbeitung in Ruhe als auch bei zweimaliger Bearbeitung in der Bedingung mit einem sprachlichen Hintergrundgeräusch ein Trainingseffekt gezeigt hatte (Sukowski 2019), war die Übungsphase vor den Testdurchgängen für die aktuelle Studie modifiziert und insgesamt verlängert worden (max. 10 Items). Die Modifikation bestand in einer adaptiven Anpassung an die Zahl der richtig bearbeiteten Übungsitems. Durch die etwas umfangreichere Vorbereitung sollte der Trainingseffekt innerhalb der Testsitzungen verringert werden. Es liegt jedoch weiterhin ein Trainingseffekt vor, der im Mittel über alle Geräuschbedingungen mit 2,75 Items in etwa so groß ist wie der Trainingseffekt in der vorherigen Studie des Projekts. Die Übungsphase soll daher zukünftig noch umfangreicher gestaltet werden. Wenn der zeitliche Spielraum eines Messtermins es zulässt, könnte auch ein vollständiger Testdurchlauf vorgeschaltet werden, um ein Leistungsplateau für diese Aufgabe zu erreichen. Mit einer längeren Übungsphase oder einem zusätzlichen Testdurchlauf werden zwar keine Unterschiede in der Lesekompetenz ausgeglichen, aber damit würde den Teilnehmenden ermöglicht, sich intensiver mit dem Ablauf und der Bearbeitung der Items nach Instruktion vertraut zu machen und sich auf die Aufgabe einzustellen.

    Hinsichtlich der Itemschwierigkeit und der Parallelität der Ergebnisse für einzelne Items in beiden Testversionen werden weitere Analysen durchgeführt. Es ist davon auszugehen, dass einzelne Items ersetzt oder modifiziert werden müssen, da sie in den beiden Testversionen unterschiedlich häufig erkannt beziehungsweise richtig bearbeitet wurden. Diese weitergehende Überarbeitung und Optimierung ist erforderlich, wenn die Aufgabe langfristig auch außerhalb eines Messwiederholungsdesigns eingesetzt werden soll, also beispielsweise um zwei Gruppen, die jeweils nur einmal teilnehmen, direkt miteinander vergleichen zu können.

    Abb. 4: Zusammenhang zwischen den subjektiven Einschätzungen in der Ruhebedingung und in der Geräuschbedingung für die Aspekte „erlebte Anstrengung“ (oben) und „selbst eingeschätzte Konzentration“ (unten)
    Fig. 4: Interrelation between the subjective assessment in the silent condition and in the sound condition for the aspects “experienced effort” (top) and “self-assessed concentration” (bottom)

    Der Trainingseffekt und die Abfolge der akustischen ­Bedingungen

    Die Berechnungen für die aktuelle Studie haben gezeigt, dass auch bei der Bearbeitung in zwei unterschiedlichen akustischen Bedingungen ein Trainingseffekt auftritt. Dieser Effekt fällt jedoch unterschiedlich groß aus in Abhängigkeit davon, mit welcher akustischen Bedingung begonnen wurde. Der Trainingseffekt ist eher klein, wenn zunächst in der Ruhebedingung gearbeitet wurde und dann in der Geräuschbedingung. Der Effekt ist deutlich größer, wenn in der umgekehrten Abfolge gearbeitet wurde. Die Bearbeitung in der Geräuschbedingung im zweiten Durchgang scheint somit den maximal möglichen Trainingseffekt zu dämpfen, also die maximal mögliche Verbesserung aufgrund der Bekanntheit der Aufgabe. Dies kann indirekt auch als ein Geräuscheffekt interpretiert werden.

    Der Geräuscheffekt und die verschiedenen Geräuschgruppen

    Bei der separaten Betrachtung der Geräuschgruppen wurde für die Gruppe „Textil-Kasse“ der deutlichste Geräuscheffekt ermittelt, gefolgt von der Gruppe „Büro“. Für die Gruppe „Baustelle“ war kein Unterschied zwischen den Ergebnissen in der Ruhe- und der Geräuschbedingung ermittelt worden. Der Geräuscheffekt liegt somit bei den beiden Geräuschen vor, die auch Sprache enthalten. Das Textil-Kassen-Geräusch hatte einen deutlich höheren Schalldruckpegel als das Bürogeräusch. Zudem hatte dieses Geräusch die stärksten Wechsel zwischen einzelnen Szenen, wie zum Beispiel nur Hintergrundmusik, Geräusch vom Kassiervorgang, Gespräch mit Kundinnen und Kunden, Gespräch der Kundschaft miteinander. Es scheinen somit mehrere Faktoren (Schalldruckpegel, Sprachhaltigkeit und Geräuschzusammensetzung) gemeinsam für die stärkere Störwirkung dieses Geräuschs verantwortlich zu sein. In den Auswertungen für den Konzentrationstest hatte sich ebenfalls in der Gruppe „Textil-Kasse“ ein tendenzieller Effekt gezeigt (Sukowski 2023). Es ist auch denkbar, dass die gehörgerechte Darbietung der Geräusche „Textil-Kasse“ und „Büro“ mit dazu beigetragen hat, dass für diese Geräusche eine höhere Störwirkung im Vergleich zur Ruhebedingung nachweisbar war. Dieser methodische Aspekt sollte daher für zukünftige Studien im Auge behalten werden. Allerdings zeigen die Ergebnisse zu den subjektiven Einschätzungen, dass auch die Bearbeitung der Aufgaben bei einem Baustellengeräusch durchaus als störend erlebt wurde (s. u.).

    In dieser Studie war es das Ziel gewesen, möglichst reale Geräusche aus unterschiedlichen Arbeitsumgebungen einzusetzen. Die Möglichkeit, zwei dieser Geräusche gehörgerecht darbieten zu können, hat zu positiven Rückmeldungen hinsichtlich der „Echtheit“ der Geräusche geführt. Für zukünftige Studien könnte eine gezielte Modifikation der Geräusche angestrebt werden, um z. B. auch den Einfluss psychoakustischer Größen untersuchen zu können. Dabei könnte auch auf die Geräuscheigenschaften geschaut werden, die nach den „Technischen Regeln für Arbeitsstätten. Lärm“ (ASR A3.7) zu Zuschlägen beim Beurteilungspegel führen.

    Obwohl sich beim Baustellengeräusch, das mit dem höchsten Schalldruckpegel präsentiert wurde, kein Effekt auf die Leistung in der Leseaufgabe gezeigt hat, wurden bei den subjektiven Bewertungen ähnliche Effekte wie in den beiden anderen Geräuschgruppen ermittelt. Das Baustellengeräusch wurde im Vergleich zur Ruhebedingung somit auch als nachteilig bewertet (größere erlebte Anstrengung und Störung; geringere selbst eingeschätzte Konzentration). In den Auswertungen für den Konzentrationstest hatte sich in der Gruppe „Baustelle“ beim Aspekt Anstrengung sogar der höchste mittlere Wert gezeigt (vgl. Sukowski 2023).

    Wird sowohl auf den Trainingseffekt als auch auf den Geräuscheffekt geschaut, fällt das Geräusch „Textil-Kasse“ auf. Es zeigte sich kein Trainingseffekt, dafür aber der deutlichste Geräuscheffekt. Eine mögliche Interpretation wäre, dass der Geräuscheffekt hier so stark war, dass er nicht vom bislang üblichen Trainingseffekt überdeckt werden konnte. Diese Annahme wäre in zukünftigen Studien zu überprüfen.

    Subjektive Einschätzungen

    So wie in der vorherigen Studie, in der die Leseaufgabe bearbeitet wurde (Sukowski 2022a) und wie beim KLT-R in derselben Studie (Sukowski 2023) haben sich bei mehreren Aspekten der subjektiven Einschätzungen deutlich nachteilige Effekte der Geräuschbedingungen gezeigt. Die Bearbeitung der Aufgabe in einer Geräuschbedingung wurde im Mittel als signifikant anstrengender und störender erlebt und war mit einer geringeren selbst eingeschätzten Konzen­tration im
    Vergleich zur Bearbeitung in einer Ruhebedingung verbunden. Diese Beobachtung, dass die Geräuscheffekte auf die Leistung teilweise schwach ausfallen oder nur bei bestimmten abhängigen Variablen nachweisbar sind, die subjektiven Urteile aber eindeutig nachteilige Bewertungen der Geräuschsituation ergeben, findet sich in ähnlicher Form auch in anderen Studien (z. B. Haka et al. 2009; Sander et al. 2021).

    Interessant sind auch die Zusammenhänge, die zwischen den verschiedenen subjektiven Beurteilungen ermittelt wurden. Hier hatte sich in der Geräuschbedingung ein negativer Zusammenhang zwischen der selbst eingeschätzten Konzentration und der erlebten Anstrengung gezeigt. Es scheint also so, dass Personen, die sich in der Geräuschbedingung nicht gut konzentrieren konnten, eine hohe Anstrengung erlebt haben, und dass große Anstrengung nicht automatisch mit hoher Konzentration einhergeht. Hier lässt sich die Frage stellen, welche Auswirkungen es für die momentane Stimmung und die langfristige Freude an der Arbeit haben kann, wenn Betroffene aus ihrer Sicht das Gefühl haben: Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich kann mich unter Lärm einfach nicht konzentrieren, oder, ich kann mich unter Lärm nicht konzentrieren und erlebe diese Situation daher als große Anstrengung.

    Da aus den Korrelationen keine ursächlichen Zusammenhänge abgeleitet werden können, muss die Antwort auf diese Frage hier offenbleiben. Diese Frage sollte in weiteren Studien aber aufgegriffen werden, denn ein Gefühl, „ich komme nicht an das Ziel, die Aufgabe konzentriert zu bearbeiten, egal, wie sehr ich mich bemühe“, kann zu „erlernter Hilflosigkeit“ führen oder einen Einfluss auf die Selbstwirksamkeitserwartung der betroffenen Person haben und letztlich auch das Bewältigungsverhalten (Copingverhalten) beeinflussen.

    Die für die Geräuschbedingungen ermittelten deutlichen Zusammenhänge zwischen der erlebten Störung und den anderen subjektiven Einschätzungen legen nahe, dass die Frage nach der „erlebten Störung“ von zentraler Bedeutung ist. Eine starke erlebte Störung steht im Zusammenhang mit hoher erlebter Anstrengung, geringer selbst eingeschätzter Konzentration und geringer selbst eingeschätzter Leistung, also mit der jeweils negativen Ausprägung der anderen Aspekte. Auch wenn hier keine Aussage über eine Verursachungskette möglich ist, so scheint dieses Ergebnis zu unterstreichen, dass es im Arbeitskontext an erster Stelle wichtig ist, die Störung zu reduzieren, und zwar auf den in den Technischen Regeln vorgegebenen Wegen, beginnend mit der Reduktion der Geräuschbelastung an der Quelle (ASR A3.7).

    In der berichteten Studie wurden drei unterschiedliche Geräusche aus realen Arbeitsumgebungen als Störgeräusche eingesetzt. Obwohl die reine Testzeit mit weniger als 15 Minuten im Vergleich zu einem vollständigen Arbeitstag kurz war, wurden nachteilige Effekte der Geräuschbedingungen auf die Leistungen in der Leseaufgabe und vor allem nachteilige Effekte anhand der subjektiven Einschätzungen nachgewiesen. Den Befragungen kommt damit eine wichtige Rolle zu, da sie die nachteilige Wirkung offenbar auch bei ausbleibenden oder geringen Effekten auf die Leistung sichtbar machen. Die Befragung gibt einen Einblick, wie die Beschäftigten, oder hier die Teilnehmenden, die Situation erleben. Mit Befragungen, die im realen Arbeitskontext durchgeführt werden und die auch situationsspezifische Störgeräusche berücksichtigen, kann zudem auch sehr differenziert herausgearbeitet werden, welche Geräusche oder welche Geräuschcharakteristika als beeinträchtigend erlebt werden und mit welchen Gestaltungsmaßnahmen dementsprechend gehandelt werden könnte. Es ist daher beabsichtigt, Befragungsinstrumenten, die in realen Arbeitskontexten eingesetzt werden können, zukünftig verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken, und, falls erforderlich, neue Instrumente zu entwickeln oder bestehende Instrumente für spezifische Arbeitssituationen anzupassen, damit eine differenzierte Erhebung der erlebten Belastungen und Beanspruchungen möglich wird.

    Danksagung: Herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen der BAuA Dortmund, die die Studie durch ihre Teilnahme unterstützt haben. Genauso herzlich danke ich: den Kolleginnen und Kollegen der Fachgruppe Labor „Produkte und Arbeitssysteme“ (insbesondere Ulrich Hold und Anke Berger) und des Informationszentrums für technische und organisatorische Unterstützung; Nina Ahrweiler für ihren engagierten Beitrag bei der Datenerhebung und Dateneingabe; Jan Selzer und Florian Schelle vom IFA der DGUV sowie Etienne Parizet vom INSA Lyon für die Bereitstellung der Geräuschaufnahmen; Erik Romanus und Stefan Uppenkamp für ihre Anmerkungen zum Manuskript.

    Die Studie wurde durchgeführt im Rahmen des BAuA-Forschungsprojektes F2427 (https://www.baua.de/DE/Aufgaben/Forschung/Forschungsprojekte/f2427.html)

    Erklärung zum Ethikvotum: Für die Studie im Forschungsprojekt F2427, über die in diesem Beitrag berichtet wird, liegt ein positives Votum der Ethikkommission der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) vor. Bevor mit der Testdurchführung begonnen wurde, haben alle Interessierten mündlich und schriftlich Informationen über die Studie erhalten, und sie haben schriftlich ihr Einverständnis zur freiwilligen Studienteilnahme erklärt.

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

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    Kontakt

    Dr. Helga Sukowski
    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
    Friedrich-Henkel-Weg 1-25
    44149 Dortmund
    Sukowski.Helga@baua.bund.de

    Abb. 5: Zusammenhang zwischen der subjektiven Einschätzung der erlebten Störung (x-Achse) und der erlebten Anstrengung, der selbst einge­schätzten Konzentration sowie der selbst eingeschätzten Leistung (jeweils y-Achse) in der Geräuschbedingung
    Fig. 5: Scatterplots for the interrelation between the subjective assessment of self-experienced disturbance (x-axis) and the experienced effort, self-assessed ­concentration as well as the self-assessed performance (y-axis) in the sound condition

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